Fischbauchträger
Der Fischbauchträger oder Linsenträger ist ein Träger für Baukonstruktionen und stellt eine besondere, heute kaum noch verwendete Form des Brückenbaus dar. Der Name kommt von dem besonderen Aussehen des Trägers, der im Gegensatz zu einer "normalen" Bogenbrücke in der Seitenansicht eine elliptische Form hat. In der ursprünglichen Variante hat der Träger dabei die Form einer vollständigen Ellipse (oder Linse) mit gebogenen Ober- und Untergurten, in der späteren Entwicklung besteht er nur aus einer unter der Fahrbahn liegenden Hälfte einer Ellipse und erinnert daher an den Bauch eines Fisches. Die Namen werden jedoch auch in der Fachliteratur bisweilen unterschiedslos für beide Formen verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Eine Zeichnung Leonardo da Vincis in seinem Codex Atlanticus ist wohl die älteste Darstellung eines Linsenträgers. Ein Jahrhundert später zeigte Fausto Veranzio in seinen Machinae Novae eine linsenförmige Bogenbrücke. Wieder zwei Jahrhunderte danach befasste sich Claude-Henri Navier 1826 theoretisch mit den Eigenschaften des Linsenträgers.<ref>Dirk Bühler: Die Eisenbahnbrücke Großhesselohe in ScienceBlogs des Deutschen Museums mit einer Darstellung der Entwicklung des Linsenträgers</ref> Zur praktischen Anwendbarkeit entwickelt wurde der Linsenträger vermutlich vom führenden Architekten des Königreichs Hannover Georg Ludwig Friedrich Laves Anfang des 19. Jahrhunderts.
Linsenträger
Laves verband das Prinzip der Bogenbrücke mit dem der Hängebrücke in einem System, wobei der obere Gurt als Brückenbogen, der untere als Kettenzug anzusehen (ist). Während hierbei die untere Kette das Ausweichen des oberen Bogens verhindert, widerstrebt der obere Bogen dem Zusammenziehen der Kette, wodurch beide Kräfte neutralisiert werden und ein für sich bestehendes Ganzes erlangt wird, welches weder zieht noch schiebt, sondern senkrecht auf die Unterlagenpunkte wirkt oder drückt.<ref>Laves, zitiert aus:Klaus Gossow:Georg Ludwig Friedrich Laves aus Uslar in VSVI-Information, Zeitschrift der Vereinigungen der Straßenbau und Verkehrsingenieure in Niedersachsen und Bremen, Heft Nr. 3, Dezember 2009, Seite 14</ref> Dabei entstand ein „Linsenträger“, der „Laves-Balken zur Konstruktion weitgespannter, freiaufliegender Tragwerke“. Diese Erfindung ließ er sich 1835 patentieren.<ref>Günther Kokkelink: Laves, Georg Ludwig Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie.</ref><ref>Möglicherweise hatte er auf seinen Englandreisen George Stephensons Gaunless Bridge für die Stockton and Darlington Railway gesehen, die ähnlich konstruiert zu sein scheint.</ref> Er wandte sie an bei der Stadtgrabenbrücke in Hannover und bei drei Brücken in Derneburg. Unter Linsenträger im engeren Sinn versteht man seitdem eine bei einfachen Balkenträgern angewendete Trägerform, bei der beide Gurtungen gekrümmt oder bei Fachwerkträgern polygonal, und zwar gewöhnlich zu einer horizontalen Achse symmetrisch angeordnet sind, so dass in der Trägermitte die größte Höhe vorhanden ist und sich die Gurtungen über den Auflagern vereinigen.<ref>Linsenträger Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften. Bd. 6, Stuttgart, Leipzig 1908, S. 171. Auf Zeno.org</ref>
Pauliträger
Die Weiterentwicklung des Linsenträgers erfolgte durch Friedrich August von Pauli, der sie bei der ersten, zwischen 1851 und 1857 gebauten Großhesseloher Brücke in München verwendete. Bei dem nach ihm benannten Pauliträger haben Ober- und Untergurte an allen Stellen die gleiche Spannung, sie können daher an allen Stellen mit dem gleichen Querschnitt ausgeführt werden.<ref name="PortraitPauli">Helmut Hilz: Friedrich August von Pauli Ingenieurporträt in db-bauzeitung 6/02</ref> Der Pauliträger unterscheidet sich nur wenig von einem linsenförmigen Parabelträger, demgegenüber die Trägerhöhen gegen die Auflager hin etwas vergrößert sind.<ref>Paulische Träger. Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften. Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909, S. 54-56.</ref> Heinrich Gottfried Gerber hat 1865 in einem Aufsatz<ref>Heinrich Gerber: Die Berechnung der Brückenträger nach System Pauli. In: Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, ZDB-ID 200611-x, 1865.</ref> den wichtigsten theoretischen Beitrag zur Berechnung von Paulis Konstruktionssystem beigetragen.<ref name="PortraitPauli"/> Von 1860 – 62 führte Gerber mit der Mainzer Rheinbrücke die größte Pauliträgerbrücke aus. Ab 1870 verlor das System immer mehr an Bedeutung, auch wenn Gustav Lindenthal noch 1881 bis 1883 nach diesem System die große Smithfield Street Bridge in Pittsburgh, PA erstellte.
Möglicherweise hat die Großhesseloher Brücke Isambard Kingdom Brunel beim Bau der Royal Albert Bridge beeinflusst, der jedenfalls mit Laves seit dessen Besuch in England bekannt war.
Lohseträger
Hermann Lohse verwendete bei der von ihm zwischen 1868 und 1872 gebauten eisernen Norderelbbrücke eine später nach ihm benannte Variante des Pauliträgers. Bei dem Lohseträger wird ein steifer Bogen mit einer steifen Zuggurtung kombiniert, welche derart verbunden sind, dass sich die Horizontalkräfte aufheben und die Pfeiler nur lotrecht belastet werden. Es handelt sich um einen Linsenträger mit zwei als Gitterträger konstruierten Gurten, die so steif sind, dass eine Ausfachung entfallen kann und nur Vertikalstäbe zur Übertragung der Lasten notwendig werden. Das System ist mehrfach (bei n Fachweiten des Trägers n-fach) statisch unbestimmt.<ref>Lohsesche Träger. Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6, Stuttgart, Leipzig 1908, S. 197.</ref>
Fischbauchträger
Nicht lange danach setzte sich die Auffassung durch, dass der Fahrbahnträger ausreiche, um die Druckkräfte aufzunehmen, und deshalb auf den oberen Bogen verzichtet werden könne. Daraus entstand der unter der Fahrbahn liegende Fischbauchträger.
Bei einem Fischbauchträger werden die zwischen den Pfeilern auftretenden Biegebelastungen des Fahrbahnträgers nicht wie bei einer Bogenbrücke von Zugverstrebungen aufgenommen und über den darüber liegenden Bogen als Druckkräfte zu den Pfeilern abgegeben. Die Tragkraft dieses Trägers wird durch ein Zugband erreicht, das unter dem Fahrbahnträger den unteren Bogen bildet. Die Lasten wirken als Zugkraft auf den unteren Bogen und werden über diesen auf die Stützpfeiler weitergeleitet. Die horizontale Komponente dieser Zugkraft wirkt als Druckkraft im Fahrbahnträger.
Die parabolische Form der Unterseite der Fischbauchträger entspricht optimal dem Verlauf des Biegemomentes dieser Konstruktion. Der Kräfteverlauf kann direkt an der Form abgelesen werden. Deswegen empfinden sowohl Fachleute als auch Laien diese Form als harmonisch, elegant und ästhetisch, besonders wenn eine Brücke mit einer Vielzahl von solchen Trägern hintereinander gebaut wurde.
Eine Brücke aus Fischbauchträgern wird als Fischbauchbrücke bezeichnet. Die meisten Fischbauchbrücken wurden beim Bau von Bahnstrecken, seltener auch beim Straßenbau, in Eisen- oder Stahlbauweise errichtet. Fischbauchbrücken in Spannbetonbauweise sind hingegen äußerst selten. Fischbauchträger wurden gelegentlich auch bei Vollwandträgern (alte gusseiserne Barrenträger oder Blechträger) als eine Form für Träger gleicher Festigkeit verwendet.<ref>Fischbauchträger Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4, Stuttgart, Leipzig 1906, S. 41.</ref> Diese Bauweise ist heute unüblich geworden. Man findet sie vor allem bei Eisenbahnbrücken aus dem 19. Jahrhundert und bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, oder im Industriebau.
Eine bekannte, noch existierende Fischbauchbrücke ist die der Wuppertal-Bahn über den Beyenburger Stausee in Wuppertal-Beyenburg. Eine weitere ist der Sitterviadukt der Südostbahn (SOB) im schweizerischen Kanton St. Gallen.
Andere Bauformen
Im Zusammenhang mit dem Lohseträger wird gelegentlich auch der Name Nielsen genannt, der jedoch für andere Bauformen steht, die mit dem Lohseträger weder in zeitlichem noch in konstruktivem Zusammenhang stehen.
Der Ingenieur Octavius F. Nielsen meldete 1926 ein Patent auf Bögen mit Zugband und schräg gestellten Hängestangen an. Dieser Brückentyp wurde daraufhin ca. 60-mal hauptsächlich in Schweden realisiert. Bei keiner dieser Brücken finden sich überkreuzende Hängestangen.
In Japan steht der Begriff Nielsen-Lohse-Brücke für Stabbögen mit mehrfach gekreuzten Hängern, also Netzwerkbogenbrücken, die von dem norwegischen Bauingenieur Per Tveit zum Ende der 1950er Jahre entwickelt wurden.
Literatur
- Helmut Knocke: Laves-Balken in: Stadtlexikon Hannover, S. 389
Weblinks
- Oliver Czapalla: Fachwerkträger Skript zur e-learning online Version; auf openuniversity.de
- Fischbauchträger des Viaduktes in Lengenfeld unterm Stein (Foto)
Einzelnachweise
<references />