Intersektionalität beschreibt die Überschneidung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung liege vor, „wenn – beeinflusst durch den Kontext und die Situation – eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird.“<ref>Judy Gummich (2004): Schützen die Antidiskriminierungsgesetze vor mehrdimensionaler Diskriminierung?</ref>
Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Handicapism oder Klassismus addieren sich nicht nur in einer Person, sondern führen zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen. So wird ein gehbehinderter Obdachloser gegebenenfalls nicht nur als Obdachloser und als Gehbehinderter diskriminiert, sondern er kann auch die Erfahrung machen, als gehbehinderter Obdachloser diskriminiert zu werden.
Das neue Erkenntnisinteresse in der Intersektionalitätsforschung gilt den Verflechtungszusammenhängen, die sich durch das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen ergeben.<ref>Regina Becker-Schmidt (2007): <<class>>, <<gender>>, <<ethnicity>>, <<race>>: Logiken der Differenzsetzung, Verschränkungen von Ungleichheitslagen und gesellschaftliche Strukturierung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Angelika (Hg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik 2. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 56–83.</ref>
Entwicklung der Intersektionalitätstheorie
Geschichte in den USA
Das Konzept der Intersektionalitätstheorie ist im Prinzip schon so alt wie die feministische Bewegung selbst. Schon 1851 stellte die Frauenrechtlerin Sojourner Truth die inzwischen prominent gewordene Frage „Ain’t I a woman?“.<ref>bridgew.edu (PDF; 186 kB).</ref> Mit dieser kritisierte sie sowohl, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts noch immer kein Stimmrecht zugestanden wird, als auch die Präsenz von Rassismus und Klassenherrschaft in der Frauenbewegung.<ref>): Feminist Theory–From Margin to Center. Zweite Auflage. Cambridge: South End Press
Kimberlé Crenshaw (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine. In: The University of Chicago Legal Forum, S. 139–167
Kimberlé Crenshaw (1991): Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color, Stanford Law Review, Vol. 43, No. 6., S. 1241–1299.
Kathy Davis/ Helma Lutz: Geschlechterforschung und Biographieforschung. Intersektionalität am Beispiel einer außergewöhnlichen Frau. In: Völter et al. (Hrsg.): Biographieforschung im Diskurs. Wiesbaden: Opladen, S. 228–247
Judy Gummich (2004): Schützen die Antidiskriminierungsgesetze vor mehrdimensionaler Diskriminierung? Oder: Von der Notwendigkeit die Ausgeschlossenen einzuschließen, in: Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (Hrsg.): QUEbERlin. Mehrfachzugehörigkeit als Bürde oder Chance? - Die Gesichter des Queer-Seins und Migrantin / Schwarz-Seins, S. 6–16
Hardmeier, Sibylle/Vinz, Dagmar (2007): Diversity und Intersektionalität – Eine kritische Würdigung der Originalität und Leistungsfähigkeit der zwei Ansätze für die Politikwissenschaft, in: femina politica, „Frauen – Gender – Diversity. Perspektiven theoretischer Konzepte und ihrer politischen Umsetzung“, Heft 1/2007, 16. Jg., S. 15–25.
Haschemi Yekani, Elahe/Hrzán, Daniela/Husmann-Kastein, Jana/Junker, Carsten/Krasuska, Karolina/Michaelis, Beatrice (2008): "Where, When and How? Contextualizing Intersectionality." In: Golańska, Dorota/Rozalska, Aleksandra (eds.): New Subjectivities: Negotiating Citizenship in the Context of Migration and Diversity. Lódź: Lódź University Press, 2008, S. 19–47
Patricia Hill Collins / Margaret Andersen (Hg.): Race, Class, and Gender: An Anthology, ISBN 0-534-52879-1, 1992, 1995, 1998, 2001, 2004, 2007
Patricia Hill Collins: Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment, ISBN 0-415-92484-7, 1990, 2000
Gabriele Winker / Nina Degele (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript
Cornelia Klinger: Ungleichheit in den Verhältnissen von Klasse, Rasse und Geschlecht. In: Knapp/Wetterer (Hrsg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik 2. Münster:Westfälisches Dampfboot, S. 14–48
Mitja Sabine Lück / Güler Arapi (2008): "I feel a little bit weird..." - Beispiele für Intersektionalität von Diskriminierungen, in: Leah Carola Czollek / Heike Weinbach: Lernen in der Begegnung. Theorie und Praxis von Social Justice-Trainings, Düsseldorf, S. 57–60
Helma Lutz / Norbert Wenning (2001): Differenzen über Differenz - Einführung in die Debatten. in: dies. (Hg.): Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen, S. 11–24
Patricia Purtschert / Katrin Meyer (2010): Die Macht der Kategorien. Kritische Überlegungen zur Intersektionalitä, in: Feministische Studien 28/ 1, 130-142.
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Julia Zinsmeister (2007): Mehrdimensionale Diskriminierung. Das Recht behinderter Frauen auf Gleichberechtigung und seine Gewährleistung durch Art.3 GG und das einfache Recht. Baden-Baden
Elisabeth Tuider (2011): »Sitting at a Crossroad« methodisch einholen. Intersektionalität in der Perspektive der Biografieforschung. In: Barth, Manuela / Hess, Sabine / Langreiter, Nikola / Timm, Elisabeth (Hg.): Intersectionality revisited: Empirische, theoretische und methodische Erkundungen. transcript-Verlag, S. 223 - 250
Weblinks
- Nina Degele und Gabriele Winker (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse (PDF; 155 kB)
- Interview mit Gabriele Winker und Nina Degele zu ihrem Buch "Intersektionalität"
- Klinger, Cornelia / Knapp, Gudrun-Axeli (2005): Achsen der Ungleichheit – Achsen der Differenz. Verhältnisbestimmung von Klasse, Geschlecht, „Rasse“ / Ethnizität, in: Transit. Europäische Revue 29, S. 72-95.
- Portal Intersektionalität- Forschungsplattform und Praxisforum für Intersektionalität und Interdependenzen
- Archiv des öffentlichen virtuellen Seminars 'Interdependenzen-Geschlecht, Ethnizität und Klasse' (Mai 2006) von Katharina Walgenbach, Maureen Maisha Eggers, Telse S. Grohs. Virtuelle Referentinnen: Regine Gildemeister, Birgit Rommelspacher und Encarnacíon Guttierréz Rodríguez
- Querelles-Net Nr. 26: Dimensionen von Ungleichheit
- Brah, Avtar/Phoenix, Ann (2004): Ain't I a woman? Revisiting Intersectionality. (PDF-Datei; 182 kB)
- Crenshaw, Kimberlé Williams (1991): Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. (PDF-Datei; 175 kB)
- Knapp, Gudrun-Axeli: „Intersectionality“. Feministische Perspektiven auf Ungleichheit und Differenz im gesellschaftlichen Transformationsprozess
- Saskia Kühn, Judith Engelke: Tagungsbericht Theorien der Intersektionalität. 30.10.2009-05.02.2010, Berlin. In: H-Soz-u-Kult, 20. Juli 2010.
- Transnationales und transdiziplinäres Netzwerk von und für Nachwuchswissenschaftlern zum Thema Intersektionalität
- Die Sammlung Max Kirmsse an der UB Marburg - Historische Literatur zu Behinderung und sozialer Ausgrenzung
Einzelnachweise
<references />