Rut Brandt
Rut Brandt (* 10. Januar 1920 in Hamar, Norwegen; † 28. Juli 2006 in Berlin, geborene Rut Hansen, verwitwete Rut Bergaust) war eine norwegisch-deutsche Autorin und die zweite Ehefrau des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Sie wuchs als dritte der vier Schwestern Hjørdis, Tulla, Rut und Olaug auf. Ihr Vater Andreas Hansen, der als Privatchauffeur auf dem Gut Adlungstad in Stange beschäftigt war, starb, als Rut drei Jahre alt war. Ihre Mutter, die von ihr später als Sozialistin und Christin beschrieben wurde, musste nach dem Tod ihres Mannes den Unterhalt der Familie verdienen. Sie zogen nach Kapp auf der anderen Seite der Mjøsa, wo ihre Mutter in einer Milchfabrik Arbeit fand, und einige Jahre später, als Rut sieben Jahre alt war und die Milchfabrik verlagert wurde, wieder zurück, in die Nähe von Hamar.<ref>Rut Brandt: Freundesland, S. 24</ref> Nach der Schulausbildung wurde die 15-jährige Rut Verkäuferin in einer Bäckerei, dann Hausmädchen und schließlich Schneiderlehrling.
Als 16-Jährige trat Rut Brandt, die sich selbst später als „geborene Sozialistin“ bezeichnete,<ref>Rut Brandt: Freundesland, S. 10: „Wir waren Arbeiterkinder, und wir waren ‚geborene‘ Sozialisten.“</ref> einer sozialistischen Jugendgruppe bei. Die Gruppe engagierte sich bereits gegen den für Europa bedrohlichen Faschismus, als dieser von Norwegen noch weit entfernt war. Nach der unerwarteten deutschen Besetzung Norwegens 1940 wurde die Gruppe verboten, man traf sich privat weiter und informierte sich durch regelmäßiges Abhören der norwegischen Nachrichten von BBC, auch noch nachdem der Besitz von Radios verboten worden war. Die Gruppe gab etwa ein halbes Jahr lang die illegale Zeitung „Radionytt - H7“ heraus, die mit einer Auflage zwischen 1000 und 3000 Exemplaren erschien, durch Eisenbahner und über zuverlässige Kontakte verteilt wurde und die Norweger mit politisch wesentlichen Nachrichten versorgte.<ref>Rut Brandt: Freundesland, S. 52: „Radionytt - H7 kam unregelmässig heraus, ungefähr einmal in der Woche, manchmal auch öfter, wenn es eilige Nachrichten gab. Die Auflage schwankte zwischen 1000 und 3000 Exemplaren mit zwei oder vier Seiten. [...] Es war eine kleine Zeitung, aber in dem halben Kriegsjahr, das wir uns halten konnten, erfuhren die Menschen durch sie wesentliche Nachrichten.“</ref> Dadurch wurde Rut Brandt Teil des norwegischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer.
Als die Gruppe im Sommer 1942 aufflog, floh Rut mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Tulla nach Schweden. Dort traf sie ihren Freund wieder, den ebenfalls im norwegischen Widerstand tätigen Eisenbahner Ole Olstadt Bergaust, den sie Brum nannte und im Herbst 1942 im Exil in Stockholm heiratete. Sie wurde, wie er auch, beim Pressebüro der norwegischen Botschaft angestellt. Brum war kräftig durch viel Sport, aber er litt an einem zunächst als harmlos eingeschätzten „hartnäckigen Raucherhusten“.<ref>Rut Brandt: Freundesland, S. 62</ref> Er wurde bald darauf krank und mehrmals an der Lunge operiert. 1946 starb er an einer Lungenkrankheit.
Den aus Lübeck emigrierten Willy Brandt, den sie zum ersten Mal bei ihrer Hochzeit 1942 gesehen hatte, lernte Rut Bergaust 1944 kennen. Obwohl beide noch verheiratet waren, verband sie bald eine feste Beziehung. 1947 folgte sie Willy Brandt an die Norwegische Militärmission nach Berlin, wo sie als seine Sekretärin arbeitete.<ref>Helene Walterskirchen: An der Seite der Macht: Deutschlands First Ladys. Ueberreuter, Wien 2002, ISBN 3-8000-3845-5, S. 153</ref> Bergaust trug den Rang eines Leutnants.<ref>Key list of MG personnel (PDF; 5,1 MB). In: „Weekly Information Bulletin“, Nr. 131 (1948) vom 23. März 1948, Herausgegeben vom Office of Military Government for Germany, Druckhaus Tempelhof, Berlin, „Allied Military Missions - Norway“, S. 32</ref> Sie gab Ende 1947 ihre Stellung an der Militärmission auf, nachdem Brandt dies bereits getan hatte.<ref name="brandt">Willy Brandt: Links und frei. Mein Weg 1930 - 1950. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1982, ISBN 3-455-08743-4, S. 220–224 (Auszüge im Vorabdruck in: Durchhalten und überleben. In: Der Spiegel. Nr. 40, 1982, S. 210 (online).)</ref>
Nach dem Tod ihres Mannes und Brandts Scheidung 1948 heirateten die beiden noch im selben Jahr. Die Trauung vollzog ein norwegischer Militärgeistlicher, der von seiner Einheit im Harz nach Berlin kam.<ref name="brandt" /> Da ihr Mann bürgerlich noch Herbert Frahm hieß, trug sie bis 1949 den Namen Rut Frahm.<ref>Vgl. Oktober 1948: Hochzeit mit Rut und Peters Geburt (Memento vom 2. Februar 2014 im Internet Archive). In: Willy-Brandt-Biografie auf der Website der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (www.bwbs.de); Archivversion auf Archive.is vom 21. Juli 2012; abgerufen am 20. Januar 2014</ref> Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor: Peter (* 1948), Lars (* 1951) und Matthias Brandt (* 1961).<ref>Oktober 1948 Hochzeit mit Rut und Peters Geburt Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung</ref> Auch wenn sich Rut Brandt den „klassischen Tätigkeiten“ einer Politikergattin widmete, so sind politische Weggefährten und Beobachter sich einig, dass Willy Brandt seine politische Karriere ohne Rut an seiner Seite nicht hätte machen können. Dem Politiker stand mit ihr eine Frau zur Seite, die ihm durch ihre offene kommunikative Art viele Sympathien einbrachte und oftmals als „Sprachrohr“ fungierte.
In den Jahren nach Brandts Rücktritt als Bundeskanzler lebten sich die beiden auseinander. Als Rut im Frühjahr 1979 von der Beziehung ihres Mannes zu seiner späteren Frau Brigitte Seebacher erfuhr, trennte sie sich von ihm und reichte die Scheidung ein. Am Tag der Scheidung im Dezember 1980 begegneten sie sich zum letzten Mal.
Rut Brandt blieb auch nach der Trennung von Brandt im gesellschaftlichen Leben der damaligen Bundeshauptstadt Bonn präsent, was dokumentiert, dass die ihr entgegengebrachte Zuneigung nicht allein von der gesellschaftlichen Stellung Brandts herrührte. Ab 1982 war der dänische Journalist Niels Nørlund († 2004) ihr Lebensgefährte. Als sie 1992 ihre Lebenserinnerungen unter dem Titel „Freundesland“ veröffentlichte, lebte sie mit Nørlund in Roisdorf bei Bonn.<ref>Verstehst du denn gar nicht … - Klaus Wirtgen über Rut Brandts Erinnerungen „Freundesland“. In: Spiegel Spezial. Bücher ’92. 1. März 1992</ref>
Nach Willy Brandts Tod im Oktober 1992 nahm Rut Brandt nicht am Staatsakt und der Beisetzung teil. Sie wurde nicht eingeladen, und nach Aussagen ihres Sohnes Peter (aus Anlass des 100. Geburtstages von Willy Brandt) entsprach dies zum einen den Wünschen seines Vaters, und zum anderen habe seine Mutter ihm gegenüber geäußert, dass sie auch bei einer Einladung nicht teilgenommen hätte: „Sie war ja nicht blöd. Das wäre ja das gefundene Fressen gewesen für die Medien. [...] die beiden Witwen.“ Trotzdem hätte sie gerne eine Einladung erhalten, sei aber dann am nächsten Tag zum Grab gegangen, um sich auf ihre Weise zu verabschieden.<ref>Peter Brandt in Willy Brandt - Erinnerungen an ein Politikerleben, Dokumentation von André Schäfer für WDR / rbb / arte, Deutschland 2013. Vgl. Eintrag bei AGDOK</ref> Vielfach wurde in den Jahren nach Brandts Tod in der Öffentlichkeit kolportiert, dass Brandts dritte Ehefrau Brigitte Seebacher-Brandt eine explizite Ausladung von Rut Brandt betrieben habe, wofür es aber keine eindeutigen Belege gibt. Egon Bahr berichtet in der "Zeit" Nr. 47 vom 14. November 2013 auf Seite 16 des Dossiers über Willy Brandt: "„Nach Willys Tod am 8. Oktober 1992 wurde ich vom Protokollchef des Kanzleramtes angerufen. Er sagte: „Wir haben ein Problem: Wir wissen nicht, wie wir beim Staatsakt Rut Brandt behandeln sollen.“ Darauf antwortete ich: Ich werde versuchen, das herauszufinden. Ich rief Rut an und begann zu stottern. Sie lachte und sagte: „Ich kann mir genau vorstellen, weshalb du anrufst. Aber ihr könnt beruhigt sein. Ich bin nicht seine Witwe. Ich werde meine Gelegenheit nutzen, Willy zu besuchen, wenn alles vorbei ist.“ Das Protokoll war erleichtert, und es war kein Thema mehr. Das Gerücht, dass Brigitte Seebacher-Brandt Rut ausgeladen hat, ist falsch.“ Im August 2014 hat Bahr diese Richtigstellung dem stellvertretenden Vorsitzenden und dem Geschäftsführer der Bürgerstiftung Unkel gegenüber erneut bekräftigt.
Rut Brandt zog 2004 in ein Altenheim in Berlin und verstarb 2006 nach längerer Krankheit im Alter von 86 Jahren.<ref>Nach längerer Krankheit: Rut Brandt gestorben n-tv 30. Juli 2006</ref> Sie wurde auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf beigesetzt, wo sich auch Willy Brandts Grab befindet.
Über ihr Verhältnis zu ihrem Geburtsland Norwegen und zu Deutschland, wo sie den größten Teil ihres Erwachsenenlebens verbrachte und wo ihre Söhne geboren wurden, sagte sie:
„Ich fühle mich nicht zwischen Norwegen und Deutschland gespalten. Ich bin hier wie dort zuhause, und lebe in beiden Sprachen. Kenne ich Norwegen mit der Vertrautheit der Kindheit, habe ich mit Deutschland gelebt und gestritten und gelitten alle meine erwachsenen Jahre.“<ref>Rut Brandt: Freundesland, S. 292–293.</ref>
Auszeichnungen
- 1993: Berliner Bär (B.Z.-Kulturpreis)
- 2001: Norwegischer Verdienstorden
Werke
- Freundesland. Erinnerungen. Hoffmann und Campe, Hamburg 1992, ISBN 3-455-08443-5. (Rut Brandts Autobiographie, zugl. Biographie von Willy Brandt für den Zeitraum 1944–1974)
- Wer an wen sein Herz verlor. Begegnungen und Erlebnisse. 1. Aufl., List Verl., München 2003 (= List-Taschenbuch, 60348), ISBN 3-548-60348-3.
Literatur
- Torsten Körner: Die Familie Willy Brandt. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-10-040407-7
Weblinks
- Literatur von und über Rut Brandt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Rut Brandt in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Rede von Kjell Magne Bondevik, norwegischer Ministerpräsident
- Rut Brandt: Momente ihres Lebens SpiegelOnline Fotostrecke
- Bild von Rut Brandt, ca. 1992
- Grabstelle auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf
- Rut Brandt in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
<references />
Luise Erhard | Marie-Luise Kiesinger | Rut Brandt | Hannelore Schmidt | Hannelore Kohl | Doris Schröder-Köpf | Joachim Sauer
Personendaten | |
---|---|
NAME | Brandt, Rut |
ALTERNATIVNAMEN | Hansen, Rut |
KURZBESCHREIBUNG | norwegische Ehefrau von Bundeskanzler Willy Brandt |
GEBURTSDATUM | 10. Januar 1920 |
GEBURTSORT | Hamar, Norwegen |
STERBEDATUM | 28. Juli 2006 |
STERBEORT | Berlin |