Gleichnis vom Blindensturz
Im sogenannten Gleichnis Vom Blindensturz gebraucht Jesus das Bild eines Blinden, der einen anderen Blinden führt - und so fallen beide zusammen in eine Grube. Es wird in den Evangelien im Neuen Testament der Bibel sowohl von Matthäus (Mt 15,14 EU) als auch von Lukas (Lk 6,39 EU) überliefert. Es ist daher anzunehmen, dass beide Evangelisten den Spruch in der Logienquelle Q vorgefunden haben. Der Spruch findet sich außerdem im Thomasevangelium.<ref>Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1987, S. 138</ref>
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
In der Version des Matthäusevangeliums wird Jesus von den Pharisäern gefragt, warum sich seine Jünger vor dem Essen nicht die Hände waschen. Jesus antwortet, dass nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkomme, ihn unrein mache, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskomme, das mache ihn unrein. Als seine Jünger Jesus darauf hinweisen, dass diese Worte die Pharisäer empörten, sagt er ihnen, sie sollten die Pharisäer lassen, denn diese seien "blinde Blindenführer". Und wenn ein Blinder einen Blinden führe, so würden beide in eine Grube fallen.
Bei Lukas steht der Satz in einem völlig anderen Kontext, und zwar in der Feldrede. Anders als bei Matthäus hat der Satz hier die Form einer Frage.<ref>Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1987, S. 139</ref>
Deutung
Nach Rienecker steht die Blindheit für den Mangel an geistlicher Erkenntnis der Pharisäer.<ref>Fritz Rienecker, Gerhard Maier: "Lexikon zur Bibel". R. Brockhaus, 6. Auflage 2006, S. 275.</ref> Wer ihnen – und ihren mangelhaften geistlichen Vorstellungen – folgt, fällt demnach mit ihnen in eine Grube, kommt also nicht ins Reich Gottes.
Wiefel weist auf den Anspruch der geistlichen Anführer im Judentum hin, "Führer der Blinden" zu sein. Von den Anführern der Jüngergemeinde fordert Jesus im Lukasevangelium somit, dass sie Sehende sein müssen, da nur Sehende den Weg weisen können.<ref>Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1987, S. 139</ref>
Künstlerische Rezeption
Verschiedene Künstler haben das Gleichnis rezipiert, das berühmteste Werk ist Der Blindensturz (1568) von Pieter Bruegel dem Älteren, das im Museo di Capodimonte in Neapel ausgestellt ist.
Elias Canetti, der Literatur-Nobelpreisträger von 1981, gibt im Kapitel „Simsons Blendung“ des zweiten Bandes seiner Autobiografie, Die Fackel im Ohr (Seite 111), eine Bildbeschreibung dieses Gemäldes, das – wie die Blendung Simsons – motivische Schlüsselfunktion für seinen Roman Die Blendung hat.
Der Schriftsteller Gert Hofmann hat mit der Erzählung Der Blindensturz (Darmstadt 1985) dem Meisterbild eine Meistererzählung über das Gemälde gegenübergestellt.
Ähnliche Gleichnisse in anderen Kulturen
Laut Wiefel hat das Bild vom blinden Blindenführer "in der Antike sprichwörtlichen Charakter" und ist schon bei Plato bekannt.<ref>Plato, Pol. VIII, 554b, nach: Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1987, S. 139</ref>
Ähnliche Gleichnisse über Blinde, die Blinde führen, finden sich auch in indischen religiösen Schriften. So heißt es in den Katha-Upanischaden:
„So laufen ziellos hin und her die Toren, wie Blinde, die ein selbst auch Blinder anführt.“<ref>Sechzig Upanishad's des Veda, aus dem Sanskrit übersetzt und mit Einleitungen und Anmerkungen Versehen von Dr. Paul Deussen, Seite 272</ref>
Auch die frühen buddhistischen Sutren des Pali-Kanon verwenden das Gleichnis:
„Angenommen es gäbe eine Reihe blinder Männer, jeder in Berührung mit dem nächsten: der erste sieht nichts, der mittlere sieht nichts, und der letzte sieht nichts. Ebenso, Bhāradvāja, gleichen die Brahmanen, was ihre Behauptung angeht, einer Reihe blinder Männer: der erste sieht nichts, der mittlere sieht nichts, und der letzte sieht nichts.“<ref>Canki Sutta (Majjhima Nikaya 95), übersetzt von Kay Zumwinkel</ref>
Literatur
- Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Band 1500). Kurzausgabe. 9. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984, ISBN 3-525-33498-2
- Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, ISBN 3-579-05200-4
Siehe auch
Einzelnachweise
<references />
Großes Abendmahl | Arbeiter im Weinberg | Barmherziger Samariter | Bittender Freund | Blindensturz | Ehrenplätze bei der Hochzeit | Feigenbaum | Feigenbaum ohne Früchte | Fischnetz | Haus auf Felsen und auf Sand gebaut | Treuer Haushalter | Guter Hirte | Herr und Knecht | Kluge und törichte Jungfrauen | Kostbare Perle | Licht unter dem Scheffel | Nadelöhr und Kamel | Neue Flicken auf dem alten Kleid | Neuer Wein in alten Schläuchen | Selbstwachsende Saat | Schatz im Acker | Reicher Mann und armer Lazarus | Pharisäer und Zöllner | Reicher Kornbauer | Anvertraute Talente | Zwei Schuldner | Ungleiche Söhne | Ungerechter Richter | Ungerechter Haushalter | Unbarmherziger Knecht | Unkraut unter dem Weizen | Böse Weingärtner | Sauerteig | Schalksknecht | Senfkorn | Turmbau und Kriegführen | Verlorener Groschen | Verlorenes Schaf | Verlorener Sohn | Vierfaches Ackerfeld | Weinstock | Wachsame Knechte | Weltgericht