Kapazität (Wirtschaft)
Kapazität (eng. „capacity“) ist in der Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre die maximal dem Produktionsprozess in einem bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehende Anzahl an Personal, Maschinen, Werkzeugen und Räumen.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Da Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Erkenntnisobjekte zum Gegenstand haben, ist die Definition des Begriffes Kapazität unterschiedlich ausgefallen. Einzige Gemeinsamkeit in beiden Disziplinen ist die maximale Leistungsfähigkeit von Produktionsfaktoren je Zeiteinheit. Die Volkswirtschaftslehre befasst sich dabei primär mit Fragen zu Produktionspotenzialen und Engpass-Sektoren, die das Bruttoinlandsprodukt limitieren können und Kapazitätsauslastungen. Ansonsten greift sie im Rahmen einer Aggregation auf die einzelnen betrieblichen Kapazitäten zurück, die die Betriebswirtschaftslehre liefert.
Betriebswirtschaft
Die Kapazität eines Produktionssystems hängt von drei Komponenten ab, nämlich der Intensität mit der produziert wird, der Anzahl der vorhandenen Aggregate (Maschinen) bzw. der Anzahl der Arbeitskräfte und dem Zeitraum, in welchem sie eingesetzt werden.<ref>Hans Corsten, Ralf Gössinger: Produktionswirtschaft. 12., vollst. überarb. und erw. Auflage. Oldenbourg, München 2009,S. 10-14</ref> Wird der Zeitraum, in welchem Produktionsfaktoren zum Einsatz kommen, verkürzt (etwa durch Arbeitszeitverkürzung), so verringert sich die Kapazität und umgekehrt. Ein zwecks Kapazitätsmessung gewählter langer Zeitraum zeigt Kapazitätsschwankungen eher auf als ein kurzer.<ref>Kurt Wille, Kapazitätsermittlung in der Unternehmung, 1985, S. 27 f.</ref>
Während die Kapazität die maximal mögliche mengenmäßige Produktion wiedergibt, macht die Kapazitätsauslastung (Ausbringungsmenge) Aussagen über die tatsächlich produzierte Menge im Verhältnis zur maximal möglichen Menge. Entsprechend ist der Kapazitätsauslastungsgrad (oder kurz Auslastungsgrad) der Prozentsatz, zu dem die mit 100 % angenommene Kapazität tatsächlich genutzt wird. Die Intensität gibt Auskunft darüber, ob durch technische Möglichkeiten (Erhöhung der Ausbringungsmenge pro Zeiteinheit) oder zeitliche Optionen (Einführung von Schichtarbeit) die Kapazität erhöht werden kann. Um Kapazitäten zu messen, muss deshalb die Intensität konstant bleiben.
Arten
Die Betriebswirtschaftslehre beschreibt eine Vielzahl von Kapazitätsarten. Erich Gutenberg und Konrad Mellerowicz haben sich vorwiegend mit der qualitativen und quantitativen Kapazität auseinandergesetzt, doch werden darüber hinaus noch eine Reihe weiterer Arten erörtert.<ref>Carl Ruberg, Begriff der Betriebskapazität und deren Messung in Handelsbetrieben, in: ZfB 1953, S. 465 ff. mit weiteren Nachweisen</ref> Nach Produktionsfaktoren kann man zwischen der Arbeits- oder Personalkapazität, Beschaffungskapazität und der Maschinenkapazität unterscheiden. Da zudem auch betriebliches Kapital, sei es in Form von Eigenkapital oder Fremdkapital, nur begrenzt zur Verfügung steht, kann man auch von einer finanziellen Kapazität sprechen. Gutenberg sieht entsprechend eine Inanspruchnahme der finanziellen Kapazität bei Investitionen.<ref>Erich Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Band 3: Die Finanzen, 1969, S. 333</ref> Steht nämlich Eigen- und Fremdkapital nicht zur Verfügung, können notwendige maschinelle Investitionen nicht vorgenommen werden, so dass der Finanzsektor einen Engpass darstellt.<ref>Bei Kreditinstituten ist der finanzielle Wertsektor sogar ein eigenständiger Produktionsfaktor.</ref>
Weitere Arten:
- Quantitative Kapazität: maximal realisierbare Ausbringungsmenge bei konstanten Intensitäten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.
- Mengenbegrenzung: Maximalkapazität ist die technisch mögliche Ausbringungsmenge aufgrund der gegebenen technischen Daten einzelner Betriebsmittel, ohne wirtschaftlichen Aspekten Rechnung zu tragen; vor Erreichen der technischen Kapazität steigen die Stückkosten überproportional an.<ref>Heinz-Josef Bontrup, Volkswirtschaftslehre: Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, 2004, S. 229</ref> Viele Betriebsmittel besitzen eine technische Minimalkapazität. Sie sind nur dann arbeitsfähig, wenn sie eine bestimmte Leistungsuntergrenze erbringen. Ihre Funktionssicherheit nimmt ab oder ist sogar nicht mehr gewährleistet, wenn diese Minimalkapazität unterschritten wird. So sind für bestimmte Seeschiffe mindestens zwei Schlepper erforderlich.<ref>Peter Metge, Verkehrswissenschaftliche Forschungen: Die Struktur der Hafenschifffahrt, 1964, S. 78</ref> Die Optimalkapazität liegt in der Regel zwischen der Minimal- und Maximalkapazität und kennzeichnet die Ausbringungsmenge, bei der eine Ressource den höchsten Wirkungsgrad aufweist und damit am kostengünstigsten arbeitet.<ref>Holger Beckmann, Prozessorientiertes Supply Chain Engineering, 2012, S. 235</ref> Es handelt sich konkret um das Produktionsvermögen eines Betriebes am optimalen Kostenpunkt mit den geringsten Stückkosten. Die gewinnmaximale Kapazität ist bei Mengenanpassern mit vorgegebenem Marktpreis diejenige Ausbringungsmenge, bei der die Grenzkosten mit dem Preis identisch sind.
- erfahrungsmäßige Produktionsmenge: Durchschnitts- und Normalkapazität. Bei der Normalkapazität wird die durchschnittliche Kapazitätsauslastung der Vergangenheit zugrunde gelegt.
- Leistungsbeurteilung: technische und wirtschaftliche Kapazität. Mit der wirtschaftlichen Minimalkapazität ist eine wirtschaftliche Mindestauslastung verbunden, weil mit Unterschreitung dieser Minimalkapazität die Nutzung unwirtschaftlich wird.<ref>Joachim Funk/Herbert Hax/Erich Potthoff (Hrsg.), Kapazitätsrisiken und Unternehmenspolitik, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft, Band 18, 1984, S. 27</ref>
- Qualitative Kapazität: drückt aus, mit welcher größtmöglichen Güte und Präzision die vorhanden Produktionsfaktoren für die Leistungserstellung ausgestattet sind; auch die gegenseitige Harmonisierung der Produktionsfaktoren gehört hierzu. Konrad Mellerowicz weist darauf hin, dass bei Fließfertigung eine volle Abstimmung der Betriebselemente aufeinander gewährleistet sein muss.<ref>Konrad Mellerowicz, a.a.O., S. 38 f.</ref> Sowohl die Personal- als Betriebsmittelkapazitäten besitzen eine qualitative Komponente.<ref>Jörg Rösner, Service, 1998, S. 41</ref>
- realisierbare oder verfügbare Kapazität: ergibt sich durch die Berücksichtigung von personellen (Fluktuation, Krankenstand) und maschinellen (Wartungsarbeiten, Störungen) Ausfallzeiten.
Ermittlung der Kapazität
Bei einer einzelnen Produktionsmaschine kann die Produktionskapazität leicht ermittelt werden. Anhand der technischen Daten des Herstellers sei etwa der technisch mögliche Ausstoß einer Maschine I im 8-Stunden-Betrieb auf 9600 Produktionseinheiten begrenzt, ohne dass es zu technischen Fehlern kommt. Das bedeutet, dass diese Maschine 20 Stück pro Minute herstellen kann; dies ist die technische Maximalkapazität. Hiervon sind Wartung/Störungen, Arbeitspausen und Debugging der Software abzuziehen, so dass eine technische Maximalkapazität von 15 Stück/Minute übrigbleibt. Es ist jedoch aufgrund der stärkeren technischen Abnutzung nicht opportun, diese technische Maximalkapazität auf Dauer auszunutzen. Vielmehr wird aufgrund von betrieblichen Erfahrungswerten mit anderen Maschinen dieses Typs angenommen, dass die realisierbare wirtschaftliche Maximalkapazität bei 12 Stück pro Minute (also 80 % der technischen Maximalkapazität) liegt. Die produzierten 12 Stück/Minute werden sodann automatisch zu einer weiter verarbeitenden Maschine II anderen Typs transportiert, deren wirtschaftliche Maximalkapazität jedoch lediglich bei 10 Stück/Minute liegt. Dann besteht ein Engpass-Sektor, der auch die wirtschaftliche Maximalkapazität der Maschine I auf 10 Stück/Minute begrenzt, sofern es nicht sinnvoll ist, die Überschussproduktion der Maschine I zu lagern.
Kapazitätsengpass
Der Engpass (engl. bottleneck, „Flaschenhals“) ist eine Stockung im Produktionsprozess, die durch knappe Kapazitäten auftritt. Ein Engpass taucht im Produktionsprozess auf, wenn die bereitstehenden Teilkapazitäten nicht ausreichen, um die Produktionserfordernisse zu bewältigen. Die mögliche Produktionsauslastung übersteigt dann die verfügbare Kapazität.<ref>Charles T. Horngren/George Foster/Srikant M. Dalar, Kostenrechnung: Entscheidungsorientierte Perspektive, 2001, S. 661</ref> Kapazitätsengpässe können in Unternehmen häufig auftauchen; die Beseitigung eines Engpasses bringt das Auftreten anderer Engpässe mit sich.<ref>Hans Bartels in: Lexikon der Unternehmensführung, 1973, S. 65</ref> Es komme daher nicht darauf an, alle Engpässe zu beseitigen, sondern sie aufeinander abzustimmen. Das ist Gegenstand der Engpassplanung. Der Engpass bestimmt die maximal mögliche Auslastung pro Zeiteinheit, er beschränkt die Leistung der ganzen Kette.<ref>Torsten Becker, Prozesse in Produktion und Suplly Chain optimieren, Band 10, 2008, S. 54</ref> Die Gesamtkapazität wird von dem Sektor mit der geringsten Kapazität – dem Engpass – beschränkt. Sektoren, in denen Engpässe auftauchen, heißen Minimumsektor.<ref>Erich Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band, 1963, S. 164</ref> Der Engpass des Minimumsektors begrenzt die betriebliche Gesamtkapazität. Vom Minimumsektor geht eine die betriebliche Leistung beeinträchtigende Wirkung aus, die es gilt, durch Engpassplanung zu beseitigen. Ziel der Engpassplanung ist die Optimierung des Fertigungsflusses.<ref>Rolf Bühner, Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, 2004, S. 264</ref> Unternehmen mit standardisierten Massenprodukten benötigen eine andere Art der Engpassplanung als solche mit auftragsbezogener oder Einzelfertigung.
Anpassung
Unternehmen können ihre Kapazitätsengpässe auch durch verschiedene Anpassungsformen verändern:
- intensitätsmäßige Anpassung: Produktionsprozesse werden beschleunigt (Fließbandgeschwindigkeit, Schichtarbeit);
- zeitliche Anpassung: Einführung von Überstunden, Kurzarbeit;
- quantitative Anpassung durch mengenmäßige Erhöhung der Produktionsfaktoren.
- selektive Anpassung durch Ausscheiden der weniger guten Arbeitnehmer und Maschinen.
Kapazitätserhöhungen bedürfen finanzieller Investitionen in Maschinen und Personal und erfolgen in der Regel nur bei bereits mittelfristig ausgelasteten Kapazitäten.
Beseitigung
Mit Kurzfristigen Kapazitätsengpässen beschäftigt sich die Kapazitätsterminierung. Strategien zur Beseitigung von Engpässen sind:<ref>Corsten: Produktionswirtschaft 6. Auflage, S. 608, Abbildung 208</ref>
- Verfügbare Kapazität erhöhen
- beim Personal: Überstunden, Springer, Zeitarbeit, Schichtbetrieb;
- bei Produkten (Beschaffung und Absatz): Lager;
- bei Maschinen: Produktionsüberwachung und zeitliche Sollvorgaben für einzelne Produktionsschritte, Inbetriebnahme stillgelegter Aggregate.
- Benötigte Kapazität verringern
- Instandhaltungsmaßnahmen verschieben
- Auftragsbestand reduzieren
- Vergabe an andere Betriebswirtschaften
Kapazitätsbegriffe
Überkapazität ist eine im Vergleich zu den Absatzmöglichkeiten überhöhte Kapazität, die eine geminderte Rentabilität bewirkt und auf Dauer zu einer Unternehmenskrise führen kann. Volkswirtschaftliche Überkapazitäten können eine Krise und Depression auslösen. Leerkapazitäten sind nicht auslastbare Teile von Kapazitäten wie sie etwa insbesondere durch Engpässe oder Überkapazitäten entstehen können. Durch die wirtschaftliche Maximalkapazität der Maschine II entsteht im Beispiel eine Leerkapazität von 2 Stück/Minute, entsprechende Fixkosten heißen Leerkosten. Mit der geschaffenen Kapazität sind Fixkosten verbunden (Zeitentlohnung der Arbeitskräfte, maschinelle Abschreibungen, Kreditzinsen), die auch ohne Produktion anfallen. Diese Kosten heißen auch Bereitschaftskosten, die bei einem Rückgang der Beschäftigung nur unterproportional sinken (Kostenremanenz). Je höher der Fixkostenanteil an den Gesamtkosten ist (fixkostenintensive Betriebe wie Airlines), umso höher müssen die vorhandenen Kapazitäten ausgelastet werden, um den Break-even-Punkt zu erreichen. Nutzkapazitäten sind entsprechend der Teil der Kapazität, der ausgelastet ist. Kapazitätsabstimmung oder Kapazitätsabgleich ist der Abgleich der verfügbaren Kapazität mit dem Kapazitätsbedarf (siehe: Betriebsmittelbedarf).
Volkswirtschaft
Vor diesem Hintergrund zeigen einige empirische Zahlen die Kapazitätssituation der deutschen Wirtschaft. Der Kapazitätsverlust der deutschen Wirtschaft durch den Zweiten Weltkrieg lag in den drei Westzonen 1948 bei lediglich 15,4 % der Kapazität von 1936, wovon 8,1 % auf Kriegszerstörungen und 7,3 % auf Demontagen durch die Alliierten entfielen,<ref>Heinz-Josef Bontrup, a.a.O., S. 133</ref> während die Auslastung der Produktionskapazität 1932 nur etwa 45 % betrug.<ref>Josef Puhani, a.a.O., S. 93</ref> Nach Beginn der Finanzkrise ab 2007 sank in Deutschland die Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe von 88,2 % auf den Tiefpunkt 2009 auf 70,2 %, um 2013 wieder das Niveau von 83,2 % zu erreichen.<ref>TradingEconomics vom 15. November 2013, Deutschland</ref>
Weblinks
- Kapazitätsauslastung der US-Industrie (englisch)
Siehe auch
Einzelnachweise
<references />