Huftiere
Huftiere (Ungulata) ist die zusammenfassende Bezeichnung für mehrere Gruppen der Säugetiere, insbesondere der Paarhufer und der Unpaarhufer. Die Unterscheidung dieser beiden Hauptgruppen ist schon alt: Bei Unpaarhufern trägt die Mittelzehe allein das Körpergewicht, bei Paarhufern übernehmen dritte und vierte Zehe diese Funktion.
Inhaltsverzeichnis
Diskussion um die Huftiere als systematische Einheit
Es ist nach wie vor strittig, ob es die Huftiere als natürliche systematische Gruppe gibt (monophyletisches Taxon) oder ob sie eine nach äußerlichen Kriterien zusammengewürfelte Gruppe nicht miteinander verwandter Taxa sind.
18. und 19. Jahrhundert
Aufgestellt wurde eine Ordnung der Huftiere erstmals von Carl von Linné in der 12. Auflage von Systema naturae (1766). Auch nachdem Richard Owen im 19. Jahrhundert die Trennung von Paarhufern und Unpaarhufern geprägt hatte, ging man weiterhin von einer Zusammengehörigkeit dieser Ordnungen in einem übergeordneten Taxon aus. Im späten 19. Jahrhundert umfassten die Huftiere schließlich die folgenden Ordnungen:
- Röhrenzähner (Tubulidentata)
- Schliefer (Hyracoidea)
- Seekühe (Sirenia)
- Rüsseltiere (Proboscidea)
- Unpaarhufer (Perissodactyla)
- Paarhufer (Artiodactyla)
20. Jahrhundert
Grzimeks Tierleben stellte diese und eine Reihe fossiler Ordnungen in ein System aus fünf Überordnungen:
- Urhuftiere (Protungulata), mit den Röhrenzähnern und fünf fossilen Gruppen; diese Verwendung des Begriffs „Urhuftiere“ ist nicht identisch mit der üblichen Bedeutung, in der er nur das ausgestorbene Sammeltaxon der Condylarthra meint, so auch im Wikipedia-Artikel Urhuftiere.
- Amblypoden (Amblypoda), mit vier fossilen Ordnungen
- Fast-Huftiere (Paenungulata), mit den Schliefern, Seekühen und Rüsseltieren
- Mittelachsentiere (Mesaxonia), nur mit den Unpaarhufern
- Doppelachsentiere (Paraxonia), nur mit den Paarhufern
Die Begriffe „Urhuftiere“ und „Fast-Huftiere“ legen nahe, dass es sich hier um Vorstufen der Huftiere auf einer evolutionären Leiter handelt, die somit in Paar- und Unpaarhufern ihre Vollendung gefunden hat. Während eine solche Sicht mit moderner systematischer Theorie nicht vereinbar ist, gibt es bis heute Zoologen, die ein monophyletisches Taxon Ungulata aufstellen. So existieren die Ungulata als „Großordnung“ (grandorder) noch in der Systematik von McKenna und Bell von 1997. Hier umfassen sie die oben genannten Ordnungen, ergänzt durch die Wale.
Gegenwärtige Diskussion
Innere Systematik der Euungulata nach Welker et al. 2015<ref name="Welker et al. 2015"/>
|
Aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen wurde in jüngerer Zeit jedoch eine Verwandtschaft der Unpaarhufer (Perissodactyla) mit den Cetartiodactyla (Paarhufer (Artiodactyla) und Wale (Cetacea)) festgestellt. Waddell und Kollegen gaben der Klade aus Perissodactyla und Artiodactyla den Namen Euungulata (Echte Huftiere).<ref name="Waddell et al. 2001"/> Nach Untersuchungen, die im März 2015 veröffentlicht wurden, stehen die Unpaarhufer wiederum in einem nahen Verwandtschaftsverhältnis mit Macrauchenia aus der Gruppe der Litopterna und Toxodon aus der Gruppe der Notoungulata. Beide gehören zu den sogenannten Meridiungulata („Südamerikanische Huftiere“), einer vom Paläozän bis zum Pleistozän in Südamerika vorkommenden, sehr vielfältigen Gruppe von huftragenden Säugetieren, deren systematische Einheitlichkeit bisher ungeklärt ist. Beide Verwandtschaftsgruppen, die Unpaarhufer und die „Südamerikanischen Huftiere“ werden nun in dem übergeordneten Taxon der Panperissodactyla zusammengefasst. Diese Verwandtschaftsgruppe steht dabei innerhalb der Euungulata den Cetartiodactyla gegenüber.<ref name="Welker et al. 2015"/>
Erkenntnisstand
Nach moderner Auffassung gibt es deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Taxon (die Euungulata) das zumindest zwei der traditionell zu den Huftieren gezählten Ordnungen umfasst. Dazu kommen die Wale, die einen gemeinsamen, huftierartigen Vorfahren mit den rezenten Paarhufer haben, und die ausgestorbenen Südamerikanischen Huftiere. Rüsseltiere, Seekühe, Röhrenzähner und Schliefer gehören dagegen zu den Afrotheria, einer molekulargenetisch festgelegten Überordnung innerhalb Säugetiere deren stammesgeschichtliche Herkunft in Afrika liegt.
Literatur
- Ronald M. Nowak: Walker's Mammals of the World. Johns Hopkins University Press, 1999 ISBN 0-8018-5789-9
- Malcolm C. McKenna, Susan K. Bell: Classification of Mammals: Above the Species Level. Columbia University Press, 2000 ISBN 0-231-11013-8
- Bernhard Grzimek: Grzimeks Tierleben. Enzyklopädie des Tierreichs. Bechtermünz, 2001 ISBN 3-8289-1603-1
Referenzen
<references> <ref name="Waddell et al. 2001">Peter J. Waddell, Hirohisa Kishino und Rissa Ota: A Phylogenetic Foundation for Comparative Mammalian Genomics. Genome Informatics 12, 2001, S. 141-154</ref> <ref name="Welker et al. 2015">Frido Welker, Matthew J. Collins, Jessica A. Thomas, Marc Wadsley, Selina Brace, Enrico Cappellini, Samuel T. Turvey, Marcelo Reguero, Javier N. Gelfo, Alejandro Kramarz, Joachim Burger, Jane Thomas-Oates, David A. Ashford, Peter D. Ashton, Keri Rowsell, Duncan M. Porter, Benedikt Kessler, Roman Fischer, Carsten Baessmann, Stephanie Kaspar, Jesper V. Olsen, Patrick Kiley, James A. Elliott, Christian D. Kelstrup, Victoria Mullin, Michael Hofreiter, Eske Willerslev, Jean-Jacques Hublin, Ludovic Orlando, Ian Barnes und Ross D. E. MacPhee: Ancient proteins resolve the evolutionary history of Darwin’s South American ungulates. Nature, 2015 DOI: 10.1038/nature14249</ref> </references>