Drusen


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25px Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Religionsgemeinschaft der Drusen; zu anderen Bedeutungen dieses Begriffes siehe Druse.

Die Drusen (arabisch ‏دروز‎, DMG Durūz), offiziell meist Madhhab at-Tauhīd (arabisch ‏مذهب التوحيد‎, DMG maḏhab at-tauḥīd ‚Lehrrichtung der göttlichen Einheit‘) sind im Nahen Osten eine Religionsgemeinschaft, die im frühen 11. Jahrhundert in Ägypten als Abspaltung der ismailitischen Schia entstand. Angehörige dieser Gemeinschaft leben heute vor allem in Syrien (ca. 700.000), im Libanon (ca. 280.000), in Israel (125.300, also 1,63 % der Bevölkerung im Jahr 2004) sowie in sehr geringer Zahl auch in Jordanien.<ref name=CBS>Statistical abstract of Israel – Population by religion. 2010</ref>

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Drusen im jordanischen Dorf Umm el-Quttein an der Grenze zu Syrien.

Geschichte

Begründer der drusischen Lehre war Hamza ibn Ali ibn Ahmad, ein persischer Missionar aus Ostiran, der Anfang des 11. Jahrhunderts in der fatimidischen Daʿwa tätig war. Er behauptete im Jahre 1017, die Ära des Qāʾim (eschatologischer Herrscher) sei angebrochen und der regierende fatimidische Kalif al-Hākim sei Gott. Auch lehrte er die Abrogation der koranischen Offenbarung und ihrer ismailitischen Deutung; an die Stelle beider sollte das bloße Bekenntnis von Gottes Einzigkeit (tauhīd) treten, das alle gottesdienstlichen Handlungen überflüssig macht. In seinen in den Jahren von 1017 bis 1020 entstandenen Sendschreiben entwickelte Hamza eine neue Theologie − eine Kompilation von ismailitischen, neuplatonischen und extrem-schiitischen Vorstellungen und Begriffen. Hamza sandte eigene Missionare in die verschiedenen ismailitischen Gemeinden Ägyptens und Syriens. Einer seiner Missionare, ein junger Türke aus Buchara, der den Beinamen ad-Darzī (pers. „Schneider“) hatte, entfaltete in Kairo eine so rege Missionstätigkeit, dass die neue Lehre dort nach ihm als ad-Darzīya bekannt wurde; ihre Anhänger wurden als Durūz (Drusen) bezeichnet.<ref>Vgl. Heinz Halm: Die Schia. Darmstadt 1988. S. 220f.</ref>

Der Kalif selbst duldete das Treiben der drusischen Missionare. Sein Verschwinden im Februar 1021 bei einem seiner nächtlichen Ausritte bestärkte die Drusen noch in ihrem Glauben an seine Göttlichkeit. Während Hamza verstummte, weitete sein Stellvertreter al-Muqtanā die Daʿwa auch auf ismailitische Gemeinden außerhalb des Fatimidenreiches aus, nach Irak und Iran, den Hedschaz, den Jemen, Bahrain und Indien. Auf ihn geht wahrscheinlich auch die Sammlung der "Sendschreiben der Weisheit" (rasāʾil al-hikma) zurück, die bis heute die wichtigste Heilige Schrift der Drusen darstellt. Im Fatimidenreich mussten die Drusen geheim operieren, denn al-Hākims Nachfolger az-Zāhir (reg. 1021-1036) verbot in Edikten die drusische Lehre und ließ ihre Anhänger verfolgen. Innere Streitigkeiten führten schließlich dazu, dass die drusische Daʿwa schon im Jahre 1034 eingestellt wurde.<ref>Vgl. Halm 1988, 222.</ref>

Die Drusen schlossen sich jetzt nach außen hin ab und zogen sich in entlegenere Gebirgsgegenden zurück, so zum Beispiel in das Chouf-Gebiet im Libanon-Gebirge. Hier trat im 15. Jahrhundert der drusische Moralist ʿAbdallāh at-Tanūchī (1417-79) auf, der von den Drusen mit dem ehrenden Beinamen as-Sayyid al-Amīr („Herr Fürst“) bezeichnet wird. Er schrieb einen grundlegenden Kommentar zu den rasāʾil al-hikma und schuf ein System von moralischen Regeln, das als ādāb as-Sayyid al-Amīr bekannt ist und bis heute als Elementar-Codex drusischer Lebensführung gilt.<ref>Vgl. Kais M. Firro: Art. al-Tanūkhī, Djamāl al-Dīn ʿAbdallāh in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. X, S. 192b.</ref>

Im Libanon wurde im frühen 16. Jahrhundert ein Drusen-Emirat gegründet, das bis 1697 von der Maʿn-Dynastie regiert wurde. Dort gab es zeitweise politische Allianzen mit den dort lebenden maronitischen Christen, die jedoch seit dem Osmanischen Reich und erneut seit dem libanesischen Bürgerkrieg einer offenen Feindschaft wichen.

In den 1920ern richtete die französische Mandatsverwaltung im Hauran-Gebiet im Südwesten Syriens mit dem Drusenstaat (Djébel druze) einen autonomen Teilstaat ein, um den syrischen Widerstand gegen die Kolonialherrschaft zu zersplittern. Nachdem Drusen wie Sultan Pascha al-Atrasch sich jedoch 1925–27 an die Spitze des Aufstands in Damaskus gestellt hatten, wurde der Dschebel ad-Duruz dem restlichen Syrien wiedereingegliedert (siehe auch: Geschichte Syriens). Die Drusen leisteten bewaffneten Widerstand. Um diesen zu brechen, richteten die Franzosen ein Massaker an Drusen und Kurden an. Sie stellten die Leichen auf dem Marktplatz von Damaskus zur Schau.

Lehre

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Symbol der Drusen
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Flagge der Drusen

Obwohl der Glaube der Drusen stark von der ismailitischen Tradition geprägt ist, sind die Unterschiede so groß (z. B. durch Beimischung von Platonismus und Neuplatonismus, Seelenwanderung), dass man von einer eigenständigen Religion und nicht von einer Richtung des Islam sprechen muss. Die Drusen haben eine allegorische Interpretation des Koran mit einer eigenen Doktrin.

Die Lehre von der Seelenwanderung widerspricht ebenfalls den Prinzipien des Islam. Demnach wandert die Seele eines Menschen mit dessen Tod sofort in einen neugeborenen Menschen (jedoch nicht in Tiere oder andere Wesen). Auf dem Weg von Mensch zu Mensch strebt die Seele nach Perfektion; nach deren Erreichen geht sie eine Einheit mit al-Hakim ein.

Die Drusen glauben an Reinkarnation und an weitere parallele Welten. Die Umstände der Geburt eines Menschen, seine Eltern und der Geburtshintergrund sind vorbestimmt und von Gott oder einem höheren Wesen allein entschieden. Entsprechend sind Missionierung oder Konvertierung nicht erlaubt. Diese werden als Verweigerung des Gotteswillens angesehen, bzw. als Fall einer niederen Intelligenz – des Menschen –, die versucht, eine höhere Intelligenz – Gott – zu „belehren“. In den Worten der Drusen: „Ein Umhüllter darf den Umhüllenden nicht belehren. Das kann nur Gott entscheiden“. Es besteht ein Grund dafür, weshalb Gott die Menschen in die verschiedenen Religionen verteilte. Dieser Grund ist nicht etwas, mit dem sich der Mensch beschäftigen sollte. Der Mensch soll sich vielmehr mit der Reinigung seiner Seele befassen, um eine höhere Daseinsebene zu erreichen. Auf dem Weg zu diesem Ziel und durch viele Reinkarnationen kann der Mensch viele Rollen bekommen und verschiedene Situationen erleben. Deswegen ist es grundlegend für Drusen, andere Religionen so zu akzeptieren, wie sie sind, da sie in der nicht vom Menschen zu beachtenden Struktur eine ähnliche Rolle innehaben.

Mission und Konvertierung Andersgläubiger wird von den Drusen nicht betrieben, auch freiwillig kann man nicht zum Drusentum übertreten. Außenstehende wurden nur zur Zeit der Gründung der Religion aufgenommen. Heute ist nur Druse, wer Kind drusischer Eltern ist. Die Lehre der Drusen lässt nur eine genau feststehende Zahl ihrer Mitglieder in allen Welten zu. Das heißt, zu jeder Zeit ihres Daseins existieren nie weniger oder mehr Mitglieder.

Die Drusen glauben, dass sie immer unter verschiedenen Namen seit Millionen von Jahren existierten. Al-Hakim zählt als die letzte Manifestation Gottes in einer langen Reihe zuvor. Die Drusen verehren das Grab des Jitro in Hittin. Der Tod des Kalifen im Jahr 1021 wird von seinen drusischen Anhängern als Übergang in einen Zustand der Verborgenheit verstanden, aus dem er nach 1000 Jahren wieder zurückkehren werde, um die Herrschaft über die Welt anzutreten. Dies hätte - bedingt durch die etwas andere islamische Zeitrechnung - 1990 oder 1991 moderner zeitrechnung gewesen.

Die Gläubigen werden in „Unwissende“ (dschuhhâl, sg. dschâhil) und Eingeweihte (’Uqqal) (sg. ’âqil, „Verständiger“) unterteilt. Letztere, sowohl Männer als auch Frauen, sind Hüter und Bewahrer der Religion und ihrer Geheimnisse, die den Unwissenden nicht bekannt sind. Sowohl diese Struktur, als auch eine Abschottung gegenüber Außenstehenden aufgrund von Verfolgungen bedingen, dass die Praktiken und Einzelheiten der Religion der Drusen nicht außerhalb der Gemeinschaft bekannt sind. Das Drusentum kann daher auch als Geheimreligion betrachtet werden.

Erkennbar sind die Eingeweihten (auch als die „Religiösen“ bezeichnet) daran, dass sie stets eine weiße Kopfbedeckung mit schwarzen Gewändern tragen. In Drusengebieten gibt es normalerweise keine Moscheen; die meisten Frauen tragen kein Kopftuch.

Heutige Situation

Drusen im Libanon

Das einzige Land, in dem die Drusen eine größere politische Rolle spielen, ist der Libanon. Nach Schiiten, Maroniten, Sunniten und Griechisch-Orthodoxen stellen die Drusen die fünft- oder sechstgrößte Religionsgemeinschaft (etwa gleichauf mit den Gläubigen der griechisch-katholischen Kirche) im Land. Zentrum der Minderheit ist das Chouf-Gebirge, im Südlibanon leben sie mit Christen zusammen (siehe auch: Walid Dschumblat). Obwohl zahlenmäßig klein, verfügten die drusische Minderheit und ihre Progressiv-sozialistische Partei während des Libanesischen Bürgerkrieges über eine der schlagkräftigsten Milizen.

Durch Art. 9. der Verfassung haben die Drusen im Libanon das Recht auf Selbstverwaltung und eigene Personenstandsgesetzgebung. Sie verfügen über eine eigene Gerichtsbarkeit, an deren Spitze das „Höchste drusische Berufungsgericht“ (al-maḥkama al-istiʾnāfīya ad-Durzīya al-ʿulyā) steht. Als höchste religiöse Instanz der Drusen gegenüber dem Staat fungiert der sogenannte schaich al-ʿaql („Meister des Intellekts“). In manchen Zeiten wird dieses Amt von zwei Personen wahrgenommen.<ref>Vgl. Schenk 97f.</ref>

Drusen in Syrien

Neben dem Dschebel ad-Duruz leben Drusen am Osthang des Hermon-Gebirges (Dschebal asch-Schaich) in Dörfern auf 1000 bis 1500 Meter Höhe. Wie die Minderheit der Alawiten gelangte auch die der Drusen durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Militärdienstleistenden in den Streitkräften Syriens zu einem gewissen politischen Einfluss, nach der Machtübernahme der Baath-Partei 1963 wurde z. B. Shibli al-Aysami kurzzeitig Parteichef und syrischer Vizepräsident, auch Sultan al-Atraschs Sohn Mansur bekleidete einen Posten in der Parteiführung. Nach Machtkämpfen innerhalb der Baath-Partei und einem vergeblichen Putschversuch des drusischen Majors Salim Hatum wurden die Drusen jedoch 1966 von alawitischen Militärs ausgebootet und von der Macht verdrängt.

Im Bürgerkrieg in Syrien werden die Drusen zunehmend von islamistischen Rebellen bedroht.<ref>Bürgerkrieg: Syriens Drusen geraten zwischen die Fronten</ref>

Drusen in Israel

Die israelischen Drusen leben in 18 Dörfern zwischen Akkon im Westen und Safed im Osten sowie in vier Dörfern auf den von Israel annektierten Golanhöhen. Die größte drusische Ansiedlung in Israel ist (hebräisch ‏דאליית אל-כרמל‎) Daliat al-Carmel mit über 10.000 drusischen Einwohnern.

Drusen in Israel verhalten sich als israelische Staatsbürger gegenüber der israelischen Regierung loyal und leisten in der Regel Militärdienst in der israelischen Armee, allerdings mit Ausnahmen.<ref>Israel's Druze conscientious objectors, Aljazeera, 8. Januar 2014</ref> Die Drusen wurden in Israel 1957 als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Sie sehen sich als Araber, jedoch (in Israel) nicht als Muslime. Allerdings steigt langsam der Druck von palästinensischer Seite, mit den palästinensischen Muslimen konform zu gehen. Zu den israelischen Drusen zählen nicht die Drusen des im Sechstagekrieg 1967 besetzten syrischen Golan. Diese leben in einigen wenigen Dörfern des Nordgolan unterhalb des Hermon, haben aber ihr Land bei der israelischen Eroberung 1967 im Gegensatz zu den Sunniten der Stadt Quneitra oder der weiter südlich gelegenen, mittlerweile nicht mehr existierenden Dörfer nicht verlassen. Ähnlich wie bei der Annexion Ost-Jerusalems wurde nach Annexion des Golan den Drusen die israelische Staatsbürgerschaft angeboten. Allerdings nahmen nur circa zehn Prozent der Drusen auf dem Golan dieses Angebot an. Im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien steigt jedoch das Interesse an der israelischen Staatsbürgerschaft gerade unter jungen Drusen auf dem Golan.

Drusen als genetisches Reservat

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Ein mittelblondes Drusenkind in syrischer Bergwelt um 1996

Analysen der mitochondrialen DNS von drusischen Einwohnern (311 Haushalte in 20 Dörfern in schwer zugänglichen Berggegenden in Israel) durch ein Team von israelischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern belegen mündliche Überlieferungen, die behaupten, dass sich die Drusen anfangs aus vielen verschiedenen Stämmen zusammensetzten. In der untersuchten Bevölkerung findet man etwa 150 verschiedene Varianten der mitochondrialen DNS, die nach Aussage der Autoren ein geschütztes genetisches Reservat („genetic sanctuary“) darstellen und damit einen Einblick in die Populationsdiversität des Nahen Ostens vor einigen Jahrtausenden erlauben.<ref>The Druze - A Population Genetic Refugium of the Near East. In: PLoS ONE. 7. Mai, 2008.</ref>

Literatur

  • Général Andrea: La révolte Druze et l'Insurrection de Damas. 1925-1926. Bibliothèque historique. Payot, Paris 1937.
  • Paul-Jacques Callebaut: Les mystérieux Druzes du Mont-Liban. La Renaissance du livre, Tournai 2000, ISBN 2-8046-0333-4.
  • Kais M. Firro: The Druzes in the Jewish State. A Brief History. Social, economic and political studies of the Middle East and Asia Bd 64. Brill, Leiden u. a. 1999, ISBN 90-04-11251-0.
  • Abbas El-Halabi: Les Druzes. Vivre avec l'avenir. 2. Ausgabe. Editions Dar an-Nahar, Beyrouth 2005, ISBN 9953-74-042-9.
  • Jad Hatem: Dieu en guise d'Homme dans le Druzisme. Librairie de l’Orient, Paris 2006, ISBN 2-84161-302-X.
  • Georges Dagher, Isabelle Rivoal: Les Maîtres du Secret. Ordre mondain et ordre religieux dans la Communauté Druze en Israël. Recherches d'histoire et de sciences sociales. Bd 88. Éditions de l'École des hautes études en sciences sociales, Paris 2000, ISBN 2-7132-1338-X.
  • Fuad Khoury: Being a Druze. Druze Heritage Foundation, London 2004, ISBN 1-904850-00-6.
  • Peggy Klein: Die Drusen in Israel. Diss. Universität Hannover. Tectum, Marburg 2001, ISBN 3-8288-8305-2. (GoogleBooks)
  • Louis Périllier: Les Druzes. Courants universels. Editions Publisud, Paris 1986, ISBN 2-86600-252-0.
  • Bernadette Schenk: Tendenzen und Entwicklungen in der modernen drusischen Gemeinschaft des Libanon. Versuche einer historischen, politischen und religiösen Standortbestimmung. Islamkundliche Untersuchungen. Bd 245. Schwarz, Berlin 2002, ISBN 3-87997-298-2.
  • Werner Schmucker: Krise und Erneuerung im libanesischen Drusentum. Studien zum Minderheitenproblem im Islam. Bd 3. Orientalischen Seminars der Universität, Bonn 1979, ISBN 3-447-02058-X.
  • Sehabeddin Tekindag: Duruz. In: Encyclopaedia of Islam. Bd 2. Leiden 1991, S. 631, ISBN 90-04-07026-5.
  • Philipp Wolff: Die Drusen und ihre Vorläufer. Vogel, Leipzig 1845

Weblinks

Commons Commons: Drusen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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