Nationalbibliothek
Die meisten Staaten besitzen eine Nationalbibliothek, die als herausragende Bibliothek die gesamte Literatur eines Landes oder eines Sprachraumes sammelt, archiviert und diese in der Nationalbibliographie verzeichnet. Laut Definition der UNESCO hat eine Nationalbibliothek häufig auch die Aufgabe, die wichtigsten ausländischen Publikationen zu erwerben. Die Nationalbibliothek nimmt im Bibliothekswesen eines Landes oft eine koordinierende Rolle ein.
Eine Nationalbibliothek kann auf mehrere Standorte verteilt sein, so die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt am Main, oder es kann in einem Staat mehrere Nationalbibliotheken geben. In Russland, Großbritannien und Dänemark gibt es jeweils drei Nationalbibliotheken.
Die größte Bibliothek dieser Art, die Library of Congress in Washington, D.C., ist offiziell nur Parlamentsbibliothek.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Nationalbibliotheken entstanden seit dem Aufkommen der Nationalstaaten Ende des 18. Jahrhunderts in Europa und hatten ihre „Blütezeit“ im langen 19. Jahrhundert „als Modellinstitution der Selbstverständigung und Vergewisserung der Nation“.<ref>Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 77 f.</ref> Der Historiker Jörn Leonhard weist darauf hin, dass dieser Prozess Ausdruck und Motor der zugleich stattfindenden politisch-sozialen Zentralisierung, Homogenisierung und Hierarchisierung war, der auch die nationalen Mythen, Wissensbestände und Geschichtsbilder erfasste, und bezeichnet die Nationalbibliothek daher als „Zentralort der durch Texte imaginierten Nation“.<ref>Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 73.</ref>
Dabei stand der nationale Bildungsauftrag im Vordergrund, einer breiten und egalitär verstandenen bürgerlichen Öffentlichkeit Zugang zu verschaffen. Zugleich dienten die als Vorbild geltenden englischen und französischen Institutionen dazu, den Vormachtanspruch der jeweiligen kulturellen Nation und ihrer weltweiten Mission zu transportieren, was die amerikanischen und russischen Nachahmer aufgriffen.<ref>Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 78.</ref>
Durch die Ausweitung und Ausdifferenzierung der Wissenschaften verdrängten die Nationalbibliotheken zugleich private Gelehrtenbibliotheken und wurden zur „Letztinstanz und Basis der wissenschaftlichen Literaturrecherche“, indem durch Ankäufe (etwa aufgelassener Klosterbibliotheken) die trotz Pflichtexemplaren sehr lückenhaften Sammlungen in Richtung Vollständigkeit verdichtet wurden.<ref>Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 80.</ref>
In Deutschland konkurrierten wegen der politischen und kulturellen Dezentralität, auch noch nach der Nationalstaatsbildung 1871, Berlin, München, Leipzig und später Frankfurt sowie verschiedene öffentliche und kommerzielle Institutionen miteinander, auch wenn die deutsche Nationalbewegung immer wieder das Ziel einer „literarischen Walhalla“ vorgab.<ref>Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 72–87, hier S. 81 f. Siehe auch Engelbert Plassmann: Eine „Reichsbibliothek“? Vortrag vom 13. Januar 1998 (PDF; 218 kB).</ref>
Nationalbibliotheken in Europa
Die europäischen Nationalbibliotheken sind, bis auf die kosovarische und weißrussische, über das gemeinsame Webportal The European Library (ehemals GABRIEL) zu erreichen. Dies sind:
Nationalbibliotheken außerhalb Europas (Auswahl)
- Ägypten: Ägyptische Nationalbibliothek
- Argentinien: Nationalbibliothek der Republik Argentinien, Buenos Aires
- Australien: National Library of Australia, Canberra
- Brasilien: Brasilianische Nationalbibliothek, Rio de Janeiro
- China: Chinesische Nationalbibliothek, Peking
- Iran: Iranische Nationalbibliothek, Teheran
- Irak: Nationalbibliothek und -archiv des Irak, Bagdad
- Israel: Israelische Nationalbibliothek, Jerusalem
- Japan: Nationale Parlamentsbibliothek, Tokio und Kyoto
- Kanada: Library and Archives Canada; Bibliothèque nationale du Québec
- Kolumbien: Kolumbianische Nationalbibliothek
- Neuseeland: National Library of New Zealand, Wellington
- Türkei: Türkische Nationalbibliothek, Ankara
- USA: Library of Congress, Washington, D.C.
Literatur
- Jörn Leonhard: Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung. In: Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel (Hrsg.): Europäische Erinnerungsräume. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, ISBN 978-3-593-38865-6, S. 72–87, elektronischer Sonderdruck der Universität Freiburg 2011.
Weblinks
Listen von Nationalbibliotheken:
Einzelnachweise
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