Vicus


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25px Vici ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Zum deutschen Schauspieler, Musiker, Autor und Theaterregisseur siehe Ludo Vici. Zum italienischen Architekten siehe Andrea Busiri Vici.
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Schematisierte Darstellung des vicus iuliacum im 1.–3. Jh. n. Chr. Umzeichnung nach Tholen (1975)

Ein Vicus (Plural: Vici) ist eine Siedlung mit kleinstädtischen Charakter in den Nordwestprovinzen des Römisches Reichs. Der wirtschaftliche Schwerpunkt solcher Siedlungen lag in der gewerblichen Produktion, Handwerk, Handel und Dienstleistungen. Die Bezeichnung war unabhängig von der Siedlungsgröße, je nach Funktion reichte ihre Größe von einer kleinen Straßensiedlung bis zur Ausdehnung zeitgenössischer Städte.

Römische vici besaßen keine eigene Verwaltung, keinen Rechtsstatus und waren der Gebietskörperschaft einer civitas zugeordnet. Manche vici erreichten aber selbst den Status eines civitas-Hauptortes (z.B. Nida-Heddernheim oder Pforzheim). Nicht alle verfügten über öffentliche Bauwerke, wie Thermen oder Tempel. Einige Standorte der vici konnten anhand der tabula peutingeriana und des itinerarium antonini geortet werden.

Isidor von Sevilla bezeichnete vici als Ansiedlungen, „die nicht durch den Rang einer Stadtgemeinde ausgezeichnet sind, sondern von einem gewöhnlichen Zusammenschluss von Menschen bewohnt werden und wegen ihrer Winzigkeit größeren Gemeinwesen zugeordnet sind.“<ref>Tilmann Bechert: Germania Inferior. Eine Provinz an der Nordgrenze des Römischen Reiches. Zabern, Mainz 2007,S. 51.</ref>

Der Begriff vicus kann auch ein Stadtteil/Viertel in einem größeren Ort bezeichnen.<ref>Albert William van Buren: Vicus. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band VIII A,2, Stuttgart 1958, Sp. 2090–2094.</ref>

Vici in Gallien

Die Entstehung der vici in den gallischen Provinzen erfolgte auf der Grundlage der dort entwickelten Oppida-Kultur, die in der vorrömischen Spätlatènezeit den gesamten keltischen Siedlungsraum von Böhmen über Süddeutschland bis an die Kanalküste umfasste. Hier konnten die Römer auf eine entwickelte Infrastruktur von Ortschaften zurückgreifen, die zum einen verkehrsgeographisch in ein Netz aus Handels- und Austauschbeziehungen eingebunden waren, zum anderen bereits eine marktorientierte Produktion und gewerbliche Differenzierung der Bewohner aufwiesen.<ref>Dieter Hupka: Die römischen Siedlungsfunde, gewerblichen Reste und Straßenbefunde in Mönchengladbach-Mülfort. Dissertation, Universität zu Köln, Köln 2015. S. 1 f. (Digitalisat)</ref> Auffallend an der Ausstattung der dann als vici weitergenutzten Orte in Gallien (agglomérations secondaire) sind hinzugekommene szenische Theaterbauten, zu denen des Öfteren Tempelanlagen gehören.<ref>Thomas Lobüscher: Tempel- und Theaterbau in den Tres Galliae und den germanischen Provinzen. Ausgewählte Aspekte. Rahden/Westfalen 2002.</ref> Beispiele hierfür sind die vici in Alise-Sainte-Reine, Mandeure und Dalheim/Luxemburg. Mit der Etablierung der vici ging zumeist die Aufgabe von Stammeszentren und befestigten Höhensiedlungen oder deren Umwandlung zu religiös-kultischen Plätzen einher.

Vici in Niedergermanien

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Streifenhaus aus der Lagervorstadt des Legionslagers Vindobona

Ähnlich wie in den Nachbarprovinzen liegen viele vici Niedergermaniens an verkehrsgünstigen Stellen wie Flussübergängen, Straßengabelungen oder -kreuzungen. Forschungsgeschichtlich wurde der Großteil der bekannten Siedlungen zunächst im Zuge der Untersuchung der römischen Militärlager und den Kolonien entdeckt.

Nördlich der Mittelgebirgsschwelle vorgelagerten Lösszone dominieren in Niedergermanien karge eiszeitlich geprägte Sandböden. Im Unterschied zu den Bewohnern der fruchtbaren Lösszone lag der Schwerpunkt der hiesigen Ökonomie auf Vieh- und Weidewirtschaft. In der römischen Kaiserzeit existierten hier einheimisch-teilromanisierte Siedlungen mit Wohnstallhäusern in Holzbauweise und mit einem deutlich eisenzeitlichen Charakter, wie z.B. in Weeze-Vorselaer, Alpen oder Mehrum. Diese weidewirtschaftlich orientierten Siedlungsstrukturen waren in der Regel an das Wegenetz ausgerichtet. Sie sind vergleichbar mit kaiserzeitlichen Siedlungen in den Niederlanden. Streifenhausähnliche Hausgrundrisse von Fachwerkgebäuden deuten auf eine Übernahme römischer Provinzarchitektur hin. In der Fachliteratur wird der Begriff vicus für diese ländlich geprägten Siedlungen meist vermieden und ansatzweise durch Ausdruck rural centres ersetzt.<ref>Hupka 2015, S. 2 f.</ref>

Vici in Obergermanien und Raetien

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Kastell und vicus von Rainau-Buch
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Das „Bäderviertel“ am Kastell Osterburken

In den Provinzen Raetien und Obergermanien, dort insbesondere auf dem Gebiet der Agri decumates, bildeten sich vici überwiegend in unmittelbarer Nähe von Kastellen.<ref>C.S. Sommer: Kastellvicus und Kastell, In: Fundberichte Baden-Württemberg 13, 1988, S. 457–707</ref> Das Aussehen dieser vici unterschied sich trotz grundsätzliche ähnlicher Gründungskonzeptionen von Ort zu Ort. Wie die Bebauungspläne der vici am Kastell Buch oder am Kastell Weißenburg zeigen, wurden zunächst ungefähr gleich große längliche Grundstücke, die mit ihrer Schmalseite an die Straßenzüge stießen, abgesteckt. Anschließend wurden in der Regel Streifenhäuser aus Fachwerk auf diesen Grundstücken errichtet. Sie bildeten den Kern der Siedlungen. Zumeist waren die Giebelseiten der länglich-rechteckigen Bauten zur Straße hin orientiert. Vor den Bauten erstreckten sich längs zur Straße hin vielfach überdachte Kolonnaden.<ref name="Greiner 84">Bernhard Albert Greiner: Der Kastellvicus von Rainau-Buch: Siedlungsgeschichte und Korrektur der dendrochronologischen Daten. In: Ludwig Wamser, Bernd Steidl: Neue Forschungen zur römischen Besiedlung zwischen Oberrhein und Enns. Greiner, Remshalden-Grunbach 2002, ISBN 3-935383-09-6, S. 84.</ref> In späteren Ausbaustufen konnten vici auch sehr regionale und individuelle Formen annehmen. So wurde am Kastell Jagsthausen schon früh die Streifenhausbebauung zugunsten städtisch geprägter Steinbauten aufgegeben. Teilweise, wie in Weißenburg, wurde auch die ältere Parzellierung zugunsten größerer Wohnraumeinheiten verändert. Neuere Forschungen am Kastell Theilenhofen weisen auf einen städtisch geprägten Ausbau dieses vicus hin. So könnten hier ein Forum, eine Basilika und ein szenisches Theater gestanden haben.<ref>Carsten Mischka, Jürgen Obmann, Peter Henrich: Forum, Basilika und ein szenisches Theater am raetischen Limes? In: Der Limes. Nachrichtenblatt der Deutschen Limeskommission. 4, 2010/Heft 1. S. 10–13; Carsten Mischka, Peter Henrich: Forum oder Campus? Theater und Platzanlage in Theilenhofen. In: Der Limes. Nachrichtenblatt der Deutschen Limeskommission 2, 2012/Heft 2, S. 4–7. (online-pdf)</ref> Eine Mansio wie in Buch, am Kastell Eining oder am Kastell Pfünz<ref>Carsten Mischka: Die neu entdeckte Mansio in der Außensiedlung des Kastells Pfünz. In: Der Limes. Heft 1. 5. Jahrgang 2011. Nachrichtenblatt der Deutschen Limeskommission. München 2011. S. 13.</ref> gehörten offenbar ebenso zu einem vicus, wie das Militärbad, das wahrscheinlich auch von der zivilen Bevölkerung besucht werden konnten. In Osterburken fand sich gar ein größeres „Bäderviertel“.<ref>Dieter Planck: Die Römer in Baden-Württemberg. Römerstätten und Museen von Aalen bis Zwiefalten. Theiss, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1555-3, S. 246.</ref> Daneben gab es Amphitheater wie am Kastell Dambach<ref>Günter Ulbert, Thomas Fischer: Der Limes in Bayern. Theiss, Stuttgart 1983, ISBN 3-8062-0351-2, S. 65.</ref> oder am Kastell Künzing<ref>Karl Schmotz: Das hölzerne Amphitheater von Künzing, Landkreis Deggendorf. Kenntnisstand und erste Rekonstruktionsansätze nach Abschluß der Geländearbeiten im Jahr 2004. In: Vorträge des 24. Niederbayerischen Archäologentages. Leidorf, Rhaden 2006, ISBN 3-89646-235-0, S. 95–118.</ref> und religiöse Bereiche wie das wohl hauptsächlich vom Militär besuchte Jupiter Dolichenus-Heiligtum in Pfünz<ref>Monika Hörig, Elmar Schwertheim: Corpus cultus Iovis Dolicheni (CCID). Brill, Leiden 1987, ISBN 90-04-07665-4. S. 305.</ref> oder das von der Bevölkerung gegen allerlei körperliche Beschwerden und Leiden aufgesuchte Quellheiligtum in Dambach.<ref>Wolfgang Czysz: Ein römisches Quellheiligtum beim Kastell Dambach. In: Der Limes. 3. Jahrgang 2009, Heft 1. Deutsche Limeskommission, Bad Homburg 2009, S. 6.</ref> In einigen vici gab es Standorte für Spezialverbände der Römischen Armee, den Benefiziariern. Am Kastell Obernburg wurde eine repräsentative, stadthausähnliche Station mit angeschlossenem Weihebezirk ergraben<ref>Bernd Steidl: Die statio der beneficiarii consularis in Obernburg a. Main – Abschließende Ausgrabungen an der Gebäudefront. In: Das archäologische Jahr in Bayern 2007. Theiss, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8062-2156-5, S. 84–86; Bernd Steidl: Welterbe Limes: Roms Grenze am Main. Logo, Obernburg am Main 2008, ISBN 978-3-939462-06-4, S. 109–112 u. S. 138.</ref> und am Kastell Osterburken kam ein Weihebezirk mit einem hölzernen Tempel und Nymphäum zu Tage. An vielen vici sind Handwerkerviertel belegt.

Mit dem Abzug der Truppe lässt sich an bestimmten Garnisonsorten auch ein starker Rückgang der Besiedlung feststellen. Insbesondere wenn ein vicus keine Zeit hatte, sich richtig zu entwickeln oder wenn – wie am Obergermanisch-Raetischer Limes – Grenzzonen geräumt wurden. Es bestehen jedoch Hinweise darauf, dass zumindest bei einigen vici mehr oder minder große Teilbereiche auch nach dem gewaltsamen Limesfall von 259/260 n. Chr. erneut genutzt wurden. So fanden sich im vicus des Kastells Buch über einer nachlimeszeitlichen Planierschicht deutliche Spuren für Metallverarbeitung, einfache Holzbebauung, Brunnenanlagen, spätrömische Münzen sowie ein spätrömisches Glasfragment.<ref>Bernhard Albert Greiner: Der Kastellvicus von Rainau-Buch: Siedlungsgeschichte und Korrektur der dendrochronologischen Daten. In: Ludwig Wamser, Bernd Steidl: Neue Forschungen zur römischen Besiedlung zwischen Oberrhein und Enns. Greiner, Remshalden-Grunbach 2002, ISBN 3-935383-09-6, S. 85 und 88.</ref>

Vici in den Niederlanden und in Belgien

Aus der Maas-Schelde-Demer Region sind römische vici mit gemauerten Steinfundamenten bekannt. Hier ist, wie in Gallien, eine Entwicklung von einheimisch geprägten Siedlungen der frühen Kaiserzeit hin zu provinzialrömischen Siedlungsstrukturen erkennbar, die aber nicht flächendeckend ist. Ab der mittleren Kaiserzeit kommt es zu einem Steinausbau der Siedlungen nach römischer Bauweise. Diese Entwicklung vollzog sich regional unterschiedlich. Neben kulturellen Aspekten ist hier auch die Verfügbarkeit von Steinmaterial relevant. Während in den nördlichen Niederlanden Stein als Baumaterial kaum verfügbar ist, konnte in der Maas-Schelde-Demer-Region auf Tournaier Kalkstein und kleineren lokalen Sandsteinvorkommen zurückgegriffen werden.

In den nördlichen Niederlanden und Nordbelgien sind, ähnlich wie am Niederrhein, einheimisch-romanisierte Siedlungen mit ländlichem Charakter verbreitet. In diesen Orten dominieren in der frühen Kaiserzeit Hausgrundrisse in einheimischer Bautechnik. Sie bestehen aus langrechteckigen mehrschiffigen Wohnstallhäusern ohne Bezüge zur römischen Architektur. Wie das Beispiel der Siedlung von Hoogeloon<ref>Willem J. H. Verwers, L. I. Kooistra: Native House Plans from the Roman Period in Boxtel and Oosterhout. Berichten ROB 40, 1990. S. 251-284.</ref> zeigt, wurde die einheimische Bauweise nach dem 1. Jahrhundert teilweise Stein- bzw. Fachwerkausbau nach römischer Bauweise ersetzt, wobei jedoch der größte Teil der Siedlung in traditioneller Holzbauweise verblieb.

Vici in Pannonien

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Der städtische vicus am Legionslager Brigetio und die Zivilstadt
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Typisches Bauwerk in einem vicus: eine mansio (Rast- und Umspannstation). Hier im Vicus des Kastells Matrica, Ungarn

Die vici in Pannonien ähnelten in ihrem konzeptionellen Aufbau jenen in Noricum, Raetien und Obergermanien, nur waren sie vielfach in späteren Ausbauphasen luxuriöser und hochwertiger ausgestattet, zeugten wesentlich deutlicher vom Reichtum der oberen Bevölkerungsschichten. Am Kastell Klosterneuburg konnten sich die Menschen wohl trotzdem lediglich eines bescheideneren Wohlstands erfreuen und am Legionslager Vindobona fanden sich in dessen canabae Reste der auch für kleine Garnisonsorte typischen Streifenhausbebauung in Holz- oder Fachwerktechnik mit weiß verputzten Wänden und einfacher Bemalung. Zur „Grundausstattung“ der unmittelbar an den Militärstandorten errichteten Siedlungen gehörten auch hier die mansionis und Militärbäder. Ein Votivaltar aus dem Lagerdorf des Kastells Matrica bezeugt, dass hier cives Romani (römische Bürger) nicht nur ein ihnen unterstelltes Gebiet (territorii Matricensium) verwalteten, sondern Institutionen geschaffen hatten, die nach munizipalem Vorbild arbeiteten.<ref >András Mócsy: Pannonien und das römische Heer. Ausgewählte Aufsätze. Steiner, Stuttgart 1992, ISBN 3-515-06103-7, S. 170.</ref> Die Bauten der pannonischen Zivilansiedlungen lagen entlang der Ausfallstraßen vor den Lagertoren. Teilweise, wie am Legionslager Carnuntum oder am Legionslager Brigetio, trug der hier ebenfalls auch canabae genannte vicus nach mehreren älteren Bauphasen stellenweise herrschaftliches Gepräge. Nördlich des im vicus von Brigetio gelegenen Amphitheaters konnte hingegen ein verschwenderisch mit Stuckaturen und Fresken ausgestattetes Wohnhaus untersucht werden.<ref name="Visy_1988_56">Zsolt Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Theiss, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0488-8. S. 56.</ref> Neben dem komplexen Straßensystem des Lagerdorfs, das eine größere Fläche umfasste als die westlich gelegene Zivilstadt von Brigetio, gab es zusätzlich zu Tempeln und weiteren öffentlichen Bauten auch Handwerkerviertel. Diese Handwerkerviertel finden sich ebenfalls in den kleineren Garnisonsorten. Zur Zivilbebauung dort gehörten in der Frühphase Wohnhäuser aus Flechtwerk und Lehmziegeln, so wie sich ebenso am Kastell Budapest-Albertfalva fanden. Im Großraum um Budapest lassen sich während des ausgehenden 1. Jahrhunderts n. Chr. stellenweise auch Bauten der spätkeltischen Eravisker im Befund der vici nachweisen. Diese Unterkünfte bestanden vielfach aus einfachen, eingetieften Zweiraumbehausungen mit aufgehenden Zweipfostenkonstruktionen und einem Mauerwerk aus luftgetrockneten Ziegeln. Bei einem dazugehörigen Keller in Budapest-Albertfalva wurden noch Reste der als Abdeckung dienenden, aufklappbaren Eisenplatte entdeckt. Spätere Bauten an diesem Ort besaßen ein Steinfundament mit aufgehenden Lehmziegelmauern. Es entwickelten sich dort beheizbare Porticushäuser mit Bädern und Wandmalereien und es gab eine gemauerte Kanalisation.<ref>Kristina Szirmai: New archaeological Data to the Research of the Albertfalva vicus (1990–1991). In: Communicationes archeologicae Hungariae 1994. Népművelési Propaganda Iroda, Budapest 2005, S. 50.</ref> Auch an anderen Kastellstandorten, wie am Kastell von Ács-Vaspuszta<ref>Dénes Gabler (Hrsg.): The Roman Fort at Ács-Vaspuszta (Hungary) on the Danubian limes. Teil 2. British Archaeological Reports, Oxford 1989, S. 5.</ref> Kastell Matrica oder am Kastell Lussonium kann eine ähnliche Entwicklung von Grubenhäusern und/oder Holz-Lehmbauten bis hin zu Steinhäusern und villenartigen Bauten mit hypokaust- und Kanalheizungen unter den Terrazzoböden beobachtet werden.<ref>Edit B. Thomas: Römische Villen in Pannonien, Beiträge zur pannonischen Siedlungsgeschichte. Akadémiai Kiadó, Budapest, 1964, S. 261.</ref> Auch in Matrica gab es Abwasserkanäle<ref>Dorottya Gáspár: Christianity in Roman Pannonia. An evaluation of Early Christian finds and sites from Hungary. Archaeopress, Oxford 2002, ISBN 1-84171-288-4, S. 110 (British Archaeological Reports. International series, 1010).</ref> und die Siedlung war von mindestens zwei Gräben umfriedet. Außerdem fanden sich Spuren eines dazugehörigen Flechtwerkzaunes.<ref>Zsolt Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Theiss, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0488-8, S. 93.</ref> Einen ähnlichen Schutz könnte zumindest zeitweise der vicus von Intercisa besessen haben, da sich im Verlauf der daraus weiterführenden Limesstraße beiderseits mehrere Fallgruben nachweisen ließen.<ref name="VisyLimes1988_104" >Zsolt Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Theiss, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0488-8, S. 104.</ref> Der Wohlstand vieler pannonischer Vicusbewohner wird auch durch das prunkvoll ausgestattete Haus aus Intercisa belegt, das eine säulengetragene Querhalle besaß. In diesem Gebäude fanden sich noch Reste eines römischen Reisewagens.<ref>Zsolt Visy: Die Rekonstruktion des römischen Reisewagens von Dunaújváros. In: Archaeologiai értesítő. 112, 1985, S. 169–179; hier: S. 178–179.</ref> Neben Tempeln, wie jener des Mithras, der sich beispielsweise im vicus des Kastells Campona fand<ref>László Kocsis: Campona Castellum. In: Zsolt Visy (Hrsg.): The Roman army in Pannonia. Teleki Lázló Foundation 2003, ISBN 963-86388-2-6, S. 107.</ref> oder das Jupiter-Dolichenus-Heiligtum am Kastell Vetus Salina<ref>Monika Hörig, Elmar Schwertheim: Corpus cultus Iovis Dolicheni (CCID), Band 106. Brill, Leiden 1987, ISBN 90-04-07665-4, S. 123; Zsuzsanna Bánki: Heiligtum des Iuppiter Dolichenus in Vetus Salina. In: Alba Regia. 19, 1981, S. 95–113.</ref> gab es auch jüdische Synagogen; nachweislich am Kastell Intercisa.<ref>CIL 3, 3327.</ref> Eine weitere jüdische Gemeinde ist unter anderem am Kastell Esztergom durch einen Grabbau belegt.<ref>CIL 3, 10599; Zoltán Kádár: Die kleinasiatisch-syrischen Kulte zur Römerzeit in Ungarn. Brill, Leiden 1962. S. 42; Alexander Scheiber: Jewish inscriptions in Hungary, from the 3rd century to 1686. Akadémiai Kiadó, Budapest – Brill, Leiden 1983, ISBN 9630533049 / ISBN 9789630533041, S. 42.</ref> Ein kleiner Apsisbau im vicus von Intercisa wurde als frühchristliches Kirchlein aus dem 4. Jahrhundert angesprochen.<ref name="VisyLimes1988_104" />

Ungewöhnlich ist der nur kurzlebige vicus des spätantiken Kleinkastells Visegrád-Gizellamajor. Hier zeigt sich auch für die Spätantike eine Gründungsphase mit einfachster Bebauung, die fast keine greifbaren Spuren hinterließ.

Vici in Rom

Innerhalb Roms bezeichnet vicus eines der Viertel oder Stadtteile, von denen es nach Plinius dem Älteren 265 gegeben haben soll.<ref>Frank Kolb: Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, C.H.Beck, München 2002, S. 408</ref> Der deutsche Epigraphiker Hermann Dessau listet im Register seines Werkes Insciptiones Latinae selectae 78 vici Roms mit Namen auf.<ref>Hermann Dessau (Hrsg.): Inscriptiones Latinae selectae, Bd. III/2, Weidmann, Berlin 1916, S. 645 f. (online, Zugriff am 21. Januar 2010)</ref> Gleichzeitig bezeichnete das Wort auch die Straße, die durch den Stadtteil ging.

Vicustypen

Zivile vici

Vici in zivilem Kontext entstanden oft an Straßenkreuzungen, Flussübergängen und anderen verkehrsgünstigen Orten. Einige Siedlungen wie Mayen, Rheinzabern oder Schwabmünchen waren auf ein bestimmtes Gewerbe ausgerichtet oder lagen in der Nähe von Rohstoffvorkommen. Ihre Funktion lag also vorwiegend im Handel und Gewerbe. In vielen vici fanden Märkte für die villae rusticae der Umgebung statt. Sonderfunktionen wie Kur- oder Badeorte (Baden-Baden) oder religiöse Zentren (Faimingen) sowie Mischformen sind geläufig.

Kastellvici

Zivildörfer, die in unmittelbarer Nähe von Kastellen gegründet wurden, werden als Kastellvici oder, falls sie sich an einem Legionslager entwickelten, auch als canabae legionis bezeichnet. Hier ließen sich neben den Frauen der Soldaten hauptsächlich Gastwirte, Veteranen, Handwerker und Händler nieder. Belege für Landwirtschaft sind demgegenüber im Fundmaterial selten. Kastelldörfer waren zumindest in ihrer Frühphase stets von der Präsenz des Militärs abhängig. Im Laufe ihrer Entwicklungsphasen zeigten viele aber auch eine wirtschaftliche Eigendynamik, die von den örtlichen Möglichkeiten der Gewerbetreibenden abhängig war.

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Ament: Zur nachantiken Siedlungsgeschichte römischer Vici im Rheinland. In: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. Festschrift für Alois Gerlich zum 70. Geburtstag. Geschichtliche Landeskunde 42, 1995, S. 19–34.
  • Gösta Ditmar-Trauth: Das gallorömische Haus. Band 1: Zu Wesen und Verbreitung des Wohnhauses der gallorömischen Bevölkerung im Imperium Romanum. Band 2: Karte und Tafeln zum Katalog, Kovač, Hamburg 1995, ISBN 3860643495.
  • Rüdiger Gogräfe (Hrsg.): Haus und Siedlung in den römischen Nordwestprovinzen. Grabungsbefund, Architektur und Ausstattung; internationales Symposium der Stadt Homburg vom 23. und 24. November 2000, Ermer Verlag, Homburg 2002.
  • Thomas Fischer: Beispiele zur Entstehung römischer Städte in den Nordwestprovinzen. In: Gundolf Precht, Norbert Zieling (Hrsg.): Genese, Struktur und Entwicklung römischer Städte im 1. Jahrhundert n. Chr. Nieder- und Obergermanien: Kolloquium vom 17. bis 19. Februar 1998 im Regionalmuseum Xanten, von Zabern (= Xantener Berichte 9), Mainz 2001, ISBN 3-8053-2752-8, S. 11–16.
  • Thomas Fischer: Vicus. In: Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie. Theiss, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1591-X, S. 56–58.
  • Ursula Heimberg: Siedlungsstrukturen in Niedergermanien. In: Guido von Büren, Erwin Fuchs (Hrsg.): Jülich, Stadt – Territorium - Geschichte. Festschrift zum 75-jährigem Jubiläum des Jülicher Geschichtsvereins 1923 e.V., (= Jülicher Geschichtsblätter 67/68), Kleve 2000, ISBN 3933969107, S. 189–240.
  • Franz Oelmann: Gallo-Römische Strassensiedlungen und Kleinhausbauten. In: Bonner Jahrbücher 128, 1923, S. 77–97.
  • Jean-Paul Petit, Michel Mangin (Hrsg.): Les agglomérations secondaires. La Gaule Belgique, les Germanies et l'Occident romain. Actes du Colloque de Bliesbruck-Reinheim/Bitche, 21-24 octobre 1992, Errance, Paris 1994, S. 294 ff.
  • Harald von Petrikovits: Kleinstädte und nichtstädtische Siedlungen im Nordwesten des römischen Reiches. In: Herbert Jankuhn et al.: Das Dorf der Eisenzeit und des frühen Mittelalters. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1977, ISBN 3-525-82380-0, S. 86–135.
  • Monica Rorison: Vici in Roman Gaul. (= British Archaeological Reports International Series 933), Archaeopress 2001, Oxford, ISBN 1-84171-227-2.
  • Peter Rothenhöfer: Die Wirtschaftsstrukturen im südlichen Niedergermanien. Untersuchungen zur Entwicklung eines Wirtschaftsraumes an der Peripherie des Imperium Romanum. (= Kölner Studien zur Archäologie der römischen Provinzen 7), Leidorf, Rahen 2005, ISBN 3896461354.
  • Gerd Rupprecht: Untersuchungen zum Dekurionenstand in den nordwestlichen Provinzen des römischen Reiches (= Frankfurter Althistorische Studien 8), 1975, S. 44–46.
  • C. Sebastian Sommer, Gerhard WaldherrVicus. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 32, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2006, ISBN 3-11-018387-0, S. 337–347.
  • Ludwig Wamser (Hrsg.): Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht. Katalog zur Landesausstellung des Freistaates Bayern vom 12. Mai bis 5. November 2000 , (= Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung 1), Mainz 2000, S. 108–110.

Weblinks

Anmerkungen

<references />