Matriarchat


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Als Matriarchat wird in Matriarchatstheorien und sonstigen Publikationen ein Gesellschaftstyp bezeichnet, in dem alle sozialen und rechtlichen Beziehungen über die Abstammung der mütterlichen Linie organisiert sind, in dem die religiösen Vorstellungen auf eine Ahnfrau oder Große Göttin zurückgeführt werden, und in dem Frauen eine zentrale Rolle in Gesellschaft und Religion einnehmen. Es wird dabei oft nicht unterschieden, ob die Stellung den Müttern oder den Frauen allgemein zugeschrieben wird. Auch eine hypothetische Gesellschaftsordnung<ref name="Britannica369468">Editors of Encyclopædia Britannica: matriarchy (social system). In: Encyclopædia Britannica. 2013, abgerufen am 30. Oktober 2013 (englisch; Stand: Juli 2008, Elizabeth Prine Pauls): „matriarchy, hypothetical social system in which the mother or a female elder has absolute authority over the family group; by extension, one or more women (as in a council) exert a similar level of authority over the community as a whole. as a societal type is thus far sufficiently evidenced neither historically nor archaeologically, the central consideration of the concept of matriarchy should become that of a social myth within certain ideological systems.“</ref> Als Basiselemente wichtiger Theorien zu Matriarchaten macht sie aus:

  • eine dominierende Rolle der Frau in Gesellschaft und Politik (Matriarchat im engeren Sinne)
  • Bestimmung von Rechtsverhältnissen der Abstammung, Erbschaft, Familie und Wohnung durch die Mutterlinie (Matrilinearität, Matriarchat Auch in diesem Fall schlugen die Täter weiter auf ihre Opfer – und zwar vorzugsweise auf die Köpfe – ein, als sie bereits wehrlos am Boden lagen.“ (Brigitte Röder)<ref>Brigitte Röder: Jungsteinzeit - Frauenzeit? Frauen in frühen bäuerlichen Gesellschaften Mitteleuropas. In: Frauen – Zeiten – Spuren. Neanderthal Museum Mettmann 1998, S. 264 ff.</ref> Der Tübinger Ur- und Frühgeschichtler Jörg Petrasch hat methodenkritisch versucht, die Rate der Gewalttätigkeiten auf die Gesamtpopulation in der Bandkeramik hochzurechnen und kommt zu dem Schluss, dass solche Massaker keine singulären Ereignisse gewesen sein können. Demnach müssen Gewalttätigkeiten in den bandkeramischen Gesellschaften regelmäßig, wenn auch selten, vorgekommen sein. Abgesehen von solchen tödlich endenden Gewalttätigkeiten werden in den anthropologischen Veröffentlichungen zu bandkeramischen Skeletten Hinweise auf regelmäßig physische Auseinandersetzungen beschrieben, die von den Opfern überlebt wurden.<ref>Jörg Petrasch: Mord und Krieg in der Bandkeramik. In: Archäologisches Korrespondenzblatt. 29/1999, Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, S. 505–516 vor.</ref><ref>Jörg Petrasch: Gewalttätigkeiten in der Steinzeit - Archäologisch-kulturgeschichtliche Analysen zur Ermittlung ihrer Häufigkeiten". In: Piek, Terberger (Hrsg.): Frühe Spuren der Gewalt. In: Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburgs-Vorpommerns. Bd. 41, Schwerin 2006. (PDF)</ref>

    Die Prähistorikerin Eva-Maria Mertens zeigte anhand der Bandkeramiker, dass diese Kultur keine friedliche im Sinne der Matriarchatsanhänger war. In ihrer Studie kommt sie zu dem Schluss: „Wenn die These der Matriarchatsforscherinnen stimmt, dass die Zeit des Neolithikums von Matriarchaten bestimmt war, dann war es trotz der Frauenherrschaft keine friedliche Zeit. Wenn aber die Kernprämisse für den Nachweis eines Matriarchats Gewaltlosigkeit beziehungsweise Friedlichkeit ist, dann ist am Ende der Bandkeramik nicht von einem Matriarchat zu sprechen. “ Mertens betont, dass solche Hinweise auf Gewalt nicht nur Kennzeichen der ersten Ackerbauern in Mitteleuropa sind. Auch von den vorhergehenden Wildbeutern im Spätmesolithikum gebe es regelhaft Hinweise auf gewaltsam zu Tode gekommene Menschen.

    Mit dem Neolithikum ging als Folge der mit Ackerbau und Viehzucht verbundenen Sesshaftigkeit ein Anwachsen der Bevölkerung einher und die Herausbildung erster sozialer Unterschiede und Hierarchien. Anhand der Skelettfunde lässt sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nachweisen, wobei hauptsächlich die weiblichen Skelette Handarthrosen und andere Abnutzungserscheinungen aufweisen, die auf das Mahlen des Getreides in kniender Haltung hinweisen, außerdem „werden weibliche Skelette zusehends kleiner und zierlicher“. Verletzungen und Krankheiten, die sich am Skelett nachweisen lassen, nehmen drastisch zu (es gibt Hinweise auf ernährungsbedingte Krankheiten, beispielsweise nachgewiesen bei der Hälfte der Bewohner von Çatalhöyük); und nicht nur bei den Bandkeramikern finden sich Skelette – Frauen und Männer –, die auf einen gewaltsamen Tod schließen lassen. Ebenso ist die Vorstellung eines friedlichen Umgangs mit der Natur wahrscheinlich falsch, „die ersten Bauern wiesen vermutlich allen Ressourcen – Pflanzen, Tieren, Menschen – gegenüber eine ausbeuterische Haltung auf.“<ref>Margaret Ehrenberg: Women in Prehistory. 1996; Röder, Hummel, Kunz: Göttinnendämmerung. 1996; Timothy Taylor: The Prehistory of Sex. 1998; Gilles und Brigitte Delluc: Le sexe au temps des Cro-Magnons. 2006, zitiert bei Meret Fehlmann: Die Rede vom Matriarchat. Zürich 2011, Kapitel Archäologie oder die Suche nach dem Matriarchat, S. 144–159.</ref>

    Auch weitere Annahmen, die die Idee eines neolithischen Matriarchats stützen sollen, werden fachwissenschaftlich zurückgewiesen, gelten in der Archäologie als widerlegt und methodisch als unwissenschaftlich, zum Beispiel die Bedeutungskontinuität von Symbolen über Jahrtausende, die von Matriarchatstheoretikern als Sprache der Urzeit und vereinfacht als Symbole der Göttin verstanden werden sowie die pauschale Deutung weiblicher oder anthropomorpher Darstellungen als Göttinnen und Ausdruck einer religiösen Kontinuität vom Paläolithikum zum Neolithikum (und darüber hinaus), einem Zeitraum, der mehr als 20.000 Jahre umspannt und mit tief greifenden sozialen und kulturellen Veränderungen verbunden war.

    „The common practice of jumping from Bronze Age European figurines to Palaeolithic Venuses and back again to neolithic material is in itself unscientific […]“

    Peter J. Ucko<ref>Peter Ucko: The Interpretation of Prehistoric Anthropomorphic Figurines. Zitiert nach Meret Fehlmann: Die Rede vom Matriarchat. Zürich 2011, S. 159.</ref>

    Hypothesen zur Religion historischer Matriarchate

    Hauptartikel: Hypothesen zur Religion historischer Matriarchate

    Für viele Vertreter der These von der Existenz historischer Matriarchate, aber auch utopischer Matriarchatsvorstellungen war die Idee eines Kults der Großen Göttin zentral. Bereits Johann Jakob Bachofen vertrat diesbezüglich spekulative Vermutungen. Einflussreiche und bekannte Hypothesen über Religion und Kult historischer Matriarchate haben Robert Graves und Göttner-Abendroth vorgelegt.

    Siehe auch

    Literatur

    • Brigitte Röder, Juliane Hummel, Brigitta Kunz (Hrsg.): Göttinnendämmerung. Das Matriarchat aus archäologischer Sicht. Droemer Knaur, München 1996, ISBN 3-426-26887-6.
    • Lucy Goodison, Christine Morris (Hrsg.): Ancient Goddesses. The Myths and the Evidence. University of Wisconsin Press/British Museum Press, Madison 1999, ISBN 0-299-16320-2 (Bryn Mawr Classical Review 1999).
    • Beate Wagner-Hasel: Matriarchat. In: Manfred Landfester (Hrsg.): Der Neue Pauly. Band 15: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001, Sp. 321–329.
    • Janet Alison Hoskins: Matriarchy. In: M. C. Horowitz (Hrsg.): New Dictionary of the History of Ideas (DHI). Band 4, Routledge, London/New York 2004, S. 1384–1389 (online in science.jrank.org, blättern mit dem Next-Button).
    • Carol B. Duncan: Matriarchy and Patriarchy. In: William H. McNeill u. a. (Hrsg.): Berkshire Encyclopedia Of World History. Band 3, Berkshire, Great Barrington 2005, S. 1218–1223.

    Dokumentarfilme

    • Gordian Troeller, Marie-Claude Deffarge: Männerherrschaft unbekannt – Mutterrecht auf Sumatra. Deutschland 1979 (43 Min.; Lebensweise der Minangkabau; Info).
    • Bettina Witte: Khasi – Im Land der Frauen. Nima Productions für ARTE/ZDF, Deutschland 2012 (43 Min.; Lebensweise der Khasi in Nordostindien; Video auf YouTube).
    • Uschi Madeisky, Klaus Werner: Die Töchter der sieben Hütten – Matriarchat der Khasi in Indien. Colorama Film für ARTE/ZDF, Deutschland 1997 (56 Min.; Info).
    • Uschi Madeisky, Klaus Werner: Trommeln Der Liebe – Bräutigamraub bei den Garo in Indien. Colorama Film für NDR, Deutschland 2001 (60 Min.; Info).
    • Uschi Madeisky, Klaus Werner: Wo dem Gatten nur die Nacht gehört – Besuchsehe bei den Jaintia in Indien. Colorama Film für NDR, Deutschland 1999 (60 Min.; die Jaintia=Synteng sind ein Nachbarvolk der Khasi; Info).
    • Elke Werry: Mütter, Macht und Mythen – Gab es ein vorgeschichtliches Matriarchat? Along Mekong Productions für Süddeutschen Rundfunk SDR, Deutschland 1998 (45 Min.).
    • Elke Werry: Wie Schwestern – Matrilinearität auf der griechischen Insel Chios. ZDF, Deutschland 1985 (30 Min.).
    • Joanna Michna, Maria Hoffacker: China, im Reich der Mosuo-Frauen. Geo-Reportage, Deutschland 2011
    • Web-Interview: Menschen weltweit: Songna Mian Zhe (China, Mosuo). Geo-Reportage, Deutschland 2012 (5 Min.; Video auf ARTE).
    • Elizabeth Dukal Flender, Roger J. Zou: China – Die mächtigen Frauen vom Lugu-See. USA 2005 (43 Min.; Lebensweise der Mosuo; Info).
    • Cris Campion, Elisabeth Soulia: WunderWelten: Die Moso – Freie Frauen im Himalaja. ARTE F, Frankreich 2000 (43 Min.; Info).
    • Petra Spamer-Riether: China – Die Töchter der Göttin. Bei den Moso in China. SWR, Deutschland 1993 (43 Min.; Kurzinfo auf 3sat).
    • Peter Menzel: Venezuela – Orinoco Delta – Warao Siedlung. Eigenproduktion, Deutschland 2012 (9 Min.; Lebensweise der Warao; Video auf YouTube).
    • Peter Menzel: Venezuela: Orinoco-Delta – Warao (Teil 1/6). Eigenproduktion, Deutschland 2009 (5 Min.; Video auf YouTube; YouTube-Show: 7 Teile, 31 Min.).
    • Gernot Schley: Die Macht der Warao-Frauen – Wie ein Indianervolk überlebt. (Auch: Warao, Volk der starken Frauen.) Bayerischer Rundfunk & Adveniat, Deutschland 1997 (44 Min.).

    Einzelnachweise

    <references />