Graphic Novel


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Graphic Novel (dt. illustrierter Roman, Comicroman, Grafischer Roman) ist eine seit den 1980er Jahren populäre und aus den Vereinigten Staaten übernommene Bezeichnung für Comics im Buchformat, wobei sich diese aufgrund ihrer erzählerischen Komplexität häufig an eine erwachsene Zielgruppe richten. Der Terminus stellt den Versuch dar, längere und häufig als thematisch anspruchsvoll beworbene Comicbücher vom herkömmlichen westlichen Heftcomic und Comic-Album abzugrenzen, was auch durch den großflächigen Verkauf über den Buchhandel zum Ausdruck kommen soll. Der Begriff stößt in Teilen der Comicindustrie auch auf starke Ablehnung. Auf Deutsch hat sich für den Begriff das weibliche Geschlecht etabliert; man spricht von der Graphic Novel, nicht etwa dem Graphic Novel.

Bezeichnung

Obwohl der Begriff Graphic Novel sowohl vom Handel als auch von Konsumenten und Kritikern benutzt wird, lässt er sich nicht eindeutig definieren. Häufig werden längere, im Regelfall einbändige Comics so bezeichnet, die ohne Beschränkung auf eine vordefinierte Anzahl von Seiten epische, teilweise komplexe Geschichten erzählen. Eine Graphic Novel muss kein in sich abgeschlossenes Werk sein, sondern kann ebenso zu einem größeren Gesamtwerk gehören, wie beispielsweise die Sandman-Bände von Neil Gaiman. Mit dem Begriff verbindet sich oft die Vorstellung eines ernsthaften Comics, der wie ein literarisches Werk eine Geschichte aufbaut und sich damit von Comics für Kinder und Jugendliche unterscheidet. Da er von der Industrie aber auch für Sammlungen und One Shots benutzt wird, kann diese Beschreibung nur einen Aspekt der Graphic Novels wiedergeben. Noch einen Schritt weiter geht der amerikanische Fernsehsender NBC, der sogar sechsseitige Comic-Kurzgeschichten zur Fernsehserie Heroes, die auf der Internetseite des Senders kostenlos angeboten werden, als „Graphic Novels“ statt schlicht als „Comics“ bezeichnet.<ref name="nbc">Comics zur Fernsehserie Heroes auf der Internetseite des Senders NBC. Zugriff am 24. Mai 2008.</ref>

Deutschsprachiger Raum

DVD-Verleihfirmen und Journalisten, die den als Anglizismus empfundenen Originalbegriff vermeiden wollen, greifen in Ermangelung einer etablierten deutschen Bezeichnung häufig zu Eigenübersetzungen. So finden sich unter anderem die Eindeutschungen „grafische Novelle“<ref name="watchmotion">Offizieller Werbetext zu Watchmen - The Complete Motion Comic, zu finden unter anderem bei Amazon.de, Zugriff am 14. Dezember 2009.</ref>, „Grafik-Novelle“<ref name="blankets">Stefan Pannor: „Das Monster im Klappbett“, Spiegel Online, am 2. Juli 2004. Zugriff am 14. Dezember 2009.</ref>, „graphischer Roman“<ref name="metro">Mona Sarkis: Es gibt Leute, die haben noch viel mehr Angst als wir, Telepolis, am 3. Mai 2008. Zugriff am 14. Dezember 2009.</ref> oder „Bildroman“<ref>Madame Bovary mit Sprechblasen - Vom unaufhaltsamen Aufstieg der Graphic Novels (Manuskript). DLR Kultur. 1. Mai 2011. Abgerufen am 1. Mai 2011.</ref>, von denen sich jedoch bislang keiner wirklich durchgesetzt hat. Auch die seit 1984 bestehende Zeitschrift Reddition versucht mit ihrem (1991 eingeführten) Untertitel Zeitschrift für graphische Literatur einen eigenständigen deutschen Begriff zu prägen. Comicverlage wie Panini<ref name="logan">Marvel Graphic Novel 12: Wolverine: Logan bei Paninicomics.de. Zugriff am 14. Dezember 2009.</ref> und Carlsen<ref name="carlsen">Carlsen graphic Novel bei Carlsen.de. Zugriff am 14. Dezember 2009.</ref> verwenden dagegen auch im Deutschen den Originalbegriff.

Geschichte

Die Wurzeln der modernen Graphic Novels sieht der Historiker David A. Beronä in den expressionistischen Bilderfolgen v. a. von Frans Masereel, Otto Nückel und Lynd Ward. Diese Künstler erzählten in ihren Büchern ohne Worte teilweise komplexe Geschichten und etablierten so in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts das Genre der woodcut novel.<ref name="berona"> David A. Beronä: Wordless books. The original graphic novels. Abrams, New York 2008, ISBN 978-0-8109-9469-0.</ref>

Der Kolumnist Steven Grant bezeichnet als erste Graphic Novel Gil Kanes His Name is … Savage von 1968, weil es die Kriterien „Länge“ und „dreiteiliger Aufbau“ erfüllt. Steve Ditko zählt seiner Meinung nach mit seinen Arbeiten für Dr. Strange wegen der Dramaturgie der Geschichte und der Entwicklung der Figuren zu den ersten Autoren von Graphic Novels.<ref name="resources">Comicbooksresources.com vom 28. Dezember 2005.</ref> Dennoch wird die Einführung des Begriffs Will Eisner zugeschrieben.

Will Eisner, dessen mehrseitigen Zeitungscomics The Spirit in den 1940er und 1950er Jahren Wegbereiter für die regelmäßig erscheinenden Comichefte waren, schrieb 1978 vier Kurzgeschichten, die er gemeinsam in einem Buch mit dem Titel A Contract with God (dt. Ein Vertrag mit Gott) herausbrachte. Er selbst nannte sein 178-seitiges Werk auf dem Titelblatt und im Vorwort Graphic Novel, in der deutschen Ausgabe wurde daraus 1980 im Verlag zweitausendeins Eine Geschichte in Bildern. In der Neuausgabe von Carlsen wurde 2007 wieder Graphic Novel auf dem Titel verwendet.

Eisner wollte ein Buch mit bleibendem Wert schaffen, das sich von den wöchentlich erscheinenden Wegwerf-Comicheften unterschied. Jede Geschichte entwickelte er frei ohne Rücksicht auf Platzbedarf und Panelanordnung.<ref name="knigge">Andreas C. Knigge: Alles über Comics. Europa Verlag, Hamburg 2001, ISBN 3-203-79115-3, S. 322.</ref> Bereits bei seinen Verhandlungen mit möglichen Verlegern nutzte er den Begriff Graphic Novel, um sein Werk nicht durch die übliche Bezeichnung Comic Book abzuwerten.<ref name="time">Andrew D. Arnold: The Graphic Novel Silver Anniversary, TIME 14. November 2003.</ref>

Eisner verband den Begriff vor allem mit den Inhalten der Werke:

„The future of the graphic novels lies in the choice of worthwhile themes and the innovation of exposition.“

„Die Zukunft der Graphic Novels liegt in der Relevanz der Themen und in der Innovation der Darstellung.“

Will Eisner: Comics & Sequential Art. Poorhouse Press, 28. Auflage 2006, S. 141.

Ein Vertrag mit Gott ist ein ernsthaftes Werk, das die erzählerischen Möglichkeiten des Comics in reflektierter Form nutzte.<ref name="mccloud">Scott McCloud: Comics neu erfinden. Carlsen Verlag, Hamburg 2001, ISBN 3-551-74793-8, S. 32.</ref> Die Verwendung des Begriffs entfernte sich von den inhaltlichen Ähnlichkeiten zu Eisners Werk und wurde zunehmend für alle Comic-Veröffentlichungen verwendet, die in Buchform erschienen. Aviva Rothschild setzte 1995 in ihrer Monografie Graphic Novels. A Bibliographic Guide to Book-Length Comics bereits im Titel beide Auffassungen gleichberechtigt nebeneinander und schloss damit auch Sammelbände zuvor in Heftform herausgebrachter Comics ein.

Beispiele

Eine Auswahl größere Bekanntheit erlangender Werke, die üblicherweise unter den Begriff Graphic Novels fallen:

Eine der erfolgreichsten Graphic Novels in den Vereinigten Staaten war Neil Gaimans The Sandman – Endless Nights (2003), das Platz 20 der Bestseller-Liste der New York Times erreichte und damit die bisher erste und einzige Graphic Novel war, die jemals auf der Liste auftauchte. So sind in der nordamerikanischen Comicszene Graphic Novels eine Randerscheinung neben den normalen auflagenstärkeren Heftcomics.

Kritik

Der Begriff wird u. a. von namhaften Comicschöpfern wie Daniel Clowes, Alan Moore und Seth abgelehnt. Das zentrale Argument der Kritiker ist hierbei, dass die beworbene erzählerische Komplexität rein subjektiv ist und Bindung und Vertriebsweg, die einzigen faktischen Unterschiede zwischen Comics und Graphic Novels seien. Ein weiterer - häufig vorgebrachter - Kritikpunkt ist die Vermutung, dass hinter dem Begriff rein kommerzielle Interessen stecken würden und man dem Leser mit dem Begriff suggeriere, dass eine Graphic Novel automatisch anspruchsvoller als ein herkömmlicher Comic sei. Hierbei wird vor allem kritisiert, dass der Begriff Graphic Novel dem Comic nicht zu einem höheren Ansehen verhelfe, sondern stattdessen das häufige Vorurteil untermauere, dass sich Comics ausschließlich an Kinder richteten, während sich einzig und allein die Graphic Novel an ein erwachsenes Publikum wende.

Im Gegensatz zu regional-bedingten Formaten, wie z. B. dem Manga, dem Manhwa oder dem frankobelgischen Bande Dessinée, versteht sich die Graphic Novel, nach dem Vertriebsprinzip vieler Verlage, nicht als eine Gattung des Comics bzw. als eine Gattung der Sequentiellen Kunst, sondern viel mehr als eine eigene Literatursparte.

Alan Moore kritisierte in diesem Zusammenhang des Öfteren, dass viele amerikanische Titel, welche zuvor als Comicheft erschienen, später sehr oft in Sammelbänden (sogenannte Trade Paperbacks) veröffentlicht werden, welche man häufig als Graphic Novels bewirbt. In diesem Zusammenhang sagte er im Jahr 2000, auf die Frage hin, was er von dem Begriff Graphic Novel halte:

“The problem is that ‚graphic novel‘ just came to mean ‚expensive comic book‘ and so what you'd get is people like DC Comics or Marvel comics - because ‚graphic novels‘ were getting some attention, they'd stick six issues of whatever worthless piece of crap they happened to be publishing lately under a glossy cover and call it The She-Hulk Graphic Novel, you know?”

„Das Problem ist, dass ‚Graphic Novel‘ einfach die Bedeutung ‚teurer Comic‘ angenommen hat, und so kommt es heute, dass Leute wie DC Comics oder Marvel Comics - weil ‚Graphic Novels‘ eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt haben, stecken sie einfach sechs Ausgaben von irgendwelchem wertlosen Mist, den sie zufällig gerade herausgebracht haben, unter ein glänzendes Cover und nennen es die She-Hulk Graphic Novel, verstehen Sie?“

Alan Moore<ref>Barry Kavanagh: The Alan Moore Interview: Northampton / „Graphic novel“. Auf: blather.net, 17. Oktober 2000.</ref>

Weblinks

Literatur

  • Paul Gravett: Graphic Novels. Stories to Change Your Life. Aurum Press, London 2005, ISBN 1-84513-068-5 (englisch.)
  • Felix Giesa: Graphisches Erzählen von Adoleszenz: Deutschsprachige Autorencomics nach 2000 (= Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien, Band 97), Lang, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-631-66454-4 (Dissertation Uni Köln 2014).

Einzelnachweise

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