Jan Karlowitsch Bersin
Jan Karlowitsch Bersin (russisch Ян Карлович Берзин, lettisch Jānis Bērziņš; ursprünglicher Name Pēteris Ķuzis, auch: Pawel Iwanowitsch Bersin, Spitzname: Starik, Parteiname: Papus (* 13.jul./ 25. November 1889greg. in Kligen, Gemeinde Zaube<ref name="Gortschakow: Jan Bersin, S">Gortschakow: Jan Bersin, S.???</ref>, Gouvernement Livland, Russisches Kaiserreich, heute Bezirk Amata, Lettland); † 29. Juli 1938 in Kommunarka bei Moskau<ref name="Memorial">Memorial: Biografisches Verzeichnis der im Juli 1938 in Kommunarka ermordeten Personen , den Neid jeder anderen Nation.“<ref name="ReferenceA" /> Bersin sorgte dafür, dass die GRU weltweit zu operieren begann, indem das bestehende Netz von Residenturen enorm erweitert wurde. Er ließ zur Tarnung der Aufklärungsaktivitäten Scheinfirmen einrichten, wodurch es seinen Agenten gelang, sehr weitläufige Beziehungen in der Gesellschaft der jeweiligen „Gastländer“ zu knüpfen.<ref name="ReferenceB">Besymenski: Stalin und Hitler - Das Pokerspiel der Diktatoren, S.???</ref> Ein Beispiel hierfür ist die Presseagentur Inpress des GRU-Agenten Sándor Radó.
Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Isolation der Sowjetunion und der Weimarer Republik wurde 1922 die geheime Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der deutschen Reichswehr bei der Entwicklung moderner Waffen von Karl Radek initiiert. Der Vertrag von Rapallo stellte die Basis für weiterführende gemeinsame Projekte dar. Bersin übernahm nach seinem Aufstieg zum Chef der GRU die Organisation dieser Beziehungen, die bis in das Jahr 1934 fortgeführt wurden. Zu den deutsch-sowjetischen Unternehmungen gehörte beispielsweise Bersol, offiziell ein Joint-Venture, das mit der Produktion chemischer Dünger für die Sowjetunion befasst war. Inoffiziell sollten durch Bersol große Mengen an Artilleriegranaten gefüllt mit Senfgas und Phosgen für die Rote Armee und die Reichswehr hergestellt werden. Das Bersol-Projekt scheiterte an der schleppenden Terminerfüllung der deutschen Seite, die durch den Unternehmer Hugo Stoltzenberg repräsentiert wurde. 1928 äußerte sich Bersin daher in einem Bericht an den Volkskommissar für Heer und Flotte der UdSSR Woroschilow skeptisch über die Ergebnisse der bis dahin durchgeführten gemeinsamen Projekte, befürwortete aber eine Fortsetzung der Zusammenarbeit unter der Maßgabe der „maximalen Nutzung“, verschiedener, gemeinsam mit der Reichswehr genutzter Einrichtungen, wie etwa der Fliegerschule in Lipezk.<ref name="ReferenceB" />
Im Herbst 1926 verstärkte sich in der Sowjetunion die von der Führung der KPdSU angeheizte Furcht vor einem neuen Krieg gegen eine Koalition westeuropäischer Staaten unter der Führung Großbritanniens. Bersin erstellte im Januar 1927 einen Geheimbericht, in dem er ausdrücklich darauf hinwies, das die Rüstungsaktivitäten der europäischen Staaten im Jahr 1926 sowie die zu erwartenden Tätigkeiten im Jahr 1927 in keiner Weise auf einen derartigen Krieg hindeuteten. Diese nachrichtendienstliche Erkenntnis wurde aber durch die sowjetische Führung ignoriert, um den geplanten, umfassenden Aufbau der sowjetischen Rüstungsindustrie durchzusetzen.<ref name="Samuelson">Samuelson: Plans for Stalins War Machine, S. 36</ref>
Im Zeitraum von 1927 bis 1933 war Bersin an der Verbreitung von in der Sowjetunion gefälschten 100-US-Dollar-Noten in China, Europa und den USA beteiligt. Der Zweck der Aktion war die von Stalin geforderte Beschaffung zusätzlicher Devisen für die Sowjetunion. Die Geldfälschung verursachte mehrere Skandale in Europa und in den Vereinigten Staaten. Von Seite der GRU wurde die Verbreitung der falschen Banknoten endgültig unterbunden, nachdem es US-amerikanischen Behörden gelungen war, eine Spur zu finden, die in Richtung Sowjetunion führte. Die OGPU setzte diese unkonventionelle Art der Devisenbeschaffung noch bis 1936 fort.<ref name="ReferenceA" />
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland organisierte Bersin auch die militärnachrichtendienstliche Aufklärung der Reichswehr bzw. Wehrmacht über ein Agentennetz, das um Deutschland herum angesiedelt wurde. Zu seinen Agenten gehörte ab 1930 auch Richard Sorge, der zu einem in Shanghai operierenden Agentenring versetzt wurde. Den sowjetischen Geheimdiensten GRU und OGPU entging aufgrund des umfangreich ausgebauten Agentennetzes kein Detail der politischen Entwicklung in Deutschland. So wurden die Ereignisse des Röhm-Putsches in der Sowjetunion genauestens verfolgt und waren für Stalin Anlass, das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und dem Dritten Reich zu verbessern. Inwieweit diese Ereignisse eine Inspiration für Stalin in Bezug auf die Durchführung des Großen Terrors gewesen sein mögen, bleibt Spekulation.<ref>Kriwitzki: Ich war Stalins Agent, S. 17–18</ref>
Verdeckte Tätigkeiten im sowjetischen Fernen Osten und im Spanischen Bürgerkrieg
In der Anfangsphase des Großen Terrors wurde Bersin von April 1935 bis Juli 1936 mit der Liquidierung einiger verdeckt arbeitender NKWD-Mitarbeiter im Fernen Osten betraut.<ref name="Suworow24">Suworow: GRU - Die Speerspitze, S. 20</ref> Offiziell war er zu dieser Zeit unter dem Decknamen Gallen stellvertretender Chef der Besonderen Fernostarmee, die unter dem Oberbefehl von Marschall Wassili Konstantinowitsch Blücher stand.<ref name="Villemarest: GRU, S" /> Seine Leitungstätigkeit wurde während seiner Abwesenheit von seinem Stellvertreter Jossif Stanislawowitsch Unschlicht übernommen.<ref name="Villemarest: GRU, S" />
Nach dem Aufenthalt im Fernen Osten war Bersin unter dem Decknamen Grischin von Juli 1936 bis Juli 1937 oberster sowjetischer Militärberater im Spanischen Bürgerkrieg in Madrid.<ref name="Fischer">Fischer: Russia’s Road from Peace to War, S. 277–278</ref><ref>Orlow: Kreml-Geheimnisse, S. 279</ref> An der Stelle von Unschlicht wurde Semjon Petrowitsch Urizki mit der stellvertretenden Leitung der GRU betraut. Bersin unterstand in Spanien ein getarntes, aus Spezialisten bestehendes Expeditionskorps der Roten Armee mit einer Stärke von 2.000 Soldaten. De facto war er während seines Aufenthaltes der Befehlshaber der republikanischen Truppen.<ref>Kriwitzki: Ich war Stalins Agent, S. 113</ref> Bersin reorganisierte die republikanischen Streitkräfte und bewirkte die Ernennung des Generals Jose Miaja zum Oberbefehlshaber. Ihm gelang Ende 1936 und im Januar und Februar 1937 die erfolgreiche Verteidigung der spanischen Hauptstadt Madrid gegen Offensiven der Truppen Francos. (→Belagerung von Madrid)<ref>Kriwitzki: Ich war Stalins Agent, S. 116–117</ref> Im März 1937 erstellte Bersin einen Bericht an Woroschilow, in dem er sich über die Terrormaßnahmen der NKWD in Spanien beklagte, für deren Durchführung Alexander Michailowitsch Orlow verantwortlich war. (→Andreu Nin) Gegenüber den GRU-Angehörigen wurde von Seiten Stalins und Woroschilows beteuert, dass die von Bersin geschilderten Maßnahmen falsch seien; tatsächlich wurde dem NKWD-Agenten Orlow weiterhin freie Hand gelassen. Nachdem sein Stellvertreter Urizki durch das NKWD verhaftet worden war, musste Bersin eilig über Paris in die Sowjetunion zurückreisen.<ref name="ReferenceA" />
Nach seiner Rückkehr übernahm Bersin am 9. Juni 1937<ref>[2] Kopie des Versetzungsbefehls (abgerufen am 21. November 2010)</ref> wieder seinen Posten als Chef der GRU.<ref name="PolmarAllen" /> Er wurde aufgrund seiner Leistungen in Spanien mit dem Leninorden ausgezeichnet<ref name="Gorbunow">[3] Jewgeni Alexandrowitsch Gorbunow: Nähere Betrachtung Bersins, Nesawissimaja Gaseta 7. Dezember 2007, (abgerufen am 30. August 2008)</ref> und zum Armeekommandeur zweiten Ranges<ref group="A">Ein in der Roten Armee von 1935 bis 1940 existierender Rang, der dem eines Armeegenerals entsprach. (→Sowjetische Generalsränge)</ref> befördert.<ref name="Sowjetenzyklopädie">Große Sowjetenzyklopädie; Lemma БЕРЗИН (Берзинь; наст. фам. и имя Кюзис Петерис; парт, псевд. Папус) Ян Карлович; abgerufen am 30. August 2008</ref>
Verhaftung und Hinrichtung
Auf Betreiben des Volkskommissars für Verteidigung Woroschilow<ref name="Gorbunow" /> fiel Bersin den Säuberungen in der Roten Armee zum Opfer, obwohl kein kompetenter Nachfolger für seinen Posten als Leiter der GRU zur Verfügung stand und er selbst immer loyal gegenüber Stalin und der KPdSU gewesen war.<ref name="Gorbunow" /> Er wurde am 27. November 1937 von der NKWD verhaftet. Öffentlich wurde dieser Schritt von Stalin auf einer Konferenz damit begründet, dass die sowjetische Militärspionage von den Deutschen unterwandert worden sei.<ref name="Ostrowski">A. Ostrowski: Top Secret. Of special interest.; Sovietsky Voin, Dezember 1990</ref> Ob das tatsächlich der Fall war, wird auch heute noch in Russland diskutiert.<ref name="Gorbunow" /> Am 15. Februar 1938 wurde Bersin zusammen mit 15 weiteren verhafteten Funktionären als „Volksfeind“ aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.<ref name="Gorbunow" /> Am 29. Juli 1938 verurteilte man Bersin wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären terroristischen Organisation zum Tode. Er wurde daraufhin in Kommunarka bei Moskau erschossen.<ref name="Memorial" />
Am 28. Juli 1956 wurde Bersin im Zuge der Entstalinisierung juristisch rehabilitiert.<ref name="Memorial" />
Auszeichnungen
Bersin erhielt während seiner Dienstzeit außer dem Leninorden den Rotbannerorden und den Orden des Roten Sterns.<ref name="Sowjetenzyklopädie" />
Literatur
- Lew Alexandrowitsch Besymenski: Stalin und Hitler – Das Pokerspiel der Diktatoren; Aufbau Verlag Berlin 2004; ISBN 3-7466-8109-X
- Louis Fischer: Russia’s Road from Peace to War; Harper and Row Pub. New York; 1969
- Овидий Александрович Горчаков: Ян Берзин — командарм ГРУ (Owidii Alexandrowitsch Gortschakow: Jan Bersin - Kommandant der GRU); Newa-Verlag Sankt Petersburg 2004; ISBN 978-5-7654-3383-9
- Walter Germanowitsch Kriwitzki: Ich war Stalins Agent; Trotzdem-Verlag Grafenau-Döffingen 1990; ISBN 3-922209-33-5
- Александр Колпакиди, Александр Север: ГРУ. Уникальная энциклопедия (Alexander Kolpakidi, Alexander Sewer: GRU: Einzige Enzyklopädie); Verlag Jausa-Exmo Moskau 2009; ISBN 978-5-699-30920-7
- В.М.Лурье, В.Я.Кочик: ГРУ: дела и люди (W. M. Lure, W. Ja. Kotschik: GRU: Tätigkeit und Personal); Newa-Verlag Sankt Petersburg ; ISBN 978-5-7654-1499-0
- Alexander Michailowitsch Orlow: Kreml-Geheimnisse; Marienburg-Verlag Würzburg 1953
- Norman Polmar, Thomas B. Allen: Spy Book. The Encyclopedia of Espionage; Greenhill Books London 1997; ISBN 1-85367-278-5
- Lennart Samuelson: Plans for Stalins War Machine – Tukhachevskii and Military-Economic Planning, 1925–1941; St. Martins Press Inc. New York 2000; ISBN 0-312-22527-X
- Viktor Suworow: GRU - Die Speerspitze; Barett-Verlag Solingen 1995; ISBN 3-924753-18-0
- Viktor Suworow: Soviet Military Intelligence; Grafton 1986; ISBN 0-586-06596-2
- Witold S. Sworakowski (ed.): World Communism: A Handbook, 1918–1965; Hoover Institution Press Stanford, 1973
- Pierre de Villemarest: GRU, le plus secret des services soviétiques 1918–1988; Éditions Stock Paris 1988; ISBN 2-234-02119-7
- Jeanne Vronskaya, Vladimir Chuguev: A biographical dictionary of the Soviet Union 1917–1988; London u.a. K. G. Saur 1989; ISBN 0-86291-470-1
- Sowjetische Militärenzyklopädie; Moskau 1932–1933 (unveröffentlichte, einzige zeitgenössische Erwähnung Bersins in einem Lexikon bis 1956) (online)
- Они руководили ГРУ. Сборник биографических очерков (Sie leiteten die GRU. Sammlung von Biografien); Издательский дом "Русская Разведка" (Verlag "Russische Aufklärung") Moskau 2005; ISBN 5-94013-032-X
Weblinks
- Jewgeni Alexandrowitsch Gorbunow: Nähere Betrachtung Bersins in der Onlineausgabe der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta (russisch)
- Artikel Jan Bersin in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (BSE), 3. Auflage 1969–1978 (russisch)
- Biografie Bersins in der russischen Geschichtszeitschrift Chronos (russisch)
- Janis Berzins. The Head of Intelligence Service, Dokumentarfilm 1990 35 mm, 90 min, Regie: Romualds Pipars (englisch)
- Notiz von Nikolai Jeschow an Stalin mit einer Liste von Personen, die durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR verurteilt werden sollen, vom 26. Juli 1938 (russisch)
Anmerkungen
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Einzelnachweise
<references />
Personendaten | |
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NAME | Bersin, Jan Karlowitsch |
ALTERNATIVNAMEN | Берзин, Ян Карлович (russisch); Kjusis, Peteris; Iwanowitsch, Pawel; Papus (Parteiname) |
KURZBESCHREIBUNG | Chef des militärischen Aufklärungsdienstes der Roten Armee |
GEBURTSDATUM | 25. November 1889 |
GEBURTSORT | Kligen bei Jaunpils, Gouvernement Livland, Russisches Kaiserreich |
STERBEDATUM | 29. Juli 1938 |
STERBEORT | Kommunarka bei Moskau |