Rustizierung (Architektur)
Die Oberfläche eines Bauglieds heißt rustiziert, wenn die einzelnen Steinlagen durch starke Fugen getrennt sind. Die Rustizierung ist eine Variante der Bänderung.
Arten der Rustizierung
Rustizierung
Wenn bei Sichtmauerwerk oder Putzmauerwerk die Fugen zwischen den Schichten eine markante Stärke erreichen, wird das Mauerwerk als rustiziert (rustifiziert) bezeichnet.
Die tatsächlichen oder (bei Putzmauerwerk) vorgetäuschten Steinlagen bilden waagerechte Bänder. Auch entsprechend starke Fugen wirken bandbildend, insbesondere dann, wenn sie den Raum einer ganzen Steinlage einnehmen, so dass der Eindruck entsteht, als wäre jede zweite Steinlage ausgelassen worden.<ref>Siehe Glossar, Stichwort „Rustika“.</ref>
Auf Grund der Bänderstruktur werden rustizierte Bauglieder auch als gebändert bezeichnet, obwohl der Begriff der Bänderung auch andere Erscheinungsformen beinhaltet.
Rustika und rustiziertes Sichtmauerwerk unterscheiden sich in den Stirnflächen der Steine, aus denen das Mauerwerk besteht (siehe Titelbild). Bei Rustika sind die Stirnflächen sehr grob behauen und täuschen einen fast unbearbeiteten Zustand vor. Bei rustiziertem Mauerwerk sind die Stirnflächen mehr oder minder flach und weisen eine deutlich erkennbare Bearbeitung auf.
Der Sprachgebrauch ist nicht einheitlich. Der Begriff der Rustika wird auch als Oberbegriff für Rustika und Rustizierung und als Synonym für Rustizierung verwendet.
Bandrustika
Eine Sonderform der Rustizierung stellt die Bandrustika oder Bänderrustika dar. Als Bandrustika werden Putzflächen bezeichnet, die durch Fugen in durchlaufende Putzstreifen unterteilt sind.<ref>Siehe Glossar, Stichwort „Rustika“.</ref> Der Sprachgebrauch ist jedoch nicht einheitlich, beide Begriffe werden auch synonym für rustizierte Oberflächen verwendet, bei denen die Putzstreifen nicht durchlaufend sind.
Rustizierung und Bandrustika unterscheiden sich durch die senkrechten Fugen, die bei der Bandrustika fehlen. Abgesehen vom ohnehin uneinheitlichen Sprachgebrauch kann man in Grenzfällen, z. B. bei schmalen Pfeilern, beide Begriffe nebeneinander verwenden.
Plattenrustika
Die flache Spielart der Rustika wird als Plattenrustika oder Steinschnittquaderung bezeichnet. Die Quader sind an ihrer Stirnseite flach und glatt bearbeitet („Spiegelquader“) und nur durch Fugen voneinander getrennt, oder das Mauerwerk wird außen mit Platten verkleidet.
Diese Variante ist weniger verwandt mit der Bossenrustika als mit Wandverkleidungen durch Marmorplatten („Inkrustation“), wie sie aus Antike und Protorenaissance überliefert sind. Auch moderne Natursteinfassaden können als Plattenrustika ausgeführt werden.<ref>Teils wörtlich übernommen aus dem Abschnitt Plattenrustika in dem Online-Kurs von Ulrich Fürst.</ref>
Eckrustizierung
Bei der Eckrustizierung beschränkt sich die Rustizierung auf die Ecken eines Gebäudes. Sie besteht in selten Fällen aus Werksteinen. Häufiger werden die Ecken mit Putzprofilen in die gewünschte Form gebracht oder Mal- bzw. Sgraffito-Techniken verwendet.<ref>Helmut Gebhard: Bauernhäuser in Bayern. Hugendubel, München 1999, ISBN 978-3896313690, S. 380.</ref>
Bauglieder
Die Rustizierung war in Renaissance, Manierismus, Neurenaissance und Historismus ein beliebtes Stilmittel in der Architektur.
Sie wurde hauptsächlich für Fassaden verwendet und konnte sich auf die ganze Fassade, auf einzelne Stockwerke oder auf einzelne Bauglieder einer Fassade (Lisenen, Ecklisenen, Pilaster, Blendsäulen, Fenster- und Türrahmungen) erstrecken.
Außer Fassaden und Fassadenelementen wurden auch freie Bauglieder wie z. B. Pfeiler und Säulen rustiziert.
- Steyr Sierninger Straße 82 (01).JPG
Bandrustika im Erdgeschoss, rustizierte Ecklisene im ersten Stock. Steyr, Haus Sierninger Straße 82.
- Co Friedrich-Rückert-Straße 53.JPG
Bandrustika-Pilaster im Erdgeschoss. Coburg, Haus Friedrich-Rückert-Straße 53.
- Grosse Grotte im Hortus Palatinus.jpg
Rustizierte Fassade und Obelisken. Große Grotte im Hortus Palatinus des Heidelberger Schlosses.
- Albert Güldenstein, Nymphenbrunnen an der Ostfassade von Villa Berg, von Osten.jpg
Kräftige Rustizierung im Untergeschoss und leicht rustizierte Eckpfeiler am Mittelportal des Erdgeschosses. Stuttgart, Villa Berg.
- Schloss13.jpg
Stark rustizierte Fensterrahmungen und Ecklisenen am Mittelrisalit. Meiningen, Schloss Elisabethenburg.
- Koenigliche Saline in Arc-et-Senans Bild5 800px.jpg
Portikus mit rustizierten Säulen. Arc-et-Senans, Königliche Saline, Haus des Direktors.
Übersetzungen
Sprache | Wortformen | ||
Deutsch | Rustika | rustizieren (rustifizieren) | Bandrustika (Bänderrustika) |
Englisch | rustication | to rusticate | banded rustication |
Französisch | le bugnato | ||
Italienisch | il bugnato rustico | il bugnato liscio | |
Spanisch | el almohadillado | almohadillar |
Wortherkunft
Das Wort rustizieren bzw. rustifizieren ist leitet sich ab von Rustika (lateinisch „opera rustica“ = ländliches Werk) und bedeutet so viel wie „mit einer Rustika-Oberfläche versehen“.
Literatur
In allgemeinen Wörterbüchern, Lexika und Enzyklopädien und in Kunstnachschlagewerken wird das Stichwort „Rustika“ von Fall zu Fall erklärt, die Begriffe Rustizierung und rustiziert (im architektonischen Sinn) werden jedoch nicht berücksichtigt. Das gleiche trifft für Bandrustika und Bänderrustika zu. Die hier gegebene Darstellung bezieht sich auf den üblichen Gebrauch der Begriffe in der kunsthistorischen Literatur.
Im Lexikon der Kunst wird unter dem Stichwort „Rustika“ das Wort „rustiziert“ im Zusammenhang verwendet, aber nicht definiert.
- Wolf Stadler (Gesamtleitung): Lexikon der Kunst: Malerei, Architektur, Bildhauerkunst. Band 6, Leipzig 2004.
- Glossar. In: Ulrich Fürst: Schule des Sehens – Neue Medien der Kunstgeschichte: Einführung in die Architektur der Renaissance und des Barock. Online ohne Ort und Jahr [1].
- Zur Plattenrustika. In: Ulrich Fürst: Schule des Sehens – Neue Medien der Kunstgeschichte: Einführung in die Architektur der Renaissance und des Barock. Online ohne Ort und Jahr [2].
Weblinks
Einzelnachweise
<references />