Gaius Sempronius Gracchus


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Gaius Sempronius Gracchus (* 153 v. Chr.; † 121 v. Chr.) war ein römischer Politiker des 2. Jahrhunderts vor Christus. Er war der jüngere Bruder des Tiberius Sempronius Gracchus und verfolgte wie dieser ein populares politisches Programm, was dazu führte, dass konservative Kräfte des römischen Senats ihn ausschalteten und ein Massaker unter seinen Anhängern verübten.

Leben

Familie

Gaius Sempronius Gracchus wurde im Jahr 153 v. Chr. als Sohn des Tiberius Sempronius Gracchus, Konsul des Jahres 177 v. Chr., und der Cornelia Africana geboren. Die Gracchen, obwohl nicht patrizischer Herkunft, waren als Zweig der Familie der Sempronier, die der römischen Nobilität angehörten, von großem politischen Einfluss und gehörten zu den reichsten und mächtigsten Familien Roms. Gaius’ Mutter war eine Tochter des Scipio Africanus, sein älterer Bruder Tiberius Sempronius Gracchus wurde zu einem einflussreichen Politiker und seine Schwester Sempronia war die Frau des Scipio Aemilianus, des Eroberers von Karthago. Gaius wurde von seiner Mutter erzogen, einer römischen Matrona von hohem moralischem Anspruch.

Beginn der politischen Karriere

Gaius’ militärische Karriere begann in Numantia als Militärtribun beim Stab seines Schwagers Scipio Aemilianus. Als junger Mann beobachtete er den politischen Aufruhr, den sein älterer Bruder Tiberius verursachte, als er versuchte, gegen die Senatsmehrheit und auf widerrechtlichem Wege Gesetze für eine Agrarreform durchzubringen. Tiberius wurde im Jahr 133 v. Chr. in der Nähe des Kapitols bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit politischen Gegnern, die von seinem Vetter Publius Cornelius Scipio Nasica Serapio angeführt wurden, getötet. Nach Tiberius’ Tod erbte Gaius das enorme Vermögen der Familie der Gracchen, zugleich aber nach römischem Verständnis auch die Pflicht, Rache für seinen älteren Bruder zu nehmen.

Gaius begann seine aktive politische Karriere sechs Jahre später, im Jahr 126 v. Chr., als Quästor des Konsuls Lucius Aurelius Orestes in Sardinien.

Erstes Tribunat

Nach wenigen Jahren des politischen Friedens in Rom wurde Gaius für das Jahr 123 v. Chr., wie schon sein Vater und sein Bruder, zum Volkstribun gewählt – sehr zum Missfallen der Optimaten. Gaius hatte ähnliche Ziele wie Tiberius, ging jedoch aufgrund des Scheiterns seines Bruders zunächst vorsichtiger vor. Andererseits waren seine Anliegen weitaus radikaler: Da er – nicht ohne Grund – die Senatsmehrheit für den Tod seines Bruders verantwortlich machte, strebte er nach Rache am Senat. Da seine Gegner das wussten, war ein Kompromiss von Anfang an unmöglich. Die moderne Forschung hat darauf hingewiesen, dass das gracchische Reformprojekt primär im Rahmen einer eskalierenden innersenatorischen Konkurrenz zu verstehen ist, in der die schwächere Seite – die Popularen – Rückendeckung beim Volk suchte.

Zur Umsetzung seiner Reformpläne bediente sich Gaius Gracchus, ebenso wie schon sein Bruder Tiberius, des ius agendi cum plebe, also des Rechts des Tribuns, die Volksversammlung zu leiten und bindende Beschlüsse zu fassen. Wie schon sein Bruder missachtete er dabei den alten Grundsatz, sich zuvor mit dem Senat abzustimmen. Gaius Gracchus erwarb so durch das Einbringen plebejerfreundlicher Gesetzesvorschläge eine große Popularität und setzte unter anderem die lex agraria, welche die Ackerkommission zur Verteilung von Staatsland an die Plebejer wieder einsetzte, die „lex frumentaria“, welche eine Getreideversorgung der Plebs zu festgelegten Preisen garantierte, und die „lex militaris“, welche die Versorgung der Soldaten durch den Staat gewährleistete und Unter-17-jährige vom Militärdienst ausnahm, durch. Darüber hinaus versuchte er, die Anzahl der Jahre und Feldzüge zu begrenzen, die ein Mann verpflichtet war in der Armee abzuleisten. Andere Maßnahmen beinhalteten die Schaffung eines Gerichtshofs gegen Erpressungen, um illegale Einkommen von Senatsmitgliedern daraus zu bestrafen. Auch den Rittern kam er entgegen, indem er ihnen durch ein Gesetz künftig allein die Besetzung von Richterstellen zusicherte. Das war für sie nicht nur ein willkommener Erfolg, sondern hatte unmittelbare ökonomische Bedeutung. Da sich nämlich aus den Provinzen die Klagen über die Steuerpächter häuften, waren sie zufrieden, die Prozessführung in ihren Händen zu halten. Sie konnten von ihren Standesgenossen so das Schlimmste fernhalten und die Ausplünderung der Provinzen fortsetzen. Die Ritter wurden damit neben dem Volk zur zweiten Stütze des Gracchus.

All diese Reformen erweckten natürlich das Missfallen der Senatsmehrheit, der nicht entging, dass sich Gracchus systematisch eine Machtbasis bei Volk und Ritterstand verschaffte, um gegen seine Standesgenossen vorgehen zu können.

Zweites Tribunat

Im Jahr 123 v. Chr. bewarb sich Gaius um eine weitere Amtszeit (für das Amtsjahr 122 v. Chr. – das Amtsjahr eines Volkstribunen begann am 10. Dezember) als Volkstribun. Damit verstieß er zwar gegen das Iterationsverbot, das eine ununterbrochene Ämterfolge streng verbot (um Magistrate rechtlich belangen zu können), wurde aber mit der überwältigenden Unterstützung der römischen Plebs gewählt. Es war abzusehen, dass die Senatsmehrheit versuchen würde, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um einem weiteren Machtverlust vorzubeugen und sich vor Gracchus’ Rache zu schützen. Die Möglichkeiten hierzu erhielt sie, da Marcus Livius Drusus zu seinem Mittribunen bestimmt wurde. Dieser war ein junger, den Optimaten nahestehender Politiker und er sollte die entscheidende Rolle bei der Demontage des Gaius Gracchus spielen. Livius Drusus umwarb das Volk von nun an mit Versprechungen, die weit über diejenigen des Gaius Gracchus hinausgingen. Ein besonderes Anliegen des Gaius und seiner Anhänger war stets die Kolonisierungspolitik gewesen. So hatten sie sich für die Gründung zweier neuer Kolonien auf der italischen Halbinsel, nämlich in der Nähe von Capua und Tarent, sowie einer weiteren auf dem Gelände des zerstörten Karthago in Nordafrika eingesetzt. (Eine colonia war eine Stadt, deren Einwohner weiterhin das römische Bürgerrecht behielten.) Als Gaius Gracchus dazu ausersehen wurde, den Aufbau dieser Kolonie, Iunonia genannt, zu beaufsichtigen, nutzte Livius Drusus seine Abwesenheit geschickt. Da eine Kolonisierung in Italien immer populärer war als derartige Projekte außerhalb, beantragte er seinerseits die Gründung von gleich zwölf neuen Kolonien auf italischem Boden. Auch forderte er, dass daran nur römische Bürger beteiligt werden sollten, nicht, wie Gracchus vorgeschlagen hatte, auch alle mit Rom verbündeten Italiker. Dieses Projekt, das Drusus die Begeisterung der römischen Plebejer einbrachte, wurde allerdings nie umgesetzt und muss von vorneherein als reine Demagogie verstanden werden, zumal in Italien damals gar nicht ausreichend Boden für die Gründung so vieler Kolonien zur Verfügung stand.

Durch die Agitation des Drusus war Gaius Gracchus, eigentlich ja selbst ein Demagoge, bei seiner Rückkehr unter Zugzwang geraten. Über die Art und Weise, wie er die Initiative wieder an sich reißen wollte, gibt es unterschiedliche Angaben. Es ist vor allem unklar, ob er nun das römische Bürgerrecht nur für die Latiner oder sogar für alle Italiker forderte; in jedem Fall wären natürlich alle Neubürger aus Dankbarkeit zu seinen ihm treu ergebenen Klienten geworden. Dies mussten seine Gegner unbedingt verhindern. Dies gelang, denn auch in diesem Punkt konnte Livius Drusus gegenüber Gracchus punkten, da dessen Vorschlag natürlich im Gegensatz zum Egoismus derjenigen stand, die das römische Bürgerrecht und alle damit verbundenen Privilegien bereits besaßen und nicht teilen wollten. Drusus forderte hingegen nur die Gleichstellung der Latiner im römischen Heer und deren Befreiung von der Prügelstrafe. Dieser Vorschlag wurde wiederum von der stadtrömischen Bevölkerung weithin durchaus gutgeheißen.

Niedergang

Gaius versuchte, eine dritte Amtszeit als Volkstribun (mit Marcus Fulvius Flaccus als Partner) zu erreichen. Aber dieses Mal verloren sie die Abstimmung und mussten in der Folge zusehen, wie viele ihre Gesetze durch die neuen Konsuln Quintus Fabius Maximus Allobrogicus und Lucius Opimius zurückgezogen wurden. Ohne Amt war Gracchus zudem den juristischen Nachstellungen seiner Gegner schutzlos ausgeliefert; eine Verurteilung wegen der diversen Rechtsbrüche war nur eine Frage der Zeit.

Als sich am Abstimmungstag die Anhänger beider Seiten auf dem Kapitol versammelten, kam es zu einem Zwischenfall. Denn übereifrige Anhänger des Gaius Gracchus töteten einen Liktor namens Antullius, vermutlich aufgrund eines Missverständnisses. Dies gab nun jedoch Opimius die Möglichkeit, mit aller Härte gegen Gracchus und dessen Anhänger vorzugehen. So rief zum ersten Mal in der Geschichte Roms der Senat den Staatsnotstand (senatus consultum ultimum) aus, während zugleich Gracchus in einem Akt der Verzweiflung die Sklaven aufrief, sich gegen ihre Herren zu erheben - ohne großen Erfolg. Fulvius Flaccus wurde mit seinen Söhnen getötet, Gaius hingegen gelang es mit Philokrates, seinem Sklaven, zu fliehen. Verfolgt von den Männern der konservativen Fraktion, ließ sich Gaius in einem Keller, in dem er sich versteckte, von seinem Sklaven töten. Durch die folgenden Auseinandersetzungen und Hinrichtungen fanden viele weitere Anhänger den Tod. Plutarch berichtet von 3.000 Todesopfern.

Familie

Gaius Gracchus hinterließ nur eine Tochter aus seiner Ehe mit Licinia, Sempronia.

Nachruhm

Trotz seines Scheiterns wurde Gaius Gracchus, ebenso wie sein Bruder, zur Ikone der Popularen und sein Wirken zum Leitbild für viele nachfolgende Politiker bis in die Neuzeit. In Erinnerung an den vermeintlich gerechten Volkstribun und unbestechlichen Republikaner nahm der französische Revolutionär und Frühsozialist François Noël Babeuf den Beinamen Gracchus an; und fand selbst, wie einst Gaius, einen gewaltsamen Tod.

Dieses sozialromantische Bild von den Gracchen hat bis heute großen Einfluss, so wie ihre Motive umstritten sind. Zum einen haben erst in jüngster Zeit Althistoriker verstärkt darauf hingewiesen, dass Tiberius und Gaius typische Vertreter der Nobilität gewesen seien, denen es in erster Linie um die eigene Karriere gegangen sei und die das Volk lediglich als Instrument benutzt hätten, um sich gegen die Mehrheit ihrer Standesgenossen durchzusetzen, was katastrophalen Folgen für die Republik gehabt habe. Auf der anderen Seite waren die gracchischen Reformversuche Reaktionen auf eine durch die römische Expansion verursachte, tiefgreifende soziale Krise, die den Bestand Roms und seine Institutionen selbst gefährdete.

Quellen

Literatur

  • Jochen Bleicken: Geschichte der römischen Republik (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 2). 6. Auflage. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-49666-2.
  • Klaus Bringmann: Geschichte der römischen Republik. Von den Anfängen bis Augustus. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49292-4.
  • Karl Christ: Krise und Untergang der römischen Republik. 4., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, ISBN 3-534-14518-6.
  • Raimund Ottow: Die Gracchen und ihre Rezeption im politischen Denken der frühen Neuzeit. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches Öffentliches Recht. Band 42, 2003, S. 557–581.
  • Karen Piepenbrink: Gracchen. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 459–468.