Liegerad
Ein Liegerad ist ein Fahrrad mit einer nach hinten geneigten Sitz- bzw. Liegeposition. Es verfügt im Unterschied zu einem herkömmlichen Fahrrad anstatt eines Sattels über einen Netz- oder Schalensitz. Das Tretlager und die Pedale sind vorne angebracht. Die meisten Liegeräder sind nicht schwieriger zu fahren als gewöhnliche Fahrräder; abhängig vom Liegeradtyp und der Lenkerform kann allerdings eine kurze Eingewöhnungsphase erforderlich sein.
Die Regel des Internationalen Radsport-Verbands (UCI), wonach nur Fahrräder mit Diamantrahmen zu Wettbewerben zugelassen sind, schließt die Verwendung von Liegerädern bei den meisten Wettkämpfen aus.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Nach der Popularisierung des Kettenantriebs im Fahrradbau in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts setzten diverse Erfinder zahlreiche Varianten dieses Konzepts um. Darunter waren auch die ersten Vorläufer des Liegerades, das französische Fauteuil-Velociped (1893) und das Sesselrad des Schweizer Herstellers Challand (1895). In den folgenden Jahren wurden bereits die heutigen Basistypen der Fahrradbauweise entworfen, wie das Bauchliegerad Mr. Darling (1896) und das Brown-Recumbent, der Vorläufer des Chopper/Scooter-Rades, das um die Jahrhundertwende in den USA entwickelt wurde. Andere Konzepte, wie etwa Liegeräder mit Ruderantrieb, kamen aber über das Stadium des Prototyps nicht heraus. Bei den ersten Modellen handelte es sich allesamt um Langlieger.
1914 bot Peugeot das erste in Großserie produzierte Liegerad an, das auf dem Brown-Recumbent basierte. In den 1920er Jahren baute der Luftfahrtpionier Paul Jaray das J-Rad, das ebenfalls in Serie hergestellt wurde und erfolgreich war. Ein Jahrzehnt später entwickelten Charles Mochet und sein Sohn Georges das Velocar, das erste Liegerad, das sportlich erfolgreich genutzt wurde – die Radsportorganisation UCI erlaubte damals noch die Teilnahme dieser Fahrzeuge am offiziellen Wettkampfbetrieb. Es stellte 1933 mit 45,056 Kilometern einen Stundenweltrekord auf. Diese Geschwindigkeit wurde erst fünf Jahre später von einem herkömmlichen (unverkleideten) Rennrad erreicht.
Am 1. April 1934 entschied sich die UCI jedoch dafür, Liegeräder aus dem Wettkampfbetrieb auszuschließen. Dies bedeutete einen Wendepunkt in der Entwicklung dieses Fahrradtyps. Auch dadurch erlebten Liegeräder zwischen etwa 1950 und 1980 einen Tiefpunkt in der Popularität. In dieser Zeit waren nur Kleinserienmodelle von einzelnen Herstellern erhältlich.
Die Liegeräder wurden dennoch weiterentwickelt, und nach dem Ausschluss von der UCI begann sich eine unabhängige Szene zu bilden. Schon Mochet experimentierte in den 1930er Jahren mit verschalten Fahrzeugen, deren moderne Versionen als Velomobile bezeichnet werden. Die Mochet-Fahrzeuge basierten auf konventionellen Liegerädern und sind bis heute der schnellste von Menschenkraft angetriebene Fahrzeugtyp. 1939 überschritt ein derartiges Mobil zum ersten Mal in der Stundenwertung die 50-km/h-Marke. Parallel dazu wurden die ersten Kurzlieger (The Cycloratio, 1935) gebaut, die später vor allem durch ihre Weiterentwicklung durch den deutschen Ingenieur Paul Rinkowski ab 1947 zum dominierenden Liegeradtyp aufsteigen sollten.
Bis in die Nachkriegsjahre blieb die Nachfrage nach Liegerädern auch im Konsumentenbereich stabil, da viele Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten konnten, stattdessen ein Liegerad kauften. Danach flachte das Interesse ab, bis 1976 die Gründung der International Human Powered Vehicle Association (IHPVA) eine Renaissance einleitete. Dieser Verein fördert seitdem die Entwicklung von muskelkraftbetriebenen Fahrzeugen aller Art und veranstaltet wieder regelmäßig Wettbewerbe, in denen auch Liegeräder zugelassen waren.
In derselben Zeit erlangte im Sportbetrieb der 200-m-Sprint als Disziplin immer größere Popularität. 1977 wurde die 75-km/h-Marke überschritten, 1979 die in den USA wichtigen 50 Meilen pro Stunde, 1986 fiel die 100-km/h-Marke. Zu dieser Zeit dominierten im Wettkampf vollverkleidete Dreiräder wie das Vector, das in den 1970er und 80er Jahren zahlreiche Rekorde aufstellen konnte. Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre setzten sich einspurige Räder, vor allem die neuen Tieflieger (Cutting Edge, 1990) wegen ihres Gewichtsvorteils wieder gegenüber den Dreirädern durch.<ref name="Fehlau">Die Absätze bis hier basieren auf Gunnar Fehlau: Das Liegerad, Moby Dick Verlag, Kiel 1994, ISBN 3-922843-86-7, S. 10ff.</ref>
Die sportlichen Leistungen und auch modernere fahrzeugtechnische Studien führten zu einem Wiederaufflammen des öffentlichen Interesses am Liegerad, so dass seit den 1990er Jahren Großserienmodelle angeboten werden. Seit etwa 2000 gewinnen sowohl Velomobile als auch unverschalte Liegedreiräder langsam an Popularität. Seit 2007 kommen immer mehr sogenannte Trikes in Mode, mit denen ähnlich wie mit dem BMX-Rad gefahren werden kann, die aber auch dank heutiger Technik sehr schnelle Tourenfahrzeuge sein können.
Derzeit dürften in Deutschland ungefähr 30.000 Liegeräder unterwegs sein, dem gegenüber stehen rd. 50 Mio. Räder mit Diamantrahmen.
Vergleich mit anderen Fahrrädern
Die wichtigsten Vorteile
- Ermüdungsfreie Sitzposition
- Beim Liegefahrrad ergibt sich eine sehr entspannte Körperhaltung, da weder die Handgelenke noch die Arme, noch der Schultergürtel und Rücken belastet werden. Die Hände liegen entspannt auf dem Lenker, ein Abstützen des Oberkörpers wie beim gewöhnlichen Fahrrad ist nicht notwendig. Auch die Nackenmuskulatur ist entspannt, da ein ständiges Nach-oben-Schauen, wie beim herkömmlichen Fahrrad, entfällt. Bei vielen Liegerädern schaut der Fahrer bei natürlicher Nackenhaltung gerade nach vorne, lediglich bei einigen sehr niedrigen Liegerädern mit extrem flachem Sitz muss man den Kopf nach unten nehmen, um nach vorne zu schauen. Auch die üblichen Sitzprobleme durch den Sattel werden vermieden.
- Gesundheit
- Beim Liegeradfahren befindet sich die Wirbelsäule in entspannter Lage. Mediziner haben nachgewiesen, dass sich dabei die Bandscheiben im Optimalfall sogar regenerieren. Außerdem entfällt der Druck des Sattels, so dass weder Druck- und Scheuerstellen im Gesäß- und Schrittbereich entstehen noch wichtige Nerven in diesem Bereich eingeklemmt werden. Männer mit Prostatabeschwerden können auf normalen Rädern Probleme bekommen, die mit dem Liegerad vermieden werden. Ausgeschlossen ist auch die bei längeren Fahrten häufige Reizung der Fingernerven wie etwa lästiges Kribbeln und sogar Taubheitsgefühle.
- Luftwiderstand
- Prinzipiell entfallen gegenüber normalen Rädern rund 20 bis 30 % des Luftwiderstands dank der hochliegenden Beine. Zusätzlich ergeben sich durch die gestreckte Sitzposition und die kleinere Stirnfläche weniger bremsende Luftwirbel, was einen geringeren Sog hinter dem Fahrer zur Folge hat.<ref>Gunnar Fehlau: Das Liegerad, Moby Dick Verlag, Kiel 1994, ISBN 3-922843-86-7, S. 58ff.</ref> Insbesondere kann eine Heckverkleidung, oft in Form eines Koffers, den Luftwiderstand nochmals deutlich vermindern. In der Ebene und bergab ermöglicht dies sehr viel höhere Geschwindigkeiten als bei einem herkömmlichen Rennrad. Dies gilt nicht bei Steigungen, weil bei geringen Geschwindigkeiten der Luftwiderstand vernachlässigbar ist.
- Sicherheit und Unfallfolgen
- Der Schwerpunkt der meisten Liegeräder liegt deutlich tiefer als bei konventionellen Fahrrädern, gleichzeitig ist häufig der Radstand erheblich länger. Beides zusammen verhindert Überschläge durch ein blockiertes Vorderrad sehr wirkungsvoll.<ref>Gunnar Fehlau: Das Liegerad, Moby Dick Verlag, Kiel 1994, ISBN 3-922843-86-7, S. 92.</ref> Auch bei einem Aufprall auf ein Hindernis sind die Folgen für Liegeradfahrer weniger schwerwiegend. In beiden Fällen können bei konventionellen Rädern schwerste Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen resultieren, wenn der Fahrer mit dem Kopf voran auf ein Hindernis prallt. Die gestreckt liegende Haltung mit den Füßen voran bewirkt beim Liegeradfahrer, dass er nicht mit dem Kopf, sondern mit den Füßen aufprallt.<ref>Gunnar Fehlau: Das Liegerad, Moby Dick Verlag, Kiel 1994, ISBN 3-922843-86-7, S. 41.</ref>
Die geringere Fallhöhe vermindert zudem die Verletzungsgefahr bei niedrigen Geschwindigkeiten. - Kraftübertragung
- Generell ermöglichen es Liegeräder, durch eine Abstützung des Beckens und des Oberkörpers an der Rücklehne erhebliche Kräfte auf die Tretkurbel zu bringen, ohne dass durch Arme und Oberkörper eine entsprechende Gegenkraft aktiv aufgebaut werden muss. Dieses und die ermüdungsfreie Sitzposition vermeiden jede Muskelarbeit, die nicht unmittelbar dem Vortrieb dient.<ref>Gunnar Fehlau: Das Liegerad, Moby Dick Verlag, Kiel 1994, ISBN 3-922843-86-7, S. 61.</ref>
Allerdings kann auf dem Diamantrahmen für kurze Zeit ein weit höheres Drehmoment durch den stehenden Wiegetritt aufgebaut werden, was auf dem Liegerad bauartbedingt unmöglich ist.
Die wichtigsten Nachteile
- Preis
- Die Preise für Liegeräder sind erheblich höher als für herkömmliche Fahrräder. Das liegt an kleinen Stückzahlen und dem Einsatz einiger Spezialteile, etwa beim Sitz, bei der Kraftübertragung und beim Gepäckträger. Wegen der höheren Fahrtgeschwindigkeit werden zum anderen häufig sehr hochwertige Schaltungen und Bremsen verwendet. Liegeräder ohne Vollfederung sind angesichts der fehlenden Federungsmöglichkeiten beim Sitz sehr unkomfortabel. Die Preisspanne bei Liegerädern liegt zwischen 1.100 und 10.000 Euro.
- Wetterschutz
- Unverkleidete Liegeradfahrer sind dem Regen stärker ausgesetzt als Fahrer eines herkömmlichen Rades. Niederschläge treffen den Körper in voller Länge und der hohe Fahrtwind drückt das Wasser je nach Sitzwinkel von unten die Kleidung hinauf. Hingegen ergibt sich bauartbedingt bei vollverkleideten Liegerädern ein guter Regenschutz – in der Regel dreirädrige Velomobile. An unverkleideten Liegerädern kann jedoch meist problemlos ein Frontschutz (Streamer, Frontverkleidung) montiert werden, an denen zudem ein spezielles Regencape befestigt werden kann, wodurch sich ein sehr guter Wetterschutz verwirklichen lässt. Liegedreiräder sind durch die geringere Seitenwindanfälligkeit hierfür besonders geeignet.
- Gewicht des Rahmens
- Viele Liegeräder weisen aufgrund ihres oftmals groß dimensionierten Rahmenrohrs und der Vollfederung ein konstruktionsbedingt höheres Gewicht auf. Doch lässt sich dies nicht verallgemeinern: ungefederte Rennliegeräder mit spartanischer Ausstattung sind mit Systemgewichten ab 7,5 kg, sportliche Liegedreiräder bereits ab ca. 10 kg (ungefedert, Vollcarbon) bzw. 12 kg (vollgefedert, alltagstauglich) erhältlich.
- Balance und Handhabung
- Liegeräder lassen sich aufgrund der Unbeweglichkeit des Oberkörpers schlechter durch das Körpergewicht ausbalancieren. Zudem erzwingt der niedrigere Schwerpunkt bei langsamer Geschwindigkeit rasche Lenkerauschläge, so dass Liegeräder bei Schrittgeschwindigkeit etwas kippeliger sind.
- Der längere Radstand und der eingeschränkte Lenkeinschlag machen Liegeräder bei langsamer Fahrt, beim Rangieren, scharfen Kurven und beim Passieren von Diagonalsperren weniger wendig.
- Fahren im Straßenverkehr
- Wie gut Liegeräder im Straßenverkehr sichtbar sind, ist umstritten. Manche motorisierte Verkehrsteilnehmer sagen, Liegeräder seien hinter parkenden Fahrzeugen leicht zu übersehen, da sie nicht wie gewöhnliche Räder weit über die Fahrzeugdächer hinausragen. Andererseits treten Autounfälle mit herkömmlichen Radlern in der Regel ein, weil der betreffende Autofahrer überhaupt nicht auf den Radverkehr achtete. Liegerad-Fahrer berichten im Gegensatz dazu von einem überdurchschnittlich hohen Aufmerksamkeitswert ihres Gefährts.
Der Blick nach hinten, etwa bei einem Spurwechsel, ist durch die halbliegende Sitzposition unbequem bis schwierig; einige Modelle bieten Abhilfe durch einen Rückspiegel. - Überfahren von Bordsteinkanten
- Bordsteinkanten hochzufahren ist je nach Konstruktionsweise des Liegerads nur bei sehr langsamer Fahrt oder gar nicht möglich, da das Vorderrad nicht während der Fahrt hochgezogen werden kann.
- Fahren auf Eis, Schnee und schmierigem Untergrund
- Die Sturzgefahr beim Liegerad ist etwas höher als beim Normalrad, weil beim Wegrutschen eines Reifens die Balance über den Oberkörper schlechter wiedergewonnen werden kann. Allerdings ist die Fallhöhe geringer, was die Verletzungsfolgen mindert. Dreirädrige Liegeräder sind gerade bei schwierigem Untergrund so gut wie immer im Vorteil.
- Fahren bei niedrigem Sonnenstand und bei Dunkelheit
- Bedingt durch die zurückgelehnte Sitzhaltung wird man, ähnlich wie in einem Auto, durch Abendsonne von vorne stärker geblendet. Bei Dunkelheit dagegen befinden sich Liegeradfahrer auf Höhe des Autofahrer-Scheinwerferkegels und sind dadurch besser wahrzunehmen – bei normalen Rädern sieht ein Autofahrer nur die Beine. Gegenlicht blendet allerdings den Liegeradfahrer entsprechend mehr.
- Inhalt von Hosen- und Jackentaschen
- Bei ungeeignetem Zuschnitt der Hosen- und Jackentaschen kann der Inhalt, z. B. Geldbeutel oder Schlüssel, leichter verloren gehen, insbesondere, wenn sie nicht durch Verschlüsse gesichert sind.
Bauformabhängige Besonderheiten
- Transport von Lasten
- Zum Gepäcktransport sind Reiseliegeräder aufgrund des niedrigen Schwerpunktes erheblich besser geeignet als herkömmliche Räder. Bis zu vier große Packtaschen können an Halterungen unter und hinter dem Sitz befestigt werden, ohne dass sich der Schwerpunkt des Rades dabei verlagert. Anders als bei herkömmlichen Reiserädern ändert sich somit das Fahrverhalten des Liegerades durch das Beladen nicht. Allerdings ist es nicht möglich, einen Rucksack zu tragen oder eine Lenkertasche zu verwenden. Auch Lowrider sind durch den oft kleinen Vorderraddurchmesser ungeeignet. Ferner ist das Ziehen eines Anhängers, je nach Federung des Hinterrades, nicht immer möglich.
- Reparaturen
- Die üblichen Verschleiß- und Anbauteile entsprechen denjenigen gewöhnlicher Fahrräder. Einige wenige liegeradtypische Komponenten (z. B. Umlenkrollen und Sitze) sind aber nicht standardisiert, so dass sie in der Regel nicht zwischen verschiedenen Modellen ausgetauscht werden können. Solche Ersatzteile sind daher schlecht erhältlich und müssen über Versender bzw. den Hersteller bezogen werden.
- Kleinerer Raddurchmesser
- In der Regel werden bei Liegerädern sehr kleine Vorderreifen in der Größe von 20 Zoll eingesetzt. Bei so kleinen Reifen steigt aus physikalischen Gründen der Rollwiderstand. Höherer Luftdruck oder eine konstruktiv geringere Last auf dem Vorderrad können dies teilweise kompensieren. Allerdings bleibt das Hinausfahren aus Spurrinnen schwieriger, da die kleinen Reifen dem Hang nicht so weit vorgreifen können.
- Längere Kette
- Für alle Liegeräder mit Hinterradantrieb wird eine lange Kette benötigt. Durch entsprechende Vorrichtungen zur Kettenführung ergeben sich daraus für den Antrieb keine wesentlichen Probleme. Selbst wenn die Kette durch einen Teflonschlauch vollständig verkleidet ist, sind Liegeräder wegen des Monroe-Effekts nicht rocktauglich. Die enorme Kettenlänge (bei einem Kurzlieger 3,5 m) erhöht zudem das Gesamtgewicht.
- Haltungswechsel
- Ein Wechsel zwischen flach-sportlich-schneller und aufrecht-leger-entspannter Haltung ist beim Liegerad nicht möglich. Er ist allerdings auch unnötig, denn in der Regel dient er der Vermeidung von Überlastungen oder Verkrampfungen, die beim Liegerad ohnehin nicht auftreten.
- Anpassen
- Die Einstellung des Rades auf die Körpergröße des Fahrers, welches beim herkömmlichen Rad durch das Ausziehen der Sattel- und Lenkerstütze erfolgt, ist auch beim Liegerad möglich. Anders als beim herkömmlichen Rad verändert sich dadurch auch die Länge der Kette, was ein schnelles Umrüsten für die gemeinsame Radnutzung durch mehrere Fahrer unterschiedlicher Größe ausschließt.
Liegeradtypen
Liegeräder gibt es in zahlreichen Varianten. Beispielsweise mit Vorder- oder Hinterradantrieb, mit und ohne Tretlagerüberhöhung, direkt oder indirekt gelenkt, mit Lenker vor dem Körper oder unter dem Sitz.
Liegeräder werden konstruktiv grob in folgende Kategorien eingeteilt, wobei viele Modelle in mehr als eine Kategorie fallen und eine exakte Einteilung oft unmöglich ist.
- Kurzlieger haben einen kurzen Radstand. Sie sind sowohl für den Alltag als auch zum Reisen geeignet und die mit Abstand verbreitetste Bauform.
- Tieflieger sind Kurzlieger für den Renneinsatz oder betont sportliche Fahrweise.
- Knicklenker sind Kurzlieger mit Vorderradantrieb. Sie besitzen anstelle eines Lenkers ein Scharnier im Rahmen und werden durch Gewichtsverlagerung gelenkt.
- Langlieger bieten durch langen Radstand einen hohen Komfort, sind aber sperrig und nicht sehr wendig.
- Sesselräder oder Scooter sind Langlieger mit hoher Sitzposition. Sie eignen sich sowohl für die Stadt als auch für Reisen.
- Liegedreiräder haben meist zwei Vorderräder und vermitteln ein Go-Kart-Fahrgefühl.
- Velomobile sind vollverkleidete schwere Liegedreiräder mit gutem Wetterschutz und guter Aerodynamik.
- Liegetandems sind für zwei Fahrer. Es gibt sie sowohl mit zwei als auch mit drei (und selten mit vier) Rädern.
- Ruderräder sind Liegeräder, die mit der Kraft der Arme angetrieben werden. Es gibt sie mit zwei und mit drei Laufrädern.
- Bauchlieger besitzen einen geringen Luftwiderstand, allerdings auf Kosten des Komforts und der Übersicht.
Lenkung
Es gibt verschiedene Arten der Lenkung. Grob unterscheidet man zwischen:
- Obenlenker, bei dem die Griffe oberhalb des Sitzes und vor der Brust des Fahrers angeordnet sind. Bei Kurzliegern und Tiefliegern weit verbreitete Formen des Obenlenkers sind:
- Tiller, ein meist T-förmiger Lenker bei dem sich die Griffe relativ nahe an der Brust befinden. Tiller gibt es auch als Klapp-Tiller, bei dem der ganze Lenker mittels eines Gelenks am Lenkkopf nach vorne geklappt werden kann, um das Auf- und Absteigen zu vereinfachen.
- UDK („Um die Knie“) oder Aerolenker, bei dem die Griffstange bogenförmig um die Knie angeordnet ist. Die Griffe befinden sich dabei meist auf Höhe der Knie.
- Untenlenker, ein in der Regel unter dem Sitz befestigter Lenker, bei dem die Griffe meist seitlich und leicht oberhalb der Sitzfläche angeordnet sind.
- Panzerlenkung, üblicherweise nur bei Velomobilen oder Trikes anzutreffen, bezeichnet eine Lenkerform bei der die beiden gelenkten Vorderräder durch je einen Lenkhebel mit Griff direkt angelenkt werden. Die Griffe befinden sich hierbei, ähnlich dem Untenlenker seitlich und etwas oberhalb der Sitzfläche.
Selbstbau
Vor allem in den 1980er Jahren, als käufliche Liegeräder noch weniger verbreitet waren als heute, waren Eigenbauten in der Szene häufig anzutreffen. Oft wurden auch „Fahrradleichen“ beim Liegeradbau wiederverwertet, teils mit abenteuerlichen Konstruktionen. Viele Baupläne aus dieser Zeit sind auch heute noch erhältlich z. B. im Heft „Chopper Fahrräder“ aus der Reihe „Einfälle statt Abfälle“ von Christian Kuhtz, ISBN 3-924038-66-X Ein ähnliches Konzept liegt dem Hobbythek-Liegerad zugrunde, bei dem ebenfalls Teile alter Fahrräder zum Einsatz kamen.
Da aber gerade Liegeräder ganz besonders genau konzipiert und auch gefertigt werden müssen, wenn sie gute Fahreigenschaften haben sollen, sind Eigenbauten professionellen Rädern fast immer unterlegen. Das Gleiche gilt für billige Importräder aus Fernost, die nach Qualitätsstandards normaler Räder hergestellt wurden.
Geschwindigkeits- und Streckenrekorde
Liegeräder werden aufgrund ihres aerodynamischen Potenzials so gut wie immer für Rekordversuche verwendet, die mit normalen Rennrädern gar nicht möglich wären. Kontrollierende Organe außerhalb der UCI sind die WHPVA und die IHPVA.
Eine Auswahl einiger Rekorde:
- 200 m, fliegender Start
- Männer: 132,50 km/h (5,434 s) gefahren von Sam Whittingham auf Varna Diablo III von George Georgiev am 18. September 2008 in Battle Mountain, Lander County, NV, USA<ref name="IHPVA">International Human Powered Vehicle Association: LAND – MEN'S 200 METER FLYING START SPEED TRIAL (Single Rider) – Liste der Rekorde</ref>
- Frauen: 121,81 km/h (5,911 s) gefahren von Barbara Buatois auf Varna Tempest von George Georgiev am 15. September 2010 in Battle Mountain<ref name="IHPVA" />
- 1000 m, fliegender Start
- Männer: 133,78 km/h gefahren von Sebastiaan Bowier auf Velox 3 am 14. September 2013 in Battle Mountain<ref name="IHPVA" />
- Frauen: 106,98 km/h (33,90 s) gefahren von Lisa Vetterlein auf Varna II am 10. Juli 2005 in Battle Mountain<ref name="IHPVA" />
- Stundenrekord, stehender Start
- Männer: 91,556 km gefahren von Francesco Russo mit seinem Liegerad „Eiviestretto“ am 2. August 2011 auf der Dekra Oval Teststrecke in Deutschland<ref name="BZ">Berner Zeitung: «Ich wollte schon in der Schule immer der Schnellste sein»</ref>
- Frauen: 84,02 km gefahren von Barbara Buatois am 19. Juli 2009 in Romeo<ref name="IHPVA" />
- Dauerleistungen
- 6 Stunden stehender Start:
- Männer: 426,917 km, durchschnittlich 71,153 km/h gefahren von Axel Fehlau auf Speedhawk 2 am 9. Oktober 2010 Opel-Teststrecke in Dudenhofen, Deutschland<ref name="SRM">Bericht der Rekordfahrt</ref>
- Frauen: 338,689 km, durchschnittlich 56,448 km/h gefahren von Ellen van Vugt auf Speedhawk 2 am 9. Oktober 2010 in Dudenhofen<ref name="SRM" />
- 24 Stunden stehender Start, Männer: Durchschnittlich 43,58 km/h gefahren von Greg Kolodziejzyk auf Critical Power am 11. Juli 2006 in Eureka, Kalifornien/USA (1046,1 km)<ref>Bericht der Rekordfahrt</ref>
- am 2. August 2009 fuhr Christian von Ascheberg 1069 km<ref>[1]</ref>
- Am 2. April 2010 wurde dieser Rekord von Jeff Nielsen um 47 Minuten unterboten bzw. auf 1109 km überboten.<ref>Bericht der Rekord-Fahrt</ref>
- Am 1. August 2010 erreichte Christian von Ascheberg 1219 km bzw. 50,8 km/h auf dem Lausitzring mit einem Velomobil Milan SL<ref>Bericht Rekordfahrt Lausitzring mit Milan SL</ref>
Fast alle hier aufgeführten Rekorde wurden mit vollverkleideten, nicht straßenverkehrstauglichen Fahrzeugen erreicht. (Ausnahme: Christian von Ascheberg mit Bülk Einspurer und Milan SL)
Siehe auch
Quellen
<references />