Reflexion (Philosophie)
Reflexion bedeutet in der Umgangssprache, wenn auf eine geistige Tätigkeit bezogen, etwa: Nachdenken, Überlegen. In der Philosophie gibt es seit dem 17. Jahrhundert darüber hinaus fachspezifische Verwendungen des Begriffs, die sich mehr oder weniger am umgangssprachlichen Begriff orientieren und unterschiedliche Aspekte hervorheben. Im Zentrum steht dabei die Unterscheidung von auf äußere Objekte bezogenem Wahrnehmen und derjenigen geistigen Tätigkeit, die sich auf die Denk- und Vorstellungsakte selbst richtet.
Inhaltsverzeichnis
Antike und neuzeitliche Grundlagen
Eine „Erkenntnis der Erkenntnis“ wird schon von Platon angesprochen (Charmides 171c), Aristoteles nennt das „Denken des Denkens“ im Zusammenhang einer Erörterung des Glücks, das für ihn aus der geistigen Tätigkeit überhaupt entsteht:
- „wenn nun der wahrnimmt, der sieht, daß er sieht, und hört, daß er hört, und als Gehender wahrnimmt, daß er geht, und wenn es bei allem anderen ebenso eine Wahrnehmung davon gibt, daß wir tätig sind, so daß wir also wahrnehmen, daß wir wahrnehmen, und denken, daß wir denken: und daß wir wahrnehmen und denken, ist uns ein Zeichen, daß wir sind (...)“.<ref>Aristoteles: Nikomachische Ethik IX 9, 1170a28ff. (Übers. O. Gigon); vgl. auch mit Analytica Posteriora 87b und De Anima 429a-433a.</ref>
Schließlich wird die Rückwendung des Geistes auf sich, griechisch epistrophé, im Neuplatonismus, vor allem bei Proklos, zu einem zentralen Begriff. Im Mittelalter wurde epistrophé zunächst als reditio, Rückkehr, oder conversio, Umkehr übersetzt. Daneben verwendete Thomas von Aquin aber bereits reflexio.<ref>Thomas von Aquin, De veritate I 9.</ref>
Im Anschluss an Descartes' Spiegel-Metaphern entstanden zahlreiche kontroverse Reflexionstheorien. Dennoch „dürfte die Definition von Leibniz »La réflexion n'est autre chose qu'une attention à ce qui est en nous«<ref>Leibniz, Nouveaux Essais, Préf. (Darmstadt 1959, XVI).</ref> Eine solche Selbstthematisierung von Thematisierungsweisen nennt die philosophische Tradition (in einer optischen Metapher) Reflexion, und sie expliziert dies vor allem in der Neuzeit – grob gesprochen: von Descartes bis Husserl – in mentalistischen Termini: als Denken des Denkens, Erkennen des Erkennens, Bewußtsein des Bewußtseins usf. Sie verknüpft das so Explizierte mit der Aufgabe einer philosophischen Begründung der Philosophie, die ihrerseits Wissenschaft und Moral begründen soll. Reflexion wird damit zum Medium der Selbst-begründung der Philosophie, d. h. des Lösungsverfahrens eines Problems, das selbst reflexiv strukturiert ist. >Reflexion< ist darum der wichtigste Methodenbegriff der neueren Philosophie.“<ref>Reflexion und Diskurs, Frankfurt 1977, S. 9.</ref>
Hierbei gehe Reflexion als Begründung – im Sinne von Geltungsgründen der Praktischen Philosophie – über Reflexion als Selbstbeobachtung hinaus (dies stellt eine Abgrenzung zu empiristischen und systemtheoretischen Theorien dar). Als ein Drittes ist in der Schnädelbachschen Reflexionstheorie die Reflexion als Begriffsklärung zu unterscheiden (analog zu seiner analytischen Trennung von normativen, deskriptiven und explikativen Diskursen). In Bezug auf Reflexion als Begründung von Handlungen betont Jürgen Habermas in der Vorlesungsreihe Der philosophische Diskurs der Moderne (1983/84) die kommunikative Verankerung der Reflexion:
- „Freilich ist ‚Reflexion’ nicht mehr eine Sache des Erkenntnissubjekts, das sich objektivierend auf sich bezieht. An die Stelle dieser vorsprachlich-einsamen Reflexion tritt die ins kommunikative Handeln eingebaute Schichtung von Diskurs und Handeln.“<ref>Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, S. 375.</ref>
In der Systemtheorie Niklas Luhmanns bezeichnet Reflexion eine bestimmte Form der Selbstreferenz sozialer Systeme, und zwar die, bei der das System seinen Operationen die Differenz von System und Umwelt zugrunde legt. Die Selbstreferenz dient der autopoietischen Reproduktion, d. h. der Reproduktion des Systems aus sich selbst heraus; die Orientierung an der Differenz von System und Umwelt erlaubt es dem System, Konditionierungen durch die Umwelt selbst zu wählen, was relevant werden kann, wenn das System als solches in Frage gestellt wird.<ref>Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt: Suhrkamp 1987, S. 600 ff., 617 f.</ref> Luhmann formuliert, auch in Hinblick auf psychische Systeme (mit Verweis auf Jurgen Ruesch/Gregory Bateson für unbestrittene Standards von psychiatrischen Theorien):
- „Jede Analyse der Selbstbeschreibung oder, in klassischer Terminologie, von „Reflexion“ wird davon ausgehen müssen, dass das System für sich selbst operativ unerreichbar und damit auch für die eigenen Operationen intransparent bleibt.[...] Hier mag der Grund dafür liegen, dass die klassischen Theorien der Selbstreflexion, sei es des Bewusstseins, sei es des „Geistes“, mit dem Schema bestimmt/unbestimmt arbeiten. [...] In Hegels Theorie wird dies zu einem Problem durch Dialektik disziplinierter Übergänge.“<ref>Organisation und Entscheidung. Opladen 2000, S. 424., mit Verweis auf Jurgen Ruesch, Gregory Bateson: Communication: The Social Matrix of Psychiatry. 2. Auflage. New York 1968, S. 99 ff.</ref>
Reflexionstheorien arbeiten in unterschiedlichen Weisen und Lösungsansätzen mit dem Paradox eines blinden Flecks in jeder Beobachtung, des Kantischen Absehens von sich selbst, des Unterstellens bei Martin Heidegger, des bereits in-der-Sprache-seins bei Hans-Georg Gadamer oder des Dekonstruktionstheorems von Jacques Derrida; um nicht zuletzt auch das, was sich nicht bezeichnen lässt, zumindest als „unbestimmt“ zu erfassen. Theodor Adorno war in Anschluss an Hegel - welcher hierzu nach wie vor am ausführlichsten gearbeitet hat - zur Ausarbeitung einer negativen Dialektik veranlasst. Reflexion ist in dieser Theorielage der gedanklich verlaufende Rückbezug auf das, was das Denken im Denken denken und nicht denken kann (bzw. auf das, was die Gespräche und sonstige Kommunikationen in der Kommunikation kommunizieren und nicht kommunizieren können).
Siehe auch
Literatur
chronologisch
- René Descartes: Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences. 1637 (deutsch: Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung).
- John Locke: An Essay concerning Humane Understanding. 1690 (deutsch: Ein Versuch über den menschlichen Verstand).
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes. 1806/1807.
- Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. Niemeyer, Halle(Saale) 1913.
- Hans Wagner: Philosophie und Reflexion. München, Basel 1959. 3. Auflage. 1980, ISBN 3-497-00937-7.
- Herbert Schnädelbach: Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie. Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-06408-8.
- Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-57684-4.
- Lothar Zahn: Art. Reflexion. In: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 8. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, Sp. 396–405.
- Andreas Arndt: Dialektik und Reflexion: Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs. Meiner, Hamburg 1994, ISBN 3-7873-2329-5.
- Johannes Heinrichs: Logik des Sozialen, Woraus Gesellschaft entsteht. München 2005, ISBN 954-449-199-6.
- Urs Weth: Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz. Ein Blick hinter die Kulissen der eigenen Persönlichkeit oder: Wer spricht, wenn Sie Ich sagen? Wirkstatt-Verlag, Basel 2014, ISBN 978-3-9522879-1-0.
Einzelnachweise
<references />