Kognitive Verzerrung (klinische Psychologie)


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Kognitive Verzerrungen (englisch: cognitive distortion) tragen nach der Theorie von Aaron T. Beck zur Aufrechterhaltung psychischer Störungen wie Depression und Angststörung bei, da durch die verzerrte Wahrnehmung keine korrigierenden Erfahrungen gesammelt werden können, die bisherige Überzeugungen (Schema (Psychologie)) infrage stellen (siehe Becks Depressionamodell).<ref name="Wills 2014" />

Kognitive Verzerrungen sollen zuerst 1967 von A. T. Beck beschrieben worden sein.<ref name=":4"> Carrie L. Yurica and Robert A. DiTomasso: Cognitive Distortions. In: Stephanie Felgoise, Arthur M. Nezu, Christine M. Nezu, Mark A. Reinecke (Hrsg.): Encyclopedia of Cognitive Behavior Therapy. S. 177 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> 1975 habe Beck 10 Arten unterschieden.<ref name=":5"> Bruce S. Zahn, David L. Zehrung, Laura Russo-Innamorato: Cognitive interventions in primary care. In: Robert A. DiTomasso, Barbara A. Golden, Harry J. Morris (Hrsg.): Handbook of Cognitive Behavioral Approaches in Primary Care. Springer, New York 2010, ISBN 978-0-8261-0384-0, S. 239 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> David D. Burns sei ein Student von Beck gewesen und habe 1980 das Buch Feel good veröffentlicht.<ref> Windy Dryden (Hrsg.): Cognitive therapy. In: Developments in Psychotherapy: Historical Perspectives. S. 199 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Er habe darin die kognitiven Verzerrungen von Beck umbenannt und 10 Typen unterschieden.<ref name=":4" /><ref> Lawrence D. Needleman: Cognitive Case Conceptualization. A Guidebook for Practitioners. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Burns habe 1980 von "cognitive disturtions" gesprochen und J. S. Beck 1995 von "cognitive errors".<ref> Robert D. Friedberg, Angela A. Gorman, Laura Hollar Wilt, Adam Biuckians, Michael Murray: Cognitive bahavioral therapy for the busy child psychiatrist and other mental health professionals. Rubrics ans rurdiments. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>

Haupttypen kognitiver Verzerrungen im Krankheitsbild

A. T. Beck (1979) nennt eine Liste von kognitiven Verzerrungen <ref name="Arndt 2010" /> und ergänzte später weitere kognitive Verzerrungen, die er beobachtet hatte:<ref name="Wills 2014" />

  • Willkürliche Schlussfolgerungen - Schlussfolgerung, ohne andere Erklärungsmöglichkeiten zu prüfen.<ref name="Wilken 2010" />
  • Übergeneralisierung (engl.: "overgeneralisation"<ref name=":0"> Koushiki Choudhury: Managing Workplace Stress. The Cognitive Behavioural Way. S. 20 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>) - Eine allgemeine Regel wird wegen einer einzelnen Erfahrung aufgestellt.<ref name="Arndt 2010" /> Die Schwierigkeit, aufgrund von Erfahrungen auf allgemeine Regelmäßigkeiten zu schließen, wird in der Philosophie als Induktionsproblem bezeichnet. Beispielsweise könnte jemand, der dreimal auf eine Bewerbung eine Absage erhielt, sagen: "Ich werde nie eine Zusage bekommen".<ref name=":0" />
  • Dichotomes Denken ("Alles-Oder-Nichts-Denken") - Es wird nur in zwei (dichotomen) Kategorien unterschieden, d.h.: ohne Zwischenstufen. Beim Schwarz-Weiß-Denken schiebt der Patient neutrale (graue) Informationen in die negative (schwarze) Kategorie.<ref name="Wills 2014" />
  • Personalisierung - Dabei sieht man sich selbst als Ursache für Ereignisse, obwohl auch andere Personen oder Umstände verantwortlich sein könnten. Beispielsweise könnte ein Lehrer, weil seine Schüler schlechte Noten schreiben, denken: "Ich bin ein schlechter Lehrer".<ref name=":0" /> Oder ein Kind könnte denken: "Es ist meine Schuld, dass sich meine Eltern streiten."<ref name=":6" /> Bei einer Scheidung könnte man denken: "Es ist meine Schuld, dass unsere Ehe gescheitert ist."<ref name=":7" /> Ereignisse werden auf die eigene Person bezogen.<ref name="Arndt 2010" /><ref name="Wilken 2010" /> Das kann soweit reichen, dass ein Autounfall des Partners, als Strafe für eine eigene unmoralische Tat interpretiert wird.<ref name="Arndt 2010" /><ref name="Wilken 2010" /> In der stärksten Ausprägung könne der Denkfehler in einen Beziehungswahn übergehen.<ref name=":8"> Hazel E. Nelson: Kognitiv-behaviorale Therapie bei Wahn und Halluzinationen. S. 17 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Von einem Wahn spricht man jedoch erst, wenn der Denkfehler durch hinterfragen nicht korrigierbar ist. Der Wahn könne therapeutisch deswegen auch nicht auf dieselbe Art behandelt werden, wie Denkfehler bei einer Depression.<ref name=":8" />
  • Selektive Abstraktion<ref name="Arndt 2010" /> ("Selektives Verallgemeinern"<ref name="Wilken 2010" /> auch: "mental filtering"<ref name=":0" />) - Einzelne Erlebnisse in eine Richtung werden erinnert, wobei dem widersprechende Ereignisse selektiv übersehen werden.<ref name="Arndt 2010" /><ref name="Wilken 2010" />
  • Maximieren und Minimieren - Übertreibung von Ereignissen in eine Richtung und die Untertreibung von Ereignissen die andere Richtung.
  • Katastrophisieren (auch "Magnifizieren des Negativen"<ref name=":0" /><ref> M. Hautzinger: Kognitive Verhaltenstherapie. In: Michael Bauer,Anne Berghöfer,Mazda Adli (Hrsg.): Akute und therapieresistente Depressionen. Pharmakotherapie - Psychotherapie - Innovationen. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref><ref> Jürgen Margraf: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. 2. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>) - Überbewertung von möglichen Konsequenzen.<ref name="Arndt 2010" />
  • Emotionale Beweisführung - Das eigene Gefühl wird als Beweis für die Richtigkeit einer Annahme herangezogen.<ref name="Arndt 2010" /> Beispielsweise könnte jemand denken: "Ich fühle mich schlecht, also muss ich etwas falsch gemacht haben".<ref name=":3"> Michel Hersen, Alan M. Gross: Handbook of Clinical Psychology, Adults. S. 573 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>
  • Etikettierung - Aus einem Ereignis oder einer Handlung wird ein umfassender Sachverhalt gemacht (siehe auch Etikettierungsansatz). Bei der Etikettierung wird außer Acht gelassen, dass Menschen, die ein gleiches Merkmal haben, sich in anderen Punkten unterscheiden können, beispielsweise verschiedene Charaktere haben.<ref name="Moorey" />
  • Gedankenlesen - Die Überzeugung zu wissen, was jemand anderes denkt, ohne nachzufragen.
  • Selektive Aufmerksamkeit ("Tunnelblick"<ref name="Wills 2014" />) - Nur einen bestimmten Aspekt des gegenwärtigens Lebens sehen.<ref name="Arndt 2010" />
  • Sollte-Sätze ("Sollte-Tyranneien"<ref> M. Hautzinger: Kognitive Verhaltenstherapie bei chronifizierten Depressionen. In: Michael Bauer,Anne Berghöfer (Hrsg.): Therapieresistente Depressionen. Aktueller Wissensstand und Leitlinien für die Behandlung in Klinik und Praxis. S. 227 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>, engl.: "should statements"<ref name=":1"> John F. Gunn, David Lester: Theories of suicide. Past, Present and Future. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref><ref name=":2"> Jill H. Rathus, Alec L. Miller: DBT Skills Manual for Adolescents. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>) - „Der Klient hat typischerweise Selbstregeln, die ihm hohe und perfektionistische Standards auferlegen.“<ref name="Wills 2014" />

Ferner finden sich noch folgende Verzerrungen in der Literatur:

  • Disqualifizierung des Positiven ("disqualifying the positive"<ref name=":1" />) - Positives wird zurückgewiesen, weil es aus irgendeinem Grund nicht zählen soll.<ref name=":2" />
  • voreilige Schlüsse
    • Gedankenlesen (engl.: "mind reading"<ref name=":3" />)
    • Wahrsagen (engl.: "fortune telling"<ref name=":0" />)
  • Schuldzuweisung (engl.: "blaming"<ref> Stephen Briers: Brilliant Cognitive Behavioural Therapy. How to use CBT to improve your mind and your life. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>) - Anderen die Schuld dafür geben, dass man sich schlecht fühlt, was dazu beiträgt, dass man das eigene Verhalten nicht ändern muss.<ref name=":7"> Robert L. Leahy, Stephen J. F. Holland: Treatment Plans and Interventions for Depression and Anxiety Disorders. 2. Auflage. S. 441 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>
  • Irrtum des Wandels (engl.: "fallacy of change"<ref name=":5" />) - Ergänzt von Gilson und Freeman (1999) sowie Leahy (1996). McKay, Rogers und McKay hätten zwischen 4 "Shoulds" und 4 "blamers" unterschieden und hätten den Irrtum des Wandels folgendermaßen beschrieben: Leute sollten sich für uns ändern, wenn wir Druck ausüben.<ref> Thomas Bien, Beverly Bien: Finding the Center Within. The Healing Way of Mindfulness Meditation. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>
  • der Glaube, immer im Recht zu sein (engl.: "always being right"<ref name=":6"> Erica Ives: Eating disorders. Decode The Controlled Chaos. Your Knowledge May Just Save A Life. S. 79 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>)

Einzelnachweise

<references> <ref name="Arndt 2010">  Peer Arndt, Nathali Klingen: Memorix Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, 2010, ISBN 978-3-13-162211-2, S. 214 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). </ref> <ref name="Wills 2014">  Frank Wills: Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck. Therapeutische Skills kompakt. Junferman, Paderborn 2014, ISBN 978-3-87387-950-8, S. 47-48 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). </ref> <ref name="Moorey">  Stirling Moorey, Steven Greer: Kognitive Verhaltenstherapie bei Krebspatienten. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). </ref> <ref name="Wilken 2010">  Beate Wilken: Methoden der Kognitiven Umstrukturierung. Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis. 5. Auflage. Kolhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-021324-1, S. 26-27. </ref>

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