Fachkräftemangel
Als Fachkräftemangel bezeichnet man den Zustand einer Wirtschaft, in dem eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen für Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten nicht besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter (Fachkräfte) zur Verfügung stehen. Anzeichen für einen Fachkräftemangel können etwa überdurchschnittliche Gehaltsentwicklungen einer Fachrichtung sein.<ref>Thomas Wagner: Kampf um die klügsten Köpfe in dradio „Campus & Karriere“ vom 10. Dezember 2013</ref>
Inhaltsverzeichnis
Fachkräftemangel als ökonomisches Problem
Wie viel und welches Humankapital mit wirtschaftlich nutzbaren Fähigkeiten und Kenntnissen gebildet wird, entspricht nicht immer dem gesellschaftlichen Bedarf. Bedarf und Angebot an Humankapital sind allerdings keine festen Größen. Sie werden unter anderem über den Lohn von der jeweils anderen Marktseite beeinflusst. Fachkräftemangel kann als ein Marktungleichgewicht aufgefasst werden. Man kann die Entscheidung 'Berufswahl' auch als eine langfristige Investitionsentscheidung auffassen; diese ist mit Unwägbarkeiten („Imponderabilien“) behaftet.
Ein Fachkräftemangel schwächt das mögliche Wachstum einer Wirtschaft. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt, früher auch in den Staaten des Realsozialismus, stellt er auch ein Problem für die Entwicklung der Gesellschaft dar, weil wesentliche Funktionen der Gesellschaft nicht besetzt werden können. In diesen Ländern kann ein „Braindrain“, die Auswanderung qualifizierter Arbeitnehmer, zu einem Fachkräftemangel führen.
Ausbildungszyklen
Ausbildungen benötigen eine gewisse Ausbildungsdauer. Wenn ein Fachkräftemangel zu einer erhöhten Zahl an Ausbildungsbeginnern führt (was oft der Fall ist), steigt erst nach einer gewissen Zeit die Zahl der Arbeitnehmer mit dieser Qualifikation. Beispielsweise stieg im Vorfeld der Dotcom-Blase die Zahl der benötigten IT-Spezialisten mit Internet-Kenntnissen kurzfristig massiv an. Dieser Fachkräftemangel führte zu politischem Aktionismus wie dem Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs. Dieser Fachkräftemangel löste sich jedoch mit dem Platzen der Blase und dem Ende der Jahr-2000-Problem-Hysterie auf.
Auch im Bereich der Berufsausbildung bestehen Konjunkturzyklen.<ref>Troltsch, Klaus, Christian Gerhards, Sabine Mohr: Vom Regen in die Traufe. Unbesetzte Ausbildungsstellen als künftige Herausforderung des Ausbildungsstellenmarktes. BIBB REPORT 19 (2012): 12.</ref> Die subjektive Wahrnehmung eines Fachkräftemangels führt zu einer verstärkten Ausbildungsleistung in den nachgefragten Bereichen. So führte das genannte Internet-Phänomen zu einer deutlich steigenden Zahl von Informatikern mit Spezialisierung auf Internet-Technologien. Dieser Fachkräftemangel verwandelte sich relativ schnell in einen Überschuss so qualifizierter Informatiker. Infolge der immer lauter werdenden Klagen über einen Fachkräftemangel haben sich die Studienanfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften von 1997 bis 2011 mehr als verdoppelt und sind mit aktuell über 100.000 Erstsemestern pro Jahr deutlich über dem Wert von 70.000 Erstsemestern pro Jahr, der in den 1990er-Jahren zu einer Ingenieurschwemme führte, während der die Arbeitslosenquote bei Maschinenbauingenieuren auf über 16 % im Jahr 1997 stieg. In den nächsten Jahren könnte es eine erneute Ingenieurschwemme geben.<ref>betriebsrat.de, Handelsblatt (6. April 2009)</ref>
Fachkräftemangel als langfristige Arbeitsmarktprognose
Bei der Diskussion über Fachkräftemangel ist es sinnvoll, einen eventuellen aktuellen Fachkräftemangel von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht zu unterscheiden. Einer Diagnose von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht liegen dabei typischerweise die folgenden Argumente zugrunde:
- Das Angebot an Fachkräften wird aus demografischen Gründen zurückgehen. Dabei wird angenommen, dass Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung und Veränderungen in der Bildungsbeteiligung nicht ausreichen, um den demografischen Rückgang auszugleichen.
- Die Nachfrage nach Fachkräften wird steigen oder aber zumindest weniger stark sinken als das Angebot an Fachkräften. Das Verhältnis von Nachfrage und Angebot an Fachkräften wird also aus Sicht der Fachkräfte günstiger. Eine steigende Nachfrage nach Fachkräften kann dabei entweder dadurch zustande kommen, dass Sektoren mit hohem Fachkräfteeinsatz an Bedeutung gewinnen oder aber dadurch, dass technologische Entwicklungen den Einsatz von Fachkräften begünstigen.
- Schließlich wird der Marktmechanismus, also die Anpassung des Lohnes von Fachkräften an die veränderten Marktbedingungen, nicht ausreichend funktionieren. Mithin sollten die beschriebenen Änderungen zu einer Anhebung des Lohnes von Fachkräften führen, was aus Sicht der Firmen den Einsatz an Fachkräften weniger lohnend erscheinen lässt und aus Sicht der Individuen einen Anreiz darstellt, in ihre Qualifikationen zu investieren.
Eine langfristige Prognose des Fachkräftebedarfs in Deutschland ist allerdings schwierig, da zahlreiche Randbedingungen den Fachkräftebedarf in Deutschland beeinflussen. Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft Kiel kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass gerade Berufe der MINT-Fächer besonders leicht ins Ausland verlagert werden können und auch verlagert werden, weil sie zum einen auf einem international standardisierten Wissen basieren (die Naturgesetze gelten überall auf der Welt) und zum anderen keine großen Anforderungen an die Infrastruktur stellen.<ref>Klaus Schrader, Claus-Friedrich Laaser: „Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie sicher sind die Jobs in Deutschland?“ (PDF, 1,73 MB) vom Mai 2009</ref> Die Verlagerung von Fertigungseinrichtungen ins Ausland ist deutlich aufwändiger. Auch medizinische, juristische oder viele Dienstleistungsberufe können schwer ins Ausland verlagert werden, da diese Berufe eine große Kundennähe erfordern. Die hohen Wachstumsraten in den Schwellenländern sowie die hohe Verfügbarkeit und die niedrigen Gehälter von MINT-Arbeitnehmern in den Schwellenländern, die oft nur einem Zehntel der deutschen Gehälter entsprechen,<ref>Hasnain Kazim: „Gehälter: Wettstreit um die besten Gehälter“, Manager Magazin vom 28. Februar 2006</ref> üben einen massiven Verlagerungsdruck auf deutsche MINT-Berufe aus. Besonders drastisch zeigt sich dies an der Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Elektroingenieure (Grafik rechts). Obwohl die Nachfrage nach Elektronikartikeln weltweit steigt, sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Elektroingenieure in Deutschland seit den letzten 10 Jahren kontinuierlich. In diesem Zeitraum ging die Zahl dieser Stellen um über 28000 (mehr als 16 %) zurück. Gerade diese Verlagerung von MINT-Berufen ins Ausland kann nach einer Studie der Arbeitsagentur zukünftig sogar die Arbeitslosigkeit in deutschen MINT-Berufen weiter erhöhen.<ref>„Perspektive 2025: Fachkräfte für Deutschland“ (PDF, 4,17 MB) vom Januar 2011</ref>
Missbräuchliche Nutzung des Begriffs
Der Begriff Fachkräftemangel wird auch interessengeleitet verwendet.<ref>Lars Niggemeyer: „Die Propaganda vom Fachkräftemangel“, Blätter für deutsche und internationale Politik vom Mai 2011</ref> Es wird dann missbräuchlich von Fachkräftemangel gesprochen, obwohl eigentlich kein solcher existiert.
Für den Oldenburger Organisationsforscher Marcel Schütz dient die Diskussion um Fachkräftemängel vor allem der betrieblichen Personalpolitik. Unternehmen haben demnach ein Interesse daran, über die (oft pauschale) Kommunikation hoher Personalbedarfe ihren eigenen Status in der Öffentlichkeit zu unterstreichen. Ein hoher Bedarf an Personal steht auch für betriebliche und Branchen-Vitalität. Nach Schütz bleibt in der öffentlichen Debatte regelmäßig außer Acht, wie sehr die Personalbedarfsermittlung vielfach nur auf allgemeinen Schätzungen beruhe. Bedarfe müssten aber auch im Verhältnis zu bestehenden, zuweilen künstlich „hochgefahrenen“ Anforderungen gesehen werden. Die Debatte um den Fachkräftemangel ist nach Schütz regelmäßig tendenziös, da Mangelphänomene stets als Anpassungsdefizite bei den Beschäftigten, kaum jedoch auf Seiten der Betriebe und deren Personalpolitik selbst betrachtet würden. Die allgemeine Öffentlichkeit habe schließlich keine Möglichkeit, nachzuvollziehen, ob Mangel-Behauptungen auf tatsächlicher Knappheit am Markt oder auf stetig höheren Zugangshürden zu qualifizierten Tätigkeiten beruhten. Auswahlverfahren würden auch ohne sachlichen Grund zunehmend exklusiver gestaltet, wodurch es automatisch zu Eindrücken des Mangels kommen könne. Diese Einseitigkeit in Analysen stelle den eigentlichen Mangel der langlebigen Mangel-Debatten dar.<ref>Marcel Schütz: „Gegen die Mär vom Fachkräftemangel“, Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 2015 </ref>
Motiv
Qualifizierte Fachkräfte sind für Unternehmen ein wertvoller Produktionsfaktor. Manche Arbeitgeber entlohnen Fachkräfte unangemessen niedrig, wenn ein Überangebot an ihnen existiert. Daher erscheint es für Arbeitgeber oft ökonomisch sinnvoll, einen aktuellen oder zukünftigen Fachkräftemangel zu behaupten, auch wenn es keinen solchen gibt, um ein Überangebot an Arbeitskräften zu erreichen oder um politische Entscheidungen in ihrem Interesse zu lenken (z.B. die Forderung nach Erhöhung der Arbeitszeit,<ref>Teilzeitarbeit und Fachkräftemangel, vbm-online.de</ref> Absenkung von Verdienstschwellen ausländischer Fachkräfte<ref>Zuzug ausländischer Fachkräfte – Jetzt reicht auch ein Durchschnittsgehalt, sueddeutsche.de</ref> oder Erhöhung des Rentenalters<ref>Die Rente mit 63 verschärft den Fachkräftemangel, zeit.de</ref>).
Argumentation
Um einen Fachkräftemangel zu belegen, obwohl kein solcher existiert, werden häufig mangelhafte oder tendenziöse Statistiken genutzt:
- Bei der Einbeziehung der Anzahl von offenen Stellen in Statistiken wird häufig übersehen, dass gleichzeitig mehrere Arbeitsangebote von verschiedenen miteinander konkurrierenden Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung und Personalvermittlung nur für eine reale offene Stelle gleichzeitig existieren und damit die Anzahl der realen offenen Stellen auf diesem Wege nicht genau erfasst werden kann.
- Statistiken gehen häufig davon aus, dass jede ausgeschriebene Stelle real existiert bzw. sofort zu besetzen wäre. Das Ausschreiben einer Stelle kann aber andere Hintergründe haben:
- Unternehmen können dazu verleitet sein, ihre Bekanntheit am Arbeitsmarkt durch das Ausschreiben von Stellen zu pflegen. Die Bekanntheit ist wichtig beim Wettbewerb um Talente (siehe Employer Branding). Es werden dazu in großen Stellenbörsen im Internet und bekannten Zeitschriften oder Zeitungen regelmäßig Stellenausschreibungen platziert. Dies kann auch passieren, obwohl das Unternehmen gerade keine Stelle mit dieser fachlichen Ausrichtung besetzen möchte oder zu Zeiten, in denen das Unternehmen eigentlich kein neues Personal einstellen möchte.
- Arbeitnehmerüberlassungen können eine durchgängig gefüllte Bewerberdatenbank unterhalten. Die Bewerberdatenbank dient dazu, Anfragen eines Kunden möglichst schnell aus dem bereits vorhandenen Pool an Bewerbern bedienen zu können (siehe Personalbeschaffung). Dazu werden kontinuierlich die typischerweise nachgefragten Profile als Stellen ausgeschrieben. Anfragen an Arbeitnehmerüberlassungen können durch sehr dringenden Bedarf ausgelöst werden, weshalb es für konkurrierende Arbeitnehmerüberlassungen von Vorteil ist, auf die Anfrage eines Kunden möglichst sofort Kandidaten vorschlagen zu können. Es müssen so nicht erst Stellenausschreibungen geschaltet und Bewerbungsgespräche geführt werden.
- Auch größere Unternehmen können eine durchgängig gefüllte Bewerberdatenbank unterhalten, für die kontinuierlich Stellen ausgeschrieben werden. Es ergibt sich hier ein Vorteil dadurch, dass das Bewerbungsverfahren verkürzt werden kann, sobald tatsächlich Bedarf entsteht, da sofort Kandidaten verfügbar sind.
- Ausgeschriebene Stellen können dem Zweck der Arbeitsmarktbeobachtung dienen. Zum Beispiel lassen sich Statistiken zu Gehaltswünschen und Qualifikationen der Bewerber erstellen. Daraus lässt sich ableiten, ob der Arbeitsmarkt gerade günstig für Neueinstellungen ist oder nicht.
- Manche Statistiken<ref>Der Arbeitsmarkt für Akademikerinnen und Akademiker, arbeitsagentur.de</ref> leiten eine Aussage über einen Fachkräftemangel aus der Zeit ab, die benötigt wird, eine Stelle zu besetzen (die sog. Vakanzzeit).<ref>Deutschland fehlen Lokführer und Klempner, welt.de</ref> Da nicht jede Stellenausschreibung (wie im Beispiel von Arbeitnehmerüberlassungen) einem unmittelbaren Bedarf geschuldet sein muss, kann aus einer langen Vakanzzeit nicht zwangsläufig auf einen Fachkräftemangel geschlossen werden.
- Statistiken können die Anzahl bei der Bundesagentur für Arbeit offen gemeldeten Stellen und die Anzahl arbeitslos gemeldeter Fachkräfte nutzen, um auf einen Fachkräftemangel zu schließen. Einige Statistiken (z.B. des VDI) multiplizieren die Anzahl offen gemeldeter Stellen mit einem Faktor, um Stellen zu kompensieren, die nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wären.<ref>Warum der Mangel an Ingenieuren ein Mythos ist, spiegel.de</ref> Neben dem beschriebenen Problem der Mehrfachausschreibung einer einzigen realen Stelle, was bereits zu einer Multiplikation führt, wird übersehen, dass es auch arbeitslose Fachkräfte gibt, die nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind. Dies wird aber nicht berücksichtigt.
Beispiel
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nannte im Jahr 2011 240.000 offene Stellenangebote für Fachkräfte im MINT-Bereich, denen 74.000 gemeldete Arbeitslose mit entsprechenden Qualifikationen gegenüberstanden.<ref>„Fachkräftelücke in Technik und Naturwissenschaft wächst rasant“, haufe.de vom 2. Dezember 2011</ref> Seit Beginn des Jahres habe sich der Fachkräftemangel im MINT-Bereich damit um 73 % erhöht. Diese Studie wurde unter anderem von Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) scharf kritisiert, da diese Zahlen hochgerechnet würden, um freie Stellen zu berücksichtigen, die den Arbeitsagenturen nicht vorliegen.<ref>„Fachkräftemangel: Wirtschaft macht MINT-Wind“, Spiegel-Online vom 30. November 2011</ref>
Politische Diskussion in Deutschland
In Beiträgen, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen sind, wird vor Fachkräftemangel gewarnt (siehe unten). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vertritt in seinen bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema überwiegend die Meinung, dass Fachkräftemangel sich zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickeln könne,<ref name="RH2003">Alexander Reinberg, Markus Hummel: „Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu?“. IAB-Kurzbericht No.9, Nürnberg 2003</ref><ref>Martin Dietz, Ulrich Walwei: „Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wissenschaftliche Befunde und Forschungsperspektiven“ (PDF, 58,2 KB) vom August 2007</ref> obgleich derzeit nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel gesprochen werden könne. Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung prognostiziert die Studie von Fuchs und Zika eine deutliche Unterbeschäftigung für die nächsten Jahre.<ref>Johann Fuchs, Gerd Zika: „Arbeitsmarktbilanz bis 2025 – Demografie gibt die Richtung vor“ (PDF; 505 kB), IAB Kurzbericht vom Juni 2010</ref> Auch Branchenverbände wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI) sehen derzeit keinen generellen Fachkräftemangel.<ref>VCI Fakten und Standpunkte: Naturwissenschaftliche Fachkräfte in der Chemie. In: VCI Online. 26. August 2010, abgerufen am 13. Dezember 2012. </ref>
Die Bundesagentur für Arbeit kommt in einer im Dezember 2011 erschienenen Studie zu dem Schluss, dass ein genereller Fachkräftemangel in den MINT-Berufen nicht vorliege.<ref>„Der Arbeitsmarkt in Deutschland. Arbeitsmarktberichterstattung Dezember 2011“ (PDF, 150 KB)</ref>
Vor allem Arbeitgeberverbände und arbeitgebernahe Institutionen sehen einen Fachkräftemangel, während neutralere Einrichtungen wie die Bundesagentur für Arbeit und das DIW keinen generellen Fachkräftemangel sehen oder teilweise sogar eine Fachkräfteschwemme nicht ausschließen.<ref>„‚In manchen Branchen wird es eher eine Fachkräfteschwemme geben.‘ Fünf Fragen an Karl Brenke“</ref> Kritiker vermuten, dass Unternehmerverbände einen Fachkräftemangel postulieren, um so den Ansturm auf Ingenieur-Studiengänge weiter zu befeuern, was ein Überangebot an Fachkräften erzeugt und so die Lohnkosten in den entsprechenden Branchen drückt.<ref>„Fachkräftemangel: wer hat Angst vor der Killerstatistik?“, Spiegel-Online vom 12. Oktober 2011</ref> Der VDI begrüßte 2012 die Absenkung der Verdienstschwelle zur Einstellung ausländischer Ingenieure auf 34.200 Euro sowie den kompletten Wegfall der Vorrangprüfung bei der Einstellung ausländischer Ingenieure.<ref>„Regierung senkt Hürden für Nicht-EU-Ausländer. VDI begrüßt neue Regelung für Fachkräftezuwanderung“ vom 28. März 2012</ref> Er veröffentlichte jedoch 2015 einen Beitrag des Personalexperten und langjährigen Autors der VDI-Nachrichten Heiko Mell, in dem dieser einen aktuellen Ingenieurmangel bestritt:<ref>Heiko Mell: Was soll aus meinem Sohn werden?, VDI nachrichten Nr. 7, 13. Februar 2015.</ref>„Fest steht [...] dass sich die Industrie nicht so benimmt, als würden ihr 50.000 Ingenieure fehlen. […] Ich weiß, wie es aussieht, wenn die Industrie verzweifelt Arbeitskräfte (z.B. Ingenieure) sucht: Umfassende Werbekampagnen, Geld spielt kaum eine Rolle, es wird in den einschlägigen Medien inseriert, dass es nur so „raucht“. Zusätzlich sind in solchen Situationen die Unternehmen zu Kompromissen beim Anforderungsprofil bereit, zusätzlich saugen sie alle Berufseinsteiger auf, deren sie habhaft werden können, Arbeitslose sind ebenso gern gesehen wie Ältere. Davon kann im Augenblick keine Rede sein.“
Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen, ob und wie stark ein Ingenieurmangel besteht und ob der VDI die Interessen seine Mitglieder vertritt.<ref>Simone Janson: Stellungnahme des VDI zu Fachkräftemangel & Austrittsdrohungen: Systematisches Lohndumping oder nur Einzelfälle? berufebilder.de am 9. Januar 2012;
Simone Janson Fachkräftemangel – Ingenieure machen gegen ihren eigenen Verband mobil: Wir sind VDI, berufebilder.de am 24. Februar 2012
Initiative Wir sind VDI auf Twitter, Diskussion auf der Facebook-Seite des VDI
Arbeitslose Ingenieure – Wir wurden aussortiert, Spiegel Online am 9. September 2011</ref> Arbeitnehmervertreter wie Hartmut Meine, IG-Metall-Bezirksleiter in Niedersachsen, kritisierten, mit dieser Regelung werde nicht tarifgebundenen Unternehmen ermöglicht, Ingenieure aus der Dritten Welt anzuheuern. Damit werde das Entgeltniveau für Ingenieure deutlich gedrückt.<ref>„Die Bilanzen haben goldene Ränder“ vom 13. April 2012</ref>
In der Diskussion sind auch immer wieder zusätzliche Anwerbeanstrengungen für Fachkräfte aus dem Ausland, obwohl viele eingewanderte Hochqualifizierte in Deutschland bereits im Niedriglohnsektor arbeiten und keine ihrer Qualifikation entsprechende Position erlangen.<ref>Stefan Dietrich: „Die Illusion des Fachkräftemangels“, FAZ vom 3. August 2010</ref> Öffentliche Aufmerksamkeit erregte eine Studie des Arbeitsmarktexperten Karl Brenke vom DIW, weil sie kurz nach einer Vorabveröffentlichung durch seinen Institutsdirektor Klaus F. Zimmermann redigiert wurde.<ref name="SPON-DIW2010">„DIW-Experten bezweifeln Mangel an Fachkräften“, Spiegel Online vom 16. November 2010</ref>
„So tauchen in der neuen Fassung komplett neue Passagen auf: ‚Die zeitliche Perspektive ist die aktuelle Situation – mit Blick auf die Ausbildung der nächsten vier bis fünf Jahre. Mittel- und längerfristige Trends sind nicht das Thema dieses Berichts‘, heißt es jetzt etwas verquer formuliert gleich zu Anfang. Übersetzt soll das wohl heißen: Brenke bezweifelt nunmehr den von seinem Chef heraufbeschworenen Fachkräftemangel nicht. Auch die ursprüngliche Überschrift ‚Fachkräftemangel in Deutschland: eine Fata Morgana‘ wurde in eine Harmlosvariante geändert: ‚Fachkräftemangel kurzfristig noch nicht in Sicht‘.“<ref name="SPON-DIW2010"/><ref>Vgl. auch Philip Faigle in DIE ZEIT vom 1. Februar 2011: „Abschied ohne Rosen. DIW-Chef Klaus Zimmermann tritt ab – und hinterlässt viele Feinde. Sein Nachfolger könnte ein Keynesianer werden.“</ref>
Lars Niggemeyer sieht in der Diskussion über den angeblichen Fachkräftemangel eine Phantomdebatte, die dem Interesse der Arbeitgeber nach einem Überangebot an Arbeitskräften, längerer Lebensarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Ausweitung der Zuwanderung und niedrigen Löhnen dient. Im Interesse der Arbeitnehmer sollten ganz andere Punkte diskutiert werden: „[…] die Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung und der Ausbau der Beschäftigung im öffentlichen Dienstleistungssektor, bei Gesundheit, Pflege, Bildung und Erziehung […].“<ref>Lars Niggemeyer: „Die Propaganda vom Fachkräftemangel“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2011, Seite 19–22 </ref>
Daneben gibt es Tendenzen, die verstärkt den Einsatz heimischer Arbeitskräfte empfehlen. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt etwa forderte die Wirtschaft auf, Fachkräfte auszubilden und heimische Quereinsteiger einzusetzen.<ref>„Late Night: Bei Schmidt wird Maischberger zum kleinen Mädchen“, Welt-Online vom 15. Dezember 2010. Zitat Schmidt: „Dann soll die Wirtschaft gefälligst Fachkräfte ausbilden.“</ref><ref>„Manager-Seminare: Auf die Vermittlung von Quereinsteigern konzentrieren“, Manager-Seminare, Heft 153 vom Dezember 2010</ref>
2011 behauptete Wirtschaftsminister Philipp Rösler, dass Deutschland im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich 140.000 Fachkräfte fehlen würden.<ref>„Wirtschaftsminister: Deutschland hat Grenzen zu spät geöffnet“. Abgerufen am 26. Juni 2011. </ref> Röslers Behauptungen widersprechen Untersuchungen des DIW für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich:
„Für einen aktuell erheblichen Fachkräftemangel sind in Deutschland kaum Anzeichen zu erkennen. Dies ergibt sowohl hinsichtlich der aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als auch hinsichtlich der Situation bei der akademischen und betrieblichen beruflichen Ausbildung. Zudem sind die Löhne – ein Indikator für Knappheiten auf dem Markt – bei den Fachkräften in den letzten Jahren kaum gestiegen. Auch in den nächsten fünf Jahren ist angesichts stark gestiegener Studentenzahlen noch nicht damit zu rechnen, dass in technisch-naturwissenschaftlichen Berufsfeldern ein starker Engpass beim Arbeitskräfteangebot eintritt.“<ref>Karl Brenke: „Fachkräftemangel kurzfristig noch nicht in Sicht“ (PDF, 351 KB)</ref>
„Zum einen sei die Abbrecherquote in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen binnen zwei Jahren von 45 Prozent auf 35 Prozent gesunken. Zum anderen habe sich das Werben um Frauen gelohnt. Sie sind bei technischen Berufen zwar immer noch zahlenmäßig ihren männlichen Kollegen unterlegen. Aber ihr Anteil steige doch langsam. Und mittelfristig macht sich bemerkbar, dass vor einem Jahr zwei Abiturjahrgänge die Schule abgeschlossen und ein Studium aufgenommen haben. Daher werde wohl in fünf Jahren ein großer Jahrgang junger Ingenieure auf den Arbeitsmarkt drängen."“
Siehe auch
Literatur
- Holger Bonin, Marc Schneider, Hermann Quinke, Tobias Ahrens: Zukunft von Bildung und Arbeit. Perspektiven von Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2020 (PDF; 865 kB), IZA Research Report, Nr. 9, Bonn 2007.
- Carolyn Braun, Marcus Pfeil: Die Fata Morgana, in: Brand eins vom Oktober 2011
- Bundesagentur für Arbeit: Analyse der gemeldeten Arbeitsstellen nach Berufen (Engpassanalyse) (KldB 2010) (PDF; 858 kB), Nürnberg 2013
- Björn Christensen: Mismatch-Arbeitslosigkeit unter Geringqualifizierten (PDF; 183 kB), in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Jg. 34, H. 4, S. 506–514
- Mikrozensus 2007, in: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Sonderauswertung)
- Bernd Bienzeisler, Sandra Bernecker: Fachkräftemangel und Instrumente der Personalgewinnung (PDF; 136 kB), in: Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart 2008
- Richard B. Freeman: Is a great labor shortage coming? Replacement demand in the global economy. NBER working papers, No. 12541, Cambridge 2006
- Markus Heckmann, Anja Kettner, Martina Rebien: Offene Stellen im IV. Quartal 2008: Einbruch in der Industrie – Soziale Berufe legen zu (PDF; 956 kB). IAB-Kurzbericht 11/2009, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg 2009.
- Simone Janson: Ingenieure machen gegen ihren eigenen Verband mobil: ‚Wir sind VDI‘ vom 24. Februar 2012
- Ferdinand Knauß: Arbeitsmarkt: Der so genannte Fachkräftemangel, Wirtschaftswoche vom 20. Dezember 2012
- Daniela Kolodziej: Fachkräftemangel in Deutschland. Statistiken, Studien und Strategien (PDF, 275 KB). Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Infobrief WD 6 – 3010-189/11, Berlin 2012
- Jakob Lempp / Angela Meyer (Hg.): Fachkräftemangel und Fachkräftesicherung (PDF; 1 MB), in: Political Science Applied, Heft 4, 2014, abgefragt am 30. Januar 2015, ISSN 2306-5907.
- Alexander Reinberg, Markus Hummel: Bildungspolitik: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel hin? (PDF; 400 kB), IAB-Kurzbericht 09/2003, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg 2003.
- Alexander Reinberg, Markus Hummel: Fachkräftemangel bedroht Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, 2004
- Hans D. Rieveler: Unseren täglichen Fachkräftemangel gib uns heute!, in: Telepolis vom 28. Oktober 2013
- Jürgen Schmidt-Hillebrand: Plötzlich ist die Führung weg. Was ist, wenn keiner mehr nachrückt? (PDF, 135 KB) (Fachartikel erschienen bei: Das Österreichische Grafische Gewerbe, 11-12/2011, S. 14–15)
- Klaus F. Zimmermann, Thomas Bauer, Holger Bonin, René Fahr, Holger Hinte: Arbeitskräftebedarf bei hoher Arbeitslosigkeit. Ein ökonomisches Zuwanderungskonzept für Deutschland, Springer Verlag, Berlin 2002, ISBN 978-3-642-62662-3
- Kohl, Oliver & Vollmer, Ingrid: Arbeitgeberimage – Bekanntheit, Kommunikation und Authentizität. (PDF; 695 kB). In: Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP). Impuls – Leben und Arbeiten in ländlichen Regionen. Nummer 4, Seite 8–10, Mainz 2014.
- Zehrfeld, W. Axel (Hg.): Fachkräftesicherung: Situation – Handlungsfelder – Lösungen, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-89981-282-4
- Karl Brenke: Mythos Fachkräftemangel, in: SWR2 Wissen Aula vom 21. Oktober 2012
Weblinks
- Fachkräftemonitor der IHK Berlin: „Tool zur Analyse von Fachkräfteangebot und -nachfrage in Berlin bis 2025“
- Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Berufe im Spiegel der Statistik
- Videos
- Das Märchen vom Fachkräftemangel, Plusminus vom 2. August 2011
- Die Legende vom Fachkräftemangel, Report München 2012
- Fachkräftemangel ist hausgemacht, ZDF-Morgenmagazin vom 13. Juni 2014
- Der Arbeitsmarktreport – das Märchen vom Fachkräftemangel, Die story im Ersten vom 21. Juli 2014
- TV-Kritik dazu im Tagesspiegel
Einzelnachweise
<references />