Poggio Bracciolini


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Datei:Poggio Cristofano Dell'Altissimo.jpg
Porträt von Poggio Bracciolini, gemalt im Zeitraum von 1552 bis 1568

Poggio Bracciolini, manchmal auch: Gianfrancesco Poggio Bracciolini oder Giovanni Francesco Poggio Bracciolini, lateinisch: Poggius oder Poggius Florentinus (* 11. Februar 1380 im heutigen Terranuova Bracciolini; † 30. Oktober 1459 in Florenz), war einer der wichtigsten Humanisten der italienischen Renaissance. Er wurde zu einem ihrer Wegbereiter, da er einige der bedeutendsten Werke der Antike wiederentdeckte und der europäischen Geisteswelt erneut zugänglich machte. Überaus bedeutend ist auch sein Beitrag zur Geschichte der lateinischen Schrift, namentlich der humanistischen Schrift, als deren eigentlicher Erfinder er gilt.

Leben

Datei:Poggio handwriting.jpg
Von Poggio geschriebener Text (Vat. lat. 1849, fol. 182r) mit der dritten Dekade des Livius
Datei:Poggio Niccolo V Vat. lat. 1811.jpg
Poggio übergibt Papst Nikolaus V. ein Buch (Miniatur in der Diodorübersetzung Poggios, Vat. lat. 1811)

Poggio Bracciolini<ref>Sein Name Poggio ist italienisch für Podius nach dem hl. Podius, der 990–1002 Bischof von Florenz war; aus Poggio wurde latinisiert dann Poggius, auch sein Grossvater hieß bereits Poggio; Ernst Walser: Poggius Florentinus. Leipzig/Berlin 1914, S. 6.</ref> wuchs in dem toskanischen Dorf Terranuova bei Arezzo auf, das 1862 ihm zu Ehren in Terranuova Bracciolini umbenannt wurde. Die Familie Bracciollini del Val d’Arno oder di Firenze stammte ursprünglich aus dem kleinen über 900 m hoch gelegenen Ort Lanciolina oder Anciolina bei Loro Ciuffenna.

Sein Vater Guccio Bracciolini (ca. 1345–1415/1420) war Drogist, seine Mutter Jacoba (1359–nach 1426) Tochter eines Notars. Er studierte Notarkunst in Florenz, wozu auch Unterricht in Latein und Rhetorik gehörte. Noch während des Studiums – das er 1402 erfolgreich abschloss – kam er in Kontakt mit dem florentinischen Kanzler Coluccio Salutati, der sein Talent erkannte und ihn förderte. Er erhielt so Zugang zu dem Kreis von Humanisten, der sich in Florenz um Coluccio scharte. Für Coluccio und unter seiner Anleitung kopierte er Handschriften.

Im Herbst 1403 ging er auf Anstoß seines zehn Jahre älteren Freundes Leonardo Bruni nach Rom, wo er zunächst als Privatsekretär des Bischofs von Bari Landolfo Maramoldo unterkam. Bald darauf erlangte er den gutbezahlten Posten eines Schreibers der apostolischen Kurie bei Papst Bonifatius IX. Diese Position bekleidete er auch unter den Päpsten Innozenz VII. († 1406) und Gregor XII. (abgedankt 1415) sowie den Gegenpäpsten Alexander V. († 1410) und Johannes XXIII. (abgesetzt im Mai 1415). Unter letzterem wurde er zum apostolischen Sekretär befördert.

Poggio nahm am Konzil von Konstanz teil, wo er den Häresieprozess gegen Hieronymus von Prag miterlebte, der mit dessen Verurteilung und Hinrichtung endete. Über dieses Geschehen berichtete er in einem bewegenden Brief an Leonardo Bruni.<ref>Vgl. Alexander Patschovsky: Der italienische Humanismus auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418). (Konstanzer Universitätsreden 198, Konstanz 1999) </ref>. Deren Schriftformen (Capitalis monumentalis) fanden zunehmend als Auszeichnungsschrift Eingang in die Gestaltung seiner handgeschriebenen Buchseiten und Manuskripte in humanistischer Minuskel. Seine Schrift war nicht nur beispielgebend für seine Zeitgenossen. Wenige Zeit später diente diese Version von humanistischer Schrift als Vorbild für die erste Drucktype, in der das Alphabet der Großbuchstaben (Capitalis monumentalis) mit dem Alphabet der Kleinbuchstaben (humanistische Minuskel) zur Antiqua vereint wurde. Poggios Schrift hatte damit nicht nur einen grundlegenden Wandel von der gebrochenen gotischen Schrift zur runden lateinischen Form der Buchschrift gefördert, sondern zugleich elementare Voraussetzungen für die Entwicklung der Groß- und Kleinschreibung geschaffen.

Als literarische Figur

Conrad Ferdinand Meyer macht Poggio zur Hauptfigur seiner Novelle Plautus im Nonnenkloster, deren erste Fassung 1881 unter dem Titel Das Brigittchen von Trogen erschien und die der Autor selbst für eines seiner eher unbedeutenden Werke hielt. In ihr erscheint Poggio, gebrochen durch den historistischen Relativismus des späten 19. Jahrhunderts, als eine beinahe tragische Gestalt, als Skeptiker, dem keine anderen als ästhetische Werte geblieben sind und der doch ahnt, dass damit das Fundament der menschlichen Gesellschaft unterminiert wird: „'Und' – seufzte er – 'nur ungern kehre ich zu jenen Jugendlichkeiten zurück, jetzt da ich die Unbefangenheit meiner Standpunkte und die Läßlichkeit meiner Lebensauffassung bei meinem Sohne – ich weiß nicht kraft welches unheimlichen Gesetzes der Steigerung – zu unerträglicher Frechheit, ja zur Ruchlosigkeit entarten sehe.'“ (Das Brigittchen von Trogen, S. 14)

Die Romanautoren Monaldi & Sorti lassen Poggio in ihrem Historienkrimi Das Mysterium der Zeit als dubiose Hintergrundfigur auftreten. Sie bringen ihn in Zusammenhang mit Fälscherbanden, die zur Zeit der Renaissance zahlreiche, nur vorgeblich antike Texte geschaffen haben. Die Handlung des Romans nimmt dabei Bezug auf die wissenschaftlich unhaltbare verschwörungstheoretische Chronologiekritik, nach der Teile der antiken Geschichte von solchen Fälschern erfunden worden seien.

In dem Historienroman In nomine diaboli der Romanautoren Monika Küble und Henry Gerlach schreibt Poggio Briefe an seinen Freund Niccolò Niccoli. Er hilft, während des Konzils von Konstanz diverse Mordfälle aufzuklären.

Werke

Dialoge
  • De avaritia „Über die Habsucht“ (1428–1429)
  • An seni sit uxor ducenda „Soll ein Greis heiraten?“ (1436)
  • De nobilitate „Über den Adel“ (1440)
  • De infelicitate principum „Über das Fürstenunglück“ (1440)
  • De varietate fortunae „Über die Vergänglichkeit des Glückes“ (4 Bücher, 1448)<ref>Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 234–243 ; Druck-EA des Gesamtwerks: Poggii Bracciolini Florentini Historiae De Varietate Fortunae Libri Quatuor. Paris 1723 (online).</ref>
    • 1. Beschreibung der Ruinen Roms
    • 2./3. Schicksale von Fürsten, Rittern, Königen, Päpsten, Kurialbeamten
    • 4. Bericht der Indienreise des Niccolò de’Conti
  • Contra hypocritas „Über die Scheinheiligkeit“ (1447–1448)
  • Historia tripertita disceptativa convivalis (Drei Dialoge, 1450)<ref>Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 248 f.</ref>
    • 1. Wer von beiden Gast oder Gastgeber zu Dank verpflichtet sei
    • 2. Über den Vorrang der Medizin oder Jurisprudenz
    • 3. Über die Frage der antiken Vulgärsprache
  • De miseria humanae conditionis „Über das Elend des Menschendaseins“ (2 Bücher, 1455)
Invektiven
Leichenreden<ref>Zu den Leichenreden
Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 70; S. 202–207</ref>
Lobreden
  • Oratio in laudem legum (1436 oder 1440)<ref>Veröffentlicht in: Eugenio Garin (Hrsg.): La disputa delle arti nel Quattrocento. Florenz 1947, S. 11–15</ref>
  • Oratio in laudem rei publicae Venetorum (1459)
  • Oratio in laudem matrimonii
Datei:Personal dedication of Poggio Bracciolini to Pope Nicholas V, Translation of Diodor, Siena, fol. 1r.jpg
Widmungsbrief Poggios an Papst Nikolaus V. zu seiner Diodor-Übersetzung. Handschrift Siena, Biblioteca Comunale degli Intronati, K.V.18, fol. 1r
Sammlung von Fazetien (Anekdoten, Prosaschwänken)
  • Liber facetiarum oder Confabulationes (1438–1452)
Geschichtsschreibung
  • Historiae florentini populi. Poggios Sohn Jacopo übersetzte dieses Werk, das Poggio unvollendet hinterließ, auf Italienisch. Es behandelt die Geschichte Florenz’ bis zum 23. Januar 1455.<ref>Veröffentlicht Venedig 1476 und mehrmals wiederaufgelegt. Emilio Bigi: Bracciolini, Poggio (Poggius, Poggius Florentinus). Rom 1971. Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 310. http://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/M34604.htm . Die lateinische Fassung ist ediert in: Lodovico Antonio Muratori: Rerum Italicarum Scriptores. Band 20, Mailand 1731, Sp. 157–434 (online).</ref>
Briefe

Es sind 558 Briefe überliefert, die an 172 verschiedene Adressaten gerichtet sind.<ref>Stephen Greenblatt: The Swerve. London 2011, S. 268. Fussnote 13.</ref> Drei Briefsammlungen wurden von Poggio selbst herausgegeben: 1436, 1438 (erweitert 1445), sowie eine dritte Sammlung in sechs Büchern, die den Zeitraum von 1445 bis 1455 umfasst. Ein siebtes Buch enthält den Rest seiner Briefe bis zu seinem Tod.<ref>Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 207–209.</ref>

Übersetzungen aus dem Griechischen
Fälschlich zugeschrieben
  • Modus epistolandi<ref>Ernst Walser: Poggius Florentinus. 1914, S. 320</ref>
  • De reformatione ecclesiae
  • Jan Hus der Ketzer. Verhör, Verurteilung und Hinrichtung, hoffnung-weltweit-verlag, Schopfheim 1998, ISBN 3-933785-00-6.

Ausgaben und Übersetzungen

  • Opera. Straßburg 1513 (online bei CAMENA).
  • Poggii Florentini Opera. Heinrich Petri, Basel 1538 (online, online).
  • Ausgabe der Briefe: Epistulae. 3 Bände. Tommaso Tonelli. Florenz 1832–1861 (Bd. 1 online).
  • Opera omnia. Riccardo Fubini (Hrsg.). 4 Bände. Bottega d'Erasmo, Turin 1964–1969. (Keine Neuausgabe, sondern Nachdruck der Ausgabe Basel 1538 mit weiteren Werknachdrucken und Briefen)
  • Lettere. Helene Harth (Hrsg.). 3 Bände. Olski, Florenz 1984–1987.
  • De varietate fortunæ. Edizione critica con introduzione e commento a cura di Outi Merisalo. Helsinki 1993.
  • Facezie. Stefano Pittaluga (Hrsg.). Milano 1995.
  • De infelicitate principum. Davide Canfora (Hrsg.). Roma 1998.
  • De vera nobilitate. Introduzione e testo critico. Davide Canfora (Hrsg.). Roma 2002.
  • Contra hypocritas (= Edizione nazionale dei testi umanistici 9). Davide Canfora (Hrsg.). Roma 2008.
Deutsch
  • Die Schwänke und Schnurren des Florentiners Gian-Francesco Poggio Bracciolini. Alfred Semerau (Übers. und Hrsg.). Deutsche Verlagsactiengesellschaft, Leipzig 1905.
  • Die Facezien des Poggio Fiorentino. Hanns Floerke (Übers.). Georg Müller, München 1906 (Internet Archive). Weitere Auflagen dieser Übersetzung: Die Facezien des Florentiners Poggio. Hanau 1967, Leipzig 1967, Leipzig 2004.
  • Uli Münzel (Kommentar) und Hans Jörg Schweizer (Übers.): Baden im Spiegel seiner Gäste. In: Badener Neujahrsblätter, Nr. 55 (1980), S. 41–50, doi:10.5169/seals-324054. (kommentierte Übersetzung eines Briefes von Poggio über das schweizerische Baden)

Siehe auch

Literatur

Poggio als literarische Figur

  • Conrad Ferdinand Meyer: Das Brigittchen von Trogen. Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart/Wien 1975.
  • Conrad Ferdinand Meyer: Plautus im Nonnenkloster. Novellen Bd. 1, Leipzig 1923, S. 169–212.
  • Monika Küble/Henry Gerlach: In nomine diaboli. Gmeiner-Verlag, Messkirch 2013.

Weblinks

Commons Commons: Poggio Bracciolini – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references />