Ernst Hanfstaengl
Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl (genannt „Putzi“, * 2. Februar 1887 in München; † 6. November 1975 ebenda) war ein deutscher politischer Aktivist und Politiker. Er wurde vor allem als finanzieller Unterstützer und Freund Hitlers in den 1920er- und als Auslands-Pressechef der NSDAP in den 1930er-Jahren bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Frühe Jahre
Hanfstaengl wurde als Sohn des wohlhabenden Verlegers und Kunsthändlers Edgar Hanfstaengl und seiner Frau Katharina Wilhelmina Heine in München geboren. Nach dem Abitur siedelte er in die Vereinigten Staaten über, wo er bis 1909 an der Harvard-Universität studierte. Zu seinen Kommilitonen in Harvard zählte der spätere US-Präsident Franklin D. Roosevelt. Nach Kunststudien in Wien, Florenz und Rom und einer einjährigen Rückkehr nach Deutschland zum freiwilligen Militärdienst lebte Hanfstaengl in New York City, wo er bis 1918 die amerikanische Filiale der elterlichen Firma, den Hanfstaengl-Kunstsalon, leitete. Zu den Kunden dieses Geschäfts zählten unter anderem Henry Ford, Arturo Toscanini und der junge Charlie Chaplin.
Da der Kunstsalon gegen Ende des Ersten Weltkriegs als „Feindbesitz“ von den US-Behörden enteignet worden war, kehrte Hanfstaengl 1919 nach Deutschland zurück und ließ sich in München nieder. Am 11. Februar 1920 heiratete er Helene Elise Adelheid Niemeyer. 1921 wurde der Sohn Egon geboren. 1924 folgte die Tochter Hertha, die im Alter von fünf Jahren starb. Von 1921 bis 1927 studierte er Geschichte an der Universität München und wurde dort 1928 bei Karl Alexander von Müller mit der Arbeit Europa und das belgisch-bairische Tauschprojekt im 18. Jahrhundert zum Dr. phil. promoviert.
NSDAP-Mitglied
Auf Empfehlung seines amerikanischen Freundes Truman Smith, Vertreter des US-Militärattachés, nahm Hanfstaengl 1922 als Zuschauer an einer Parteiveranstaltung der NSDAP im Münchner Bürgerbräukeller teil. Hier hörte er erstmals Adolf Hitler reden, der damals gerade eine einmonatige Haftstrafe wegen Landfriedensbruchs abgebüßt hatte. Beeindruckt von Hitlers rhetorischer Begabung und seiner Fähigkeit, Massen zu begeistern, trat er der NSDAP bei und intensivierte seine Kontakte zu Hitler und dessen Anhängern. Auch durch sein Klavierspiel gelang es Hanfstaengl, sich die Aufmerksamkeit des musikliebenden Hitler zu sichern.
Als Angehöriger der Münchner Oberschicht nutzte Hanfstaengl seine Kontakte, um Hitler finanzkräftigen Förderern vorzustellen. Durch Spendensammlungen trug er mit dazu bei, der NSDAP den Ankauf des Völkischen Beobachters als Parteizeitung zu ermöglichen.
Im November 1923 war Hanfstaengl am Hitlerputsch beteiligt – dem gescheiterten Versuch der NSDAP, per Staatsstreich von Bayern aus die Macht im Deutschen Reich zu übernehmen. Während Hanfstaengl nach Salzburg fliehen konnte, tauchte Hitler anfangs in Hanfstaengls Landhaus in Uffing am Staffelsee unter, wurde aber nach wenigen Tagen dort von der bayerischen Polizei verhaftet. Nach Hanfstaengls Bericht soll seine Ehefrau Helene, geborene Niemeyer, Hitler davon abgehalten haben, sich angesichts der bevorstehenden Verhaftung zu erschießen.<ref>Ernst Hanfstaengl: Zwischen Weißem und Braunem Haus. Memoiren eines politischen Außenseiters. München 1970, S. 6: „Als meine Frau mit fliegender Hast die Treppe zu Hitlers Bodenkammer emporstürmte, trat ihr dieser im Vorraum seines Schlupfwinkels mit gezücktem Revolver entgegen. ‚Das ist das Ende‘, schrie er, ‚Mich von diesen Schweinen verhaften lassen – niemals! Lieber tot!‘ Doch bevor er seinen Worten noch die Tat folgen lassen konnte, hatte meine Frau bereits den wirksamen Jiu-Jitsu-Griff des Polizeimannes aus Boston praktiziert, und in hohem Bogen flog der Revolver in ein entfernt stehendes Faß, rasch begraben von einem darin befindlichen Hamstervorrat an Mehl.“</ref>
Während Hitlers Haftzeit in Landsberg am Lech und nach seiner Haftentlassung hielt Hanfstaengl weiterhin engen Kontakt zum Parteiführer der NSDAP.
Im Frühjahr 1925 nahm Hanfstaengl an der Versammlung zur Neugründung der NSDAP teil. Der neugegründeten Partei trat er zunächst jedoch – angeblich in Absprache mit Hitler – nicht wieder bei. Offiziell trat er erst wieder zum 1. November 1931 bei (Mitglieds-Nr. 668.027).
Im Jahr 1931 wurde Hanfstaengl, auch wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse und Verbindungen ins Ausland, von Hitler zum Auslands-Pressechef der NSDAP ernannt. In dieser Eigenschaft war er mit der Pflege der Beziehungen der Partei und ihrer hohen Funktionäre zu den in Deutschland tätigen Auslandskorrespondenten der bedeutenden Zeitungen des Auslands, insbesondere der angelsächsischen Länder, betraut. So arrangierte er Interviews Hitlers und anderer NSDAP-Größen, wie Gregor Strasser, mit ausländischen Zeitungskorrespondenten und stand den ausländischen Journalisten auch selbst häufig Rede und Antwort zu den Zielen und dem Programm der NSDAP oder zur Haltung der Partei zu tagesaktuellen Fragen. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Auslandspressechef versuchte Hanfstaengl auch im März 1932 ein Zusammentreffen zwischen Hitler und dem britischen Staatsmann Winston Churchill – mit dessen Sohn Randolph Churchill er befreundet war – in München in die Wege zu leiten. Die Zusammenkunft kam jedoch letztlich nicht zustande, da Hitler die verabredete Zusammenkunft im letzten Augenblick nicht wahrnahm – angeblich, weil ihm ein geringschätziger Kommentar Churchills zur Judenpolitik der NSDAP zugetragen worden war.
Emigration
Hanfstaengls Position im NS-Staat und seine persönliche Beziehung zu Hitler und seiner NS-Elite verschlechterten sich seit 1934 zusehends. Unmittelbarer Auslöser war wohl, dass Unity Mitford Hanfstaengls kritische Bemerkungen gegenüber dem NS-Regime an Mitglieder der NS-Elite weitergegeben hatte.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 370.</ref> Daraufhin sollte Hanfstaengl am 10. Februar 1937 liquidiert werden.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 371 und 392.</ref> Hierzu wurde er unter dem Vorwand, in Spanien einen Auftrag ausführen zu müssen, in ein Militärflugzeug gelockt.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 363.</ref> Geplant war wohl, Hanfstaengl zu zwingen, mit dem Fallschirm über deutschem Boden abzuspringen, um ihn dann in der Luft abzuschießen.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 371.</ref> Der Plan scheiterte jedoch daran, dass der Pilot, dem von übergeordneter Stelle nicht Hanfstaengls wirklicher Name genannt worden war, Hanfstaengl im Flugzeug erkannte.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 371.</ref> Deshalb täuschte er einen Motorschaden vor und landete auf dem kleinen Flugplatz Klein-Polenz in der Nähe von Leipzig, was Hanfstaengl die Flucht ermöglichte.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 368 und 371.</ref> Hitler und Göring versuchten anschließend, die geplante Tötung als bloßen Scherz abzutun.<ref>Ernst Hanfstaengl: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus. 2. Aufl. 1980, S. 373.</ref>
Daraufhin floh Hanfstaengl zunächst in die Schweiz und von dort nach Großbritannien. Versuche, ihn mit Versprechungen und Drohungen zur Rückkehr zu veranlassen, scheiterten. So schrieb ihm Hermann Göring am 19. März 1937, man habe ihm mit dem Spanienscherz Gelegenheit zum Nachdenken geben wollen; Goebbels bot ihm die Mitarbeit an einer Filmkomposition an. Am 13. April schrieb Goebbels in sein Tagebuch: „Wenn der auspackt, das wird alle anderen Emigranten weit in den Schatten stellen.“ Erst im Februar 1938 verlangte Hanfstaengl von London aus gegenüber Heinrich Himmler seine Rehabilitierung, da ihm namenloses Unrecht geschehen sei.
In Großbritannien wurde Hanfstaengl mit Beginn des Zweiten Weltkriegs als „Enemy Alien“ interniert und nach Kanada überführt. Auf Betreiben von Franklin D. Roosevelt wurde er 1942 in die USA überstellt, wo er – nach wie vor mit dem Status eines britischen Gefangenen – als politischer und psychologischer Kriegsberater der Alliierten tätig war. Seine langjährige persönliche Beziehung zu Adolf Hitler sollte es ihm ermöglichen, Erklärungen für dessen Handlungen und Entscheidungen sowie Prognosen zu weiteren Schritten zu liefern.<ref>OSS-Akte Hitler (PDF; 3,8 MB), die sich zum Großteil auf Aussagen Dr. Sedgwicks (OSS-Deckname für Hanfstaengl) bezieht</ref>
Rückkehr nach Deutschland
Nachdem er auch nach dem Ende des Krieges noch einige Zeit in verschiedenen Lagern festgehalten worden war, kehrte Hanfstaengl am 3. September 1946 nach Deutschland zurück und wurde am 13. Januar 1949 von der Spruchkammer Weilheim rehabilitiert – unter anderem durch den Umstand, dass man im Geheimen Staatspolizeiamt eine „Todesliste“ mit Personen gefunden hatte, die nach einer erfolgreichen Invasion Großbritanniens hätten ermordet werden sollen und die auch seinen Namen enthielt. 1957 veröffentlichte er ein Buch in englischer Sprache mit seinen Memoiren zur Frühzeit der NS-Bewegung; 1970 erschien die deutschsprachige Ausgabe.
Seine beiden Bände Hitler in der Karikatur der Welt (1933/34), in denen Hanfstaengl politische Karikaturen der Gegner der Nationalsozialisten, die aus der Zeit vor der „Machtergreifung“ stammten und Hitler zeigten, gesammelt und kommentiert hatte, wurden in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.<ref>http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-h.html</ref>
Das Familienunternehmen, den Kunstverlag Franz Hanfstaengl, führte von 1958 bis zu seiner Auflösung im Jahr 1980 sein Sohn Egon Hanfstaengl (1921–2007, Patenkind Adolf Hitlers).
Ernst Hanfstaengls Grab befindet sich auf dem Bogenhausener Friedhof in München.
Werke
- Europa und das belgisch-bairische Tauschprojekt im 18. Jahrhundert. München 1929. (Dissertation)
- Amerika und Europa von Marlborough bis Mirabeau. Südost, München 1930.
- (Hrsg.:) Hitler in der Karikatur der Welt. Tat gegen Tinte. Verlag Braune Bücher C. Rentsch, Berlin 1933. Zahlreiche weitere Auflagen. Ab 1934 unter dem Titel Tat gegen Tinte – Hitler in der Karikatur in der Welt. Ein Bildersammelwerk. Neue Folge Teil 1.
- Hitler. The Missing Years. London 1957.
- US-amerikanische Ausgabe als: Unheard Witness. Philadelphia 1957.
- Neuausgabe als: The Unknown Hitler. Notes from the Young Nazi Party. London 2005.
- Zwischen Weißem und Braunem Haus. Memoiren eines politischen Außenseiters. Piper, München 1970.
- Neuausgabe als: 15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunem Haus. München 1980.
Literatur
- Martha Dodd: Meine Jahre in Deutschland 1933–1937. Nice to meet you, Mr. Hitler! Eichborn, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-8218-0762-8.
- Peter Conradi: Hitlers Klavierspieler. Ernst Hanfstaengl – Vertrauter Hitlers, Verbündeter Roosevelts. Scherz, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-502-18137-8.
Filme über Hanfstaengl
- Unity, Putzi und Blondi – Hitlers Freunde und der amerikanische Geheimdienst. (Dokumentation von Rasmus Gerlach, MDR, 2003), Beschreibung als Link aus dem Internetarchive Internet Archive (Memento vom 24. Juni 2009 im Internet Archive).
- Hitler – Der Aufstieg des Bösen. (Filmdrama von Christian Duguay, CBS, 2003) [1]
- Die Künstlerfamilie Hanfstaengl. (Dokumentation von Gabriele Dinsenbacher, BR, 2006)
Einzelnachweise
<references />
Weblinks
- Literatur von und über Ernst Hanfstaengl im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Auszüge aus Hitler in der Karikatur der Welt
- Weitere Auszüge aus Hitler in der Karikatur der Welt
- Porträt Kunstverlag Franz Hanfstaengl
- Ernst Hanfstaengl im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- Teilnachlass von Ernst Hanfstaengl in der Bayerischen Staatsbibliothek
Personendaten | |
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NAME | Hanfstaengl, Ernst |
ALTERNATIVNAMEN | Putzi |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher finanzieller Unterstützer Hitlers, späterer Pressechef der NSDAP |
GEBURTSDATUM | 2. Februar 1887 |
GEBURTSORT | München |
STERBEDATUM | 6. November 1975 |
STERBEORT | München |