Historia Augusta


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Die Historia Augusta (Kaisergeschichte; der Name ist nicht zeitgenössisch) ist eine auf Latein verfasste spätantike Sammlung von 30 Biographien römischer Kaiser bzw. Usurpatoren für die Zeit von Hadrian bis Numerian/Carinus (117–284/85). Die Viten für die Zeit zwischen 244 und 253 sind nicht überliefert, jene des Valerian (253–260) ist nur fragmentarisch erhalten, ebenso fehlt ein Teil der Vita des Gallienus (260–268).

Das Werk soll von sechs verschiedenen Autoren in der Zeit um 300 verfasst worden sein. Die moderne Forschung hat jedoch plausibel machen können, dass die Historia Augusta von nur einem Autor wahrscheinlich an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert verfasst worden ist. Dieser anonyme Verfasser hat zahlreiche fiktive Elemente in die Viten eingeflochten und mehrere Ereignisse falsch dargestellt. Zahlreiche Einzelfragen (so unter anderem Datierung, Absicht des Autors sowie seine Quellen) sind Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Die Historia Augusta gehört zu den umstrittensten Quellen des Altertums, was eine umfangreiche Forschungsliteratur und eine Reihe von nur der Historia Augusta gewidmeten Forschungskolloquien illustrieren. Trotz der Unglaubwürdigkeit bzw. nachweislichen Falschheit vieler Angaben bietet das Werk auch zahlreiche zuverlässige Informationen und stellt bei entsprechend vorsichtiger Nutzung eine wichtige Quelle für die hohe römische Kaiserzeit dar. Aber auch für das intellektuelle Klima seiner Entstehungszeit und die Vergangenheitsrezeption in der Spätantike stellt der nach wie vor in vielem rätselhafte Text ein wichtiges Zeugnis dar.

Die Verfasserfrage

Als Verfasser der in der Historia Augusta (der Originaltitel ist unbekannt) zusammengefassten Viten werden in den Handschriften sechs ansonsten nicht belegte Autoren angegeben, die seit Casaubonus 1603 als die Scriptores Historiae Augustae („Verfasser der Kaisergeschichte“) bezeichnet werden:

  • Aelius Spartianus
  • Iulius Capitolinus
  • Vulcacius Gallicanus
  • Aelius Lampridius
  • Trebellius Pollio
  • Flavius Vopiscus

Die angeblichen Autoren geben vor, dass das Werk in der Zeit der Kaiser Diokletian und Konstantin entstanden sei. Bisweilen beziehen sie sich in den Viten sogar aufeinander, so Vopiscus auf Pollio. In Wirklichkeit wurden die Viten aber höchstwahrscheinlich deutlich später und von nur einer einzigen Person verfasst, wie schon Hermann Dessau 1889 in einem bahnbrechenden Aufsatz in der Fachzeitschrift Hermes vermutete, in dem Dessau zahlreiche Anachronismen aufdeckte und die Benutzung von Werken nachwies, die erst nach dem Tod Konstantins verfasst wurden.<ref>Dessau, Über Zeit und Persönlichkeït der Scriptores historiae Augustae.</ref> Dessaus Thesen wurden lange heftig diskutiert und von mehreren Fachgelehrten auch abgelehnt, während sich etwa Otto Seeck auf die Seite Dessaus stellte. Theodor Mommsen sprach sich schließlich für einen Mittelweg aus, indem er annahm, die Viten stammten zwar von verschiedenen Autoren, seien aber später von einem (inkompetenten) Redaktor bearbeitet worden.<ref>Siehe Theodor Mommsen: Die Scriptores Historiae Augustae, in: Hermes 25 (1890), S. 228–292. (Online bei DigiZeitschriften).</ref> Noch Arnaldo Momigliano war bezüglich einer Datierung auf die Zeit um 400 skeptisch, da er eine Abfassung in konstantinischer Zeit für möglich hielt.<ref>Arnaldo Momigliano: An Unsolved Problem of Historical Forgery: the Scriptores Historiae Augustae, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 17 (1954), S. 22ff.</ref>

Dessaus Ansatz hat sich letztlich durchgesetzt und wird heute im Grundsatz von der großen Mehrzahl der Fachwissenschaftler akzeptiert.<ref>Forschungsüberblick bei Johne, Kaiserbiographie und Senatsaristokratie, S. 11ff. Vgl. zusammenfassend auch Klaus-Peter Johne: Historia Augusta, in: Der Neue Pauly, Bd. 5 (1998), Sp. 637–640. Eine nicht unwichtige Ausnahme stellt Adolf Lippold dar, der im Anschluss an Mommsens Hypothese an einer Erstellung in konstantinischer Zeit festhielt, siehe die Ausführungen im Abschnitt Datierung.</ref> Großen Anteil daran hatte die an Dessau anschließende Forschung. Zu nennen sind unter anderem die Arbeiten von Ernst Hohl, Johannes Straub sowie von dem bedeutenden Althistoriker Ronald Syme, die sich intensiv mit der Historia Augusta beschäftigt haben.

Es ist allerdings nach wie vor offen, wer der Autor war bzw. welche Absicht er verfolgte. Diese Fragen stehen auch in Verbindung mit der problematischen Datierung der Historia Augusta. Der unbekannte Autor stammte, wie unter anderem seine senatsfreundliche Haltung zeigt, sehr wahrscheinlich aus dem stadtrömisch-senatorischen Umfeld, mit einem besonderen Interesse für die Stadtpräfekten von Rom.<ref>Vgl. Johne, Kaiserbiographie und Senatsaristokratie, S. 105ff.; zur stadtrömischen Tendenz siehe auch ebd., S. 148ff. Eine genauere Charakterisierung versuchte etwa Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 176ff.</ref> Er war offensichtlich literarisch-rhetorisch gebildet. Von den sechs angeblichen Autoren der Historia Augusta gibt nur Flavius Vopiscus etwas von seiner Person preis, wobei es freilich kaum möglich ist, daraus Rückschlüsse auf den tatsächlichen anonymen Verfasser zu ziehen. „Vopiscus“ gibt jedenfalls vor, ein Vertrauter des Stadtpräfekten von Rom, Iunius Tiberianus, gewesen zu sein. Zwei Personen dieses Namens haben in diokletianischer Zeit dieses Amt auch tatsächlich bekleidet: 291 bis 292 sowie ein anderer Tiberianus von 303 bis 304.<ref>Vgl. Johne, Kaiserbiographie und Senatsaristokratie, S. 141ff.</ref> Im Vorwort der vita Aureliani schildert „Vopiscus“, wie ihm Tiberianus während des Festes der Hilaria (am 25. März), „wenn bekanntlich alles, was man sagt und tut, scherzhaft gemeint ist“, den Auftrag zur Abfassung mehrerer Kaiserviten gegeben habe. Aufschlussreich und geradezu bezeichnend für den doppelbödigen Charakter der Historia Augusta ist dabei der zweifellos fiktive (und ironische) Rat des Tiberianus: „Du magst unbesorgt erzählen, was Du willst. Du wirst dich mit deinen Lügen in Gesellschaft von Leuten befinden, die wir als Meister der historischen Prosa bewundern.“<ref>Zitat aus der Vita Aureliani 2,2. Vgl. dazu auch Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 2f., 192f.</ref>

Die Forschung geht überwiegend davon aus, dass der Autor der Historia Augusta Heide war und die Viten um 400 verfasst hat. Im Kontext der Auseinandersetzung zwischen christlichen und paganen Vorstellungen in der Regierungszeit des Theodosius wurde daher oft als Verfasser eine Person aus dem Umfeld des Quintus Aurelius Symmachus und des Virius Nicomachus Flavianus erwogen, den beiden führenden Persönlichkeiten der heidnischen Senatsaristokratie am Ende des 4. Jahrhunderts. Bisweilen wurde sogar Nicomachus Flavianus selbst als Verfasser vermutet, was aber spekulativ bleiben muss.<ref>Vgl. dazu Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 110f.</ref> 2007 plädierte Stéphane Ratti wieder für Nicomachus Flavianus, der auch ein heute verlorenes Geschichtswerk mit dem Titel Annales verfasst hat. Dagegen argumentierte Michel Festy für dessen Sohn und eine Abfassung im frühen 5. Jahrhundert, wobei für Festy die heidnisch-senatorische Haltung eher einen Reflex auf die Vergangenheit darstellt.<ref>Siehe die Beiträge in Hartwin Brandt, Giorgio Bonamente (Hrsg.): Historiae Augustae Colloquium Bambergense (HAC X). Atti dei Convegni sulla Historia Augusta. Bari 2007, S. 183ff. (Festy), S. 305ff. (Ratti).</ref>

In jüngerer Zeit wurde als Autor sogar Eusebius von Nantes vorgeschlagen,<ref>Peter Lebrecht Schmidt, siehe Markus Sehlmeyer: Geschichtsbilder für Pagane und Christen: Res Romanae in den spätantiken Breviarien. Berlin 2009, S. 303f.</ref> der von einigen Forschern als Verfasser der sogenannten Enmannschen Kaisergeschichte betrachtet wird.

Inhalt und Tendenz

Literaturgeschichtliche Einordnung und formaler Aufbau

Mit den Kaiserviten Suetons begann Anfang des 2. Jahrhunderts eine Entwicklung, wodurch im lateinischen Westen des Imperium Romanum die traditionelle Form der Geschichtsschreibung, die in lateinischer Sprache mit den Werken des Tacitus einen Höhepunkt erreicht hatte, zu Gunsten der biographischen Darstellungsweise zurückgedrängt wurde. Während der griechischsprachige Osten eine regelrechte Renaissance erlebte und dort die klassische Historiographie gepflegt wurde,<ref>Im 2. Jahrhundert verfassten unter anderem Appianos und Arrianos, im 3. Jahrhundert Cassius Dio, Herodianos sowie Dexippos Geschichtswerke in der klassischen Tradition.</ref> knüpfte in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts Marius Maximus an Sueton an und führte die Kaiserbiographien bis Elagabal fort. Die antike Biographik, die vor allem bemüht war, den „Charakter“ eines Menschen zu beschreiben, folgte dabei anderen Genreregeln als die Geschichtsschreibung und sollte daher sorgfältig von dieser unterschieden werden. Hatte schon Sueton einem gewissen Hang zu Anekdoten nachgegeben, soll Marius Maximus Sueton diesbezüglich noch übertroffen haben. Mit Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne hatte dies alles wenig zu tun.<ref>Einen allgemeinen Überblick bietet Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur. Bd. 2, 3. Aufl. München 2003, S. 1087ff.</ref> Noch im 4. Jahrhundert war das Werk des Maximus aber offenbar eine beliebte Lektüre unter den römischen Senatoren. Ammianus Marcellinus, der letzte große lateinische Geschichtsschreiber Roms, konnte den Lesern des Marius Maximus um 390 allerdings nur Verachtung entgegenbringen und bemerkte diesbezüglich: „Gelehrsamkeit scheuen einige wie das Gift, sind aber aufmerksame und eifrige Leser des Juvenal und des Marius Maximus, während sie in ihrer bodenlosen Trägheit andere Bücher als diese nicht anrühren.“<ref>Ammian 28,4,14; Übersetzung von Otto Veh (Das römische Weltreich vor dem Untergang. Zürich-München 1974).
Ammianus, selbst eigentlich Grieche, verfasste um 395 noch einmal ein umfassendes lateinisches Geschichtswerk, nachdem die lateinische Historiographie sich nach Tacitus offenbar höchstens noch auf die Abfassung knapper Geschichtsabrisse, sogenannter Breviarien, verlegt hatte. Doch fand Ammianus keinen ebenbürtigen Fortsetzer mehr, jedenfalls keinen, der uns erhalten wäre. Ammianus wurde so etwa von Sulpicius Alexander fortgesetzt, doch sind dessen Historien ebenso wenig erhalten wie die anderen lateinischen Geschichtswerke in der klassischen Tradition, die im 5./6. Jahrhundert entstanden sind, wie das Werk des jüngeren Symmachus. Die Tradition der klassischen Historiographie erlosch im Westen im frühen 6. Jahrhundert, während sie im griechischen Osten noch bis ins frühe 7. Jahrhundert fortdauerte.</ref>

Der Autor der Historia Augusta kannte die Kaiserbiographien Suetons (wie auch die des Marius Maximus) und bemühte sich, dieses Werk, das mit der Biographie des Kaisers Domitian endete, formal fortzusetzen. Das Grundschema ist demnach:

  1. Vorgeschichte bis zur Thronbesteigung.
  2. Regierungszeit und Persönlichkeit, ohne Trennung von öffentlichem und privatem Leben.
  3. Tod, eventuelle Schmähungen oder Ehrungen.

Allerdings wird das suetonische Darstellungsmuster (etwa was die chronologische und nach Eigenschaften unterteilte Gliederung betrifft) eher oberflächlich eingehalten; am engsten ist die Anlehnung in der vita Pii gegeben. Unbekannt ist, ob der Autor, um die Lücke zwischen seinen Viten und den Viten Suetons zu füllen, auch die Regierungszeit der Kaiser Nerva und Trajan behandelt hat, da der Anfang der Historia Augusta vermutlich nicht erhalten ist: „Für antike Verhältnisse ist der Auftakt der Historia Augusta ohne thematische Einleitung oder ein widmendes Vorwort des Autors sehr abrupt“, so Jörg Fündling.<ref>Jörg Fündling: Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta. 2 Bände, Habelt, Bonn 2006, ISBN 978-3-7749-3390-3 (= Antiquitas. Reihe 4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung. Serie 3: Kommentare; Bd. 4.1), S. 10. Siehe dazu auch Karl-Heinz Stubenrauch: Kompositionsprobleme der Historia Augusta. Dissertation, Göttingen 1982.</ref> Die Viten zeigen eine eindeutige pro-senatorische Grundtendenz, was etwa die Ablehnung von Kaisern betrifft, die durch das Militär erhoben wurden und nicht der senatorischen Führungsschicht entstammten bzw. eine gegen sie gerichtete Politik betrieben.<ref>Vgl. allgemein Johne, Kaiserbiographie und Senatsaristokratie, speziell S. 66ff.</ref> Bemerkenswert ist, dass der Autor neben regulären Kaisern auch Usurpatoren und designierte Kaiser behandelte (die sogenannten Nebenviten).

Der Stil der verschiedenen Viten wurde unter anderem auch mit Hilfe computergestützter Untersuchungen analysiert, doch sind die Befunde teils ambivalent bzw. widersprüchlich,<ref>So deutet die Untersuchung von P. J. Gurney und L. W. Gurney: Authorship attribution in the Scriptores Historiae Augustae, in: Literary and Linguistic Computing 13, No 3 (1998), S. 133–140, auf mehr als einen Autor hin. Dagegen bestätigen andere Studien, dass das Werk von nur einem Autor stammt; siehe beispielsweise Ian Marriott: The Authorship of the Historia Augusta: Two Computer Studies, in: Journal of Roman Studies 69 (1979), S. 65–77. Marriotts Methoden wurden von David Sansone kritisiert, doch teilt auch er die Ansicht, dass das Werk von einem Autor verfasst wurde (David Sansone: The Computer and the Historia Augusta: A Note on Marriott, in: Journal of Roman Studies 80 (1990), S. 174–177).</ref> was möglicherweise auf die Kompilation des Quellenmaterials durch den Autor zurückzuführen ist. Die Unterschiede zwischen den Biographien werden oft als eher gering angesehen, wenngleich bei den Pollio und Vopiscus zugeschrieben Viten rhetorische Elemente eine größere Rolle spielen.<ref>So etwa Michael von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, Bd. 2, S. 1103.</ref> In einer neueren statistischen Untersuchung betonte jedoch Burkhard Meißner den inkohärenten Charakter vieler Viten. Als Erklärung würde sich, so Meißner, anbieten, dass bei der Abfassung der Historia Augusta älteres Material vielfach nur oberflächlich verändert übernommen wurde.<ref>Burkhard Meißner: Computergestützte Untersuchungen zur stilischen Einheitlichkeit der Historia Augusta, in: Giorgio Bonamente, Klaus Rosen (Hrsg.): Historiae Augustae Colloquium Bonnense. Bari 1997, S. 175–215 (mit weiterer Literatur), zusammenfassend S. 214f.</ref>

Absicht des Verfassers

Immer wieder wurde in der Forschung nach dem cui bono gefragt – je mehr man sich mit der Historia Augusta beschäftigte, desto rätselhafter erschien die Absicht des Verfassers. Verbreitet ist die Ansicht, dass die Fiktion der sechs verschiedenen Autoren aus konstantinischer Zeit dazu diente, dem Anonymus eine Kritik am Christentum zu ermöglichen, das um 390 endgültig zur Staatsreligion im Imperium Romanum geworden war, und explizit Toleranz von Seiten der christlichen Kaiser gegenüber den Heiden einzufordern. Tatsächlich stellt der Anonymus einige – keineswegs jedoch alle – heidnische Kaiser (wie Mark Aurel, Severus Alexander oder Aurelian) teils als glänzende Vorbilder dar. Als Begründung wird in der Regel angenommen, dass der Verfasser mit diesem Stilmittel ein Kontrastbild zu den inzwischen christlichen Kaisern schaffen wollte.<ref>Knapper Überblick bei Adolf Lippold: Historia Augusta, in: Reallexikon für Antike und Christentum 15 (1991), Sp. 687–723, hier Sp. 690–695.</ref>

Johannes Straub nannte das Werk eine „heidnische Geschichtsapologetik“ und meinte resümierend: „Die Historia Augusta ist eine Historia adversus Christianos“.<ref>Johannes Straub: Heidnische Geschichtsapologetik in der christlichen Spätantike. Bonn 1963, Zitat S. 188. Gegen Straub vgl. die Ausführungen bei Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 137ff. sowie bei Alan Cameron, Rezension zu Straub in: Journal of Roman Studies 55 (1965), S. 240ff.</ref> Die zahlreichen Skandalgeschichten in den verschiedenen Viten lassen allerdings eine Bewertung der Historia Augusta als eine ausschließliche Propagandaschrift wenigstens fraglich erscheinen. Schon Ernst Hohl bemerkte diesbezüglich: „Ein erbärmliches Machwerk ist und bleibt das Lügenbuch der sogenannten Scriptores, und wenn die Sache des Heidentums zu solchen Waffen greifen musste, dann hatte sie den Untergang verdient“.<ref>Ernst Hohl: Über den Ursprung der Historia Augusta, in: Hermes 55 (1920), S. 296–310, Zitat S. 310.</ref> Diesen Widerspruch hatte Straub in einer Studie aus dem Jahr 1952 dahingehend aufzulösen versucht, dass der Anonymus zwar eine heidnisch-senatorische Grundposition vertrat, in erster Linie aber die Absicht gehabt habe, zu unterhalten und nicht zu belehren. Gleichzeitig wollte er spielerisch und bisweilen auch scherzhaft seine Gelehrsamkeit unter Beweis stellen.<ref>Johannes Straub: Studien zur Historia Augusta. Bern 1952, S. 15. Etwas anders Straub, Heidnische Geschichtsapologetik in der christlichen Spätantike, S. 187, wo Straub als Ziel des Anonymus „Unterhaltung und Belehrung“ annahm. Seine Vermutung, die Historia Augusta sei eine Art „Volksbuch“ gewesen, ist allerdings problematisch; dafür setzen die zahlreichen Anspielungen immerhin ein recht gebildetes Lesepublikum voraus.</ref> Dafür würde unter anderem sprechen, dass den entsprechend vorgebildeten Lesern durchaus die Werke bekannt gewesen sein dürften, aus denen der Anonymus abgewandelte Zitate verwendete.<ref>Straub, Vorwort, in: Hohl, Römische Herrschergestalten, Bd. 1, S. XII.</ref> In anderen Fällen sind die Fiktionen recht offensichtlich und durchaus durchschaubar.<ref>Vgl. Straub, Vorwort, in: Hohl, Römische Herrschergestalten, Bd. 1, S. XVIIIf.</ref>

Gegen eine hauptsächlich anti-christliche Tendenz spricht unter anderem, dass in der Vita des Severus Alexander auch dessen Toleranz gegenüber dem Christentum herausgestellt wird.<ref>Vgl. vita Alexandri Severi 22,4; 29,2; 43,6f.</ref> Zwar mag dies so gedeutet werden, dass sich der Anonymus so einen Idealherrscher vorstellt (denn dazu wird Severus Alexander in der Historia Augusta gemacht, siehe unten). Ebenso gibt es in der Historia Augusta aber nur relativ wenige explizite Bezüge auf das Christentum – wo keineswegs immer scharf polemisiert wird.<ref>Vgl. dazu auch Peter Kuhlmann: Religion und Erinnerung. Die Religionspolitik Kaiser Hadrians und ihre Rezeption in der antiken Literatur. Göttingen 2002, speziell S. 99f.</ref> Mehrere Forscher bestreiten daher auch die These einer anti-christlichen Tendenz in der Historia Augusta. Ronald Syme erklärte sogar, der anonyme Autor bekenne sich überhaupt nicht ernsthaft zum Heidentum.<ref>Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 140: „Nothing demonstrates a pagan of sincere faith.“ Das Interesse des Anonymus an Tempeln und Rituale entspringe vielmehr anderen Interessen, etwa einem antiquarischen.</ref> Vielmehr wollte der Autor, der offenbar Wort- und Zahlenspiele liebte, nach Symes Meinung vor allem den (dementsprechend vorgebildeten) Leser humorvoll unterhalten, traditionelle Geschichtsschreibung und Biographiesammlungen durch die zahlreichen geschickten Fälschungen parodieren und dem Leser damit ein intellektuelles Vergnügen bereiten.<ref>Vgl. etwa Syme, Ammianus and the Historia Augusta, 203ff.; Syme, Emperors and Biography, S. 260ff.</ref>

Vor kurzem hat Alan Cameron bestritten, dass der Autor überhaupt eine spezielle Absicht bei der Abfassung des Werks verfolgt hat. Cameron zufolge wollte der Anonymus nur die Kaiserbiographien des Marius Maximus fortsetzen und sei eine eher frivole und ignorante Person gewesen, die ihren richtigen Namen nicht in einem Werk nennen wollte, das am Ende mehr aus Fiktion als aus Geschichte bestand.<ref>Alan Cameron: The Last Pagans of Rome. Oxford/New York 2011, S. 743ff.</ref>

Welches Ziel der Anonymus, der sehr wahrscheinlich dem Umfeld der heidnischen Senatsaristokratie Roms zuzuordnen ist, letztendlich verfolgt hat, ist folglich nicht mit letzter Sicherheit zu ermitteln. Manches spricht allerdings dafür, dass man dem Verfasser des Werkes Unrecht tut, wenn man ihn einen „schlechten Geschichtsschreiber“ nennt. Viele Indizien deuten darauf hin, dass der Anonymus gar nicht die Absicht hatte, einen wahrheitsgetreuen Bericht zu bieten, sondern mit dem Leser ein literarisches Spiel treiben wollte und bewusst Fiktion betrieb.<ref>Vgl. die knappen Ausführungen von Straub, Vorwort, in: Hohl, Römische Herrschergestalten, Bd. 1, S. Xff.; XXXVI. Zusammenfassend siehe auch den knappen Überblick bei Hartwin Brandt: Überlegungen zur Tendenz der Vita des Maximus und Balbinus, in: Giorgio Bonamente (Hrsg.): Historiae-Augustae-Colloquium Genevense (= HAC II). Bari 1994, S. 53-62, hier S. 53f.</ref>

„Schlechte und gute Kaiser“ – das Gegensatzpaar Elagabal und Severus Alexander

Auffallend ist die Absicht des Verfassers, bestimmte Kaiser als Vorbilder herauszustellen und andere in möglichst düsteren Farben zu zeichnen. Diese Tendenz ist nicht immer offensichtlich erkennbar, tritt aber deutlich in der Darstellung der Kaiser Elagabal (reg. 218–222) und Severus Alexander (reg. 222–235) zutage.

Elagabal, dessen eigentlicher Name Varius Avitus Bassianus bzw. nach seinem Amtsantritt Marcus Aurelius Antoninus lautete, gelangte im Alter von nur 14 Jahren an die Macht. In der Historia Augusta wird er als der „letzte der Antoninen“ bezeichnet.<ref>ultimus Antoninorum (vita Heliogabali 1,7). Die Bezeichnung als Antonine erscheint irrig, was sich aber aus dem Umstand erklärt, dass die Kaiser des severischen Hauses eine fiktive Verbindung zu Mark Aurel konstruiert hatten.</ref> Seine Regierungszeit wird sowohl in den meisten Quellen als auch von modernen Althistorikern eher kritisch bewertet. Umstritten war besonders die Religionspolitik des Kaisers,<ref>Michael Pietrzykowski: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Bd II 16, 3. Berlin/New York 1986, S. 1806–1825, mit älterer Literatur. Spezieller ist Theo Optendrenk: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal im Spiegel der Historia Augusta. Bonn 1969.</ref> doch auch sein Lebenswandel wurde teils scharf kritisiert (besonders in den pro-senatorischen Quellen, siehe etwa Cassius Dio). In der Historia Augusta wird dieses schon in frühen Quellen tradierte Bild noch pointierter ausgemalt.<ref>Siehe nun den umfassenden Kommentar von Samuel Christian Zinsli: Kommentar zur Vita Heliogabali der Historia Augusta. Bonn 2014.</ref> Beinhaltet der erste Teil seiner Vita noch historisch nützliche Informationen, so wird Elagabal im zweiten Teil topisch als Lüstling, Tyrann und unmoralisch dargestellt.<ref>Zu diesem vermittelten Bild und den Hintergründen vgl. Gottfried Mader: History as Carnival, or Method and Madness in the Vita Heliogabali, in: Classical Antiquity, Nr. 24,1 (2005), S. 131ff.</ref> Er verachte die Götter und gebe sich nur weltlichen Genüssen hin.<ref>Vgl. besonders vita Heliogabali 18ff., wo die vom Autor der HA wahrgenommene Extravaganz des Kaisers betont und er auf eine Stufe mit Caligula und Nero gestellt wird (ebd. 33).</ref> Detailliert und fast schon genüsslich werden von dem Anonymus die Handlungen Elagabals beschrieben, die vor allem auf alle Sinnesfreuden ausgerichtet waren. Er habe sich etwa mit Prostituierten umgeben, seine betrunkenen Freunde eingeschlossen und zahme Löwen und Bären in den Raum gelassen. Ganz in Seide sei der Kaiser gekleidet gewesen, was als orientalische Dekadenz betrachtet wurde. Seinen Gästen tafelte er bisweilen opulente Speisen auf. In einigen Fällen sind die übertriebenen Ausführungen auch als Analogie zu sehen; so ist etwa die Aussage, Elagabal habe einen „Frauensenat“ gebildet, als eine Anklage bezüglich des großen Einflusses der Frauen am Hof zu bewerten.<ref>vita Heliogabali 4; vgl. Straub, Vorwort, in: Hohl, Römische Herrschergestalten, Bd. 1, S. XXVIII.</ref> Passend zu seinem ausschweifenden Lebenswandel wird das schmähliche Ende des Kaisers in der Historia Augusta beschrieben: Er wurde erschlagen, sein Leichnam durch die Straßen geschleift. Man wollte diesen angeblich in eine Kloake werfen, warf den Toten dann aber in den Tiber.<ref>vita Heliogabali 17.</ref>

Datei:Alexander severus.jpg
Büste des Severus Alexander im Louvre.

Als völliges Gegenteil Elagabals wird dessen Nachfolger Severus Alexander in der Historia Augusta geschildert.<ref>Vgl. dazu Ronald Syme: The Reign of Severus Alexander, in: Syme, Emperors and Biography, S. 146ff. Einen insgesamt veralteten, aber lesenswerten Überblick bietet Karl Hönn: Quellenuntersuchungen zu den Viten des Heliogabalus und des Severus Alexander. Leipzig 1911.</ref> Schon Cassius Dio, der unter Severus Alexander wirkte und von diesem begünstigt wurde, beschrieb ihn sehr positiv. Der Anonymus ging noch einen Schritt weiter: In der Historia Augusta wird Severus Alexander geradezu zu einem Idealkaiser stilisiert und bildet damit ein scharfes Kontrastbild zu Elagabal. Schon seine Geburt, die angeblich in einem Tempel stattfand (der bezeichnenderweise Alexander dem Großen gewidmet war), sei von himmlischen Vorzeichen begleitet worden.<ref>Siehe vita Alexandri Severi 5,1; 13,5.</ref> Seine religiöse Toleranz (siehe oben) wird ebenso gewürdigt wie auch seine Frömmigkeit den traditionellen römischen Kulten gegenüber. Die Vita des Severus Alexander ist die längste in der Historia Augusta und stellt eine einzige panegyrische Lobpreisung des Kaisers dar, der als vorbildhaft beschrieben wird (wenn auch in Kapitel 64 einige Fehler des Kaisers aufgelistet werden). Hatte er sich doch mit weisen Ratgebern umgeben, den Senat respektiert und im Einvernehmen mit ihm gehandelt.<ref>Vgl. zur idealisierten Darstellung des Kaisers allgemein auch die Ausführungen bei Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 133–135.</ref> Die Vita stellt damit in gewisser Weise einen Fürstenspiegel dar. Jacob Burckhardt bemerkte dazu, dass Severus Alexander „wie ein wahrer Sankt Ludwig des Altertums“ erscheine.<ref>Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen. 2. Aufl. Leipzig 1880; ND 1990, S. 17.</ref> Dabei redet der Anonymus freilich militärische Niederlagen wie gegen die Sāsāniden schön. Dass dem Kaiser zusehends die Kontrolle entglitt, wird ebenso wenig deutlich.<ref>David Potter: The Roman Empire at Bay. London/New York 2004, S. 163ff.</ref>

Wahrheitsgehalt der Historia Augusta

Die Historia Augusta steht in der Tradition der Kaiserbiographien Suetons, doch bereitet der Inhalt und die Tendenz der Viten der modernen Forschung erheblich mehr Probleme. Obwohl der Autor der Historia Augusta an verschiedenen Stellen Wahrheitsliebe einfordert, zeigt er in der Tradition Suetons eine äußerst ausgeprägte Neigung zu Klatsch und Anekdoten. Daher wird der Wahrheitsgehalt seiner Angaben von der Forschung oft als gering veranschlagt. Bisweilen nähert sich die Historia Augusta mit der Schilderung unglaubwürdiger Episoden auch der Romanliteratur an.<ref>Vgl. etwa Straub, Vorwort, in: Hohl, Römische Herrschergestalten, Bd. 1, S. XXXI. Einen interessanten Vergleich bietet Glen Bowersock: The Aethiopica of Heliodorus and the Historia Augusta, in: G. Bonamente, F. Paschoud (Hgg.): Historia Augusta Colloquium Genovense. Bari 1994, S. 43–52.</ref> Dazu passt, dass faktisch alle in der Historia Augusta zitierten Dokumente nachweislich nicht echt sind; eine Ausnahme stellt möglicherweise das Senatsprotokoll in der vita Commodi (18f.) dar, doch ist auch dies nicht unumstritten. Alle zitierten Briefe gelten nach allgemeiner Forschungsmeinung als Fälschungen, die Reden sind ohnehin frei erdacht. Bei mehreren ansonsten nicht bezeugten Personennamen (die teilweise als „Quellen“ für die Darstellung des Anonymus genannt werden) liegt zudem die Vermutung einer bewussten Konstruktion nahe, wie im Fall des Aelius (Junius) Cordus, der mehrfach erwähnt wird, aber höchstwahrscheinlich fiktiv ist.<ref>Allgemein dazu: Ronald Syme: Bogus authors, in: Syme, Historia Augusta Papers, S. 98–108.</ref> Insgesamt werden über 100 Personen nur in der Historia Augusta erwähnt und sind dementsprechend verdächtig. Bei anderen Autoren ist diese Frage schwerer zu beantworten, wie etwa im Fall des Onasimos. Teils werden auch bekannte Namen in den Viten verändert. Oft fällt es aufgrund der geschickten Manipulation schwer zu entscheiden, ob Darstellungen korrekt sind oder nicht.<ref>Vgl. Syme, Emperors and Biography, S. 271ff.</ref> Um seine Darstellung zu verschleiern, beruft sich der Anonymus oft auf seine (angeblichen) Quellen, wie etwa auf Marius Maximus, den fiktiven Cordus oder Darstellungen aus der Ulpischen Bibliothek (Trajansbibliothek). Nicht selten wird eine Quelle aber auch nur genannt, um dann deren Aussage zu widersprechen, was eine Bewertung zusätzlich verkompliziert.

Die Problematik einer Verwendung der Historia Augusta als historische Quelle liegt letztendlich darin begründet, dass der Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen oft gar nicht geklärt werden kann. Die frühen Viten (bis Elagabal, ausgenommen die Vita des Macrinus sowie die Nebenviten der Nebenkaiser und Usurpatoren) enthalten wichtiges Material, das auch durchaus aus guten Quellen stammt, wobei allerdings auch hier mehr oder weniger offensichtliche Falschinformationen mit eingeflochten wurden. Die Glaubwürdigkeit der Darstellung für die Kaiser des 3. Jahrhunderts nimmt gegenüber den frühen Viten allerdings weiter stark ab.<ref>Allgemein Hartwin Brandt: Facts and Fictions – die Historia Augusta und das 3. Jahrhundert, in: K.-P. Johne u. a. (Hrsg.): Deleto paene imperio Romano. Transformationsprozesse des Römischen Reiches und ihre Rezeption in der Neuzeit. Stuttgart 2006, S. 11–23.</ref> Aber auch hier können sich inmitten falscher oder verzerrter Angaben zutreffende Informationen finden, die aus guten Quellen stammen – so etwa der Hinweis in der Vita von Maximus und Balbinus, die beiden principes hätten im Sechskaiserjahr das Amt des Pontifex Maximus gemeinsam bekleidet.<ref>Vit. Max. et. Balb. 8,1. Diese innerhalb der literarischen Überlieferung einzigartige Information wird durch zeitgenössische Inschriften bestätigt (z. B. ILS 496).</ref> Manche Angaben in den Viten bestätigen sich bisweilen durch neuere Funde, so im Nachhinein zu den Germanienfeldzügen des Maximinus Thrax (siehe Harzhornereignis). Auch in „schlechten“ Viten können mithin vereinzelt brauchbare Informationen enthalten sein, die sich allerdings oft nicht eindeutig von falschen Angaben unterscheiden lassen. Die Vita des Censorinus ist hingegen offenbar zur Gänze fiktiv, ebenso wie mehrere andere Viten der sogenannten Dreißig Tyrannen (dreißig Usurpatoren, die sich in der Zeit des Gallienus erhoben haben sollen); ähnlich ist der historische Wahrheitsgehalt etwa in der Vita des Kaisers Tacitus insgesamt sehr gering zu veranschlagen.<ref>Dazu Ernst Hohl: Vopiscus und die Biographie des Kaisers Tacitus, in: Klio 11 (1911), S. 178ff., 284ff.</ref> Es finden sich allgemein zahlreiche Anachronismen. So wird beispielsweise der Titel vir illustris erwähnt, der aber in dieser Form erst unter Valentinian I. belegt ist. Auch andere Begriffe werden benutzt, die erst im späten 4. oder frühen 5. Jahrhundert in Gebrauch kamen.<ref>Vgl. allgemein auch Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 111ff.</ref> Mehrere Soldatenkaiser werden vom Autor schon aufgrund ihrer Herkunft sehr negativ betrachtet und oft topisch dargestellt. Hinzu kommen mehrere sachliche Fehler bzw. Irrtümer (wie auch schon in den frühen Viten). Überhaupt stellen die sogenannten Nebenviten ein spezielles Problem dar, da in ihnen in noch größerem Ausmaß Fiktives eingeflochten ist – wenngleich die Vita des Lucius Verus wertvolles Material enthält und daher von Syme nicht zu diesen gerechnet wurde.<ref>Vgl. Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 176f.; allgemein Syme, Emperors and Biography, S. 54–77 (Kapitel 4: The Secondary Vitae).</ref> Jörg Fündling resümiert: „Entgegen allen Erwartungen der Quellenkritik sinkt das Niveau der Viten, je näher sie der behaupteten Anfangszeit kommen, statt dass Detailreichtum und Zuverlässigkeit steigen; die mit der v.H [vita Hadriani] beginnenden Berichte zum 2. Jh. machen dagegen den als besonders wertvoll erkannten Teil des Corpus aus.“<ref>Jörg Fündling: Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta. 2 Bände, Habelt, Bonn 2006, ISBN 978-3-7749-3390-3 (= Antiquitas. Reihe 4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung. Serie 3: Kommentare; Bd. 4.1), S. 6.</ref>

Grundsätzlich sollte man alle Angaben, die nur in der Historia Augusta überliefert sind, stets mit größter Skepsis behandeln. Damit hat noch immer Mommsens Verdikt Gültigkeit:

„...[Man ist] bei dem Gebrauch des ebenso gefährlichen wie unentbehrlichen Buches in stetiger Verlegenheit und Unsicherheit.“

Theodor Mommsen, in: Hermes 25 (1890), S. 281

Bereits Mommsen hatte daher einen umfassenden Kommentar eingefordert. Aber erst in den letzten Jahren erschienen mehrere Kommentare zu einzelnen Kaiserviten, weitere sind in Planung. Diese sowie die verschiedenen (zunächst in Bonn veranstalteten) Kolloquien von Fachgelehrten zur Historia Augusta sollen zukünftig eine bessere Beurteilung des Werks ermöglichen.

Die Quellen der Historia Augusta

Für die frühen Kaiserviten (bis Elagabal) diente vermutlich das verlorene Werk des Marius Maximus als Hauptquelle. Marius Maximus verstand sich offenbar als Fortsetzer Suetons und verfasste im 3. Jahrhundert zwölf Biographien der Kaiser von Nerva bis Elagabal. Er wird mehrmals in den frühen Viten der Historia Augusta zitiert; in der Forschung werden in der Regel diese Viten auch als deutlich zuverlässiger als die späteren bewertet.<ref>Allgemein zu den Quellen der Historia Augusta siehe Barnes, The Sources of the Historia Augusta.</ref> Es muss freilich offen bleiben, ob der Name Marius Maximus bisweilen vielleicht auch nur eine Folie war, um eine bestimmte Quelle zu etikettieren; zumal die Viten des Marius Maximus nicht erhalten sind und ein Quervergleich daher nicht möglich ist. Marius Maximus scheint auch, den wenigen Fragmenten seines Werks nach zu urteilen, weitaus mehr als Sueton zu Abschweifungen geneigt zu haben. So sind denn auch Ronald Syme und später Timothy D. Barnes für einen anderen, unbekannten Autor als gute Hauptquelle in den frühen Viten eingetreten.<ref>Vgl. Ronald Syme: Not Marius Maximus, in: Hermes 96 (1968), S. 494–502; Syme, Emperors and Biography, S. 30ff. (Kapitel 3: Ignotus, the Good Biographer).</ref> Dieser unbekannte Biograph (daher von Syme als Ignotus bezeichnet) sei Marius Maximus an Zuverlässigkeit überlegen gewesen und habe eine Biographiensammlung verfasst, die bis in die Zeit Caracallas reichte. Von manchen Forschern wird dieser Ansatz akzeptiert, während er von anderen, darunter Anthony Birley, abgelehnt wird.<ref>Anthony R. Birley: Marius Maximus, the Consular Biographer, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. II 34, 3 (1997), S. 2678–2757.</ref>

Der Autor der Historia Augusta war offenbar ein gebildeter Mann, der sich nicht nur auf lateinische, sondern auch auf griechische Autoren stützte. So benutzte der Autor offenbar Herodian, der eine (oft allerdings wenig zuverlässige) Kaisergeschichte nach Marcus verfasste (180 bis 238), und wohl auch die monumentale Römische Geschichte des Cassius Dio, der die Zeit bis 229 schilderte und den auch Herodian wenigstens teilweise heranzog. Eine mögliche Quelle stellt auch der griechisch schreibende Asinius Quadratus dar. Für das 3. Jahrhundert diente sehr wahrscheinlich Dexippos als Hauptquelle (vielleicht vermittelt über eine Zwischenquelle), daneben benutzte der Anonymus auch Material aus der (und nur indirekt belegten) Enmannschen Kaisergeschichte, auf die sich im 4. Jahrhundert mehrere Breviarien stützten.

In den frühen Viten (etwa der Hadriansvita)<ref>Dazu ausführlich Jörg Fündling: Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta. 2 Bde. Bonn 2006.</ref> finden sich wertvolle Informationen, die teilweise in literarischen Quellen keine Erwähnung finden, die aber etwa durch epigraphische Zeugnisse bestätigt werden. Dennoch müssen auch diese Viten mit entsprechender Vorsicht benutzt werden. Aurelius Victors Caesares wurden ebenfalls benutzt, ebenso verwendete der Anonymus möglicherweise die Autobiographien der Kaiser Hadrian und Septimius Severus. Offen muss bleiben, ob auch die heute vollständig verlorenen Annales des Virius Nicomachus Flavianus herangezogen wurden, doch spricht viel dafür, dass ein ähnliches Werk senatorischer Prägung vom Anonymus in den späten Viten verarbeitet wurde. Eunapios von Sardes hingegen wird heute nicht mehr als Hauptquelle für die späten Viten betrachtet.<ref>Vgl. dazu Klaus-Peter Johne: Die Historia Augusta, in: Klaus-Peter Johne (Hrsg.): Die Zeit der Soldatenkaiser. 2 Bde. Berlin 2008, S. 45ff.</ref>

Nach Syme und anderen zog der Verfasser auch das Geschichtswerk des Ammianus Marcellinus heran. In der älteren Forschung wurde zudem der heute als gescheitert anzusehende Versuch unternommen, einen Autor zu rekonstruieren, der in den frühen Viten als Quelle gedient und ein annalistisches Geschichtswerk verfasst hat, also keine Biographien schrieb.<ref>So unter anderem Ernst Kornemann: Kaiser Hadrian und der letzte große Historiker von Rom. Leipzig 1905, der ihn mit Lollius Urbicus, den Sohn des Quintus Lollius Urbicus, gleichsetzte; zum vermuteten Umfang des Werks ebd., S. 79ff. Dagegen siehe die knappe Zusammenfassung bei Syme, Ammianus and the Historia Augusta, S. 92.</ref>

Datierung

Im Anschluss an die These Dessaus geht der Großteil der modernen Forschung davon aus, dass der Verfasser des Textes das erst um 360 entstandene Werk Caesares des Aurelius Victor kannte und benutzt hat (etwa in der Vita des Septimius Severus), während die frühesten sicher bezeugten Anspielungen auf die Historia Augusta aus dem frühen 6. Jahrhundert stammen: Sie finden sich bei Jordanes,<ref>Getica 15, 83ff.</ref> der sie aus der (heute verlorenen) Historia Romana des jüngeren Symmachus übernommen zu haben scheint. Damit ist auch der mögliche Entstehungszeitraum der Historia Augusta abgesteckt, eine präzisere Datierung wird jedoch durch die Frage verkompliziert, welche Ziele der Anonymus mit seiner Schrift verfolgt hat bzw. wie die diversen Hinweise auf Bezüge aus dem 4./5. Jahrhundert (z.B. von Gesetzestexten) zu deuten sind.

Norman Baynes dachte an eine Entstehung in der Regierungszeit Kaiser Julians, wobei die Historia Augusta im Zusammenhang mit Julians „heidnischer Restauration“ den Interessen des Kaisers dienen sollte; in diesem Kontext spiegele der „Idealkaiser“ Severus Alexander Facetten der Persönlichkeit Julians wieder (insofern man den julianfreundlichen Quellen Glauben schenkt).<ref>Norman Baynes: The Historia Augusta. Its Date and Purpose. Oxford 1926. Klaus Rosen hat in jüngster Zeit ebenfalls mehrere Bezüge auf Julian herausgearbeitet, siehe Klaus Rosen: Kaiser Julian in der Historia Augusta, in: Hartwin Brandt, Giorgio Bonamente (Hgg.): Historiae Augustae Colloquium Bambergense (HAC X). Atti dei Convegni sulla Historia Augusta. Bari 2007, S. 319ff.</ref> In der neueren Forschung wird allerdings, auch aufgrund inhaltlicher Anspielungen, meist eine Datierung kurz nach dem Tod des Kaisers Theodosius I. im Jahr 395 erwogen bzw. für das frühe 5. Jahrhundert plädiert. Ronald Syme nahm auch an, dass der Anonymus das Werk des Ammianus Marcellinus benutzt hat und datierte daher die Abfassungszeit um oder kurz nach 395.<ref>Syme, Ammianus and the Historia Augusta.</ref> Demgegenüber vertrat in jüngerer Zeit Adolf Lippold wieder die Ansicht, man könne einen einzigen, um 330 wirkenden heidnischen Autor bzw. Redaktor annehmen, womit er sich aber nicht durchsetzen konnte.<ref>Lippold, Die Historia Augusta. Eine Sammlung römischer Kaiserviten aus der Zeit Konstantins, wo sich auch ein zusammenfassender Überblick in Form von Lippolds Artikel im Reallexikon für Antike und Christentum findet.</ref>

Die derzeitige communis opinio geht davon aus, dass der Autor die Viten wohl am Ende des 4. bzw. zu Beginn des 5. Jahrhunderts verfasste und kein Christ war. Diese Theorie dominiert heute die Forschung, wenngleich hinsichtlich der Absicht des Anonymus divergierende Forschungsmeinungen existieren (siehe den vorherigen Abschnitt „Inhalt und Tendenz“). Es gibt aber vereinzelt auch Ansätze zu einer Spätdatierung auf die Zeit um 500.

Überlieferungsgeschichte

Das Werk war im Mittelalter offenbar kaum bekannt, wenngleich es etwa in karolingischer Zeit und dann wieder im 12. Jahrhundert wohl durchaus gelesen wurde.<ref>Einhard beispielsweise scheint die Hadriansvita gekannt zu haben, vgl. Rosamond McKitterick: Charlemagne. Cambridge 2008, S. 17.</ref> Im Frühhumanismus wurde es aber oft herangezogen und entfaltete auf diese Weise eine nicht unerhebliche Wirkung. Die Überlieferung hängt von zwei Handschriftenklassen ab. Bei der einen handelt es sich um eine Handschrift aus dem 9. Jahrhundert (Codex Palatinus Latinus 899, genannt P), von der mehrere spätere Handschriften abhängen. Daneben existiert eine zweite Klasse, die sogenannten Σ-Handschriften aus dem frühen 14. Jahrhundert, die im Vergleich zu P eine ganze Reihe von Textumstellungen bieten.<ref>Vgl. allgemein Ernst Hohl: Beiträge zur Textgeschichte der Historia Augusta, in: Klio 13 (1913), S. 258ff.; 387ff.</ref> Der Anfang des Werks (sofern der Anonymus an Sueton angeknüpft hat) ist nicht erhalten. In beiden Handschriftenklassen tritt eine Textlücke auf: Die Viten zwischen 244 und 253 sind nicht überliefert, die Vita des Valerian ist nur fragmentarisch erhalten; ebenso fehlt ein Teil der Vita des Gallienus. In der Forschung wurde auch erwogen, dass diese Lücken vielleicht vom Verfasser der Historia Augusta beabsichtigt waren.<ref>Anthony R. Birley: The lacuna in the Historia Augusta, in: Historia-Augusta-Colloquium 1972/74. Bonn 1976, S. 55ff.</ref> Die Handschriften gehen offenbar auf eine gemeinsame Fassung zurück, die aus der Zeit der karolingischen Renaissance stammt. Die editio princeps erschien 1475 in Mailand. Eine separate Werkausgabe gab Casaubonus 1603 heraus.

Ausgaben/Übersetzungen

Ausgaben

  • Ernst Hohl (Hrsg.): Scriptores Historiae Augustae. 2 Bände, Teubner, Leipzig 1965.

Übersetzungen

  • Ernst Hohl (Übersetzung und Einleitung), Johannes Straub (Vorwort), Elke Merten und Alfons Rösger (Kommentar): Historia Augusta. Römische Herrschergestalten. 2 Bde.
    • Band 1, Artemis, Zürich und München 1976, ISBN 3-7608-3568-6 (deutsche Übersetzung mit ausführlicher Einleitung und einem nützlichen Kurzkommentar).
    • Band 2, Artemis, Zürich und München 1985, ISBN 3-7608-3637-2.
  • Anthony R. Birley (Herausgeber und Übersetzer): Lives of the Later Caesars: the first part of the Augustan history. Penguin Verlag, London u.a. 1976, ISBN 978-0-14-044308-0 (mehrere Nachdrucke; engl. Übersetzung der Viten bis Elagabal).
  • André Chastagnol (Herausgeber und Übersetzer): Histoire Auguste. Robert Laffont, Paris 1994, ISBN 2-221-05734-1 (zweisprachige Ausgabe lateinisch/französisch mit ausführlicher Einleitung und Kommentaren).
  • David Magie (Herausgeber und Übersetzer): Scriptores Historiae Augustae. 3 Bde., Harvard University Press/Heinemann, Cambridge/Mass. und London 1967 (zuerst 1921ff.; zweisprachige Ausgabe lateinisch/englisch in der Sammlung Loeb Classical Library; online bei LacusCurtius).

Literatur

  • Andreas Alföldi, Johannes Straub (Hrsg.): Antiquitas. Reihe 4. Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung. Habelt, Bonn 1964ff. (wichtige Sammlung von Aufsätzen).
  • Timothy D. Barnes: The Sources of the Historia Augusta. Latomus, Brüssel 1978, ISBN 2-87031-005-6.
  • Giorgio Bonamente u. a. (Hrsg.): Historiae Augustae Colloquia. Nova series. Edipuglia, Bari 1991ff. (Publikation der Ergebnisse der neueren Kolloquien mit aktueller Literatur).
  • Hermann Dessau: Über Zeit und Persönlichkeït der Scriptores historiae Augustae. In: Hermes 24, 1889, S. 337–392 (online bei Gallica).
  • Klaus-Peter Johne: Kaiserbiographie und Senatsaristokratie. Untersuchungen zur Datierung und sozialen Herkunft der Historia Augusta. Akademie Verlag, Berlin 1976.
  • Klaus-Peter Johne: Zum Geschichtsbild in der Historia Augusta. In: Klio 66, 1984, S. 631–640.
  • Adolf Lippold: Die Historia Augusta. Eine Sammlung römischer Kaiserviten aus der Zeit Konstantins. Steiner, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-07272-1.
  • Andrea Scheithauer: Kaiserbild und literarisches Programm. Untersuchungen zur Tendenz der Historia Augusta. Lang, Frankfurt a. M. 1987, ISBN 3-8204-9927-X.
  • Holger Sonnabend: Geschichte der antiken Biographie. Metzler, Stuttgart 2002, ISBN 3-476-01914-4, S. 214–221.
  • Ronald Syme: Ammianus and the Historia Augusta. Clarendon Press, Oxford 1968.
  • Ronald Syme: Emperors and Biography. Studies in the Historia Augusta. Clarendon Press, Oxford 1971.
  • Ronald Syme: Historia Augusta Papers. Clarendon Press, Oxford 1983, ISBN 0-19-814853-4.
  • Mark Thomson: Studies in the Historia Augusta. Latomus, Brüssel 2012, ISBN 978-2-87031-278-0.

Weblinks

Text

  • Bill Thayer (Text der Ausgabe Loeb Classical Library 1921, englisch und lateinisch)
  • Bibliotheca Augustana und Latin Library (jeweils Text der Ausgabe Scriptores Historiae Augustae, hg. E. Hohl, Leipzig 1927/55, digitalisiert von Jean-Luc Brazeau, Montreal; Ausgabe der Bibl. Aug. mit Überarbeitungen von Ulrich Harsch)
  • Wikisource (lateinisch, unvollständig)
  • Intratext (Eulogos 2007)
  • Histoire Auguste, französische Übersetzung von Philippe Remacle, Paris 1844-47; teils auch als textlinguistisch aufbereitete Ausgabe mit zweisprachiger Textansicht u. a., in: Itinera Electronica, Löwen 2008

Literatur

Anmerkungen

<references />

24px Dieser Artikel wurde am 19. September 2008 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.