Spruchkammerverfahren


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Spruchkammerverfahren waren Verhandlungen, die im Zuge der Entnazifizierung nach 1945 in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands (1945 bis 1949) durchgeführt wurden.

Beschreibung

Ab 1946 fällten sogenannte Spruchkammern, die von un- oder minderbelasteten Juristen und deutschen Laienrichtern geführt wurden, Urteilssprüche gegen Deutsche wegen Verstrickung in den Nationalsozialismus. Das Kontrollratsgesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946<ref>Vgl. Hans-Jörg Ruhl (Hrsg.): Neubeginn und Restauration. Dokumente zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. dtv, München 1982, S. 279 f.</ref> sah fünf Gruppen vor:

  1. Hauptschuldige
  2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)
  3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe)
  4. Mitläufer
  5. Entlastete, die vom Gesetz nicht betroffen waren.

Wer nach diesem Gesetz als besonders aktiver Nationalsozialist in Gruppe 1 oder 2 eingestuft wurde, konnte nach Anhören der Be- und Entlastungszeugen und nach einer Beweisaufnahme zu Arbeitslager bestraft werden, Hauptschuldige für eine Zeit zwischen zwei und zehn Jahren, Belastete bis zu fünf Jahre. Arbeitslager sollten von deutschen Behörden eingerichtet werden, was aber bis Februar 1947 nicht geschah.<ref>Christa Schick: Die Internierungslager. In: M. Broszat, K.-D. Henke, H. Woller (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zu Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München 1989, ISBN 3-486-54132-3, S. 311f.</ref> In die beiden ersten Kategorien wurden jedoch lediglich rund 1,4 Prozent der Betroffenen eingruppiert. Mehr als die Hälfte der Spruchkammerverfahren endete mit einer Einstufung als Mitläufer.

Datei:Persilschein.jpg
US-Unbedenklichkeitsschein: „Aufgrund der Angaben in Ihrem Meldebogen sind Sie von dem Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 nicht betroffen.

Gegenüber gängigen Strafverfahren war bei den Spruchkammern die Beweislast umgekehrt: Der Betroffene musste die Schuldvermutung entkräften und nicht die Spruchkammer seine Schuld beweisen. Dies führte dazu, dass die Mehrheit der Angeklagten sich zu rechtfertigen suchte und so ein „Saubermann-Image“ sich in der Bevölkerung ausbreitete.<ref>Reichardt, Zierenberg: Damals nach dem Krieg. 2008, S. 206f.</ref> Im Volksmund prägte sich hier die Verwendung des Begriffes Persilschein.

Literatur

  • Volker Friedrich Drecktrah: Von Nürnberg in die Provinz. Das Spruchgericht Stade 1946–1948. In: Helia-Verena Daubach (Red.): Leipzig – Nürnberg – Den Haag. Neue Fragestellungen und Forschungen zum Verhältnis von Menschenrechtsverbrechen, justizieller Säuberung und Völkerstrafrecht. Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007, DNB 992024501, S. 117–129. (= Juristische Zeitgeschichte NRW. Band 16, ISSN 1615-5718)
  • Clemens Vollnhals (Hrsg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1991, ISBN 3-423-02962-5. (= dtv. 2962 Dokumente)
  • Sven Reichardt, Malte Zierenberg: Damals nach dem Krieg. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, ISBN 978-3-421-04342-9.

Einzelnachweise

<references />