Sinus und Kosinus
Sinus- und Kosinusfunktion (auch Cosinusfunktion) sind elementare mathematische Funktionen. Vor Tangens und Kotangens, Sekans und Kosekans bilden sie die wichtigsten trigonometrischen Funktionen. Sinus und Kosinus werden unter anderem in der Geometrie für Dreiecksberechnungen in der ebenen und sphärischen Trigonometrie benötigt. Auch in der Analysis sind sie wichtig.
Wellen wie Schallwellen, Wasserwellen und elektromagnetische Wellen lassen sich als aus Sinus- und Kosinuswellen zusammengesetzt beschreiben, sodass die Funktionen auch in der Physik als harmonische Schwingungen allgegenwärtig sind.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Herkunft des Namens
- 2 Geometrische Definition
- 3 Analytische Definition
- 4 Wertebereich und spezielle Funktionswerte
- 5 Berechnung
- 6 Umkehrfunktion
- 7 Zusammenhang mit dem Skalarprodukt
- 8 Zusammenhang mit dem Kreuzprodukt
- 9 Additionstheoreme
- 10 Ableitung und Integration von Sinus und Kosinus
- 11 Anwendungen
- 12 Siehe auch
- 13 Literatur
- 14 Weblinks
- 15 Einzelnachweise
Herkunft des Namens
Die lateinische Bezeichnung „Sinus“ „Bogen, Krümmung, Busen“ für diesen mathematischen Begriff wählte Gerhard von Cremona 1175<ref>J. Ruska: Zur Geschichte des „Sinus“. In: Zeitschrift für Mathematik und Physik. Teubner, Leipzig 1895. S. 126ff. Auch online zugänglich: Digitalisierungszentrum der Universität Göttingen</ref> als Übersetzung der arabischen Bezeichnung „gaib oder jiba“ (جيب) „Tasche, Kleiderfalte“, selbst entlehnt von Sanskrit „jiva“ „Bogensehne“ indischer Mathematiker.
Die Bezeichnung „Cosinus“ ergibt sich aus complementi sinus, also Sinus des Komplementärwinkels. Diese Bezeichnung wurde zuerst in den umfangreichen trigonometrischen Tabellen verwendet, die von Georg von Peuerbach und seinem Schüler Regiomontanus erstellt wurden.<ref>Josef Laub (Hrsg.) Lehrbuch der Mathematik für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 2. Band. 2. Auflage. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1977, ISBN 3-209-00159-6. S. 207.</ref>
Geometrische Definition
Definition am rechtwinkligen Dreieck
Alle ebenen, zueinander ähnlichen Dreiecke haben gleiche Winkel und gleiche Längenverhältnisse der Seiten.
Diese Eigenschaft wird benutzt, um Berechnungen am rechtwinkligen Dreieck durchzuführen. Sind nämlich die Längenverhältnisse im rechtwinkligen Dreieck bekannt, lassen sich die Maße von Winkeln und die Längen von Seiten berechnen. Deshalb haben die Längenverhältnisse im rechtwinkligen Dreieck auch besondere Namen.
Die Längenverhältnisse der drei Seiten im rechtwinkligen Dreieck sind nur abhängig vom Maß der beiden spitzen Winkel. Da aber das Maß eines dieser Winkel das Maß des anderen Winkels bereits festlegt (die Winkelsumme der beiden spitzen Winkel im rechtwinkligen Dreieck beträgt stets 90°), hängen die Längenverhältnisse im rechtwinkligen Dreieck nur vom Maß eines der beiden spitzen Winkel ab.
Deshalb werden die Längenverhältnisse in Abhängigkeit eines der beiden spitzen Winkel wie folgt definiert:
Der Sinus eines Winkels ist das Verhältnis der Länge der Gegenkathete (Kathete, die dem Winkel gegenüberliegt) zur Länge der Hypotenuse (Seite gegenüber dem rechten Winkel).
- <math>\text{Sinus eines Winkels}
= \frac{\text{Gegenkathete des Winkels}}{\text{Hypotenuse}}</math>
Der Kosinus ist das Verhältnis der Länge der Ankathete (das ist jene Kathete, die einen Schenkel des Winkels bildet) zur Länge der Hypotenuse.
- <math>\text{Kosinus eines Winkels}
= \frac{\text{Ankathete des Winkels}}{\text{Hypotenuse}}</math>
Bei den für Dreiecke üblichen Bezeichnungen der Größen (siehe Abb.) gilt hier:
- <math>\sin (\alpha) = \frac{a}{c} \quad \text{und} \quad \cos (\alpha) = \frac{b}{c}</math>
Da die Hypotenuse die längste Seite eines Dreiecks bezeichnet (denn sie liegt dem größten Winkel, also dem rechten Winkel, gegenüber), bestehen die Ungleichungen <math>\sin\left(\alpha\right)\leq 1</math> und <math>\cos\left(\alpha\right)\leq 1</math>.
Wird statt von α von dem gegenüberliegenden Winkel β ausgegangen, so wechseln beide Katheten ihre Rolle, die Ankathete von α wird zur Gegenkathete von β und die Gegenkathete von α bildet nun die Ankathete von β und es gilt
- <math>\sin (\beta) = \frac{b}{c}</math>
und
- <math>\cos (\beta) = \frac{a}{c}</math>
Da im rechtwinkligen Dreieck <math>\alpha + \beta = 90^\circ</math> gilt, folgt
- <math>\cos (\alpha) = \sin(90^\circ - \alpha) = \sin(\beta)</math>
und
- <math>\sin (\alpha) = \cos(90^\circ - \alpha) = \cos(\beta)</math>.
Auf dieser Beziehung beruht auch die Bezeichnung Kosinus als Sinus des Komplementärwinkels.
Aus dem Satz des Pythagoras lässt sich die Beziehung („trigonometrischer Pythagoras“) ableiten:
- <math>\sin^2 \left(\alpha\right) + \cos^2 \left(\alpha\right) = 1</math>.
Im rechtwinkligen Dreieck sind Sinus und Kosinus nur für Winkel zwischen 0 und 90 Grad definiert. Für beliebige Winkel wird der Wert der Sinus-Funktion als y-Koordinate und der der Kosinus-Funktion als x-Koordinate eines Punktes am Einheitskreis (siehe unten) benutzt. Hier ist es üblich, den Wert, auf den die Funktion angewendet wird (hier: den Winkel), als Argument zu bezeichnen. Dies betrifft insbesondere die Winkelfunktionen und die komplexe Exponentialfunktion (siehe unten).
Definition am Einheitskreis
<math>\overline{CP} = \sin b</math>, <math>\overline{SP} = \cos b</math>
Im rechtwinkligen Dreieck ist der Winkel zwischen Hypotenuse und Kathete nur für Werte von 0 bis 90 Grad definiert. Für eine allgemeine Definition wird ein Punkt <math>P</math> mit den Koordinaten <math>(x,y)</math> auf dem Einheitskreis betrachtet, hier gilt <math>x^2+y^2=1</math>. Der Ortsvektor von <math>P</math> schließt mit der <math>x</math>-Achse einen Winkel <math>\alpha</math> ein. Der Koordinatenursprung <math>(0,0)</math>, der Punkt <math>(x,0)</math> auf der <math>x</math>-Achse und der Punkt <math>P(x,y)</math> bilden ein rechtwinkliges Dreieck. Die Länge der Hypotenuse beträgt <math>\sqrt{x^2+y^2}=1</math>. Die Ankathete des Winkels <math>\alpha</math> bezeichnet die Strecke zwischen <math>(0,0)</math> und <math>(x,0)</math> und hat die Länge <math>x</math>, es gilt also
- <math>\cos(\alpha)=x</math>.
Die Gegenkathete des Winkels <math>\alpha</math> ist die Strecke zwischen <math>(x,0)</math> und <math>(x,y)</math> und hat die Länge <math>y</math>, es gilt also
- <math>\sin(\alpha)=y</math>.
Daraus folgt durch den Strahlensatz die Definition des Tangens:
- <math>\tan\alpha =\frac{\sin\alpha}{\cos\alpha}</math>
Dieser entspricht der Strecke von <math>(1,0)</math> bis <math>(1,T)</math> in der Zeichnung rechts.
Die <math>y</math>-Koordinate eines Punktes im ersten Quadranten des Einheitskreises entspricht also dem Sinus des Winkels zwischen seinem Ortsvektor und der <math>x</math>-Achse, während die <math>x</math>-Koordinate dem Kosinus des Winkels entspricht. Eine Fortsetzung ergibt eine Definition von Sinus und Kosinus für beliebige Winkel.
Für negative Winkel gilt die Beziehung
- <math>\sin(-\alpha)= -\sin(\alpha)</math>
und
- <math>\cos(-\alpha)= \cos(\alpha)</math>,
aus der sich Sinus und Kosinus für den vierten Quadranten, also Winkel zwischen −90 und 0 Grad berechnen lassen. Der Sinus ist also eine ungerade Funktion, der Kosinus eine gerade.
Für Winkel größer 90 Grad gilt
- <math>\sin(90^\circ+\alpha)=\sin(90^\circ-\alpha)</math>
und
- <math>\cos(90^\circ+\alpha)=-\cos(90^\circ-\alpha)</math>,
womit sich Sinus und Kosinus für den zweiten und dritten Quadranten, also Winkel zwischen 90 und 270 Grad, berechnen lassen.
Für Winkel kleiner als 90 Grad und größer als 270 Grad ergeben sich Sinus und Kosinus aus den Beziehungen
- <math>\sin(\alpha)= \sin(\alpha+360^\circ)</math>
und
- <math>\cos(\alpha)= \cos(\alpha+360^\circ)</math>;
Sinus und Kosinus sind also periodische Funktionen mit der Periode 360 Grad. Die Entstehung der Sinus- und Kosinusfunktion aus der Winkelbewegung veranschaulicht das Bild rechts. Im Einheitskreis entspricht die Bogenlänge (grün) dem Winkel im Bogenmaß.
- <math>360^\circ\ {\hat=}\ 2 \cdot \pi</math>
Die Strecke auf der x-Achse (ebenfalls grün) ist somit bei beiden Funktionen gleich der Bogenlänge.
Analytische Definition
Die geometrischen Überlegungen zum Sinus und Kosinus sind eher heuristischer Natur. Sinus und Kosinus können auch auf einer axiomatischen Basis behandelt werden; dieser formalere Zugang spielt auch in der Analysis eine Rolle. Die analytische Definition erlaubt zusätzlich die Erweiterung auf komplexe Argumente. Sinus und Kosinus als komplexwertige Funktion aufgefasst sind holomorph und surjektiv.
Motivation durch Taylorreihen
Durch den Übergang vom Winkelmaß zum Bogenmaß können Sinus und Cosinus als Funktionen von <math>\R</math> nach <math>\R</math> erklärt werden. Es kann nachgewiesen werden, dass sie beliebig oft differenzierbar sind. Für die Ableitungen im Nullpunkt gilt:
- <math>
\sin^{(4n+k)}(0)=\left\{\begin{matrix} 0 & \text{wenn } k=0 \\ 1 & \text{wenn } k=1 \\ 0 & \text{wenn } k=2 \\ -1 & \text{wenn } k=3 \end{matrix}\right. \qquad \cos^{(4n+k)}(0)=\left\{\begin{matrix} 1 & \text{wenn } k=0 \\ 0 & \text{wenn } k=1 \\ -1 & \text{wenn } k=2 \\ 0 & \text{wenn } k=3 \end{matrix}\right. </math>. Die Wahl des Bogenmaßes führt dazu, dass hier die Werte <math>\pm 1</math> auftreten. Die sich daraus ergebenden Taylorreihen stellen die Funktionen <math>\sin(x)</math> und <math>\cos(x)</math> dar, das heißt:
- <math>\sin (x) = \sum_{n=0}^\infty (-1)^n\frac{x^{2n+1}}{(2n+1)!} = \frac{x}{1!}-\frac{x^3}{3!}+\frac{x^5}{5!}\mp\dotsb</math>
- <math>\cos (x) = \sum_{n=0}^\infty (-1)^n\frac{x^{2n}}{(2n)!} = \frac{x^0}{0!}-\frac{x^2}{2!}+\frac{x^4}{4!}\mp\dotsb</math>
Reihenentwicklung in der Analysis
In der Analysis geht man von einer Reihenentwicklung aus und leitet umgekehrt daraus alles her, indem die Funktionen sin und cos durch die oben angegebenen Potenzreihen erklärt werden. Mit dem Quotientenkriterium lässt sich zeigen, dass diese Potenzreihen für jede komplexe Zahl <math>x</math> absolut und in jeder beschränkten Teilmenge der komplexen Zahlen gleichmäßig konvergieren. Diese unendlichen Reihen verallgemeinern die Definition des Sinus und des Kosinus von reellen auf komplexe Argumente. Auch <math>\pi</math> wird dort üblicherweise nicht geometrisch, sondern beispielsweise über diese cos-Reihe und die Beziehung <math>\cos\left(\tfrac{\pi}{2}\right)=0</math> als das Doppelte der kleinsten positiven Nullstelle der Kosinusfunktion definiert. Damit ist eine präzise analytische Definition von <math>\pi</math> gegeben.
Für kleine Werte zeigen diese Reihen ein sehr gutes Konvergenzverhalten. Zur numerischen Berechnung lassen sich daher die Periodizität und Symmetrie der Funktionen ausnutzen und den <math>x</math>-Wert bis auf den Bereich <math>-\pi/4</math> bis <math>\pi/4</math> reduzieren. Danach sind für eine geforderte Genauigkeit nur noch wenige Glieder der Reihe zu berechnen. Das Taylorpolynom der Kosinusfunktion bis zur vierten Potenz z. B. hat im Intervall <math>\!</math> der auf dem Intervall <math>[-\pi,\pi]\!</math> bezüglich des Lebesgue-Maßes quadratisch integrierbaren Funktionen bilden die Funktionen
- <math>1, \cos nx, \sin nx \quad n=1,2,\dots</math>
ein vollständiges Orthogonalsystem, das sogenannte trigonometrische System. Daher lassen sich alle Funktionen <math>f\in L^2[-\pi,\pi]</math> als Fourierreihe
- <math>S_n(x)=\frac{a_0}{2} + \sum_{k=1}^n (a_k\cos kx + b_k \sin kx)</math>
darstellen, wobei die Funktionenfolge <math>S_n(x)\!</math> in der L2-Norm gegen <math>f(x)\!</math> konvergiert.
Physikalische Anwendungen
In der Physik werden Sinus- und Kosinusfunktion zur Beschreibung von Schwingungen verwendet. Insbesondere lassen sich durch die oben erwähnten Fourierreihen beliebige periodische Signale als Summe von Sinus- und Kosinusfunktionen darstellen, siehe Fourieranalyse.
Elektrotechnische Anwendungen
In der Elektrotechnik sind häufig elektrische Stromstärke I und Spannung U sinusförmig. Wenn sie sich um einen Phasenverschiebungswinkel φ unterscheiden, dann unterscheidet sich die aus Stromstärke und Spannung gebildete Scheinleistung S von der Wirkleistung P.
- <math>S=U\cdot I \quad ;\quad P=U\cdot I\cdot \cos \varphi\quad.</math>
Bei nicht sinusförmigen Größen (z. B. bei einem Netzteil mit herkömmlichem Brückengleichrichter am Eingang) entstehen Oberschwingungen, bei denen sich kein einheitlicher Phasenverschiebungswinkel angeben lässt. Dann lässt sich zwar noch ein Leistungsfaktor angeben
- <math>\text{Leistungsfaktor }\lambda = \frac{|P|}S\quad,</math>
dieser Leistungsfaktor λ darf aber mit cos φ nicht verwechselt werden.
Siehe auch
Literatur
- I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew: Taschenbuch der Mathematik. 19. Auflage. B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig, 1979.
- Kurt Endl, Wolfgang Luh: Analysis I. Eine integrierte Darstellung. 7. Auflage. Aula-Verlag, Wiesbaden 1989.
- Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis – Teil 1. 6. Auflage. Teubner, 1989.
Weblinks
- Java-Applet „Dreieck und Sinussatz“ zur Veranschaulichung
- Interaktive Animation zur Definition von Sinus, Kosinus und Tangens am Einheitskreis
- Interaktive Animation mit Erklärungen zur Sinus- und Kosinusfunktion
- Weitere Funktionswerte von Joachim Mohr
Einzelnachweise
<references />
Primäre trigonometrische Funktionen
Sinus und Kosinus |
Tangens und Kotangens |
Sekans und Kosekans
Umkehrfunktionen (Arkusfunktionen)
Arkussinus und Arkuskosinus |
Arkustangens und Arkuskotangens |
Arkussekans und Arkuskosekans
Hyperbelfunktionen
Sinus Hyperbolicus und Kosinus Hyperbolicus |
Tangens Hyperbolicus und Kotangens Hyperbolicus |
Sekans Hyperbolicus und Kosekans Hyperbolicus
Areafunktionen
Areasinus Hyperbolicus und Areakosinus Hyperbolicus |
Areatangens Hyperbolicus und Areakotangens Hyperbolicus |
Areasekans Hyperbolicus und Areakosekans Hyperbolicus