Ninive
Koordinaten: 36° 22′ 0″ N, 43° 9′ 0″ O{{#coordinates:36,366666666667|43,15|primary
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Ninive, Ninua (auch Niniveh, arabisch نينوى, DMG Nīnawā; akkadisch Ninu(w)a; aramäisch ܢܝܢܘܐ, Nīnwē; hebräisch נִינְוֵה, Nīnəwē), war eine mesopotamische Stadt im heutigen Irak, am linken Ufer des Tigris, an der Mündung des kleinen Flusses Ḫosr innerhalb der modernen Stadt Mosul. Die ältesten Siedlungsreste befinden sich auf den Ruinenhügeln (Tells) Kujundschik und Nebi Junus. Während des 1. Jahrtausends dehnte sich die Besiedlung auch auf die Umgebung aus und erreichte eine Gesamtfläche von 750 ha. Die erforschten Siedlungsschichten lassen Ninive in den Zeitraum vom keramischen Neolithikum bis zur Islamischen Periode datieren, wobei es die größte Bedeutung im 7. Jh. v. Chr. als die Hauptstadt des assyrischen Imperiums erlangte.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Urgeschichte
Die Funde aus den ältesten Schichten, die mithilfe einer 27 m tiefen Sondage auf dem Hügel Kujundschik angeschnitten wurden, belegen Kulturhorizonte des späten Neolithikums und Chalkolithikums: Proto-Hassuna und Hassuna, Halaf, Spät-Ubaid, Mittel-Gawra, Mittel- und Spät-Uruk sowie das ältere Frühdynastikum (Ninive 5-Kultur). In der späten Uruk-Zeit könnte die Stadt bereits eine beträchtliche Ausdehnung gehabt haben; der italienische Archäologe Paolo Matthiae nimmt an, dass der gesamte Tell mit einer Fläche von 40 ha bewohnt war.
3. Jahrtausend v. Chr.
Archäologische und schriftliche Quellen belegen, dass im 23.-22. Jh. v. Chr. Ninive zum Reich von Akkade gehörte. Durch eine spätere Überlieferung ist die Bautätigkeit des Königs Maništūsu am Ištar-Tempel belegt<ref>In einer Bauinschrift des altassyrischen Königs Šamšī-Adad I., Grayson, RIMA 1, A.0.39.2, i 10.</ref>. Zu den wichtigsten Funden aus dieser Zeit gehört der Bronzekopf eines akkadischen Herrschers, der im Bereich dieses Tempels zutage kam. Gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. scheint Ninive zu einem hurritischen Fürstentum gehört zu haben<ref>Ein Fürst von Ninive mit dem hurritischen Namen Tišatal besuchte die mittelmesopotamische Stadt Ešnunna während der Regierungszeit des Königs Šū-Sîn von Ur: R. M. Whiting, Tiš-atal of Ninive and Babati, uncle of Šu-Sin, Journal of Cuneiform Studies 28 (1976) 173-182.</ref>.
Altassyrische Zeit
Im 2 Jahrtausend v. Chr. entwickelte sich Ninive zu einem bedeutenden urbanen und kultischen Zentrum, in dem die Göttin Ištar verehrt wurde. Um ihr Heiligtum haben sich der altassyrische König Šamšī-Adad I. (1808–1776 v. Chr.) und der altbabylonische König Hammurapi (1792–1750), wie im Prolog des Codex Hammurapi erwähnt, gekümmert. Šamšī-Adad I. rühmt sich, die Zikkurat Ekituškuga und den Emenue-Tempel im Emašmaš (auch Emesmes), dem heiligen Bezirk der Göttin Ištar, renoviert zu haben. Dabei habe er eine Gründungsurkunde von Maništušu, dem Sohn Sargons von Akkad gefunden (s. Einzelnachweis 1).
Mittelassyrische Zeit
Im 15. und beginnenden 14. Jahrhundert v. Chr. befand sich Ninive unter der Kontrolle des hurritischen Staates Mittani. Ab dem 13. Jahrhundert gehörte es dauerhaft zum assyrischen Reich, als eine der Residenzstädte der assyrischen Herrscher. Besonders intensive Bauaktivitäten sind aus den Inschriften des Tiglatpilesar I. (1114–1076 v. Chr.) bekannt, der den Königspalast („Palast des Königs der Vier Weltgegenden“) und den Ištar-Tempel erneuerte, die Stadtmauer reparierte sowie einen Garten und einen Kanal anlegte<ref>Grayson, RIMA 2, A.0.87.2; 10; 11; 12.</ref>. In seinen Inschriften erwähnt er als früheren Bauherren des Palastes seinen Großvater Mutakkil-Nusku und seinen Vater Aššur-rēša-iši und als die vorherigen Bauherren des Ištar-Tempels Šamši-Adad I., Aššur-uballiṭ I. und Salmanasser I. Am Eingang des Königspalastes waren Bilder der wilden Tiere der Berge und des großen Meeres zu sehen, unter anderem ein Bild eines „Seepferdes“ (akk. nāḫiru; = Schwertwal?), das der König selbst erlegt hatte. Die Türen bestanden aus Fichtenholz und waren mit Bronze beschlagen. Seine Mauern waren mit glasierten Ziegeln in den „Farben von Obsidian, Lapislazuli und Alabaster“ verkleidet. Aššur-bēl-kala, der Nachfolger Tiglat-Pilesers I., hinterließ eine weibliche Statue, deren Inschrift<ref>Grayson, RIMA 2, A.0.89.10.</ref> sie als zu seinem Palast zugehörig identifiziert. Die Statue (94 cm) befindet sich heute im Britischen Museum.
Neuassyrische Zeit
Zu einer bedeutenden Metropole wuchs Ninive im 1. Jahrtausend v. Chr. Mehrere neuassyrische Herrscher berichten in Inschriften über ihre Bauaktivitäten in der Stadt. Der vollständige Umbau erfolgte unter König Sanherib (704–681), der nach dem Tod seines Vaters, Sargon II., die Hauptstadt von Dūr-Šarrukin (Ḫorsabad) nach Ninive verlegte und die Stadt zum Mittelpunkt seines Reiches machte. Er errichtete hier eine gewaltige Stadtmauer mit einer Länge von 12 km. Sie hatte mehrere Tore, die mit den Namen großer Gottheiten oder anderer Residenzstädte bzw. Provinzen, in deren Richtung sie sich öffneten, benannt wurden. Zwei aus Norden kommende Hauptkanäle (aus Bawian und Maltai) versorgten die Stadt und ihr Umland mit Wasser. Unter Sanherib und seinen beiden Nachfolgern, Asarhaddon (680–669) und Assurbanipal (668–632/27), entstanden auf Kujundschik und Nebi Junus neue monumentale Palastanlagen (siehe: Architektur). Die Prachtbauten von Ninive wurden zerstört, nachdem die Stadt im Monat Abu (Juli/August) 612 v. Chr. nach einer dreimonatigen Belagerung durch verbündete Truppen des medischen Herrschers Kyaxares und des babylonischen Königs Nabopolassar eingenommen wurde <ref>Grayson, ABC, 94 (Z. 38-46)</ref>. Der assyrische König Sîn-šar-iškun kam laut der babylonischen "Chronik 3" dabei ums Leben. Man fand während der Freilegung des Ḫalzi- und Adad-Tores zahlreiche Skelette der gefallenen Verteidiger. Weitere Spuren der Eroberung sind bis heute unter anderem an manchen Palastreliefs sichtbar, auf denen die Gesichter Sanheribs und Assurbanipals absichtlich beschädigt wurden.
Gefangene feindliche Könige wurden am Tor von Ninive zur Schau gestellt.<ref>Kathryn F. Kravitz, A last-minute revision to Sargon's Letter to the God. Journal of Near Eastern Studies 62/2, 2003, 81-95</ref>
Antike
Griechische Quellen (Ktesias von Knidos) kennen eine Stadt Ninos, die von dem gleichnamigen mythischen Herrscher Ninos gegründet worden sein soll. Nach Strabo (Geographika 16, 2) lag Ninos in Aturien, einer Region, die jenseits von Arbela am anderen Ufer des Lykos liegt (16, 3). Diese Stadt wird allgemein mit Ninive identifiziert.
Bei den Ruinen von Ninive fand im Dezember 627 n. Chr. die Entscheidungsschlacht im letzten römisch-persischen Krieg statt (Schlacht bei Ninive).
Geschichte der Ausgrabungen in Ninive
Zwischen 1808 und 1820 war Claudius James Rich, Resident der East India Company in Bagdad, viermal in Mosul. Dabei untersuchte Rich den Hügel von Kuyunjik, von dem er die erste ausführliche Beschreibung mit Plan erstellte, der für die nachfolgenden Ausgräber sehr wichtig war.
1842 wurde Ninive von Paul-Émile Botta wiederentdeckt und in Teilen ausgegraben. Da er nach drei Monaten Arbeit nichts in seinen Augen Erfolgversprechendes fand, wandte er sich nach Khorsabad. Die Zeit der ersten britischen Grabungen auf dem Tell Kujundschik (1845–1855) wurde durch Austen Henry Layard und C. Rassam eingeläutet. Während der ersten, überaus erfolgreichen Kampagne entdeckte man einige neuassyrische Tempel und Palastbauten.
Ende des 19. Jahrhunderts erregte die Entdeckung von Keilschrift-Tafeln mit der „biblischen“ Sintflut-Erzählung (Fragmente des Gilgamesch-Epos) durch George Smith großes Aufsehen und gab weiteren Ausgrabungen auf dem Tell einen Schub. Dadurch wurde eine regelrechte Jagd nach den Tafeln ausgelöst („tablet hunt“), der sich auch C. Rassams Bruder Hormuzd Rassam anschloss. Die Funde von Tontafeln stammen überwiegend aus der Bibliothek des Assurbanipal. Im frühen 20. Jahrhundert wurden die Ausgrabungen von dem Briten Richard Campbell Thompson fortgeführt. 1931–32 legten R. C. Thompson und Max Mallowan einen Tiefschnitt an, der die Schichten von Ninive 1 erreichte (heute als Hassuna-Zeit bekannt). Die Schichtenfolge des Tiefschnitts:
- Ninive 5 – bemalte Keramik, frühdynastisch, 2900–2360 v. Chr.
- Ninive 4 – Djemdet-Nasr-Zeit, entspricht Tepe Gaura X-VIII
- Ninive 3 – Obed (Obed 3/4)
- Ninive 2 – östliches Halaf
- Ninive 1 – Hassunna
Während der Kampfhandlungen der beiden Weltkriege wurde der Tell Kujundschik wegen seiner strategisch günstigen Lage von türkischen beziehungsweise britischen Militärs als Basislager genutzt. Dennoch wird der im Krieg entstandene Schaden in der Forschung geringer als derjenige eingeschätzt, den Thompsons Ausgrabungen für die Archäologie bedeuten. Insgesamt ließ man während dieser umstrittenen Ära von Grabungen wenig Sorgfalt bei der graphischen Dokumentation architektonischer Überreste walten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es lange Zeit ruhig um Ninive, bis die irakische Altertumsverwaltung 1965 begann, Paläste und Tempel zu restaurieren und mehrere Rettungsgrabungen durchzuführen. Weite Bereiche wurden erneut aufgedeckt und zum Schutz der Reliefs überdacht. Die Regierung erklärte das gesamte Gelände innerhalb der Stadtmauern zum archäologischen Park und erließ ein striktes Bauverbot.
Die bisher letzten Grabungen zwischen 1987 und dem Ausbruch des Zweiten Golfkrieges unternahm ein amerikanisches Team unter der Leitung von David Stronach. Die irakischen Archäologen haben Teile der Stadtmauer und auch einige Stadttore restauriert, zuletzt mit Unterstützung der US-amerikanischen Armee.
Zerstörungen in der Gegenwart
Ende Februar 2015 wurden archäologische Fundstücke, zumeist Statuen aus verschiedenen Perioden der assyrischen Reiche, im Museum von Mossul durch die islamistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zerstört. Auch „an der archäologischen Grabungsstätte (in Ninive) attackierten die Fanatiker eine Torwächterfigur mit dem Pressluftbohrer.“ Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin, rief dabei zu einem Schutzprogramm auf, das auch die Ausbildung syrischer und irakischer Archäologen und Restauratoren beinhalten soll. Ein vom Bundesbildungsministerium für drei Jahre finanziertes Projekt sieht zudem vor, „den Schwarzmarkt mit antiken Kunstwerken besser auszuleuchten. . Winona Lake 2000, ISBN 1-57506-049-3. (1. Auflage 1975)
Zur Rolle Ninives in der Bibel
- Walter Dietrich: Ninive in der Bibel. In: Theopolitik. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments. Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 2002, ISBN 978-3-7887-1914-2.
- Meik Gerhards: Ninive im Jonabuch. In: Johannes Friedrich Diehl (u. a.) (Hrsg.): Einen Altar von Erde mache mir. Festschrift für Diethelm Conrad zu seinem siebzigsten Geburtstag. Hartmut Spenner, Waltrop (heute Kamern) 2003, ISBN 978-3899910100.
Zu Ninive bei Schriftstellern des Klassischen Altertums
- Reinhold Bichler, Robert Rollinger: Die Hängenden Gärten zu Ninive – Die Lösung eines Rätsels?. In: Robert Rollinger (Hrsg.): Von Sumer bis Homer, Festschrift für Manfred Schretter zum 60. Geburtstag am 25. Februar 2004. Ugarit (Verlag Dr. Manfried Dietrich u. Dr. Oswald Loretz), Münster 2005, ISBN 978-3-934628-66-3.
Weblinks
- Die Tontafeln von Ninive. Sir Austen Henry Layard (1817–1894) und seine archäologischen Funde in Ninive. theologische-links.de
- Ninive – Jonas ungeliebtes Reiseziel. Bible Earth, der virtuelle Reiseführer
Einzelnachweise
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