Fernmeldegeheimnis


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche

Das Fernmeldegeheimnis (in neuerer Terminologie auch Telekommunikationsgeheimnis) ist ein Verbot des unbefugten Abhörens, Unterdrückens, Verwertens oder Entstellens, von Fernmelde- (Fernschreib-, Fernsprech-, Funk- und Telegrafen-) Botschaften. Die Legaldefinition findet sich in § 88 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz sowie in § 206 Abs. 5 StGB. Demnach unterliegen dem Fernmeldegeheimnis „der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war“ sowie „die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche“. Es schützt daher die unkörperliche Vermittlung von Informationen an individuelle Empfänger und mithin auch die sog. Verkehrsdaten. Zu beachten gilt weiter, dass die Daten nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zum Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses zählen. Diese Daten sind dann in den Herrschaftsbereich des Teilnehmers übergegangen und eine Gefahrenlage aufgrund der Kommunikation über eine räumliche Distanz besteht nicht mehr. Jedoch kommt dann der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zum Tragen.

Das Fernmeldegeheimnis ist in vielen Staaten verfassungsrechtlich geschützt und wird ergänzt durch das Briefgeheimnis und das Postgeheimnis.

Deutschland

Das Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz von 1949 gehört zu den Grundrechten (Art. 10 GG), allerdings besteht die Möglichkeit, das Fernmeldegeheimnis durch ein einfaches Gesetz einzuschränken, d. h. der Staat darf sich in bestimmten gesetzlich geregelten Situationen Kenntnis von Inhalt oder Umständen der Kommunikation verschaffen. Solche gesetzliche Einschränkungen existieren zum Zwecke der Strafverfolgung mit den § 100a, § 100b, § 100c, § 100g, § 100h und § 100i Strafprozessordnung.

Im Strafrecht betrifft das Fernmeldegeheimnis vor allem Bedienstete von Telekommunikationsanbietern (§ 206 Abs. 1 bis 3 StGB, Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses), aber auch jedermann (§ 206 Abs. 3 StGB, sowie § 148 Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004).

Der Art. 10 GG a.F. lautete ursprünglich:

Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.

Durch Gesetz vom 24. Juni 1968, als Teil der Notstandsgesetze von 1968, erhielt der Art. 10 GG n.F. diese Fassung:

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Zur Einschränkung von Art. 10 GG siehe auch Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses.

Tatsächlich betrug die Anzahl der Anordnungen zur Überwachung von Telekommunikation im Jahr 2006 35.816 Anschlüsse, zuzüglich 7432 Verlängerungsanordnungen.<ref>Bundesnetzagentur</ref> Allein in Berlin wurden im Jahr 2008 mehr als 1,1 Millionen Telefonate überwacht.<ref>Berliner Senat</ref>

Der Bundesnachrichtendienst speichert täglich 220 Millionen Telefondaten.<ref>http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-01/bnd-nsa-metadaten-ueberwachung</ref>

E-Mail

Ein besonders aktuelles Problem ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Überwachung des Internets, insbesondere des E-Mail-Verkehrs. Um E-Mails abzufragen, kann man das Post Office Protocol (POP3), das vorrangig eine Vermittlung vom Sender an den Empfänger leistet, oder das Internet Message Access Protocol (IMAP), das die E-Mails nicht nur überträgt, sondern auf dem Server vorhält und dort verwaltet, benutzen. Es erscheint klar, dass die reine Übertragung durch das Fernmeldegeheimnis geschützt ist. Allerdings werden selbst bei POP3 die E-Mails nicht direkt übertragen, sondern erst auf dem Mailserver des Empfängers so lange zwischengespeichert, bis er sie über sein E-Mail-Programm abruft. Durch dessen übliche Grundeinstellung werden die E-Mails dann anschließend vom Mailserver gelöscht. Diese kann aber vom Nutzer geändert werden, so dass die E-Mails wie bei IMAP auf dem Server verbleiben.<ref>http://office.microsoft.com/de-de/outlook-help/lesen-von-pop3-e-mail-nachrichten-auf-mehreren-computer-HP010102443.aspx</ref><ref>http://www.thunderbird-mail.de/wiki/E-Mail-POP-Konto_einrichten_ab_Thunderbird_3.0#Weitergehende_Einstellungen_f.C3.BCr_das_Konto_und_Fertigstellung</ref>

Fraglich ist, ob auch E-Mails auf Mailservern geschützt sind (also vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst sind). Nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes ist auch eine staatliche Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver eines Providers ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG.<ref name="Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009">Vorlage:Internetquelle/Wartung/Zugriffsdatum nicht im ISO-FormatBundesverfassungsgericht - Pressestelle -: Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009 : Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers nicht verfassungswidrig. Abgerufen am 19. Juli 2009 (zum Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 –): „Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, die sich gegen die Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers wendete. Zwar greifen diese Maßnahmen in das verfassungsrechtlich gewährleistete Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG ein. Die allgemeinen strafprozessualen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO rechtfertigen jedoch diesen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, wenn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den sachlichen Erfordernissen einer entsprechenden Ausgestaltung des strafprozessualen Verfahrens Rechnung getragen wird...“</ref> Jedoch könne ein solcher Eingriff durch die allgemeinen Vorschriften über Sicherstellung und Beschlagnahme im Strafverfahren (§§ 94 ff. StPO) gerechtfertigt werden<ref name="Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009"/> (verfassungsrechtliche Schranke). Hierbei seien allerdings wiederum das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und Besonderheiten im Ablauf des Verfahrens zu berücksichtigen<ref name="Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009"/> (vgl. Schranken-Schranken). Erforderlich könne es insbesondere sein, den „Betroffenen“ (also Träger des Grundrechts) über die Maßnahmen zu informieren und E-Mails später zu löschen oder zurückzugeben.<ref name="Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009 Besonderheiten">Vorlage:Internetquelle/Wartung/Zugriffsdatum nicht im ISO-FormatBundesverfassungsgericht - Pressestelle -: Pressemitteilung Nr. 79/2009 vom 15. Juli 2009 : Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers nicht verfassungswidrig. Abgerufen am 19. Juli 2009 (zum Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 –): „... Soweit E-Mails von den Ermittlungsbehörden gespeichert und ausgewertet werden, kann es erforderlich sein, den Betroffenen Auskunft über die Datenerhebung zu erteilen, um sie in den Stand zu versetzen, etwaige Grundrechtsbeeinträchtigungen abzuwehren. Dem wird durch die besonderen strafprozessualen Auskunftsregelungen gemäß § 147, § 385 Abs. 3, § 397 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 385 Abs. 3, § 406e und § 475 StPO sowie bei Nichtverfahrensbeteiligten durch § 491 StPO Rechnung getragen. Der begrenzte Zweck der Datenerhebung gebietet grundsätzlich die Rückgabe oder Löschung aller nicht zur Zweckerreichung benötigten kopierten E-Mails. § 489 Abs. 2 StPO enthält entsprechende Schutzvorkehrungen.“</ref>

Tatsächlich wurden im Jahr 2010 durch drei deutsche Geheimdienste (BND, MAD und BfV) 37 Millionen E-Mails und Datenverbindungen mitgelesen.<ref>http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,817499,00.html</ref>

Voice over IP

Kompliziert ist auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer geplanten Überwachung des Telefonverkehrs über das Internet, Voice over IP.

Österreich

Im § 119Vorlage:§/Wartung/RIS-Suche Strafgesetzbuch wird jede „im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems übermittelten“ Nachricht geschützt.

Weitere Bestimmungen finden sich im Fernmeldegesetz vom 13. Juli 1949.

Schweiz

In der Schweiz regelt der Art. 13 Abs. 1 der Bundesverfassung das Fernmeldegeheimnis und gewährt jeder Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Dieser Artikel wird konkretisiert in Art. 43 des Fernmeldegesetzes.<ref>Fernmeldegesetz.</ref>

Geschichte

Bereits die Weimarer Reichsverfassung von 1919 garantierte den Bürgern im Artikel 117 das Fernsprechgeheimnis.

DDR

Die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses war in der DDR formal in §202 StGB (DDR) unter Strafe gestellt<ref>StGB (DDR)</ref>. Dennoch erfolgte eine systematische Kontrolle aller Telefongespräche aus oder in den Westen sowie vieler Gespräche innerhalb der DDR durch die Abteilung 26 der Stasi. Diese arbeiteten mit der Deutschen Post der DDR zusammen.

Die Telefonüberwachung des MfS begann 1950. Die Hauptabteilung S (Technische Sicherheit) bestand am Anfang aus zwei Einheiten mit weniger als 20 Mitarbeitern. Mitte der 80er Jahre waren ca. 1000 Mitarbeiter beschäftigt. 1986 wurden 2.030.130 Gespräche abgehört<ref>Angela Schmole: MfS-Handbuch, Teil III/19: Telefonkontrolle, Abhörmaßnahmen und Videoüberwachung; Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik; Berlin 2006</ref>.

Literatur

  • Handwörterbuch des elektrischen Fernmeldewesens; 2. Auflage; 1. Band A–F; S. 436–439.
  • Dr. jur. J. Aubert (Ministerialrat); Fernmelderecht; 2. Auflage; S. 44 ff;
  • Dr. jur. J. Aubert (Ministerialrat); Gibt es übergesetzliche Ausnahmen vom Post- und Fernmeldegeheimnis? Jahrbuch des Postwesens, 1956/57; S. 35
  • Dipl.-Ing. F. Bardua; in "Bonner Kommentar zum GG" Art. 10; Lengning (Hrsg.), Post- und Fernmeldegeheimnis, 3. Auflage
  • Marc Störing: Alles bleibt anders – Karlsruhe urteilt über die Grenzen des Fernmeldegeheimnisses. In: c’t. 8, 2006, S. 58–59.
  • Josef Foschepoth: Postzensur und Telefonüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland (1949–1968). In: ZfG. 57, 2009, S. 413–426.
    dazu auch Peter Mühlbauer: Postzensur und Telefonüberwachung, Telepolis, 5. Juni 2009, unter heise.de.
  • Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. ISBN 978-3-525-30041-1
  • Ilko-Sascha Kowalczuk, Arno Polzin (Hrsg.): Fasse dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014. ISBN 978-3-525-35115-4

Weblinks

Einzelnachweise

<references />

Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!