Erker
Ein Erker (mhd. erker[e], ärker, wohl ein Lehnwort aus nordfrz. arquière für „Schützenstand“ oder „Schießscharte“, eigentlich „Mauerausbuchtung“) ist ein geschlossener, überdachter, über ein oder mehrere Geschosse reichender Vorbau an der Fassade eines Hauses. Im Gegensatz zur Auslucht steigt er nicht vom Boden auf, sondern wird von einer auskragenden Balkenlage oder Konsolen getragen. Die Übergänge zum Balkon, der auch überdacht und verglast sein kann, sind bisweilen fließend.
Inhaltsverzeichnis
Wehrfunktion
Erker waren besonders im Mittelalter an Wehrbauten beliebt. Zum einen konnte man von ihnen aus die Mauer besser übersehen und mögliche Angreifer aus der Deckung heraus mit Wurfgeschossen bekämpfen (siehe auch: Wehrerker). Bei einem Eckerker hatte man einen günstigen Blickwinkel von 270°. Zum anderen konnte ein nach unten offener Aborterker auch als Toilette dienen.
Kapelle
Bei Burgen, Patrizierhäusern und bei Schlössern ist oft ein eingeschossiger Kapellenerker (auch Chörlein genannt) zu finden, in dem sich der Altarraum einer Hauskapelle befindet. Ein Kirchengebot verbietet Wohnräume über dem Altar. Ob es sich beim berühmtesten Chörlein, dem des Sebalder Pfarrhofs in Nürnberg, um einen Erker oder um eine Auslucht handelt, mag durchaus kontrovers diskutiert werden, ist aber letztlich müßig.
Wohnraum
Frühneuzeitliche Architektur
Seit der Spätgotik und der Renaissance diente der Stubenerker im Wohnhaus zur Erweiterung der Wohnfläche, zur besseren Belichtung der Räume und als künstlerisches Gliederungsmotiv der Fassade. Wenn der Erker nur auf Höhe der Fenster, also ohne die Brüstung aus der Fassade vorspringt, so ist dies ein Fenstererker und nicht ein Erkerfenster, da alle Fenster von Erkern so genannt werden. Oft ist der Erker als Erkertürmchen mit einem Dach bis über die Traufkante hochgeführt. In Landshut führte im Mittelalter die oftmalige Instabilität vieler Erker an Wohnbauten zu Einstürzen, worauf diese dort verboten wurden.
Islamische Tradition
In islamischen Ländern ist der als Maschrabiyya bezeichnete Erker ein häufig anzutreffendes Bauteil, das Frauen auch ohne Verschleierung die Möglichkeit bietet, das Straßenleben zu beobachten und einen gut belüfteten Sitzplatz zu genießen.
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Orientalische Straßenszene mit Erkern, Gemälde von Karl Kaufmann
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Holzerker in Kairo (Gayer Anderson Museum)
Neuzeitliche britische Tradition
Als Mittel besserer Lichtzuführung, optischer Erweiterung des Innenraums und eines größeren Ausblicks auch zu den Seiten hin sind die als Bay Windows bekannten, aus der Außenwand hervortretenden Fenstersysteme seit der viktorianischen Architektur der 1870er Jahre und noch bis heute eine ausgesprochen populäre Konstante der britischen Wohnarchitektur für die Massen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Bay Window unterschiedslos als Überbegriff sowohl auf Ausluchten wie auf Erker angewendet, da sie sich in der Erscheinung sehr ähneln und die Funktion genau dieselbe ist. Zahlenmäßig überwiegen Ausluchten die Erker bei weitem. Die spezielle Bezeichnung Oriel Window für den Erker ist eher dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch vorbehalten und wird zumeist auf historische oder historisierende Bauten angewendet.
Vom britischen Vorbild ausgehend findet diese Verwendung des Bay Window Einzug in die Wohnarchitektur anderer englischsprachiger Länder, besonders in die USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Tatsächliche Erker kommen hier häufiger zum Einsatz als auf den britischen Inseln. Die Stadt San Francisco weist eine hohe Konzentration von Fenstererkern auf.
Die Vorzüge der verbesserten Lichtzuführung des Erkerfensters wurden bereits 1864 mit dem Pionierbau Oriel Chambers in Liverpool durch den lokalen Architekten Peter Ellis (1808-1888) in die Geschäftsarchitektur übertragen. Von hier ausgehend, spielen sie für einige Zeit im späten 19. Jahrhundert auch eine Rolle in den frühen Wolkenkratzern der Chicagoer Schule. Die häufig unterschiedliche Gestaltung des Erdgeschosses bringt es mit sich, dass es sich hier um wirkliche Erker handelt, die sich oft bis zum Dach erstrecken.
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Typisches britisches Doppelhaus der 1930er Jahre mit Bay Windows (hier als Ausluchten), Chadderton, Greater Manchester
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Erkerfenster in San Francisco
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Oriel Chambers, Liverpool, von Peter Ellis, 1864
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Reliance Building, Chicago, von Burnham and Root, 1890-95
Weitere Bildbeispiele
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Kapellenerker, Burg Eltz
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Erker im Innenhof von Schloss Hartenfels
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Schloßstraße in Schöckingen
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Eckhaus mit mehrstöckigem Erkerturm, Gelsenkirchen-Buer, 1904
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Dreieckige Erker in der Hellwigstraße, Saarbrücken, 1927
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Wohnhaus mit mehrgeschossigen Erkern (Sonnenallee, Berlin)
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Wohnhausanlage mit rhythmisierenden Erkern als Ecklösung in Wien
Siehe auch
Literatur
- Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960, Band 2, Holzbalkendecken, Massivdecken, Deckenregister, Fußböden, Erker und Balkone, Verkehrslasten im Überblick; 7., durchgesehene und korrigierte Auflage mit 74 ganzseitigen Bildtafeln und historischen Bauvorschriften auf CD-ROM, Huss-Medien, Berlin 2009, ISBN 978-3-345-00939-6
Weblinks
Einzelnachweise
<references />