Seismische Welle


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Datei:Pswaves.jpg
Ausbreitungsart der seismischen Wellen

Seismische Wellen, auch Erdbebenwellen genannt, werden bei einem Erdbeben durch den Herdvorgang ausgelöst und breiten sich von dort in alle Richtungen im Erdinneren aus: auf ihrem Weg durch das Erdinnere können diese Wellen gebrochen, reflektiert, gebeugt, gestreut, absorbiert und umgewandelt werden.

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Erdbebenwellen ist abhängig vom Wellentyp und vom Material, das die Wellen durchlaufen; sie kann sehr hohe Werte erreichen (z. B. beim Erdbeben in Nepal 2015 29.000 km/h).<ref>badische-zeitung.de, 30. April 2015: Erdbeben in Nepal erreicht Seismographen in Staufen</ref>

Anhand von durch Erdbeben ausgelösten (Seismologie) oder durch Sprengung oder Vibration (künstlich) hervorgerufenen seismischen Wellen lassen sich über die Interpretation von Materialeigenschaften der Erdkruste Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Erdinneren ziehen. Die maximale Frequenz liegt dabei im Bereich von weniger als einer Schwingung pro Sekunde, manchmal bis oberhalb von 20 Hertz. Bei schweren Erdbeben wird die Grundschwingung der Erde angeregt, die ein Intervall von 54 Minuten aufweist.

Seismische „Strahlen“ und seismische Wellen

In diesem Artikel werden Propagationen von seismischen Wellen anhand von Näherungslösungen beschrieben, die als „seismische Strahlen“ bezeichnet werden könnten. Der Zusammenhang zwischen „seismischen Strahlen“ und „seismischen Wellen“ ist entsprechend demjenigen zwischen Strahlenoptik und Wellenoptik. Eine genauere Beschreibung der Propagation von seismischen Wellen ist über partielle Differentialgleichungen möglich, den sogenannten Wellengleichungen.<ref>The Seismic Wave equation aus Introduction to Seismology, einer Vorlesung von Guy Masters an der University of California in San Diego, 2010.</ref> Diese mathematischen Techniken entsprechen denen der Erdspektroskopie.

Wellenarten

Man unterscheidet zunächst grundsätzlich zwischen Raum- (P- und S-Wellen) und Oberflächenwellen (Love- und Rayleigh-Wellen).

Raumwellen

Datei:IASP91.png
Änderung der Ausbreitungsgeschwindigkeiten von P- (schwarz) und S-Wellen (grau) mit der Tiefe im Erdinneren nach dem IASP91-Referenzmodell
Datei:Seismogram.gif
P-Wellen (rot) werden vor S-Wellen (grün) vom Seismographen aufgezeichnet.

Die Bezeichnungen der im Folgenden beschriebenen Primärwellen (P-Wellen) und Sekundärwellen (S-Wellen) beziehen sich darauf, dass sich erstere schneller ausbreiten: An einem vom Bebenherd entfernten Ort werden zuerst die P-Wellen und erst später die S-Wellen aufgezeichnet. Aus der Zeitdifferenz zwischen dem Einsetzen der P- und der S-Wellen kann die Entfernung zum Herd errechnet werden. Können an mindestens drei verschiedenen Orten auf diese Weise die Entfernung zum Bebenherd und die Laufrichtung der Wellen bestimmt werden, kann der Bebenherd im Rahmen der Messgenauigkeit bestimmt werden.

P-Wellen

Die P-Wellen oder Primärwellen schwingen in Ausbreitungsrichtung (Longitudinalwelle) und können sich in festen Körpern, Flüssigkeiten und Gasen ausbreiten. Es handelt sich dabei um Verdichtungswellen (auch: Druck- oder Kompressionswellen). Ein alltägliches Beispiel für Verdichtungswellen ist der Schall in der Luft oder im Wasser. Die P-Wellen können sich in festen Gesteinen, aber auch in Flüssigkeiten wie Wasser oder den quasi flüssigen Teilen des Erdinneren ausbreiten. Wie bei Schallwellen in der Luft werden hier die Teilchen im Boden geschoben und gezogen, wobei die Bewegung in Ausbreitungsrichtung der Welle erfolgt.

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der P-Wellen lässt sich mit folgender Formel berechnen:

<math>v_p= \sqrt{ \frac {K+\frac{4}{3}\mu} {\rho}} </math>

wobei K der Kompressionsmodul, <math>\mu</math> der Schermodul und <math>\rho</math> die Dichte des Materials ist, durch das sich die Welle fortpflanzt.

Obwohl die Dichte innerhalb der Erde mit der Tiefe ansteigt, wird dieser Effekt in der obigen Formel durch ein stärkeres Ansteigen von K und μ überkompensiert, so dass man im Allgemeinen ein Ansteigen der Geschwindigkeit der P-Wellen mit der Tiefe beobachtet.

In der Erdkruste liegt die Geschwindigkeit der P-Wellen zwischen 5000 bis 7000 m/s (zum Vergleich: Schallgeschwindigkeit in Luft ca. 340 m/s, in Granit ca. 5000 m/s, in Wasser ca. 1500 m/s) und über 8000 m/s in Erdmantel und -kern.<ref>Seismic Wave Demonstrations and Animations Sofern nicht anders vermerkt, Quelle für die Ausbreitungsgeschwindigkeiten im Artikel</ref>

S-Wellen

Die S-Wellen oder Sekundärwellen schwingen quer zur Ausbreitungsrichtung (Transversalwelle). Da sie zur Verscherung des Ausbreitungsmediums führen, werden sie auch Scherwellen genannt. S-Wellen können sich in festen Körpern, jedoch nicht in Flüssigkeiten oder Gasen ausbreiten, da die beiden letzteren keinen (nennenswerten) Scherwiderstand haben. Man kann daher flüssige Bereiche im Erdinneren daran erkennen, dass dort keine S-Wellen laufen.

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der S-Wellen berechnet sich mit folgender Formel:

<math>v_S= \sqrt{ \frac {\mu} {\rho}} </math>

Mit typischen Werten der elastischen Konstanten innerhalb der Erde ergibt sich in erster Näherung für das <math>v_p/v_s</math>-Verhältnis der ungefähre Wert von <math>\sqrt{3}</math>. Damit ergeben sich für die S-Wellen Geschwindigkeiten von 3000–4000 m/s in der Erdkruste und etwa 4500 m/s im Erdmantel.

Oberflächenwellen

Neben den P- und S-Wellen gibt es noch die Oberflächenwellen. Sie entstehen dadurch, dass P- oder S-Wellen in die Erdoberfläche hinein gebrochen werden. Wie bei den S-Wellen erfolgt die Partikelbewegung oder Schwingung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Jedoch zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie an der Oberfläche geführt laufen und dass die Amplituden der Wellen mit der Tiefe abnehmen. Die Energie der Oberflächenwellen nimmt zudem mit der Entfernung r nur um einen Faktor 1/r ab und nicht wie die der Raumwellen um den Faktor 1/r2 (jeweils unter Vernachlässigung der Dämpfung). Die Oberflächenwellen breiten sich in vertikale und horizontale Schwingungen aus.

Seismische Wellen kennt man auch von der Sonnenoberfläche.<ref>Four Years of SOHO Discoveries, Seite 9 (PDF; 5,7 MB)</ref> Die gemessene Ausbreitungsgeschwindigkeit liegt bei 50 km/s.

Love-Wellen

Die Love-Wellen wurden nach dem britischen Mathematiker A. E. H. Love benannt, der 1911 als erster ein mathematisches Modell für die Ausbreitung dieser Wellen aufstellte. Sie sind die schnellsten Oberflächenwellen, breiten sich mit rund 2000–4400 m/s (abhängig vor allem von der Frequenz und damit der Eindringtiefe in die Erdkruste), aber langsamer als die S-Wellen aus. Die Bodenbewegung erfolgt in horizontaler Richtung, senkrecht zur Ausbreitungsrichtung.

Rayleigh-Wellen

Die Rayleigh-Wellen wurden nach Lord Rayleigh benannt, der 1885 die Existenz dieser Wellen mathematisch bewiesen hatte, bevor sie überhaupt beobachtet wurden<ref>Webseite der Uni Kiel zu Oberflächenwellen</ref>. Bei Rayleigh-Wellen rollt der Boden in einer retrograden elliptischen Bewegung ähnlich wie Meereswellen, d.h. die Rollbewegung findet entgegen der Ausbreitungsrichtung der Rayleigh-Welle statt. Dieses Rollen bewegt den Boden sowohl auf und ab als auch hin und her in Ausbreitungsrichtung der Welle. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt, abhängig vor allem von der Wellenlänge, etwa 2000–4000 m/s. Die meisten Erschütterungen, die bei einem Erdbeben gespürt werden, sind in der Regel Rayleigh-Wellen, deren Amplituden viel größer als die der übrigen Wellenarten werden können. Die zerstörerische Wirkung von Erdbeben geht daher weitgehend auf diesen Wellentyp zurück.

Datei:Earthquake wave paths.de.svg
Fortpflanzung seismischer Wellen im Erdinneren
Scholte-Wellen

Scholte-Wellen sind Grenzflächenwellen, die sich entlang der Grenzfläche „flüssig-fest“, also beispielsweise am Meeresboden, ausbreiten. Sie sind ebenso wie die Rayleigh-Wellen vom P- SV-Typ. Das bedeutet, dass sie elliptisch in der Radial-Vertikal-Ebene polarisiert sind. Ist der Untergrund geschichtet, so ist die Scholtewelle dispersiv. Die Scholtewellen besitzen dann frequenzabhängige Ausbreitungsgeschwindigkeiten. Außerdem bilden sich zusätzlich zum Fundamentalmodus (mit Grundfrequenz) auch Moden höherer Ordnung aus (Oberwellen).

Fortpflanzung im Erdinnern

Die Dichte der Gesteine nimmt zum Erdinnern hin zu. Bei jedem Übergang von einem weniger dichten zu einem dichteren Gestein erhöht sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer seismischen Welle, im umgekehrten Fall wird die Ausbreitungsgeschwindigkeit geringer. Nach dem Snelliusschen Brechungsgesetz wird eine seismische Welle also mit zunehmender Tiefe „vom Lot weg“ gebrochen, mit abnehmender Tiefe wird sie „zum Lot hin“ gebrochen. Dies ist die Ursache für den typischen Verlauf von seismischen Wellen, der im Profil als Bogen zu erkennen ist (siehe Abbildung).

Siehe auch

Quellen

<references />

Weblinks