Schuldenbremse


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche

Als Schuldenbremse werden Verfassungsbestimmungen und völkerrechtliche Verträge zur Begrenzung staatlicher Haushaltsdefizite bezeichnet. Schuldenbremsen verpflichten Regierungen und Parlamente, Verschuldungsgrenzen einzuhalten. Teilweise bestimmen sie auch, eine vorübergehende Verletzung dieser Vorgaben nachträglich aufzuholen.

Ausnahmen von der Schuldenbremse werden typischerweise nur für Sonderfälle wie wirtschaftliche Depressionen, Naturkatastrophen und Kriegszustände zugelassen. In manchen Schuldenbremsen ist eine Ausnahme auch durch eine qualifizierte mehrheitliche Zustimmung des Parlaments möglich.

Datei:Fiscal Compliance de.png
Strukturelle Defizite europäischer Staaten in % des BIP

EU-Staaten

Im Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union verpflichten sich die Mitgliedsländer prinzipiell zu einer Neuverschuldung von maximal 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einem Schuldenstand von maximal 60 % des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings hielten diese Vorgaben nicht alle EU-Mitgliedsstaaten ein, weshalb der Europäische Fiskalpakt beschlossen und am 2. März 2012 von den jeweiligen Regierungsvertretern (25 der 27 EU-Staaten) unterzeichnet wurde. Der Fiskalvertrag („SKS-Vertrag“) ist per 1. Januar 2013 gültig: 17 EU-Staaten (13 Euro-Staaten) haben bisher ratifiziert. Finanzielle Sanktionen sind ab 1. Januar 2014 möglich: Jene Staaten, deren Defizit (jährliche Neuverschuldung) und/oder deren Gesamtschuldenstand nicht den Kriterien entsprechen, haben ihre Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme mit Maßnahmen zum Abbau der Verschuldung der EU-Kommission und dem Europäischen Rat vorzulegen und von diesen genehmigen zu lassen.

Bulgarien

Bulgarien gehört zu den europäischen Staaten, die eine Schuldenbremse eingeführt haben. 2010 lagen die Staatsausgaben bei 38 % des BIP, die Staatsverschuldung ist mit 16,2 % des BIP vergleichsweise niedrig. Dennoch hat der Staat nun verfassungsrechtliche Defizitgrenzen ab 2013 verankert.<ref>http://www.wirtschaftsblatt.at/home/international/osteuropa/auch-bulgarien-zieht-die-schuldenbremse-459506/index.do</ref> Die jährliche Neuverschuldung darf sich dann maximal auf 3 % des BIP belaufen, die jährlichen Staatsausgaben auf 37 % des BIP.

Deutschland

Als Schuldenbremse wird in Deutschland eine verfassungsrechtliche Regelung bezeichnet, die die Föderalismuskommission Anfang 2009 beschlossen hat, um die Staatsverschuldung Deutschlands zu begrenzen, und die Bund und Ländern seit 2011 verbindliche Vorgaben zur Reduzierung des Haushaltsdefizits macht.

Frankreich

Frankreich scheiterte bei den Bemühungen, eine Schuldenbremse einzuführen. Dabei hatte sich gerade Frankreichs ehemaliger Staatspräsident Nicolas Sarkozy zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel für die EU-weite Einführung von Defizitgrenzen starkgemacht. Im eigenen Land verhinderte allerdings der überraschende Erfolg der Sozialistischen Partei bei den Senatswahlen im September 2011 die Festlegung dieser Defizitgrenzen. Im Gegensatz zu Sarkozys konservativer Partei lehnen die Sozialisten die Schuldenbremse ab. Mit einer Mehrheit im Senat kann sie die Einführung der Schuldenbremse blockieren. Mit der Wahl von Hollande zum Staatspräsidenten sowie dem Erfolg der Sozialisten bei der Parlamentswahl sind die Chancen auf die Einführung einer Schuldenbremse deutlich gesunken.<ref>http://www.ftd.de/politik/europa/:pleite-bei-senatswahl-sarkozy-kann-schuldenbremse-abschreiben/60109109.html (Memento vom 29. September 2011 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt</ref>

Italien

Italiens Staatsverschuldung lag 2010 bei 119 % des BIP - und damit 59 Prozentpunkte über den in der Eurozone zwischenstaatlich vereinbarten 60 %, also fast doppelt so hoch wie vereinbart. 1,9 Billionen Euro Schulden hat das Land 2011. Am 8. September 2011 beschloss daher die Regierung unter Silvio Berlusconi eine Schuldenbremse, welche 2014 in Kraft treten soll.<ref>Handelsblatt: „Kabinett in Rom beschließt Schuldenbremse“, Ausgabe Nr. 175 vom 9./10. September 2011, S. 24</ref> In einem zweiten Sparpaket sollen 54,2 Milliarden Defizite abgebaut werden; ein erstes Sparpaket in Höhe von 48 Milliarden Euro war bereits im Juli 2011 verabschiedet worden. Mit diesen Maßnahmen möchte die italienische Regierung bis 2013 von einem Haushaltsdefizit zunächst zu einem ausgeglichenen Haushalt gelangen.<ref>http://www.handelszeitung.ch/konjunktur/europa/schuldenbremse-italien-zieht-nach</ref>

Österreich

In Österreich hat der Staatsschuldenausschuss bereits 2005 eine Studie vorgelegt, in der Möglichkeiten der Einführung einer Schuldenbremse nach Schweizer Vorbild erwogen wurden. In der allgemeinen politischen Diskussion wurde dieser Studie jedoch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in der Folge der europäischen Finanzkrise und der Gefahr des Verlustes des AAA-Ratings hat die Bundesregierung den Vorschlag gemacht, eine Schuldenbremse in einer Verfassungsbestimmung einzuführen. Da dafür die Stimmen zumindest einer Oppositionspartei notwendig waren, wurden diesbezügliche Gespräche geführt, jedoch konnte weder das BZÖ, welches Sanktionsmechanismen gefordert hatte, noch die Grünen, die eine Vermögenssteuer wollten, gewonnen werden der Regierungsvorlage zuzustimmen. Damit wurde die Schuldenbremse am 7. Dezember 2011 im Nationalrat mit einfacher Mehrheit im Bundeshaushaltsgesetz beschlossen.

Das strukturelle Defizit des österreichischen Staatshaushalts soll ab 2017 grundsätzlich 0,45 % nicht übersteigen (Ausnahme: Naturkatastrophen und „Notsituationen“).<ref>Österreichischer Stabilitätspakt: Bundesgesetzblatt. (PDF) Artikel 4. Struktureller Saldo (Schuldenbremse). S. 3.</ref>

Polen

Die polnische Verfassung von 1997 begrenzt den Schuldenstand auf 3/5 des BIP gemäß Art. 216 IV polnische Verfassung.<ref name="test">Art. 216 IV, Abschnitt 10 der polnischen Verfassung .</ref> Um diese konstitutionelle Grenze zu wahren, ist es allgemeiner Konsens, dass die Regierung ab einer Verschuldung von 55 % dazu verpflichtet ist, Maßnahmen zu treffen, die Verschuldung zu begrenzen und abzubauen.

Spanien

In Spanien trat die Verfassungsänderung zur Schuldenbremse im September 2011 in Kraft. Damit kam die spanische Regierung unter Zapatero den Forderungen von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy nach, verbindliche Defizite und Verschuldungsgrenzen verfassungsmäßig festzuschreiben. Im August hatte Zapatero die Schuldenbremse per "Blitzreform" auf den Weg gebracht. Das Abgeordnetenhaus stimmte mit einer deutlichen Mehrheit von 316 der 350 möglichen Stimmen für das Gesetz.<ref>http://www.handelsblatt.com/politik/international/spanien-fuehrt-schuldenbremse-ein/4569426.html</ref> Die spanische Regierung wollte mit der Verfassungsänderung die Staatsverschuldung in Höhe von 60,1 % des BIP (2010) in den Griff bekommen.

Schweiz

Hauptartikel: Schuldenbremse (Schweiz)

Nach einer Volksabstimmung im Jahr 2001 ist im Dezember 2001 die Schuldenbremse in der Schweiz in Kraft getreten. Durch diese Verfassungsregelung wird der Bund verpflichtet, Einnahmen und Ausgaben über den Konjunkturzyklus hinweg im Gleichgewicht zu halten (Art. 126 Abs. 1 Schweizer Bundesverfassung), Überschreitungen sind durch die Bundesversammlung zu beschließen (Abs. 3) und in den Folgejahren zu kompensieren ( 4). Damit hat sich die Schweiz als erstes Land für eine konstitutionell verankerte Schuldenbremse entschieden.

Kritik

Die Hauptkritik an einer Schuldenbremse ist, dass eine Staatsverschuldung zur Sicherung von Vollbeschäftigung nicht nur in kurzfristiger, sondern auch in langfristiger Sicht notwendig sein kann. Nach der monetären Konjunkturtheorie von John Maynard Keynes muss der private Sektor so stark verarmen, dass ihm keine Ersparnis aus seinem Einkommen möglich ist, sobald sich der Staat und das Ausland (etwa wegen der Schuldenbremsen) und der Unternehmenssektor (weil er seine Investitionen aus Gewinnen finanzieren kann oder in einer Krise Investitionen unterlässt) nicht mehr weiter verschulden<ref>John Maynard Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Ducker&Humblot, Berlin 1936/2006 S. 183:
„Der Bestand an Kapital und das Niveau der Beschäftigung werden folglich schrumpfen müssen, bis das Gemeinwesen so verarmt ist, daß die Gesamtersparnis Null geworden ist, so daß die positive Ersparnis einiger Individuen oder Gruppen durch die negative Ersparnis anderer aufgehoben wird. In einer unseren Annahmen entsprechenden Gesellschaft muß das Gleichgewicht somit unter Verhältnissen des laissez-faire eine Lage einnehmen, in der die Beschäftigung niedrig genug und die Lebensbedingung genügend elend ist, um die Ersparnisse auf Null zu bringen.“</ref>. Eine Schuldenbremse erzwinge unter solchen Umständen dauerhafte Unterbeschäftigung und Stagnation. Umgekehrt könnten auch dauerhafte Überschüsse der Staatseinnahmen über die Ausgaben unter anderen Konstellationen erforderlich sein. Deshalb müsse sich die Finanzpolitik an den jeweiligen wirtschaftlichen Erfordernissen orientieren.<ref>http://k.web.umkc.edu/keltons/Papers/501/functional%20finance.pdf</ref><ref>http://epub.ub.uni-muenchen.de/2143/1/schlicht-public-debt-13-RP.pdf</ref>

Datei:Schulden- & Konjunkturbremse (Salden).png
Senkung staatlicher Defizite & Minderung der privaten Überschüsse

Im Januar 2013 gestand der Chefvolkswirt des IWF Olivier Blanchard öffentlich ein, dass sich der IWF verrechnet und den Einfluss nationaler Sparpolitik auf das Wirtschaftswachstum massiv unterschätzt habe. "Vorhersagen unterschätzten den Anstieg der Arbeitslosigkeit und den Rückgang des Privatkonsums und der Investitionen durch die fiskalische Konsolidierung signifikant". Tatsächlich reduziere sich das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Euro pro eingespartem Euro. <ref>Wiener Zeitung, 9. Januar 2013: Einfluss nationaler Sparpolitik auf Wirtschaftswachstum unterschätzt. IWF verrechnete sich dramatisch Abgerufen am 15. Januar 2013.</ref>

In Bezug auf die Deflationsspirale in den 1930ern erklärte Wilhelm Lautenbach: „Und am allerschlimmsten ist der Fall, den wir 1929 erlebten, daß nämlich alle großen Industrieländer gleichzeitig einen Umbruch der Konjunktur erlebten.<ref>Lautenbach, Wilhelm (Hrsg. Wolfgang Stützel, 1952): Zins, Kredit und Produktion. Seite 76 (PDF, 231 S.; 1,6 MB)</ref> Aus der Minderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage resultiert das Risiko regionenübergreifender Konjunkturabkühlung.<ref>Mark Blyth, 2013: Wirtschaftskrise: Endlich aufhören, das Falsche zu tun!: „Wenn mehrere Länder mit einheitlicher Währung, die gegenseitig ihre Hauptabsatzmärkte darstellen, alle zur gleichen Zeit Kürzungen durchführen, kann das Resultat nur ein Schrumpfen der Gesamtwirtschaft sein.“</ref>

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

<references />