Drehgestell
Ein Drehgestell ist ein Laufwerk eines Schienenfahrzeuges, bei dem Radsätze in einem gegenüber dem Wagenkasten drehbaren Rahmen gelagert werden. Fahrzeuge mit Drehgestellen können im Vergleich zu solchen mit starr am Wagenkasten angebrachten Achsen engere Bögen durchfahren weil sich der Rahmen gegenüber dem Wagenkasten ausdrehen kann und dadurch die Räder in einem kleineren Winkel an der Schiene anlaufen.
Drehgestelle werden in verschiedene Bauformen und Ausführungen gebaut. Neben der Achsanzahl kann auch nach dem Einsatz zwischen Drehgestellen für Lokomotiven, Güter- und Reisezugwagen unterschieden werden, die bezüglich Tragkraft, Geschwindigkeit und Komfort unterschiedliche Anforderungen an die Konstruktion stellen.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau
Drehgestelle bestehen aus einem Rahmen, an dem alle weiteren Teile wie Radsätze, Federung und Dämpfer befestigt sind. Bei angetriebenen Drehgestellen sind meist auch die Motoren und Getriebe im Drehgestell untergebracht.
Teile eines Reisezugwagen-Drehgestells | |
|
|
Rahmen
Der Drehgestellrahmen besteht meist aus zwei über den Achslagern verlaufenden Längsträgern und einem oder mehreren Querträgern. Vor oder hinter den Achsen verlaufende Querträger werden Kopfträger genannt, Drehgestellrahmen ohne steifen Kopfträger werden H-Rahmen genannt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich die über den Achslager liegenden Enden des H gegeneinander verwinden können. Rahmen ohne Querträger zwischen den Achsen werden manchmal als O-Rahmen bezeichnet. Der Rahmen ist heute meist eine geschweißte Stahlkonstruktion, seltener enthält er auch Gussteile oder ist als ganzes gegossen. Früher wurden auch genietete Rahmen verwendet. Bei Straßenbahnen-Triebwagen ist manchmal das Gehäuse des Motors selbst das tragende Element des Drehgestells.
- Bauform
- Bogie GP 200 01.JPG
H-Rahmen
- 380 ČD Bogie 02.JPG
O-Rahmen
- L-Triebwagen Drehgestell Schwanheim 01052009.JPG
Drehgestell eines Straßenbahnwagens mit Motorgehäuse als tragendem Teil
- Verarbeitung
- Bogie Y25 moulé.jpg
gegossener Rahmen
- Bogie Y25 mécanosoudé.jpg
geschweißter Rahmen
- SIG-1931-20010804K207-20 BVZ2226.jpg
genieteter Rahmen
Achslager
Die Achslager dienen der Lagerung des Radsatzes. Sie können in Längsrichtung gegenüber dem Drehgestellrahmen beweglich oder starr angeordnet sein. Bewegliche Achslager lassen unter geeigneten Bedingungen eine radiale Einstellung der Achsen in Bögen zu.
Die Achslager befinden sich meist außerhalb der Radscheiben, wo sie für die Wartung leicht zugänglich sind, seltener zwischen den Radscheiben (innengelagerten Drehgestellen). Bei außengelagerten Drehgestellen werden die Achslager meist von Achslagerträgern gehalten, auf welchen die Primärfedern und deren Dämpfer angebracht sind.
Die meisten europäischen Güterwagen-Drehgestelle haben einen Radstand zwischen 1,8 und 2,3 Metern. Schnellfahrende Fahrzeuge sind mit Radsatzständen bis 3 Meter ausgeführt um eine größere Laufruhe zu erreichen.
- Y25-Drehgestell JMR Aug 2009.jpg
Drehgestell mit Aussenlagerung
- 20090824S455 LEILA.jpg
Drehgestell mit Innenlagerung
Federung
Für einen besseren Fahrkomfort und um Verwindungen des Gleises befahren zu können sind die Drehgestelle mit einer Federung versehen, wobei sowohl die Achsen gegenüber dem Drehgestell gefedert sein können (Primärfederung) oder der Drehgestellrahmen gegenüber dem Wagenkasten gefedert sein kann (Sekundärfederung). Bei Güterwagendrehgestellen ist meist nur eine der genannten Federstufen ausgeführt, Reisezugwagen- und Lokomotivdrehgestelle haben meist beide Federstufen.
Primärfederung
Die Achslagerträger sind über die Primärfedern mit dem Drehgestellrahmen verbunden. Früher wurden Blattfedern verwendet, mittlerweile meist Schraubenfedern oder Gummischicht-Federn. Die Führung der Achslager erfolgt über Achslenker, die gelenkig mit dem Rahmen verbunden sind.
Die Schraubenfedern der Primärfederung sind meist senkrecht angeordnet, außer bei den Wegmann-Drehgestellen oder Achslenkerdrehgestellen. Sie haben dreieckige Achslagerträger, an deren äußeren Ecken sich die Achslager befinden. Die inneren inneren Ecken sind drehbar mit dem Rahmen verbunden und an den oberen Ecken durch horizontal auf dem Rahmen liegende Schraubenfedern abgestützt.
- Montion of bogie pedestal 200px.gif
Bewegung des Achslagerträgers in der Primärfederung
- Jikubako.JPG
Achslagerträger
- 2013-09-15 13-43-53 Primärfederung und Schwingungsdämpfer Drehgestell.jpg
Achslager mit Achslagerträger, zwei Schraubenfedern für die Primärfederung und parallelem Dämpfer
- RJ SBB Am 5.JPG
Achslager mit Achslenker und einer Schraubenfeder für die Primärfederung
- Truck-FS008.jpg
Achslager mit Lemniskatenlenker (Bauart Alstom)
- Railway wheels in Oulu Jul2008.jpg
Blattfedern an einem Güterwagen-Drehgestell
- Drehgestell 135 783 BVB.jpg
Primärfederung mit Gummischicht-Federn
- Bf Sfax, Ganz-Schnellzugwagen.jpg
Wegmann-Drehgestell mit waagrechter Primärfederung
Sekundärfederung
Die Sekundärfederung bei Reisezugwagen besteht im Allgemeinen aus Schraubenfedern oder Luftfedern, bei Lokomotivdrehgestellen aus Schraubenfedern, Güterwagen haben in Europa mest keine Sekundärfederung.
Früher wurde die Sekundärfederung meist mit Blattfedern ausgeführt. Primärfederungen mit Flexicoil-Schraubenfedern oder Luftfedern können auch die seitliche Führung des Drehgestells und dessen Drehung zum Wagenkasten übernehmen, so dass der Drehzapfen und die Wiege entfällt. Die Längskräfte werden bei dieser Bauweise durch Zug- und Druckstangen übertragen.
- ČD 842 bogie 1.jpg
Sekundärfederung mit Luftfedern
- 380 019 bogie2.JPG
Ausgelenkte Flexicoil-Federn
- Zug- + Druckstange ICE1.jpg
Zug- und Druckstange an einem ICE1 Drehgestell.
Wiege
Bei Drehgestellen mit einer Sekundärfederung ist die Wiege ein über Federn mit dem Drehgestellrahmen verbundener Querträger, der den Drehzapfen trägt. Drehgestelle mit Wiegen können im Gegensatz zu wiegenlosen Bauarten größere Ausdrehwinkel gegenüber dem Wagenkasten erreichen, was besonders bei engen Bogenradien wichtig ist.
- Bogie GP 200 01.JPG
Drehgestell mit Wiege, die an Schraubenfedern hängt
- Bogie CD Class 051.jpg
Drehgestell mit Wiege aus Blattfedern
Drehzapfen
Der Drehzapfen, auch Drehpfanne genannt, verbindet das Drehgestell mit dem Wagenkasten und übertragt meist auch die Längskräfte zwischen Wagenkasten und Drehgestell. Das Drehgestell bewegt sich um die vom Drehzapfen gebildete vertikale Achse. Meist stützt sich der Wagen zusätzlich über seitlichen Gleitplatten auf der Wiege ab, die aber keine Längs und Querkräfte übernehmen. Anstelle des Drehzapfens können auch Konstruktionen mit Lemniskatenlenker zum Einsatz kommen.
- 2013-09-15 12-58-34 Drehgestellt mit Drehpfanne.jpg
Drehpfanne an einem Reisezugwagen-Drehgestell
- 2013-09-15 12-58-53 Drehgestell mit Gleitstück.jpg
Gleitplatte zur seitlichen Abstützung des Wagenkastens
Dämpfer
Dämpfer verhindern zu starke Bewegungen der Teile im Drehgestell, sowie des Drehgestells zwischen dem Wagenkasten. Blattfedern benötigen in der Regel keine speziellen Dämpfer, da ihre Bewegung durch die Reibung zwischen den Blättern bereits gedämpft ist. Für die Dämpfung von Schrauben- oder Luftfedern sind meist zusätzliche Bauelemente notwendig. Bei Güterwagen kommen einfache Reibungsdämpfer zum Einsatz, bei Fahrzeugen für höhere Geschwindigkeiten muss die Primärfederung sehr steif gestaltet werden und das Ausdrehen des Rahmens gegenüber dem Wagenkasten mit Schlingerdämpfer behindert werden um einen Sinuslaufs mit möglichst tiefer Frequenz zu erreichen.
- Schlingerdämpfer ICE3.jpg
Schlingerdämpfer an einer ICE3-Drehgestell
- ICE-D BR605 Drehgestell LWS1339.jpg
Schlingerdämpfer an einem ICE-D Drehgestell
Wankstütze
Bei Fahrzeugen mit hoher Schwerpunktlage kann zusätzlich eine Wankstütze eingebaut werden, welche verhindert, dass der Wagenkasten zu große Drehbewegungen um die Längsachse ausführt. Die Wankstütze besteht typischerweise aus einem im Drehgestell zur Fahrzeugquerrichtung gelagerten Torsionsstab, der über Lenker auf beiden Seiten mit dem Wagenkasten verbunden ist. Alternativ kann der Torsionsstab auch am Wagenkasten gelagert sein und über Lenker mit dem Drehgestell verbunden werden.
- Wankstütze b.jpg
Wankstütze an einem Triebwagen. Der Pfeil zeigt auf das Zentrum des am Wagenkasten angebrachten Torsions-stabes.
Antriebsausrüstung
Drehgestelle mit angetriebenen Achsen werden als Triebdrehgestelle bezeichnet, solche ohne Antrieb werden als Laufdrehgestelle bezeichnet. Bei Fahrzeugen mit elektrischen Fahrmotoren sind diese meist ebenfalls im Drehgestell untergebracht, ebenso die Fahrgetrieben bei Kraftübertragung über Gelenkwelle. Triebdrehgestelle von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotorantrieb, die zusätzlich zur Antriebseinheit auch den Motor selbst enthalten, werden als Maschinentriebdrehgestell bezeichnet.
- TriebwerkSVT.JPG
Maschinentriebdrehgestell eines Schnelltriebwagens
- WN Drive 01.gif
Schematische Darstellung eines Triebdrehgestelles mit Elektromotoren: blau – Fahrmotor, rot – Kupplung, rosa – Kleinrad, gelb – Grossrad
Aufgrund ihrer unterschiedlichen Aufgaben sind Lauf- und Triebdrehgestelle konstruktiv unterschiedlich gestaltet. So haben Triebdrehgestelle neben ihrer Trag- und Führungsfunktion auch noch die Aufgabe der Kraftübertragung des Vortriebs. Dies bedingt, dass bei diesen eine Tiefanlenkung realisiert werden muss, um die Radsatzlasten gleichmäßig auf die Achsen zu verteilen. Weiter muss der Drehgestellrahmen mit Drehmomentstützen ausgerüstet sein, an denen die Kräfte des Antriebs in den Rahmen geleitet werden.<ref>Feihl, J.: Die Diesellokomotive – Aufbau, Technik, Auslegung, Kapitel 6.2 Triebdrehgestelle und deren Anlenkung, 1997, Transpress-Verlag Stuttgart, ISBN 978-3-613-71060-3</ref>
Radiale Steuerung der Radsätze
Bei den meisten Drehgestellen sind die Radsatzlager in Längsrichtung fest im Rahmen gelagert so dass die beiden Achsen genau parallel zueinander geführt werden. Je nach Achsstand können die Radsätze solcher Drehgestelle in Bögen immer noch erheblich anlaufen.
Bei einigen Drehgestell-Bauarten sind die Radsatzlager in Längsrichtung elastisch gelagert, sodass sich die Radsätze in Bögen radial zum Zentrum des Bogens einstellen können. Die radiale Einstellung wird durch die äquivalente Konizität bewirkt, kann aber bei langsamer Fahrt, bei Übertragung von Zugkraft oder anderen Störeffekten aufgehoben werden oder aber, die Radsätze stellen sich sogar verkehrt herum ein. Wenn die Achslager mit Kreuzanker diagonal miteinander verbunden sind, ist gewährleistet, dass sich die Achsen wenigstens immer gegenläufig einstellen. Zusätzlich kann die Radialeinstellung der Radsätze auch durch eine Zwangslenkungsmechanismus über den Ausdrehwinkel des Drehgestellrahmens gegenüber dem Wagenkasten erreicht werden, wie dies zum Beispiel bei den Liechty-Drehgestellen oder beim SIG Navigator angewendet wird. Die Radialeinstellung kann auch durch rechnergestützte Aktuatoren erreicht werden.
- Bogie2 radial steering.png
in Längsrichtung elastisch gelagerte Achsen
- Bogie3 cross coupling.png
mit Kreuzanker verbundene Achsen
- Bogie4 forced steering.png
durch Wagenkasten zwangsgesteuerte Achsen
- Bogie5 mechatronic.png
Steuerung mit Aktuatoren
Beispiele
- Y25-Drehgestell-an-Res-der-PKP.jpg
Das von der UIC standardisierte Y25-Drehgestell mit 1,80 m Achsstand, hier an einem Res-Wagen der PKP
- Drehgestell 01 KMJ.jpg
Drehgestell des Typs Y25 geschweißt mit 22,5-t-Radsätzen.
Y25 ist das häufigste Güterwagen-Drehgestell in Europa. - TVP 2007.jpg
Drehgestell des Typs TVP 2007 mit durch Kreuzanker gesteuerten radial einstellbaren 25-t-Radsätzen. Die Bauart ist aus dem Y25 abgeleitet.
- Drehgestell-BA652-an-Shimmns-u-708.jpg
Das Drehgestell der DB-Bauart 652 mit Parabelfedern wurde von LHB entwickelt und ab 1986 gebaut
- Seitenkipper-Ua4201-Drehgestell.jpg
Three Piece Bogie an einem Seitenkippwagen. Häufigste Bauart für Güterwagen außerhalb Europas.
- Bettendorf truck at Illinois Railway Museum.JPG
Altes amerikanisches Güterwagen-Drehgestell (Three Piece Bogie, auch Bauart Bettendorf) mit Gleitlager
- 2007-07 Halle (Saale) 21.jpg
Diamond-Drehgestell eines Personenwagen der MPSB um 1890
- Drehgestell 1845.jpg
Drehgestell Württemberger Bauart von 1845
Sonderbauarten
Mehrachsige Drehgestelle
Der größte Teil aller heute eingesetzten Drehgestelle ist zweiachsig, es gibt aber auch solche mit drei und mehr Achsen.
Dreiachsige Drehgestelle kommen vor allem bei Lokomotiven und Güterwagen für schwere Lasten zum Einsatz. Bei Reisezugwagen kamen sie vor allem bei schweren Schlaf-, Speise- und Salonwagen zum Einsatz, damit die zulässigen Achslasten der befahrenen Streckenabschnitte nicht überschritten wurden. Bei dreiachsigen Drehgestellen ist in der Regel die mittlere Achse seitenverschiebbar angeordnet, so dass sie in Bögen den Schienen folgen kann.
Für besonders schwere Lasten, vor allem für Tiefladewagen, sind Drehgestelle auch mit vier oder mehr, teilweise sogar bis zu sieben Radsätzen gebaut worden. Es handelt sich nicht mehr um bloße Laufwerke, sondern quasi komplett ausgerüstete vielachsige Wagen, auf die eine Ladebrücke aufgelegt wird. Die Federung benachbarter Radsätze sind mit Ausgleichshebel untereinander verbunden, damit sie möglichst gleichmäßig belastet werden.
- E carriage six wheel bogies.jpg
dreiachsiges Drehgestell eines Reisezugwagen
- RoLa Drehgestell K b.JPG
4-achsiges Drehgestell eines Niederflurwagens der Rollenden Landstraße
Einachsige Drehgestelle
In seltenen Fällen wurden auch einzelne Achsen in einem gegenüber dem Wagenkasten ausdrehbaren Rahmen gelagert. Um Fehleinstellungen zu vermeiden, sind einachsige Drehgestelle meist mit einer Zwangsanlenkung gebaut worden, die entweder vom Wagenkasten oder einem benachbarten Fahrwerk gesteuert wird. Bei den Lenkdreiachsern steuerte eine mittlere Laufachse die Auslenkung der beiden angetriebenen Einzelachsdrehgestelle an den Wagenenden.
- Bogie CD Class 810-914.jpg
Einachsiges Drehgestell eines Schienenbuses
- M-Triebwagen-Fahrgestell.jpg
Fahrgestell eines Lenkdreiachser-Straßenbahn-Triebwagens.
Drehgestelle mit Losrädern
Drehgestelle können auch mit Losradsätzen ausgerüstet sein, bei denen die Radscheiben unabhängig voneinander rotieren können. Das lauftechnische Verhalten solcher Einzelradfahrwerke oder Einzelraddrehgestelle ist jedoch ganz anders als die herkömmlicher Radsatzdrehgestelle. Durch die fehlende Verbindung der rechten und linken Seite der Räder entstehen im Bogenlauf keine Schlupfkräfte in Längsrichtung, so dass in der Gerade auch kein Sinuslauf entsteht.
Jakobs-Drehgestelle
Speziell für längere, fest verbundene Züge oder Gelenktriebwagen wurde das Jakobs-Drehgestell entwickelt. Hierbei stützen sich zwei Wagenkästen zusammen auf ein Drehgestell, wobei das Drehgestell mittig zwischen ihnen sitzt. Bei längeren Zugeinheiten reduziert sich somit die Anzahl der Drehgestelle, jedoch kann die Zugeinheit betrieblich nicht getrennt werden und die Radsatzlast erhöht sich. Dem wird häufig dadurch entgegengewirkt, dass die Wagenkästen kürzer sind als bei Wagen mit konventionellen Drehgestellen.
Maximum-Drehgestelle
Bei Straßenbahn-Triebwagen um 1900, beispielsweise in München, Nürnberg, Augsburg, Berlin und Wien<ref>Type T (Wien, 1900–1956) im Stadtverkehr-Austria-Wiki</ref> sowie bei der Filderbahn-Gesellschaft, fanden aus antriebstechnischen Gründen Maximum-Drehgestelle Verwendung. Die konstruktiven Ursprünge gehen auf die sogenannten Maximumtrucks der J. G. Brill Company aus dem jahr 1891 zurück. Die Maximum-Drehgestelle besitzen Radsätze mit unterschiedlichen Raddurchmessern. Die Hauptlast des Drehgestells liegt dabei auf dem größeren, angetriebenen Radsatz. Der kleinere Radsatz dient vor allem dem Anlenken bei Kurvenfahrten. Die höhere Belastung des großen Rades durch Fahrmotor und verschobenen Stützpunkt bewirkt, dass man das „Maximum“ an Kraft über eine Achse übertragen kann, und durch das Anlenken können sehr kleine Radien gefahren werden (in München 15 Meter). Damit war es möglich, einen vierachsigen Triebwagen mit einer konventionellen Steuerung und nur zwei Fahrmotoren auszurüsten und trotzdem nicht 50 Prozent der Reibungsmasse für den Antrieb zu verlieren. Maximumtriebwagen konnten in den Bauformen Laufachsen innen angeordnet, Laufachsen außen angeordnet oder mit gleicher Achsfolge ausgeführt werden. Der erste Maximumtriebwagen in Deutschland war der Wagen Nr. 2080 der GBS aus dem Jahr 1901.<ref>Dr. ing. Gerhard Bauer: Straßenbahn-Archiv 1, Transpress-Verlag 1983, Seite 179.</ref> Einen echten Drehzapfen gibt es bei Maximumdrehgestellen nicht, durch die Form der Gleitstücke liegt der Drehpunkt auf der angetriebenen Achse. Nachteilig sind die schlechteren Laufeigenschaften gegenüber gewöhnlichen Drehgestellen, da die auf die Treibachsen wirkenden Stöße nicht halbiert werden. Außerdem neigt die Laufachse eines Drehgestelles wegen der geringen Achslast bei schlechter Gleislage zu Entgleisungen und die Antriebsachse beim Bremsen auf schlüpfrigen Schienen zum Gleiten (Blockieren), da sie zwar 50 Prozent der Wagenmasse abbremsen muss, aber nur etwa 33 Prozent des Adhäsionsgewichtes auf ihr lastet, weshalb es beispielsweise in Berlin auf steilen Strecken Zulassungsverbote gab. Auch bestand bei ihnen eine erhöhte Schleuderneigung. Durch die Weiterentwicklung der Steuerungstechnik und der daraus resultierenden Möglichkeit, Großraumwagen mit vier Fahrmotoren je Wagen herzustellen, wurden Maximumdrehgestelle nach dem Ersten Weltkrieg wieder bedeutungslos, blieben aber noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im Einsatz.
Eine vergleichbare Konstruktion wurde noch einmal in den 1990er Jahren bei den Kurzgelenk-Niederflur-Triebwagen GTxN/M/S von AEG bzw. Adtranz verwendet. Auch hier sind im Drehgestell ein Lauf- und ein Treibradpaar angeordnet. Der Auflagerpunkt des Wagenkastens ist wie beim Maximum-Drehgestell zum Treibradpaar hin versetzt, so dass die Treibräder mit rund zwei Drittel der Fahrzeugmasse belastet werden.
Auch die Brüsseler Straßenbahn hat bei der Baureihe Tram2000 asymmetrische Drehgestelle im Einsatz, deren Treib- und Laufräder unterschiedliche Raddurchmesser aufweisen.
Siehe auch
Literatur
- Karl Gerhard Baur: Drehgestelle – Bogies, EK-Verlag Freiburg 2006, ISBN 3-88255-147-X
- Ivo Köhler, Uwe Poppel: Maximum-Drehgestelle – was ist das?. In: Berliner Verkehrsblätter. Nr. 8, 2013, S. 152 f.
- Dr. ing. Gerhard Bauer: Straßenbahn-Archiv 1, Transpress-Verlag 1983
Weblinks
Einzelnachweise
<references />