Friedrich Wilhelm Raiffeisen
Friedrich Wilhelm Raiffeisen (* 30. März 1818 in Hamm (Sieg); † 11. März 1888 in Heddesdorf, heute Neuwied) war ein deutscher Sozialreformer und Kommunalbeamter. Er gehört zu den Gründern der genossenschaftlichen Bewegung in Deutschland und ist der Namensgeber der Raiffeisenorganisation.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Herkunft und Ausbildung
Friedrich Wilhelm Raiffeisen war Sohn des Landbürgermeisters Gottfried Friedrich Raiffeisen (1782–1849) und dessen Ehefrau Amalie Lanzendörffer als eines von neun Geschwistern. Sein Großvater Johann Carl Ludwig Raiffeisen (1749–1814) war Pfarrer und kam aus dem fränkischen Mittelfischach (heute Gemeinde Obersontheim im Landkreis Schwäbisch Hall) nach Hamm. Unter seinen Ahnen väterlicherseits, die sich bis 1547 zurückverfolgen lassen, finden sich Pfarrer, Lehrer, Handwerker und Salzsieder in verschiedenen fränkischen und schwäbischen Orten.<ref>Rainer Märklin: Woher kommen eigentlich die Raiffeisens in Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 17/18</ref> Er erhielt neben dem Unterricht der Volksschule auch Privatstunden bei seinem Patenonkel, dem reformierten Pfarrer von Hamm, Georg Wilhelm Henrich Seippel und dessen Freund Hofrat Lantzendörffer.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 35</ref> Johannes Hasselhorn glaubt an eine pietistische Prägung des jungen Raiffeisen durch die Religiosität der damaligen Bevölkerung und besonders durch den als Pastor tätigen Großvater.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 57</ref> Als 17-Jähriger musste er in die Offizierslaufbahn der preußischen Armee in Köln eintreten, da seine Familie zu arm war, ein Studium zu finanzieren.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 53</ref> Der Vater Raiffeisen war schon um 1822 vom Bürgermeisteramt zurückgetreten, vermutlich weil er an Tuberkulose erkrankt war und somit als Ernährer der Familie und nicht zuletzt auch als Erzieher seiner Kinder ausfiel. Als Todesursache des am 16. Januar 1849 Verstorbenen vermerkt das Kirchenbuch Abzehrung.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 55</ref> Raiffeisen wurde in einem guten, wohlbehüteten und religiösen Elternhaus groß, in dem besonders seine Mutter Amalie als alleinige Verantwortliche für die Familie über sich hinauswuchs. Frühe Biografien hatten den Tod von Raiffeisens Vater auf die Zeit zwischen 1822 und 1824 datiert, was zum Ausdruck bringt, dass er für die Familie seit dieser Zeit eher eine finanzielle und moralische Belastung darstellte.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 55</ref>
Obwohl Raiffeisen von damaligen Zeitgenossen keineswegs als Militarist, sondern eher als geistiger Mensch beschrieben wird,<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 63</ref> wurde er 1838 zum Unteroffizier befördert und zur Inspektionsschule nach Koblenz kommandiert, was damals als Auszeichnung galt. An jener Schule lernte er technisches Detailwissen, das ihm später als Bürgermeister beim Schul- und Wegebau sowie der Wiesendrainage hilfreich war.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 65</ref> In Koblenz lernte er die „Euterpier“ kennen. Dieser Jugendbund bestand aus Gymnasiasten, die sich unter dem Wahlspruch „Fromm, frisch, froh, frei“ und im Zeichen der Fröhlichkeit und des Humanismus zusammenfanden.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 68</ref> Die daraus entstandenen Freundschaften hielten auch an, als er nach Köln versetzt wurde. Ein Teil der Euterpier studierte in Bonn und gründete dort den Bonner Wingolf. Ihm war Raiffeisen zwar als gern gesehener Gast zuzurechnen, trat aber selbst nie ein. Während seiner Kölner Zeit erkrankte er an einem Augenleiden, womit seine Pläne einer militärischen Karriere als Offizier unmöglich wurden. Sein Onkel Hofrat Lantzendörffer verschaffte ihm eine Stelle in der zivilen preußischen Verwaltung.<ref>Werner Abresch, Friedhelm Kaiser: Zukunft gewinnen, Steinbock-Verlag, Hannover, 1968, S. 73</ref>
Am 23. September 1845 heiratete er die Apothekerstochter Emilie Storck aus Remagen.<ref name="genossenschaftsgeschichte">Biografie auf genossenschaftsgeschichte.info</ref>
Berufsleben und Werk
Raiffeisen wurde in die preußische Kommunalverwaltung als Kreissekretär nach Mayen versetzt und war von 1845 bis 1848 Bürgermeister von Weyerbusch im Westerwald nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort Hamm entfernt. Seine Aufgabe war es, die eingehenden Bittgesuche und Anträge der Bürger zu bearbeiten, die Sitzungen der Gemeinderäte vorzubereiten und die Anordnungen der vorgesetzten Behörden umzusetzen. Mit der Einführung der preußischen Gemeindeordnung, die er durchsetzen musste, wurden in allen Orten Protokollbücher angelegt, deren Auswertung später einen wichtigen Beitrag zur Forschung über Raiffeisen lieferten. Als Bürgermeister war er auch verantwortlich für die Durchführung der Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus und der Frankfurter Nationalversammlung. Raiffeisen war ein bürgernaher Gemeindevorsteher, der sich die Nöte und Sorgen anhörte und versuchte, die Lage zu verbessern. Zwei seiner Schwerpunkte während seiner gesamten Tätigkeitszeit waren der Straßen- und Wegebau sowie das Schulwesen. Von ihm ist die Aussage überliefert, dass „der beste Kampf gegen die Armut, eine gute Schulbildung ist“. Viele Schulen waren damals in einem sehr schlechten baulichen Zustand und die Schüler wurden in den nassen, kalten und zugigen Räumen oft krank. Nach Amtsbeginn in Weyerbusch beginnt er, ein neues Schulgebäude zu entwerfen, planen und bauen zu lassen. Hierbei war seine Ausbildung zum Oberfeuerwerker hilfreich, in der er das Rüstzeug gelernt hatte, um jetzt die Verträge mit den Handwerkern zu schließen, deren Arbeiten zu überwachen und später abzunehmen. Während seiner weiteren Jahre als Bürgermeister an verschiedenen Orten ließ er immer wieder neue Schulen planen und errichten.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Dr.-Ing.-Hans-Joachim-Lenz-Stiftung , Angelika Humann(Hrsg.): Menschen, die die Welt bewegten, BoD – Books on Demand, 2012, S.137/138 ISBN 9783938088296</ref>
Ein weiteres wichtiges Anliegen war ihm die Erschließung mit Straßen und Wegen. Es gab damals nur unbefestigte Lehmwege, die bei schlechter Witterung unpassierbar waren. Um den Absatz der Agrarprodukte zu fördern, betrieb er zur besseren Erschließung der Region den Bau einer Straße von Weyerbusch über Flammersfeld, Rengsdorf und Heddesdorf zum Rhein, später auch bis Hamm (Sieg). Diese Straße, die zum Teil mit der heutigen B 256 identisch ist, wurde am 23. März 1984 Historische Raiffeisenstraße genannt. Sie verbindet seine Wirkungsstätten vom Geburtsort bis zum Raiffeisendenkmal in Neuwied. Er sorgte für die Aufforstung der Wälder und den Bau der Westerwaldbahn.
Der Winter 1846/47 stellte ihn vor eine neue Herausforderung. Im Sommer davor waren die Durchschnittstemperaturen in ganz Europa gesunken, wie wir heute wissen durch die Vulkanausbrüche des Fonualei und des Merapi mit monatelangen Ascheausstoß. Durch die Klimaveränderung kam es zu erheblichen Mindererträgen beim Getreide, was durch das erstmalige Auftreten der Krautfäule bei den Kartoffeln zu explodierenden Nahrungsmittelpreisen im Winter führte. Auf Antrag von Raiffeisen lieferte die Regierung Brotgetreide, um die ärgste Not zu lindern. Dieses durfte allerdings nur gegen sofortige Bezahlung abgegeben werden, wozu die meisten Bewohner nicht in der Lage waren. Er handelte als junger Bürgermeister eigenmächtig und gibt die dringend benötigten Nahrungsmittel gegen Schuldschein heraus. In Erinnerung an seinen Patenonkel Seippel, der 1818 einen Opferstock aufgebrochen hatte, weil ihm die örtliche Verwaltung zu langsam auf eine Hungersnot reagiert hatte, ist ihm die Linderung der Not wichtiger als die Anweisung der Regierung.<ref name="H140">Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.140</ref>
Wie dieser auch, gründete er einen Hilfsverein. Er schaffte es, dass die etwas begüterten Mitbürger ihre geringen Ersparnisse dort einbrachten und er das Getreide bezahlen konnte. Vom gegründeten „Brotverein“ wurden mit diesem Geld ein Gemeindebackhaus gebaut und im Frühjahr Saatkartoffeln finanziert, damit die Ärmeren im Herbst mit den Verkaufserlösen ihre Schulden zurückzahlen können. Der Verein hatte keine Satzung und Raiffeisen schrieb an seinen Landrat, dass sie auf Treu und Glauben als bindend begründet sind. Wegen des guten Zustands in seinem Verwaltungsgebiet bewilligte der Landrat Raiffeisen für die ihm entstandenen Kosten daraufhin ein Darlehen.<ref name="H140" />
Ab 1848 wechselte er als Bürgermeister zur Bürgermeisterei Flammersfeld über 33 Ortschaften. Die allgemein beginnende technische und agrarwirtschaftliche Entwicklung sah er. Dabei war ihm aber bewusst, dass es den meist kleinen Landwirten an Geld fehlte, um am Fortschritt teilzuhaben. Um den Absatz der Produkte zu fördern begann er sogleich wieder damit, sich um bessere Straßenverbindung zu bemühen. Es dauerte dann aber bis 1854, bevor eine Straße von Flammersfeld über Asbach nach Honnef von der Regierung genehmigt und gebaut wurde. In Flammersfeld sah er besonders das Problem des Viehwuchers, das viele Landwirte aufgrund der damaligen schlechten Schulausbildung meist nicht selbst erkannten. Händler verkauften minderwertiges Vieh zu überhöhten Preisen auf Kredit mit viel zu kurzen Rückzahlzeiten und weit überhöhten Zinsen. Um nachhaltig zu helfen, gründete sich auf Betreiben von Raiffeisen am 1. Dezember der Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte. Zu Beginn der Gründungsversammlung appellierte er an die 60 Anwesenden mit den Worten:
„Auch in unserem Amtsbezirk befinden sich unter der armen, ausgesogenen Bevölkerung Giftpflanzen, Wucherer welche sich ein Geschäft daraus machen, die Not ihrer Mitmenschen in herzlosester Weise auszunützen. Wie das gierige Raubtier auf das gehetzte und abgemattete Wild, so stürzen sich die gewissenlosen und habgierigen Blutsauger auf die hilfsbedürftigen und ihnen gegenüber wehrlosen Landleute, deren Unerfahrenheit und Not ausbeutend, um sich allmählich in den Besitz ihres ganzen Vermögens zu setzen. Eine Familie nach der anderen wird zugrunde gerichtet.“
Nach mehrstündiger Beratung haben diese eine gemeinsame Bürgschaft für die aufzunehmenden Kredite des Vereins unterschrieben. Raiffeisen selbst bezeichnete diesen Abend später als Gründungsdatum des Genossenschaftsgedankens. Wichtig war ihm, dass jeder für den anderen Verantwortung übernahm.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.142</ref> Die Mitglieder konnten in dem Verein Geld ansparen, aber auch zum Ankauf von Vieh und Gerät günstig leihen.
Raiffeisen bemühte sich um eine Versetzung an einen größeren Ort mit höherem Verdienst und größerem Wirkungskreis, was ihm Dank seines guten Rufs auch gelang. Ab 1852 war er Bürgermeister in Heddesdorf (heute Stadtteil von Neuwied). Seine Familie bestand zu der Zeit aus ihm, seiner schon durch schwere Geburten kranken und geschwächten Frau Emilie, sowie den Töchtern Amalie und Caroline. Zwei weitere Töchter waren in Flammersfeld früh verstorben. Die Bürgermeisterei Heddesdorf bestand damals aus zwölf Orten mit zusammen ungefähr 9.000 Einwohnern. Sie war schon geprägt von der beginnenden Industrialisierung mit einem Eisenwerk, einer Salmiak-Fabrik sowie einer Zucker- und Kartoffelmehlfabrik. Um ihre Familien ernähren zu können, waren viele Industriearbeiter gezwungen, nach einem zwölfstündigen Arbeitstag in der Fabrik noch ihre kleine Landwirtschaft zu bewirtschaften. Sie und kleinere Handwerksbetriebe waren oft überschuldet. Um helfen zu können, betreibt Raiffeisen die Gründung des „Heddesdorfer Wohltätigkeitsvereins“, dem im Mai 1854 58 Mitglieder beitreten, und der am 22. Juli 1854 seine erste Generalversammlung abhält. Auch hier war es Raiffeisen wieder wichtig, dass die Vereine keine Almosen verteilten, sondern durch günstige Kredite Hilfe zur Selbsthilfe leisteten.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.143</ref> Aus dem Wohltätigkeitsverein wurde durch Umgründung der „Heddesheimer Darlehenskassenverein“, der als erste Genossenschaftsbank nach unserem heutigen Verständnis gelten kann.<ref>Lebenswerk auf raiffeisen.de</ref>
1863 verstarb seine Frau Emilie. Sie hatten sieben gemeinsame Kinder, von denen drei früh verstarben. Raiffeisen selbst hatte sich während dienstlicher Krankenbesuche mit Typhus infiziert und litt an wiederkehrenden nervösen Störungen, welche wahrscheinlich sein Augenleiden weiter verschlimmerten. Im Alter von 47 Jahren wurde er 1865 pensioniert und erhielt aufgrund der wenigen Dienstjahre nur eine geringe Pension. Er versuchte sich daraufhin wirtschaftlich erfolglos als Zigarrenhersteller, was er nach kurzer Zeit beendete, um mit etwas besserem Ertrag eine Weinhandlung zu betreiben.<ref name="genossenschaftsgeschichte" />
Er hatte dadurch mehr Zeit, sich dem Aufbau des Genossenschaftswesens zu widmen und veröffentlichte 1865 das Buch „Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“. Das Buch wird ein ungeahnter Erfolg und ist maßgeblich zur Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens. Behörden und Entscheidungsträger werden dadurch auf die Kreditvereine aufmerksam gemacht und überall werden ähnliche Vereine gegründet.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.146</ref>
Raiffeisen heiratet 1868 die Witwe Maria Penserot (geborene Fuchs). Diese ist ihm in seinem Wirken keine große Hilfe und er ist in den Folgejahren auf die Hilfe seiner Tochter Amalie Raiffeisen (* 2. August 1846, † 11. Januar 1897), die deshalb seinem Wunsch entsprechend unverheiratet bleibt, angewiesen. Der spätere Reichstagsabgeordnete Martin Faßbender kündigte wahrscheinlich auch aufgrund dieses Eheverbots sein Angestelltenverhältnis bei Raiffeisen.<ref>Walter Koch: Amalie Raiffeisen (1846-1897) in Frauenbüro Neuwied (Hrsg.): Von Frau zu Frau, Teil II, Verlag Peter Kehrein, 1995, ISBN 9783980326650, S.54/55</ref> 1870 existieren in der Rheinprovinz schon 75 Vereine, von denen Raiffeisen immer wieder als Berater und Referent angefragt wird. Er unternimmt laufend anstrengende Vortragsreisen, in denen er die Uneigennützigkeit, die er auch selbst vorlebt, betont und auf ehrenamtliche Vereinsführung besteht. Gleichzeitig entwickelt er Ideen, wie sich die Vereine gegenseitig helfen können, wenn manche zu hohe Einlagen und andere zu hohen Kreditbedarf haben. Daraus entwickelt sich 1872 die Geldausgleichsstelle der rheinischen landwirtschaftlichen Genossenschaftsbank und 1874 „Deutsche landwirtschaftliche Centralbank“.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.148</ref>
1881 gründete Raiffeisen die Raiffeisen Druckerei in Neuwied. Am 1. Mai 1886 trat er wegen seiner angegriffenen Gesundheit von allen Ämtern zurück. Wenig später erkrankte er an einer Lungenentzündung, an der er am 11. März 1888 verstarb. Drei Tage später wurde er im Familiengrab auf dem Friedhof Heddesdorf beerdigt.
Raiffeisen war überzeugter evangelischer Christ. Die Motivation für sein sozialpolitisches Handeln war sein in der Bibel gegründeter Glaube. Er schrieb: „Wir betonen […] ausdrücklich die christliche Nächstenliebe, welche in der Gottesliebe und in der Christenpflicht wurzelt, daraus ihre Nahrung zieht und, je mehr geübt, um so kräftiger, um so nachhaltiger wird.“
Nachwirken
Die von Raiffeisen gegründeten Genossenschaften waren keine Genossenschaften im heutigen Sinn, sondern eher entstanden aus karitativen Gründen, um ohne jedes Gewinnstreben wirklich Bedürftigen zu helfen. Kennzeichnend war praktizierte christliche Nächstenliebe, bei der Wohlhabendere wirklich Notleidenden uneigennützig Hilfe leisteten. Der 1862 gegründete Sparkassenverein in Heddersdorf verpflichtete die Kreditnehmer erstmals zur Mitgliedschaft und kann daher als echte Genossenschaft bezeichnet werden. Aber erst in Verbindung mit dem Wirken der damals politisch den Liberalen nahe stehenden Reformer und Politiker Hermann Schulze-Delitzsch und Wilhelm Haas, die mit dem verpflichtenden Erwerb von Geschäftsanteilen von Anfang an auch die Kreditnehmer zu Partnern und nicht nur zu Almosenempfängern machten, wurde das Genossenschaftswesen für alle Beteiligten populär. Delitzsch erkannte die Wichtigkeit der gemeinsamen Haftung aller Mitglieder und Haas war der Initiator von Gründungen in verschiedenen deutschen Ländern und dem Zusammenschluss in überregionalen Dachverbänden. Der die Zeit überdauernde Verdienst Raiffeisens bleibt sein unerschütterliches Eintreten zur gegenseitigen Hilfe auf „Treu und Glauben“ und die Initiierung erster überregionaler Universalgenossenschaften, die sowohl Geld- als auch Warengeschäfte tätigten..<ref>Werner Schubert: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz, Mohr Siebeck, 1989, S.6/7</ref><ref name="genossenschaftsgeschichte" /><ref name="genossenschaftsgeschichte" />
So schreibt der Genossenschaftsverband auch in erster Linie von seiner unerschütterlichen Menschenliebe im Nachruf zu seinem Tod.<ref name="genossenschaftsgeschichte" />
Ehrungen und Erinnerung
Zu Lebzeiten wurde Raiffeisen 1871 zweimal vom preußischen Kronprinzen zu mehrstündigen Gesprächen empfangen und erhielt 1882 15.000 Mark Zuschuss zu seinem Hilfsfonds von Kaiser Wilhelm I. Von diesem wurde er 1884 zum Ritter des Roten Adlerordens ernannt.<ref>Jürgen Wiehr, Silke Bonse, Ulrich Gross: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, S.152</ref>
Nach Friedrich Wilhelm Raiffeisen wurden zahlreiche Straßen (z. B. der Raiffeisenring in Neuwied und die Raiffeisenstraße in Flammersfeld), die Raiffeisenbrücke über den Rhein zwischen Neuwied und Weißenthurm, Schulen (Raiffeisenschule in Neuwied, Weyerbusch und Hamm (Sieg) sowie das genossenschaftliche Gymnasium Raiffeisen-Campus in Wirges), die Raiffeisen-Apotheke in Hamm (Sieg), der Raiffeisen-Turm bei Altenkirchen und letztlich die Raiffeisenbanken benannt. Außerdem existiert in seiner Geburtsstadt Hamm (Sieg) das Raiffeisen-Museum im Raiffeisen-Haus und in Flammersfeld das ehemalige Wohnhaus Raiffeisens, das zum Museum umfunktioniert wurde (Raiffeisenhaus)<ref>http://www.raiffeisenmuseum-flammersfeld.de/</ref>
Das Bundesministerium der Finanzen gab 1968 zu Raiffeisens 150. Geburtstag eine 5 DM-Gedenkmünze aus.<ref name="genossenschaftsgeschichte" />
Die Dr. Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft und Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft stellten am 29. November 2013 in den Bundesländern Sachsen und Rheinland-Pfalz gemeinsam einen länderübergreifenden Antrag zur Aufnahme der "Genossenschaftsidee" in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes (Erstellung im Rahmen der nationalen Umsetzung der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes)<ref>http://www.unesco.de/5714.html</ref>. Im Dezember 2014 wurde dieser Antrag genehmigt und kann ab März 2015 als erste deutsche Nominierung bei der UNESCO für das immaterielle Kulturerbe eingereicht werden.<ref>www.rlp.de:Genossenschaftsidee nominiert, abgerufen am 15. Dezember 2014.</ref>
Am 1. Oktober 1958 war eine Wohlfahrtsmarke zu 7+3 Pfennig der Deutschen Bundespost erschienen <ref>(Michel-Katalog Nr. 297)</ref>, die motivgleich auch durch die Oberpostdirektion Saarland zu 6+4 Francs zur Ausgabe kam <ref>(Michel-Katalog Nr. 441)</ref>. Am 18. Februar 1988 erschien eine weitere Sondermarke durch die Deutsche Bundespost zum 100. Todestag <ref>(Michel-Katalog-Nr. 1358)</ref>.
Sonderstempel und Maschinenwerbestempel der Deutschen Bundespost oder der Deutschen Post AG mit F. W. Raiffeisen gab es 1968 in Bonn und Saarbrücken anlässlich seines 150. Geburtstag, 1988 in Bonn, Neuwied, und Hamm anlässlich seines 100. Todestages, 1976 in Flammersfeld und 1977 sowie 2012 in Neuwied.
Werke
Siehe auch
Literatur
- Walter Arnold / Fritz H. Lamparter: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Einer für alle – Alle für einen. Hänssler, Neuhausen-Stuttgart 1985, ISBN 3-7751-1069-0.
- Wilhelm Bendiek: Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888). In: Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Band IV. Aschendorff, Münster 1941, S. 82–102.
- Franz Braumann: Ein Mann bezwingt die Not. 1. Auflage. Verlag der Raiffeisendruckerei, Neuwied am Rhein 1959.
- Erwin Katzwinkel und Franz-Eugen Volz: Kleine Bibliographie des Kreises Altenkirchen (Westerwald). Nebst einem Anhang: Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Spiegel des Schrifttums, von Erwin Katzwinkel. Landkreis Altenkirchen (Hrsg.), Altenkirchen 1978.
- Ders.: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. In: Lebensbilder aus dem Kreis Altenkirchen. Altenkirchen 1979, S. 64–66.
- Michael Klein: Bankier der Barmherzigkeit: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Das Leben des Genossenschaftsgründers in Texten und Bildern. Neukirchen-Vluyn 2002.
- Ders.: Leben, Werk und Nachwirkung des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888), dargestellt im Zusammenhang mit dem deutschen sozialen Protestantismus. Bonn 1999.
- Carl Leisewitz: Raiffeisen, Friedrich Wilhelm. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 27, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 176–178.
- Ulrich S. Soénius: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 115 f. (Digitalisat).
- Monika Windbergs: Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888). In: Rheinische Lebensbilder, Band 16. Hrsg. von Franz-Josef Heyen. Rheinland Verlag, Köln 1997, S. 121–138.
Weblinks
- Literatur von und über Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Datenbank GenoFinder des Genossenschaftshistorischen Informationszentrums
- Deutsches Raiffeisenmuseum
- Deutsche Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft e. V.
Einzelnachweise
<references />
Personendaten | |
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NAME | Raiffeisen, Friedrich Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Sozialreformer |
GEBURTSDATUM | 30. März 1818 |
GEBURTSORT | Hamm (Sieg) |
STERBEDATUM | 11. März 1888 |
STERBEORT | Heddesdorf, heute Neuwied |