Leuge
Die Leuge (lat. leuga/leuca, gallisch/keltisch lieska, spanisch/portugiesisch Legua/Legoa/Legue, englisch League, französisch Lieue) ist eine nicht mehr gebräuchliche Längenmaßeinheit außerhalb des Internationalen Einheitensystems.
Sie wurde früher in Europa und Lateinamerika verwendet. Übliche Werte lagen zwischen 2 km und 7 km.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Ursprung und Quellen
Da das Wort Leuge keltischen Ursprungs ist, wird oft angenommen, dass auch die Leuge selbst keltischen Ursprungs sei. Dies kann jedoch nach genauerer Überprüfung der Quellen nicht bestätigt werden. Erwähnungen der Leuge in der antiken Literatur liegen frühestens ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. vor.<ref name="Schrift">U. a. Ammianus Marcellinus 16,12,8; Jordanes Get. 192; Isidor von Sevilla 15,16,1</ref> Als einzige archäologische Quelle dienen Funde von Meilensteinen.<ref>Rathmann 2003 S. 116; Die Inschriften der Meilensteine im relevanten Gebiet sind publiziert in CIL vol. XVII Miliaria imperii Romani. pars II Miliaria provinciarum Narbonensis Galliarum Germaniarum. Edidit Gerold Walser. 1986 ISBN 3-11-004592-3</ref> Von den 677 im Corpus Inscriptionum Latinarum erfassten Nummern sind 472 noch heute erhalten, im relevanten Gebiet der gallischen und germanischen Provinzen 100. Unter diesen fanden sich nur 13 in der Nähe der zugehörigen Römerstraße, der größte Teil wurde verschleppt, zweitverwendet oder die Herkunft ist ungewiss.<ref>Zahlen nach Walser 1981 S. 385 f.</ref>
Eine Überlieferung der festen Größe eines gallischen Wegemaßes aus der Zeit vor der Eroberung Galliens durch Caesar erscheint wenig glaubhaft.<ref>Rathmann 2003 S. 118; Walser 1981 S. 395</ref> Dies wäre nur bei weiterer Verwendung im Straßenbau möglich, da sie entsprechende Vermessung benötigte. Auch liegen keine Schriftquellen über den vorrömischen Straßenbau vor. Für das Straßenbauprogramm des Agrippa und Claudius wurden in Gallien ausschließlich Miliaria mit Meilenzählung verwendet. Gegen den keltischen Ursprung spricht auch die Tatsache, dass die Gallia Narbonensis und die britannischen Provinzen bei der Meilenzählung verblieben sind.
Einführung der Leuge
Die früheste Erwähnung der Leuge findet sich auf einem Meilenstein aus trajanischer Zeit in Aquitanien.<ref>CIL 17-02, 00426</ref> Die Einführung verlief zunächst sowohl zeitlich als auch geographisch uneinheitlich. Der Vorgang ist bisher nur teilweise geklärt, was auf den Mangel an Quellen zurückgeht, und steht offensichtlich in Verbindung mit der Verwaltung der Reichsstraßen. Hierbei ist zu beachten, dass die Inschriften zwar üblicherweise dem Kaiser gewidmet waren, die Steine jedoch von den lokalen civitas-Verwaltungen gesetzt wurden, die auch für die cura viarum (Instandhaltung der Straßen) zuständig waren.
Während die Funde von Meilensteinen mit Leugenzählung unter den Kaisern Trajan, Hadrian und Antoninus Pius Einzelfunde blieben, erfolgte anscheinend unter Septimius Severus eine flächendeckende Einführung in den Tres Galliae (Belgium, Aquitania, Gallia) und den germanischen Provinzen. Eine Erklärung als Zugeständnis an die gallischen Gemeinden ist unverständlich, da der Kaiser den Provinzen, die den Gegenkaiser Clodius Albinus unterstützt hatten, nicht freundlich gesinnt war. Von Walser und Rathmann ist überzeugend dargelegt worden, dass die Einführung wohl wirtschaftlichen Interessen gedient haben könnte. Das würde auch erklären, warum einige Gemeinden an der Grenze zur Narbonensis wie die Colonia Iulia Equestris (Nyon) in Obergermanien, die civitas der Haeduer in der Gallia Lugdunensis oder einige südliche civitates der Aquitania bei der Meilenzählung blieben.<ref>Rathmann 2003 S. 116f. Anm. 693; Walser 1969 S. 84 f.</ref> Dafür schlossen sich mit Germania superior und inferior Provinzen der Leugenzählung an, die nicht zum keltischen Kerngebiet gehörten, was möglicherweise auf eine Nähe zum pes Drusianus, der auch Fuß der Tungrer genannt wurde<ref>Siehe dazu Hygini Gromatici: De Condicionibus Agrorum 11 -[1] Internet-Quelle.</ref>, hindeutet.
Ebenfalls gegen eine zentrale Steuerung sprechen die aus der Einführung resultierenden Schwierigkeiten. Auf der bedeutenden Route Massilia-Augustodunum-Lutetia wurde zunächst nach Meilen, ab dem Gebiet der Segusavii nach Leugen, um Augustodunum nach Meilen und nördlich des Haeduergebiets schließlich wieder nach Leugen gezählt. Die Verwirrung wird noch vergrößert dadurch, dass die alten Meilensteine neben den neuen stehen blieben.<ref>Rathmann 2003 S. 117</ref>
Umrechnung
Die geringe Einheitlichkeit bei der Einführung und die Unkenntnis über das Maß der keltischen Leuge in der römischen Kaiserzeit wird weiterhin durch erhebliche Abweichungen in einigen Regionen deutlich. Ursprünglich bezeichnet eine Leuge die Entfernung, welche ein Mensch in einer Stunde zurücklegen kann, daher das Synonym Wegstunde. Die Leuge wurde in verschiedenen Ländern an das jeweils übliche Maßsystem angebunden, meist zu eineinhalb, zwei oder gar drei Meilen. Aus abermals unterschiedlichen Definitionen von Meilen resultieren große Abweichungen bei den Leugen. Hinzu kommt, dass das Wort Leuge im Deutschen bei Übersetzungen aus anderen Sprachen meist ungenau als „Meile“ übertragen wurde.<ref>Der Roman „20 000 Lieues sous les Mers“ von Jules Verne heißt beispielsweise auf Deutsch „20.000 Meilen unter dem Meer“ statt „20.000 Leugen unter dem Meer“.</ref>
Römische Leuge und Meile
Das Umrechnungsverhältnis Meile zu Leuge von 1,5:1 ist neben Schriftquellen<ref name="Schrift"/> durch mehrere Meilensteinfunde gesichert und wird deshalb in einschlägigen Werken allseits mit 2222 m angegeben.<ref name="laenge"/> Besonders bemerkenswert sind hier zwei Steine aus Mainz-Kastel, von denen der ältere die Entfernung nach Wiesbaden (Aquae Mattiacorum) mit sechs Meilen<ref>CIL 17-02, 00626 (ab Aquis Mattiacorum milia passuum VI).</ref>, der jüngere die gleiche Entfernung mit vier Leugen angibt.<ref>CIL 17-02, 00627 (ab Aquis leugas IIII).</ref> Ebenso nennt ein bei Bingen gefundener Stein aus hadrianischer Zeit die Entfernung von Augusta Treverorum mit 72 Meilen<ref>AE 1979, 417</ref>, während der an derselben Stelle gefundene Stein für Septimius Severus und seine Söhne eine Entfernung von 48 Leugen angibt.<ref>AE 1979, 418</ref>
Die Leuge römischer Zeit entspricht üblicherweise einer Länge von (1 ½ × 1,48 km=) 2,22 km.<ref name="laenge">Rathmann 2003 S. 118 bes. Anm. 95; Chevallier 1997 S. 161; Hans Ulrich Nuber: Zu Wasser und zu Lande. Das römische Verkehrsnetz. In: Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Esslingen 2005, ISBN 3-8062-1945-1, S. 416; Janine Fries-Knoblauch: Die Kelten. 3000 Jahre europäische Kultur und Geschichte. Kohlhammer, Stuttgart 2002, ISBN 3-17-015921-6, S. 133; Thomas Lobüscher in Thomas Fischer: Die Römischen Provinzen. Theiss, Stuttgart 2001 S. 210; Helmut Bender: Römische Straßen und Straßenstationen. Kleine Schriften zur Kenntnis der römischen Besetzungsgeschichte Südwestdeutschlands 13 (Schriften des Limesmuseums Aalen), Stuttgart 1975, S. 12; Hans-Joachim Schalles: Leuga. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 7, Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01477-0, Sp. 99–100.; Thomas Grünewald: Leuga. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 18, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, S. 298–299.; Alexander Demandt: Die Kelten. 7. Auflage. Verlag C. H. Beck, München 2007, ISBN 3-406-44798-8 (C. H. Beck Wissen 2101), S. 95; Margot Klee: Lebensadern des Imperiums. Straßen im römischen Reich. Theiss, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8062-2307-1, S. 76 f.</ref> Der Luftbildarchäologe Jacques Dassié fand jedoch in Aquitanien Belege für eine Leuge von 2450 m<ref>[2], [3]</ref>, die gleiche Länge ermittelte Eric Weijters für Römerstraßen des 2. Jahrhunderts in den südlichen Niederlanden.<ref>Zusammen mit dem AHN und der niederländischen ARCHIS-Datenbank Archäologische Funde und Surveys [4] und [5].</ref> Die Abweichung könnte möglicherweise auf Verwendung des in einigen Teilen der Nordwestprovinzen gebräuchlichen pes Drusianus zurückgehen, da sie genau 7500 Drusianischen Fuß entspricht.<ref>Siehe auch http://vormetrische-laengeneinheiten.de</ref> In jedem Fall dürften sowohl Abweichungen als auch das unter Severus flächendeckend verwendete Maß von 2220 m oder 7500 pedes Kunstgriffe, das heißt Anpassungen an bestehende römische Maße sein, da sie rechentechnisch zu ausgewogen erscheinen.<ref>Rathmann 2003 S. 118</ref> Begriffe wie leuga drusiana oder Leuga gallica haben sich aber in der deutschsprachigen Forschung bislang nicht durchgesetzt.<ref>Die Existenz einer lieue gauloise ist auch in der französischsprachigen Forschung strittig, siehe Chevallier 1997 S. 161, Anmerkung 12.</ref>
Leugen in weiteren Ländern
Die Leuge ist der iberischen Längenmaßeinheit Legua ähnlich, ebenso der französischen Lieue und der englischen League.
Vergleiche
- Siehe Tabelle in Meile.
Literatur
- Raymond Chevallier: Les Voies Romaines. Picard, Paris 1997 ISBN 2-7084-0526-8.
- Werner Helmut Heinz: Reisewege der Antike. Unterwegs im römischen Reich. Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1670-3, S. 67–70, bes. S. 69.
- Margot Klee: Lebensadern des Imperiums. Straßen im römischen Reich. Theiss, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8062-2307-1, S. 76 f.
- Michael Rathmann: Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum. (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beiheft 55) Zabern, Mainz 2003, ISBN 3-8053-3043-X bes. S. 104–122.
- Gerold Walser: Meilen und Leugen. Epigraphica 31, 1969 S. 84–103.
- Gerold Walser: Bemerkungen zu den gallisch-germanischen Meilensteinen. Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 43, 1981 S. 385–402.
Einzelnachweise
<references/>