Akupunktur


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Datei:Akupunkturnadeln.JPG
Akupunkturnadeln, zum Größenvergleich mit einem Streichholz (rechts)
Datei:Hand-Akupunktur.jpg
Handakupunktur – Akupunkturpunkt Di4

Die Akupunktur (lat.: acus = Nadel, punctio = das Stechen, chinesisch 針砭, Pinyin zhēn biān) ist ein Teilgebiet der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Sie geht von der Lebensenergie des Körpers aus (Qi), die auf definierten Leitbahnen beziehungsweise Meridianen<ref>Der westliche Terminus Meridian ist misverständlich, da es sich nicht um Projektionslinien handelt. Der zugrunde liegende chinesische Terminus jingluo ist als Trakte und Kanäle zu übersetzen.</ref> zirkuliert und einen steuernden Einfluss auf alle Körperfunktionen hat. Ein gestörter Energiefluss wird für Erkrankungen verantwortlich gemacht. Durch Stiche in auf den Meridianen liegende Akupunkturpunkte soll die Störung im Fluss des Qi behoben werden. Das gleiche Therapieziel hat die Akupressur, bei der man einen stumpfen Druck ausübt, sowie die Moxibustion, bei der Wärme eingesetzt wird.

Neben der Akupunktur verfügt die chinesische Medizin über eine reiche Pflanzenheilkunde und Chinesische Arzneimitteltherapie, die ergänzt wird durch chinesische Ernährungslehre und Ernährungstherapie und durch die chinesische Massagetechnik Tuina und die Bewegungstherapien Qigong und Taijiquan.

Klinische Studien zeigen eine Wirksamkeit der Akupunktur wie auch der Scheinakupunktur (bei der beliebige Stellen gestochen werden) z. B. bei durch Kniegelenksarthrose bedingten Schmerzen, bei chronischen Rückenschmerzen und bei der Prophylaxe von Migräneattacken. So trat in den GERAC-Studien (German Acupuncture Trials, 2002–2007), den bisher umfangreichsten klinischen Untersuchungen, bei der Behandlung von tiefen Rückenschmerzen bei 47,6 % der Akupunktur-Patienten, 44,2 % der Scheinakupunktur-Patienten und nur 27,4 % der konventionell behandelten Patienten eine erkennbare Verbesserung ein. Auch andere Studien zeigen, dass Scheinakupunktur nicht signifikant weniger wirksam ist als eine nach traditionellen Regeln durchgeführte Akupunktur.<ref>journalMED: Neurologen: Akupunktur hilft gegen Migräne nur wie ein Placebo, aufgerufen am 27. Mai 2010</ref><ref name="Scharf" /><ref name="Haake" /><ref name="Diener" /><ref name="autogenerated2007">Endres HG, Böwing G, Diener HC, Lange S, Maier C, Molsberger A, Zenz M, Vickers AJ, Tegenthoff M. Acupuncture for tension-type headache: a multicentre, sham-controlled, patient-and observer-blinded, randomised trial. J Headache Pain. 23. Oktober 2007.</ref> Akupunktur wird zur Behandlung zahlreicher weiterer Beschwerden angeboten, doch steht in vielen Fällen ein wissenschaftlich anerkannter Beleg für die Wirksamkeit aus.<ref name="Quack" />

Historisches

Die älteste bekannte schriftliche Erwähnung der Akupunktur und Moxibustion (chinesisch 針灸, Pinyin zhēn jiǔ ‚Akupunktur und Moxibustion‘) stammt aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Der chinesische Historiker Sima Qian erwähnt in seinen Aufzeichnungen erstmals Steinnadeln.

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Akupunkturnadel 75 mm in Originalverpackung

Die älteste Sammlung chinesischer medizinischer Schriften Innere Klassiker des Gelben Kaisers (Huangdi Neijing) aus der Zeit zwischen 200 Jahre vor und nach der Zeitenwende integriert die Aku-Moxi-Therapie in die damalige Medizin und beschreibt verschiedene Nadeln (aus Metall), Stichtechniken, Indikationen für die Anwendung bestimmter Punkte. In diesem Werk sind 160 Punkte beschrieben.

Das erste eindeutig datierbare Werk über Akupunktur ist Der Systematische Aku-Moxi-Klassiker (Zhenjiu jiayijing) von Huangfu Mi (215–282). Darin werden eine klare Terminologie, eine Topologie von 349 Akupunkturpunkten und systematische Hinweise auf deren Wirkung beschrieben. Weitere bedeutsame Schriften sind die Erläuterungen der 14 Hauptleitbahnen von Hua Boren (1341), die Untersuchungen über die acht unpaarigen Leitbahnen von Li Shizhen (1518–1593), sowie die Summe der Aku-Moxi-Therapie von Yang Jizhon (1601).

Europa 16. bis 19. Jahrhundert

Schon im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert erwähnten portugiesische Jesuiten in Briefen aus Japan das Brennen mit Moxa und die Nadeltherapie.<ref>W. Michel (1993)</ref> Einige Zeilen mehr schrieb der für die niederländische Ostindien-Kompanie tätige dänische Arzt De Bondt (Bontius). In der 1658 gedruckten Historiae naturalis et medicae Indiae orientalis libri sex berichtet er, dass man in Japan „bei chronischen Kopfschmerzen, bei Obstruktionen der Leber und Milz, auch bei der Pleuritis (Link nicht abrufbar), 18. April 2006.</ref> „Die allein historisch begründete Darstellung der Punktspezifität chinesischer Akupunkturpunkte in der ärztlichen Akupunkturausbildung (Akupunktur Fort- und Weiterbildungsseminaren) ist klinisch wenig relevant.“<ref>Molsberger, A. GERAC Trials in Germany – Overview, results and impact. Keynote lecture at the 10 Years Post-NIH Consensus Conference, Nov 8.-11. 2007. University of Maryland, Baltimore, MD, USA.</ref> Die 2009 aktualisierten internationalen Cochrane-Reviews, deren Resümee wesentlich durch die Ergebnisse der GERAC-Studien beeinflusst wurden, kommen zu dem Schluss, dass die Akupunktur „eine wertvolle nicht pharmakologische Therapiemöglichkeit bei Patienten mit häufigem episodischem Spannungskopfschmerz darstellt“ und dass die „Akupunktur bei Migräne mindestens so wirksam, möglicherweise auch wirksamer, als eine medikamentöse prophylaktische Therapie ist, und dies bei geringeren unerwünschten Wirkungen“.<ref>Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Manheimer E, Vickers A, White AR. Acupuncture for tension-type headache. Cochrane Database Syst Rev. 2009 Jan 21;(1):CD007587. Review.</ref><ref>Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Manheimer E, Vickers A, White AR. Acupuncture for migraine prophylaxis. Cochrane Database Syst Rev. 2009 Jan 21;(1):CD001218.</ref>

Studien im Rahmen des „Modellvorhabens Akupunktur“

Einige deutsche gesetzliche Krankenversicherungen, unter Führung der Techniker Krankenkasse, betrieben das „Modellvorhaben Akupunktur“, in dem überprüft werden sollte, ob es sinnvoll wäre, die Akupunktur in den Leistungskatalog aufzunehmen. Dieses Projekt wurde vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie des Berliner Universitätsklinikums Charité wissenschaftlich unterstützt und beinhaltete drei Studien:

Die Ergebnisse wurden unter anderem im Deutschen Ärzteblatt<ref>Ärzteblatt: D. Melchart u. a.: Akupunktur bei chronischen Schmerzen: Ergebnisse aus dem Modellvorhaben der Ersatzkassen. In: Deutsches Ärzteblatt 103/2006, S.A-187/B-160/C-159.</ref><ref>Ärzteblatt: C. M. Witt u. a.: Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Akupunktur – Ein Modellvorhaben mit der Techniker Krankenkasse, Efficacy, effectiveness, safety and costs of acupuncture. In: Deutsches Ärzteblatt 103/2006, S.A-196/B-169/C-167.</ref> und The Lancet<ref>The Lancet C. Witt u. a.: Acupuncture in patients with osteoarthritis of the knee: a randomised trial In: The Lancet 366/2005, S. 136–43. doi:10.1016/S0140-6736(05)66871-7.</ref> präsentiert. Es wurde ein Effekt festgestellt, der aber nicht anhaltend war. Auch bei diesen Studien wurde das genaue Studienprotokoll bereits während der laufenden Studien publiziert, was Kritik (Entblindung) hervorrief.<ref>Wettig, D., The Acupuncture Randomized Trials Study (Back Pain) Was Unblinded Too Early, Arch Int Med. Archinte.ama-assn.org. 24. Juli 2006. doi:10.1001/archinte.166.14.1527-b. Abgerufen am 19. Juni 2010.</ref><ref>Wettig, D, Acupunct Med. 2006 Mar;24(1):38; author reply 38. Potential unblinding of ART study. PMID 16618050.</ref>

Weitere Studien

Die Ergebnisse einer großen Zahl von chinesischen Akupunkturstudien, die alle die Wirksamkeit der Methode belegen sollen, werden in wissenschaftlichen Kreisen aufgrund der Methodik angezweifelt.<ref>Zitiert nach E. Ernst: Warum klappt das nur in China? In: MMW-Fortschr Med. Nr. 47 / 2006 (148. Jg.), S. 24.</ref> Praktisch bei allen chinesischen Studien zur Akupunktur wird nicht randomisiert und prospektiv und nicht mit geeigneten Kontrollgruppen gearbeitet.

Ein anderer Ansatz zur Erforschung der Akupunktur besteht in dem Versuch, mögliche physiologische Wirkungsmechanismen aufzudecken und wissenschaftlich haltbare Nachweise der Ortslokalisation von Organ-, Schmerz- und Triggerpunkten zu erbringen.<ref>A. Otti, M. Noll-Hussong: Acupuncture-induced pain relief and the human brain's default mode network – an extended view of central effects of acupuncture analgesia. In: Forschende Komplementärmedizin (2006). Band 19, Nummer 4, 2012, S. 197–201, ISSN 1661-4127. doi:10.1159/000341928. PMID 22964986.</ref> Ein belastbarer Nachweis wurde bisher noch nicht erbracht.

Haltung der Krankenkassen

Seit dem 1. Januar 2007 erstatten alle deutschen gesetzlichen Krankenkassen gemäß einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses in Deutschland Akupunkturbehandlungen bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule und in den Kniegelenken bei Kniegelenksarthrose im Rahmen eines schmerztherapeutischen Gesamtkonzepts.<ref>GBA-Beschluss (PDF; 97 kB).</ref> Die Behandlung von Kopfschmerzen durch Akupunktur wurde nicht in den Leistungskatalog aufgenommen, da kein Vorteil gegenüber der Standardtherapie festgestellt worden war.<ref name="GBA" /> Alle anderen Akupunkturbehandlungen sind ebenfalls nicht Leistung der gesetzlichen Krankenkassen und müssen deshalb selbst bezahlt werden.

Teil dieses Beschlusses ist auch die Erhöhung der notwendigen Qualifikation der Ärzte: Neben der ärztlichen Zusatzbezeichnung „Akupunktur“ wird der Nachweis der jeweils 80-stündigen Kurse „Spezielle Schmerztherapie“ und „Psychosomatische Grundversorgung“ vorausgesetzt.

Viele deutsche private Krankenversicherungen, Beihilfen und die Postbeamtenkrankenkasse bezahlen Akupunktur zur Behandlung von Schmerzen im Rahmen der Gebührenordnung für Ärzte,<ref>Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)</ref> nach Einzelfallentscheidung meist auch für weitere Diagnosen. Vertragsabhängig werden auch Heilpraktikerleistungen ersetzt.

Eine weitere Möglichkeit der Kostenübernahme oder Kostenbeteiligung besteht durch Heilpraktiker-Zusatzversicherungen, da auch Heilpraktiker mit TCM-Ausbildung Akupunktur anbieten.

In der Schweiz wird die Akupunktur über die Grundversicherung abgedeckt, wenn die Behandlung durch einen Arzt erfolgt.<ref>www.comparis.ch.</ref> Darüber hinaus ist die Akupunktur von bestimmten Formen der Zusatzversicherung abgedeckt.

Literatur

  • The Academy of Traditional Chinese Medicine. An Outline of Chinese Acupuncture. Peking : Foreign Languages Press 1975.
  • John Z. Bowers : Robert W. Carrubba.
    • The doctoral thesis of Engelbert Kaempfer on tropical diseases, oriental medecine and exotic natural phenomen. In: Journal of the history of medecine and allied sciences. Bd XXV 1970, No 3, S. 270–311.
    • The western world's first detailed treatise on acupuncture: Willem Ten Rhijne's De acupunctura. In: Journal of the history of medecine and allied sciences. Bd XXIX 1974, No 4, S. 371–399.
  • U. A. Casal: Acupuncture, Cautery and Massage in Japan. In: Asian Folklore Studies, Vol. 21, 1962, ISSN 0385-2342, S. 221–35 (PDF; 1 MB).
  • Philibert Dabry de Thiersant (1826–1898); Jean-Léon Souberain. La médecine chez les Chinois. Paris : Plon 1863. Digitalisat archive.org.
  • Michael Eyl. Chinesisch-japanische Akupunktur in Frankreich (1810–1826) und ihre theoretischen Grundlagen (1683–1825). Diss. med. Zürich 1978.
  • Gerhart Feucht (Mitglied des Ludwig Boltzmann-Instituts für Akupunktur): Die Geschichte der Akupunktur in Europa, Karl F. Haug Verlag Heidelberg 1977 ISBN 3-7760-0364-2.
  • Wolfgang Michel: Frühe westliche Beobachtungen zur Akupunktur und Moxibustion. Sudhoffs Archiv, Bd. 77 (2), 1993, S. 194–222. (Digitalisat)
  • Wei-kang Fu: The Story of Chinese Acupuncture and Moxibustion, Foreign Language Press Peking 1975.
  • Franz Hübotter. Die chinesische Medizin zu Beginn des XX. Jahrhunderts und ihr historischer Entwicklungsgang. Leipzig : Verlag der Asia Major 1929.
  • Carl-Hermann Hempen: dtv-Atlas Akupunktur. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, ISBN 3-423-03232-4.
  • Pierre Huard ; Zensetsou Ohya ; Ming Wong. La médecine Japonaise des origines à nos jours. Paris : R. Dacosta 1974.
  • Gwei-Djen Lu ; Joseph Needham. Celestial lancets. A history and rationale of acupuncture and moxa. Cambridge : Cambridge University Press 1980.
  • Felix Mann, Thomas Flöter (Übersetzung): Die Revolution der Akupunktur. Akupunktur Medizin Information, Gießen 1997, ISBN 3-927971-08-1.
  • Hans P. Ogal, Wolfram Stör und Yu-Lin Lian: Seirin Bildatlas der Akupunktur, KVM-Verlag, ISBN 3-932119-40-1.
  • Manfred Porkert/Carl-Hermann Hempen: Systematische Akupunktur Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1985, ISBN 3-541-11151-8.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Akupunktur – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

<references> <ref name="Diener">Diener HC, Kronfeld K, Boewing G, Lungenhausen M, Maier C, Molsberger A, Tegenthoff M, Trampisch HJ, Zenz M, Meinert R; GERAC Migraine Study Group. Efficacy of acupuncture for the prophylaxis of migraine: a multicentre randomised controlled clinical trial. Lancet Neurol. 2006 Apr;5(4):310-6</ref>

<ref name="Haake">Haake M, Müller HH, Schade-Brittinger C, Basler HD, Schäfer H, Maier C, Endres HG, Trampisch HJ, Molsberger A. German Acupuncture Trials (GERAC) for chronic low back pain: randomized, multicenter, blinded, parallel-group trial with 3 groups. Arch Intern Med. 2007 Sep 24;167(17): 1892-8.</ref>

<ref name="Scharf">Scharf HP, Mansmann U, Streitberger K, Witte S, Krämer J, Maier C, Trampisch HJ, Victor N. Acupuncture and knee osteoarthritis: a three-armed randomized trial. Ann Intern Med. 2006 Jul 4;145(1):12-20</ref> </references>

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