Substanzungebundene Abhängigkeit
Klassifikation nach ICD-10 | ||
---|---|---|
F50 | Essstörungen | |
F63 | Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle | |
F63.0 | Pathologisches Spielen | |
F63.8 | Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle | |
F63.9 | Abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet | |
ICD-10 online (WHO-Version 2013) |
Als substanzungebundene Abhängigkeit bezeichnen Psychologie und Psychotherapie jene Formen psychischer Zwänge und Abhängigkeiten, die nicht an die Einnahme von Substanzen – wie Alkohol, Nikotin oder anderer Drogen – gebunden sind. Sie ist durch wiederholte Handlungen ohne vernünftige Motivation gekennzeichnet, die nicht kontrolliert werden können und die meist die Interessen des betroffenen Patienten oder anderer Menschen schädigen. Betroffene berichten von impulshaftem Verhalten. Die Abhängigkeit kann die Lebensführung beherrschen und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führen.
Beispiele für substanzungebundene Abhängigkeiten sind:
- Pathologisches Spielen (Glücksspielsucht)
- Medienabhängigkeiten
- Computerspielabhängigkeit
- Internetabhängigkeit
- Fernsehabhängigkeit
- Handyabhängigkeit
- Arbeitszwang
- Beziehungssucht ist eine Form der Abhängigen Persönlichkeitsstörung, welche u. a. durch überstarke Trennungsängste, klammerndes und unterwürfiges Verhalten, Angst verlassen zu werden gekennzeichnet wird.
- Kaufzwang
- Messie-Syndrom
- Hypersexualität
- Exzessives Sporttreiben
Teilweise werden auch Essstörungen als substanzungebundene Abhängigkeit aufgefasst. Der Begriff “Abhängigkeit“ bezieht sich streng genommen nur auf die stoffgebundenen Abhängigkeiten, bisher gibt es keine offiziellen Diagnosekriterien.<ref>Bundesministerium für Gesundheit (Österreich): Verhaltenssucht</ref> Die ICD-10 nennt unter der Kodierung F63.- „Abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle“ exzessive Verhaltensweisen, die Merkmale einer psychischen substanzungebundenen Abhängigkeit aufweisen, und von Betroffenen willentlich nicht mehr vollständig kontrolliert werden können. Neben der Kodierung F63.- besteht die Möglichkeit der Einordnung in weiter gefasste Diagnosen:
- Zwangsstörung bei innerem Drang, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun oder
- Störung der Impulskontrolle für einen Verhaltensablauf ohne vernünftige Motivation mit Handlungen nicht kontrolliert werden können und die meist die Interessen des Betroffenen oder anderer Menschen schädigen.
Inhaltsverzeichnis
Physiologische Grundlagen
Laut Grüsser-Sinopoli leiden Betroffene unter psychischen Entzugserscheinungen, wenn sie an dem von ihnen exzessiv ausgeübten bestimmten Verhalten gehindert werden. Das exzessive Verhalten stimuliere das limbische System im Gehirn, wodurch Hormone wie Endorphine ausgeschüttet werden, was als angenehm erlebt wird. Die Verhaltenssucht werde dazu benutzt, unangenehme Gefühle wie Ängste und Frustration sowie Stress zu verdrängen und die Auseinandersetzung damit zu vermeiden (vgl. auch Eskapismus). Auch dadurch ähnele eine Verhaltenssucht einer stoffgebundenen Abhängigkeit wie beispielsweise Alkoholismus.
Untersuchungen
Computersucht und Computerspielsucht
Die Interdisziplinäre Suchtforschungsgruppe der Berliner Charité hat im November 2005 eine Untersuchung angestellt, die die Parallelen der Computersucht und der Computerspielsucht zu stoffgebundenen Abhängigkeiten wie die von Alkohol oder Cannabis darstellen sollte. Dabei wurden 15 Computersüchtigen Bilder verschiedener alltäglicher Gegenstände, auch von Schnapsflaschen, einem Joint, Zigaretten, aber auch Szenen aus den Untersuchten bekannten Computerspielen gezeigt. Mit Hilfe der Elektroenzephalografie, mit der man die elektrische Aktivität des Gehirns aufzeichnen kann, wurde beobachtet, dass bei den Abhängigen eine erhöhte Gehirnaktivität bei den Screenshots auftritt. Dieselbe Gehirnaktivität tritt beispielsweise bei Alkoholabhängigen beim Anblick der Schnapsflasche auf. Die Wissenschaftler der Charité fassten so zusammen, dass sich bei Computersüchtigen ähnliche Verhaltensmuster wie bei Alkohol- oder Cannabisabhängigen aufzeigten.<ref>Forschungsergebnisse und Hirnaktivitätsmessungen der Berliner Charité</ref>
Der Verein Aktiv gegen Mediensucht e.V. bietet ratsuchenden Mediensüchtigen und deren Angehörigen Hilfe an.<ref>Homepage des Vereins: www.aktiv-gegen-mediensucht.de</ref>
Fernsehabhängigkeit
Als Fernsehabhängigkeit bezeichnet man das zwanghafte Verlangen, Fernsehen zu schauen. Umgangssprachlich weit verbreitet ist der Begriff Fernsehsucht. Fernsehabhängigkeit ist eine Medienabhängigkeit, wobei als Alleinstellungsmerkmale der passive Konsum und der fehlende soziale Aspekt genannt werden müssen. Es existieren derzeit keine allgemein akzeptierten Diagnosekriterien zur Feststellung der Abhängigkeit.
Merkmale einer Fernsehabhängigkeit können sein:
- Unruhe bis Unwohlsein, Aggressivität, Lustlosigkeit und Passivität, wenn kein Fernseher läuft oder es ruhig ist.
- Sofortiges, reflexartiges Einschalten des Fernsehers, sobald man nach Hause kommt.
- Fernsehschauen ohne vorherige Planung und Interesse an den Inhalten, damit einher geht oft stundenlanges Zapping, also Durchschalten der Kanäle, ohne dass man etwas findet, was man sehen möchte und ohne dass man den Fernseher ausschalten kann.
Stand der Forschung und Anerkennung als Sucht/Krankheit
Verhaltenssüchte wurden bisher weder in der ICD-10 noch im DSM-IV aufgenommen. Derzeit behilft man sich in der Wissenschaft mit der Klassifikation als Störung der Impulskontrolle.<ref>Study finds computer addiction is linked to impulse control disorder The Australian News, 24 Oktober 2006.</ref> Diese Einordnung ist allerdings oftmals nicht korrekt, da dadurch weder eine möglicherweise vorhandene Toleranzentwicklung noch eventuell entstehende Entzugssymptome erfasst werden.
Die American Medical Association traf sich im Juni 2007, um dieses Thema zu diskutieren.<ref>AMA may identify excessive video game play as addiction, 25 Juni 2007.</ref> Exemplarisch für den Bereich der Computerspiel-Sucht wurde als Ergebnis festgehalten, dass weitere Forschung notwendig sei, um Computerspiel-Sucht (und damit auch andere Medienabhängigkeiten) als eine formale Diagnose zu betrachten. Die American Psychiatric Association (APA) wurde aufgefordert zu untersuchen, ob die Diagnose für eine Aufnahme in den DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) geeignet sei. Frühestens bei der nächsten Revision des DSM im Jahr 2012 könnten damit Verhaltenssüchte in das Diagnosesystem einziehen.<ref>Noyes, Katherine. Docs Retreat From 'Video Game Addiction' Diagnosis TechNewsWorld, 25 Juni 2007.</ref>
Literatur
- Dominik Batthyány, Alfred Pritz (Hrsg.): Rausch ohne Drogen: Substanzungebundene Süchte. Springer, Wien/ New York 2009, ISBN 978-3-211-88569-7.
- Sabine M. Grüsser, Carolin N. Thalemann: Verhaltenssucht. Diagnostik, Therapie, Forschung. Huber, Bern 2006, ISBN 3-456-84250-3.
Weblinks
- Inka Wahl: Kaufzwang: Kaufen zwischen Lust und Krankheit. In: FAZ. 16. November 2006, abgerufen am 9. Juni 2015.
- Thorkit Treichel: Lotto kann reich, aber auch süchtig machen. In: Berliner Zeitung. 2. Juli 2004, abgerufen am 9. Juni 2015.
- Mihaly Csikszentmihalyi, Robert Kubey: Wenn Fernsehen zur Droge wird. In: Spektrum der Wissenschaft. 5/2002, S. 70.
- Robert Kubey: Paper zur Fernsehabhängigkeit. 1996 (PDF; 188 KB)
- Fachverband Medienabhängigkeit e.V.
Einzelnachweise
<references />