Papstprimat


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Als Papst-Primat (der oder das; lat. prīmatus: Vorrang, Vorzug), Primat des Papstes oder Petrusprimat bezeichnet man den vom Papsttum der römisch-katholischen Kirche beanspruchten Vorrang als Führer des gesamten Christentums. Dieser Anspruch wurde seit dem 3. Jahrhundert auf die Überlieferung der römischen Gemeinde zurückgeführt, der Apostel Simon Petrus sei der erste Bischof von Rom gewesen und habe dort das Martyrium erlitten; daraus wurde über eine ununterbrochene Apostolische Sukzession die Autorität der römischen Cathedra abgeleitet. Die theoretische und praktische Ausformung des Primats geschah in einer jahrhundertelangen Entwicklung, die unter anderem Gegenstand der Kirchenspaltungen des Morgenländisches Schismas und der Reformation war. Katholischerseits kam diese Entwicklung mit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 zum Abschluss, bei dem der Papstprimat als höchste Rechtsgewalt (Jurisdiktionsprimat) und höchste Lehrvollmacht (suprema quoque magisterii potestas; Unfehlbarkeit in Lehrentscheidungen ex cathedra) in der Kirche dogmatisch definiert wurde.

Römisch-katholische Definition

Das Erste Vatikanische Konzil (1869 bis 1870) definiert den Jurisdiktionsprimat folgendermaßen:

„Wer also sagt, der römische Bischof habe nur das Amt einer Aufsicht oder Leitung und nicht die volle und oberste Gewalt der Rechtsbefugnis über die ganze Kirche – und zwar nicht nur in Sachen des Glaubens und der Sitten, sondern auch in dem, was zur Ordnung und Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche gehört –; oder wer sagt, er habe nur einen größeren Anteil, nicht aber die ganze Fülle dieser höchsten Gewalt, oder diese seine Gewalt sei nicht ordentlich und unmittelbar, ebenso über die gesamten und die einzelnen Kirchen wie über die gesamten und einzelnen Hirten und Gläubigen, der sei ausgeschlossen.“

Im Kodex des Kanonischen Rechts, Kanon 331 von 1983, lautet die Definition:

„Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn einzig dem Petrus, dem Ersten der Apostel, übertragene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden, deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.“

Im Kanon 1399 ist umfassende Art der Ausübung dargestellt.

Nach Lehre der römisch-katholischen Kirche, wie sie in der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Ausdruck kommt, ist der päpstliche Primat ein theologisches Erfordernis, um dem Christentum in der öffentlichen Sphäre den Vorrang vor den Ansprüchen der Staaten und der gesellschaftlichen Ordnung einzuräumen.

Die genaue historische Entwicklung ist demgegenüber zweitrangig. Da die römisch-katholische Kirche von einer Realpräsenz Gottes in der Geschichte der Kirche ausgeht, die sich in den Sakramenten, aber auch in definitiven Entscheidungen der Kirche zeigt, argumentiert die katholische Kirche nicht allein aus der Heiligen Schrift, sondern auch von der Tradition her. Im ökumenischen Dialog wird das stark rechtlich gefasste, somit typisch römische Verständnis des Primats seitens der anderen Konfessionen jedoch weiterhin abgelehnt. Die sichtbare Präsenz des Christentums gegenüber Staat und Politik durch das heutige, auf seinen geistlichen Auftrag konzentrierte Papsttum wird aber inzwischen auch von manchen nicht-römisch-katholischen Theologen positiver gewürdigt als in der Vergangenheit.

Neutestamentliche Begründung

Die Päpste begründen ihren Primatsanspruch vor allem mit Mt 16,18f EU:

„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“

Ob es sich um ein „echtes“ Jesuswort handelt, ist ebenso umstritten wie der Bezug und die Bedeutung des Wortspiels Petrus und petra (Fels, Stein). Angenommen wird oft, dass dieses Wort eine Leitungsfunktion des Apostels Petrus in der Jerusalemer Urgemeinde spiegelt. Es ist neben Mt 18,17 EU die einzige Stelle in den Evangelien, wo das Wort „ekklesia“ (Gemeinde, Kirche) vorkommt. Hier werden also Struktur- und Autoritätsfragen der frühen Christenheit reflektiert.

Einige protestantische Autoren meinen, dass Jesus petra nicht auf ein Leitungsamt des Petrus, sondern auf sein zuvor geäußertes Messiasbekenntnis beziehe, also den Glauben an Jesus Christus zum Fundament der Gemeinde erkläre. Er selbst sei also der Felsen, auf den diese gebaut sei. Dazu wird oft auf 1 Kor 3,11 EU verwiesen: „einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“

Einige Autoren meinen, dass Jesus hier nicht von Petrus spreche, sondern von „Offenbarung“. Diese sei der Fels der Kirche, nicht der Apostel Petrus. Dazu verweisen sie auf Mt 16,17 EU: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Jesus mache im folgenden Vers 18 von einem Wortspiel Gebrauch, indem er Petrus Kephas nenne, was übersetzt Fels bedeutet. So führe Jesus hier den Namen Petrus als Gleichnis an, um sich dann auf den Vers zuvor zu beziehen.

Zur Begründung des seelsorgerlichen Petrusprimats wird oft auch Joh 21,15ff EU herangezogen, wo Jesus Petrus auffordert: „Weide meine Lämmer Wie können wir Dekrete von ihr annehmen, die herausgegeben wurden, ohne uns zu konsultieren und sogar ohne unser Wissen? Wenn der römische Pontifex auf dem hohen Throne seines Ruhms sitzend uns anzudonnern und von oben herab seine Befehle gegen uns zu schleudern wünscht, wenn er über uns zu richten und uns und unsere Kirchen zu beherrschen wünscht, nicht indem er mit uns berät sondern nach seinem willkürlichen Belieben, was für eine Art von Bruderschaft oder sogar Vaterschaft kann das sein? Wir wären die Sklaven, nicht die Söhne einer solchen Kirche, und der römische Stuhl wäre nicht die fromme Mutter von Söhnen sondern eine harte, anmassende Gebieterin von Sklaven.“

Christian History: Imperious Mistress?

Außerhalb der römisch-katholischen Kirche wird Matthäus 16,18 nur auf den Apostel Petrus oder, im Zusammenhang mit der Parallelstelle Mt 18,18 EU, auf alle Apostel, alle Geistlichen oder alle Christen bezogen. Die Lehre, dass der Bischof von Rom einziger Rechtsnachfolger Petri sei und daher diese Leitungsfunktion über die ganze Kirche „erbe“, ist nur in der römisch-katholischen Kirche anerkannt.<ref>Manfred Kock: Das Papstamt aus evangelischer Perspektive; Vortrag in der Karl-Rahner-Akademie zu Köln am 4. September 2001.</ref>

Ein „Petrusamt“ im Dienst der Einheit der Kirchen halten auch manche nicht-römisch-katholische Theologen für wünschenswert. Jurisdiktionsprimat und absolute Lehrvollmacht (Unfehlbarkeit), wie sie der Papst in der römisch-katholischen Kirche ausübt, werden aber entschieden abgelehnt und als Hindernis zur Einheit der Kirchen angesehen.

Einige Katholiken lehnten den auf dem Ersten Vatikanischen Konzil bekräftigten Papst-Primat und dessen alleinigen Führungsanspruch ab. Sie schlossen sich zusammen und vereinigten sich mit dem Erzbistum Utrecht zur Utrechter Union der Altkatholischen Kirchen.

Literatur

Neues Testament
Orthodoxie
  • Boris Bobrinskoy (Hrsg.): Der Primat des Petrus in der orthodoxen Kirche. Übersetzt aus dem Französischen von Matthis Thurneysen. EVZ-Verlag, Zürich 1961 (Bibliothek für orthodoxe Theologie und Kirche 1, ZDB-ID 844325-7).
Historische Ausgaben
  • Johann Friedrich Ludwig Rothensee: Der Primat des Papstes in allen christlichen Jahrhunderten. Nach seinem Tode herausgegeben von Räss und Weis. 3 Bände. Kupferberg, Mainz 1836–1838.
  • J. Frohschammer: Der Primat Petri und des Papstes. Zur Beleuchtung des Fundamentes des römischen Papstherrschaft. Verlag Eduard Loll, Elberfeld 1875.
Papsttum
  • Reinhard Gahbauer: Gegen den Primat des Papstes. Studien zu Niketas Seides. Edition, Einführung, Kommentar. Verlag Uni-Druck, München 1975, ISBN 3-87821-131-7 (Zugleich: München, Univ., Diss., 1975).
  • Georg Schwaiger: Päpstlicher Primat und Autorität der Allgemeinen Konzilien im Spiegel der Geschichte. Schöningh, München u. a. 1977, ISBN 3-506-74786-X.
  • Wolfgang Klausnitzer: Der Primat des Bischofs von Rom. Entwicklung – Dogma – Ökumenische Zukunft. Herder, Freiburg (Breisgau) u. a. 2004, ISBN 3-451-28513-4.
  • Marcus Schumacher: Der Primat des Papstes. Die Krise des Primates im Zeitalter von Schisma und Konziliarismus. Grin Verlag, München 2007, ISBN 978-3-638-79540-1.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Primat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelbelege

<references />en:Papal supremacy