Filibuster


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25px Dieser Artikel behandelt den Filibuster als politische Strategie in den Vereinigten Staaten, zu den ebenso benannten Freibeutern und amerikanischen Interventionalisten siehe Flibustier.

Als Filibuster (be )</ref><ref>ZeitZeichen 13. Dezember 2007: „Otto Friedrich Antrick redet acht Stunden lang im Reichstag“, Ralf Gödde, bei WDR5 und anderen ARD-Hörfunkprogrammen, 13. Dezember 2007</ref> Er ging dabei so vor, dass er jeden Artikel einzeln durchging und dann eine halbe Stunde über die Bedeutung des darin Erwähnten für die deutsche Wirtschaft referierte. Er scheiterte damit allerdings. Das Gesetz kam morgens um fünf Uhr zur Abstimmung, und seine Partei unterlag. Zwanzig Jahre nach diesem Vorfall wurde mit Ende Dezember 1922 eine Redezeitbeschränkung von einer Stunde eingeführt.<ref name="blickpunktbundestag">"Die Geschichte des Parlamentarismus: Geschichte Reichstag", Hermann Schäfer in Blickpunkt Bundestag, Deutscher Bundestag, 3. April 1999</ref>

Frankreich

In Frankreich wird vornehmlich die Form massiver Geschäftsanträge gebraucht. Hierbei spekuliert die Opposition darauf, dass der Präsident nach Artikel 49-3 der Verfassung einen Ersatzbeschluss vornimmt, mit der Begründung mangelnder Beschlussfähigkeit des Parlaments. Allerdings ist diese Aushebelung der parlamentarischen Rechte äußerst unpopulär und wird auch aus dem Regierungslager strikt abgelehnt – der Präsident würde sich somit öffentlich in Misskredit bringen.

Bemerkenswerte Rekorde liegen hier mit 13.000 Anträgen bei der UDF zur europäischen Regionalisierungsreform im Februar 2003, kurz danach im Juni 2003 noch übertroffen von 137.537 Anträgen der kommunistischen Fraktion und der Parti socialiste zur Fusion von GDF-Suez – dieser allein übertrifft die Zahl aller normalen Geschäftsordnungspunkte des gesamten Jahres um das Dreifache.

Schweiz

In der Schweiz kommen Filibuster im Nationalrat aufgrund beschränkter Redezeiten<ref>Unter anderem Art. 44Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche und Art. 47Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche des Geschäftsreglements des Nationalrats </ref> kaum vor. Ähnliche Konstrukte, wie beispielsweise die Ausschöpfung des Rechts Fragen zu stellen, mit dem Ziel eine Abstimmung in die nächste Legislaturperiode zu schieben, kommen indessen vor.<ref>Antonio Fumagalli: Leuthard kommt mit blauem Auge davon. In: Aargauer Zeitung. 19. Juni 2015, abgerufen am 6. August 2015.</ref>

Japan

Verlängerte Abstimmungsprozesse nennt man gern den langsamen Gang, was sich oft speziell auf Verspätungen bei der Stimmabgabe bezieht. In Japan gibt es davon eine besonders theatralische Variante, bei der die Abgeordneten sich einzeln zum Urnengang aufrufen lassen, um sich dann besonders langsam zu erheben und in demonstrativ kleinen Schritten in Richtung der Wahlurne zu bewegen. Während die Regierungspartei ihre Stimmen binnen 15 Minuten abgegeben hat, braucht die Opposition hierzu fast 1½ Stunden. Dieses Gebaren hat im japanischen Sprachgebrauch den Namen „den Kuhgang einlegen“ (牛歩, ushi aruki oder gyūho) bekommen.<ref> Japan: From the Cow-Walk to the Brawl. In: Time. 5. Juli 1963 (http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,875022,00.html).</ref>

Kanada

Eine besondere Form der Filibusterei wurde im April 1997 von der sozialdemokratischen Ontario New Democratic Party in der Legislativversammlung von Ontario gebraucht. Diese war gegen ein Gesetz der regierenden Progressive Conservative Party of Ontario gerichtet, das eine Megacity Toronto schaffen sollte. Die NDP-Fraktion generierte mithilfe eines Computers 11.500 Änderungsvorschläge, indem zu jeder Straße der neuen Stadt eine öffentliche Anhörung gefordert wurde, bei der die Bürger der jeweiligen Straße beteiligt werden sollten. Die Ontario Liberal Party beteiligte sich an der Filibusterei mit einer etwas kleineren Zahl an Anträgen, bei denen es um den Geschichtsbezug der benannten Straße ging.

Der Filibuster begann am 2. April mit dem Abbeywood Trail und beschäftigte das Parlament Tag und Nacht, wobei sich die Mitglieder in Schichten abwechselten. Am 4. April kam durch die Übermüdung der Abgeordneten sogar ein NDP-Antrag unbeabsichtigt durch und die einigen Dutzend Einwohner von Cafon Court im Stadtteil Etobicoke erhielten das Recht einer öffentlichen Befragung zum Gesetzesvorhaben, allerdings wurde dies durch einen folgenden Änderungsantrag der Regierung wieder ausgesetzt. Am 6. April, als man in der alphabetischen Liste in den Straßen beginnend mit E angekommen war, bestimmte der Parlamentspräsident Chris Stockwell, dass die 230 identischen Worte jedes Antrags nicht mehr laut vorgelesen werden sollen, sondern nur noch der Name der Straße genannt werde. Dennoch musste zu jedem Antrag abgestimmt werden, und es dauerte bis zum 8. April, um zuletzt die Zorra Street zu erreichen. Anschließend wurden die Anträge der Liberalen einer nach dem anderen abgelehnt, wobei ein ähnlicher, abgekürzter Prozess angewendet wurde. Der Filibuster endete schließlich nach 9 Tagen am 11. April.<ref>Archive der parlamentarischen Debatten im Provinzarchiv. Der Filibuster läuft von Sektion L176B bis L176AE; der Cafon Court Vorfall ist bei L176H, Stockwell Regelung bei L176N, und Zorra Street bei L176S.</ref>

Italien

Ähnlich zur Filibusterei in Kanada wurde im September 2015 in Italien die Arbeit des Senats durch automatisch generierte Änderungsanträge blockiert. Der Senator Roberto Calderoli reichte 82 Millionen Änderungsanträge ein, die zuvor mit einem eigens entwickelten Algorithmus erzeugt wurden.<ref>Blockade auf Italienisch – tagesschau.de (abgerufen am 25. September 2015)</ref>

Österreich

Während das Filibustern in den angelsächsischen Parlamenten als legitimes Mittel des Parlamentarismus verstanden wird, gab es solche Fälle der Obstruktion im österreichischen Reichsrat (1867 bis 1918) wegen einer unzweckmäßigen Geschäftsordnung. Hier war nicht nur die Redezeit uneingeschränkt, sondern hier wurde nicht von und in alle Sprachen des Reiches übersetzt, sodass auch lange und wichtige Reden unübersetzt blieben. Obendrein durften die Parlamentarier nach Belieben lärmen während ein Kollege sprach (Rasseln, Ratschen, Kindertrompeten, Absingen von Liedern z. B. Nationalhymnen etc.). So waren die frei gewählten Parlamente (also auch die Landtage) unbeweglich und stellten den Parlamentarismus in ein schlechtes Licht. Hitlers Eindrücke von Parlamentsarbeit etwa stammten aus dem Wiener Reichsrat. Über die Zu- und Missstände wurde damals auch in der Weltpresse berichtet, wenn z. B. der tschechisch-radikale Lisy allein mit Präsidium und Stenografen redete, ab und zu einen Bissen von seinem Wurstbrot nahm und einen Cognac trank. Zuvor wurde bereits der Böhmische Landtag von den Deutschnationalen durch Obstruktion lahmgelegt, was im Gegenzug zur Behinderung des Reichsrats vor allem durch radikale Tschechen führte.<ref>Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 2001</ref>

In der jüngeren Geschichte Österreichs neigten hauptsächlich die Grünen zum Filibustern. Am bekanntesten wurde ein am 11. März 1993 begonnener Versuch, durch Dauerreden zum Thema Jute die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Tropenholz zu verhindern. Insgesamt dauerte die Sitzung über 38 Stunden. Mit 10 Stunden und 35 Minuten am 11. und 12. März hielt Madeleine Petrovic für 17 Jahre den Rekord für die längste Rede im Nationalrat.<ref>Stenographisches Protokoll der 107. Sitzung der XVIII. Gesetzgebungsperiode (10. bis 12. März 1993) (PDF; 8,0 MB)</ref> Als Nachspiel wurde 1996 dann eine Geschäftsordnung beschlossen, die die Redezeit in Plenarsitzungen auf 20 Minuten beschränkte.<ref>Parlamentskorrespondenz/09/12.03.2007/Nr. 156, Die lange Nacht im Hohen Haus</ref> Dies hinderte den Abgeordneten Werner Kogler aber nicht daran, bei der Debatte im Budgetausschuss, die dem Beschluss des Budgets 2011 am 16. und 17. Dezember 2010 voranging, diesen durch eine Dauerrede erheblich zu verzögern. Die Rede begann um 13:18 Uhr und dauerte 12 Stunden und 42 Minuten an, bis exakt 2:00 Uhr nachts, und stellt somit einen neuen Rekord dar.<ref name="marathonrede-kogler">Werner Kogler blockiert Budget mit Rekord-Dauerrede. In: Kronen Zeitung. 17. Dezember 2010</ref>

Vereinigtes Königreich

Im Vereinigten Königreich wird ein erfolgreich zerredetes Gesetzesvorhaben als talked out (hinweggeredet, ausgeredet) bezeichnet.

Im britischen Unterhaus darf eine Rede, sofern sie beim Thema bleibt, beliebig in die Details gehen. Der Rekord für eine ununterbrochene Rede liegt mit sechs Stunden bei Henry Brougham, gehalten 1828. John Golding hielt 1983 eine Rede, einschließlich mehrerer Pausen, von zusammen 11 Stunden zum Thema der Reform der British Telecom. Die längste ununterbrochene Rede im letzten Jahrhundert wurde von Sir Ivan Lawrence gehalten, der zur Fluoridierungs-Verordnung eine Rede von vier Stunden 32 Minuten hielt.

Eine besondere Note dieses Verfahrens wird in einer Rede von Andrew Dismore (Labour) deutlich – sie dauerte drei Stunden 17 Minuten. In seiner Rede zur Änderung des Eigentumsschutzes im Kriminalitätsrecht akzeptierte er mehrfach Einsprüche aus dem parlamentarischen Block, auf die er jeweils sehr genau einging, um dann mit der eigenen Rede fortzufahren. Mit dieser Taktik wird ein eigentlich beschränktes Thema deutlich in die Länge gezogen.

Australien

In Australien haben sowohl das Repräsentantenhaus<ref>http://www.aph.gov.au/House/pubs/standos/chapter1.htm (abgerufen am 23. Mai 2010)</ref> als auch der Senat<ref>http://www.aph.gov.au/senate/pubs/standing_orders/a00.htm (abgerufen am 23. Mai 2010)</ref> umfassende Regelungen zur Redezeit beschlossen, sodass ein Filibuster aktuell nicht möglich ist.

Literatur

  • Laura Cohen Bell: Filibustering in the U.S. Senate. Cambria Press, Amherst 2011. ISBN 978-1-60497-734-9.
  • Gregory Koger: Filibustering: a political history of obstruction in the House and Senate. University of Chicago Press, Chicago 2010. ISBN 978-0-226-44965-4.
  • Gregory J. Wawro, Eric Schickler: Filibuster: obstruction and lawmaking in the U.S. Senate. Princeton University Press 2006. ISBN 978-0-691-12509-1.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Filibuster – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Quellen

<references />