Industrialisierung
Industrialisierung bezeichnet technisch-wirtschaftliche Prozesse des Übergangs von agrarischen zu industriellen Produktionsweisen,<ref>Karl-Heinz Hillmann:Wörterbuch der Soziologie. 4. Auflage, Krömer, Stuttgart 1994, S. 260.</ref> in denen sich die maschinelle Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen durchsetzt.<ref>Flurin Condrau: Die Industrialisierung in Deutschland. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, S. 5.</ref> Das Gegenteil ist die Deindustrialisierung.
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Industrialisierung bezeichnet allgemein die Einführung und Verbreitung industriell-mechanischer Formen der Produktion und Distribution von Waren und Dienstleistungen mit der Folge eines schwindenden Anteils der agrarischen zugunsten der verarbeitenden Produktion in einer Volkswirtschaft. Die Industrialisierung begann in England während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Später verbreitete sie sich schrittweise in andere Länder Europas und Nordamerikas, seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend auch in Asien und Lateinamerika.
Folgt man der Sektoreneinteilung von Jean Fourastié:
- „Primärer Sektor” der Rohstoffgewinnung (Ackerbau, Viehzucht, Förderung von Bodenschätzen)
- „Sekundärer Sektor” der Verarbeitung
- „Tertiärer Sektor” der Dienstleistungen
- „Quartärer Sektor” der Freizeitwirtschaft
- „Quintärer Sektor” der Abfallwirtschaft
so sind ausgehend vom sekundären Sektor überall Industrialisierungsprozesse aufgetreten.
England als Mutterland der Industrialisierung
In England waren der Absolutismus und die Grundherrschaft früher als in anderen Ländern Europas gelockert worden, Zunftzwang gab es im Gegensatz zu deutschen Ländern schon lange nicht mehr. Somit waren die Voraussetzungen für die freie Ausbreitung des Handels, der Kapitalbildung und der technischen Erneuerung geschaffen. Meilensteine waren die Erfindung der Dampfmaschine (Erfindung 1712 durch Thomas Newcomen, entscheidende Weiterentwicklung 1769 durch James Watt) sowie von Spinnmaschine (Spinning Jenny), mechanischem Webstuhl und Werkzeugmaschine und des Puddelverfahrens bei der Eisengewinnung. Die Erfindung der Dampflokomotive und der ersten öffentlichen Eisenbahnen bildeten bereits das Ende der (ersten) Industriellen Revolution in England.
Begünstigende Faktoren
- Kapitalbildung Wirtschaft
- Infrastruktur: In England wurde wesentlich früher als in anderen Staaten die Bedeutung der Nutzung von Wasserwegen (Kanalbau) und der Eisenbahn erkannt. Infolgedessen, und aufgrund der Insellage von England, hatte dieses früher als jedes andere Land ein gut ausgebautes Kanalnetz.
- Ausreichende Rohstoffvorkommen, vor allem Erz, Kohle und Baumwolle aus den Kolonien. Hinzu kam die günstige Lage von Rohstoffvorkommen im Inland, die räumlich nah genug waren, um sie effektiver nutzen zu können.
- Ausreichendes Angebot an Arbeitskräften. Der Wandel in der Landwirtschaft entzog zahlreichen Kleinbauern die Lebensgrundlage, die daraufhin in die sich entwickelnden Industriezentren zogen.
- Absatzmärkte durch wachsende Nachfrage nach Textilien (Bekleidung)
- Unterdrückung von wirtschaftlicher Konkurrenz in seiner Position als Welt- und Kolonialmacht, wie beispielsweise der indischen Baumwollindustrie.
- Große Handels- und Kriegsflotte, die zur Verschiffung von Gütern und Rohstoffen und den Seemachtinteressen diente
- Im Vergleich zu Autokratien größere Macht des Bürgertums in der konstitutionellen Monarchie und parlamentarischen Demokratie
- Leistungsstarke Landwirtschaft zur Versorgung der schnell wachsenden Bevölkerung und als Kapitalbasis
- Zudem begünstigte die calvinistische Religion vieler Menschen fortdauerndes Bestreben zu arbeiten und nach Möglichkeit reich zu werden.
Bedeutung heute
Industrialisierung wird als Begriff auch für die heutige Standardisierung/Automatisierung von Verfahren/Prozessen verwendet. Als Beispiel sei die Softwareentwicklung genannt: Bei der Programmierung wird kein Gegenstand im herkömmlichen Sinne hergestellt. Die Herstellung des Produktes Software kann in vielen Firmen als handwerkliche Tätigkeit aufgefasst werden, da sie jedes Mal anders und individuell vorgenommen wird. Ziel der Industrialisierung ist es, gemeinsame Herstellungselemente zu standardisieren, so dass sie effektiver, produktiver und gleichförmig eingesetzt werden können. Nur wenn die einzelnen Phasen charakterisiert sind, können zum Beispiel Teile als Offshoring-Tätigkeit abgegeben werden.
Schon früh hat sich während der Industrialisierung eine Industriekritik geäußert, die später in eine ökologische Kritik überging.
Folgen
Als der Industrialisierung folgende Auswirkungen kann man nennen die Urbanisierung, der Wechsel von Selbstversorgungs- (Subsistenzwirtschaft) zur Fremdversorgungsgesellschaft, Geburtenrückgang, Prosperität (in den Industrienationen), aber auch zunehmende Umweltverschmutzung sowie insbesondere die globale Erwärmung.
Siehe auch
- Industrielle Revolution in Deutschland
- Hochindustrialisierung in Deutschland
- Industrialisierung der Schweiz
- Industrialisierung Frankreichs
- Industrialisierung der Sowjetunion
- Industriearchitektur
Literatur
- Flurin Condrau: Die Industrialisierung in Deutschland. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 978-3-534-15008-3.
- Clark Kerr, John T. Dunlop, Frederick Harbison, Charles A. Myers: Der Mensch in der industriellen Gesellschaft (Originaltitel: Industrialism and Industrial Man). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1960.
- Klaus Tenfelde: Industrialisierung. In: Richard van Dülmen (Hrsg.): Das Fischer Lexikon Geschichte. Fischer, Frankfurt am Main 2003, S. 222–237, ISBN 978-3-596-15760-0.
- Richard H. Tilly: Industrialisierung als historischer Prozess, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2010, Zugriff am: 29. Februar 2012.
Weblinks
- Die Europäische Industrialisierung bei www.eKritik.de
- ZUM:Industrielle Revolution und soziale Frage im 19. Jahrhundert (im Wiki der Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet)
- Béatrice Veyrassat: Industrialisierung im Historischen Lexikon der Schweiz
Einzelnachweise
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