Kreolsprachen


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Eine Kreolsprache, kurz Kreol genannt, ist eine Sprache, die in der Situation des Sprachkontakts aus mehreren Sprachen entstanden ist, wobei oft ein Großteil des Wortschatzes der neuen Sprache auf eine der beteiligten Kontaktsprachen zurückgeht. Nach dem Prozess der Kreolisierung unterscheidet sich die Kreolsprache von den beteiligten Ausgangssprachen deutlich in der Grammatik, oft auch im Lautsystem. In manchen Fällen entwickelt sich eine Kreolsprache durch einen Prozess des Sprachausbaus zu einer Standardsprache.

Die Kreolsprache mit den meisten Sprechern ist das haitianische Kreol, es wird von mehr als 10 Millionen Menschen gesprochen.

Etymologie

Die Bezeichnung Kreolsprache beziehungsweise Kreol ist abgeleitet von den Kreolen: In den einst kolonialen Ländern vermischten sich die Sprachen ebenso wie die Bevölkerung. Das spanische Wort criollo bedeutet eigentlich „eingeboren“. Die Etymologie geht über spanisch criar „aufziehen“ zurück auf lateinisch creare „erzeugen“.<ref>Duden online: Kreole</ref>

Entstehung und Merkmale

„Kreolsprachen auf portugiesischer, englischer, französischer oder niederländischer Grundlage sind ein Produkt der europäischen Expansion im 17. und 18. Jahrhundert.“<ref> Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 2007, S. 164 </ref> „Kreolsprachen sind nach Ansicht der meisten Kreolisten aus ‚Basissprachen‘ entstanden und lassen sich nicht typologisch, sondern nur soziolinguistisch definieren.“<ref name="Bollee151" />

„Alle Kreols weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, die sie untereinander ähnlich und von ihren Superstratsprachen verschieden erscheinen lassen, Nicht jedes Merkmal kommt in allen Kreols in genau der gleichen Form vor, obwohl es eine Anzahl von Erscheinungen gibt, die sehr typisch sind.“<ref> Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. 1995, S. 8. </ref> Sie zeichnen sich ab in der Phonologie, der allgemeinen Morphosyntax, dem Verbalsystem und dem Lexikon. Das sind z. B. SVO- Wortfolge, die präverbale Markierung von Negation, Tempus und Modus sowie serielle Verbkonstruktionen.<ref> Bruyn: Grammaticalization in creoles: the developement of determiners and relative clauses in Sranan. 1995, S. 1. </ref> Kreolsprachen „besitzen sind bei den Kreolsprachen von besonderer Bedeutung, da die Andersartigkeit dieser Sprachen einzig und allein soziolinguistisch begründet werden kann.“<ref> Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. 1995, S. 3.</ref> Kreolsprachen sind nativisierte Pidgins und jedes nativisierte Pidgin ist ein Kreol.<ref> Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. 2009.</ref>

Beispiel: Spanisch-basierte Kreolsprachen

Datei:StummeWeltkarte-20.png
Spanisch basierte Kreolsprachen
1 Palenquero
2 Papiamentu
3 Chabacano

Die spanisch-basierten Kreolsprachen sind aufgrund des Zusammenwirkens bestimmter soziokultureller Faktoren in geographisch zum Teil weit auseinander liegenden Gebieten entstanden.<ref> Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 1977a, S. 133 </ref>

Bozal-Spanisch

In Chocó, Chota Valley, Veracruz, Peru und Venezuela. Nach McWhorter ist die Entstehungsgeschichte der Spanisch basierten Kreols rückführbar auf Westafrika. Im Rahmen der Kolonialisierung wurden Sklaven aus Westafrika von den Spaniern in die neuen Kolonien nach Kuba und Puerto Rico verschleppt. Die Spanier ließen die Schwarzen als Haushaltshilfe sowie als Sklaven für sich arbeiten.<ref name="McWhorter7">McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 7</ref> Das Bozal-Spanisch war überwiegend in Kuba verbreitet. Die Sprache der negros bozales.<ref>„Der Terminus Bozal bezeichnet einen in Afrika geborenen Menschen, der nicht oder kaum Spanisch sprach und im wesentlichen seine kulturellen Wurzeln zu bewahren suchte.“  Michael Zeuske: Kuba 1492–1902. Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 1998, ISBN 3-931922-83-9, S. 298.</ref> wurde Habla Bozal genannt und stellte ein Kreol auf kubanischem Gebiet dar, das auf Spanisch basierte. McWhorter: “Dies suggeriert, dass Bozal-Spanisch hauptsächlich eine Variante des Spanischen von Nicht-Muttersprachlern ist. Etwas eben, das man von Sprachlernenden erwarten würde die ursprünglich aus Afrika stammen”<ref> McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 21 </ref> Trotzdem kann die Aussage, dass bozal Spanisch ein Kreol-Spanisch ist, nicht gehalten werden. Eher liegt hier ein Fall sprachlicher Varietät vor.<ref> McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 39 </ref>

Kolumbien (Chocó)

In der Chocó-Region lebten 1778 ungefähr 5.828 schwarze Sklaven, jedoch nur 175 Weiße.<ref> West: The Pacific lowlands of Colombia. 1957 S. 100, 108 </ref> Ihre Zahl stieg im Laufe der Jahre kontinuierlich an bis das Verhältnis zwischen Europäern und Schwarzen fast ausgeglichen war. Die Sklaven, die in den Kolonien zwangsangesiedelt wurden, befanden sich in einer ihnen fremden Situation. Sie waren konfrontiert mit jeweils anderen, afrikanischen Einzelkulturen und mit der Kultur der Kolonialeuropäer. Nach McWhorter importierten die Spanier viele Westafrikaner mit einer großen Bandbreite an Sprachen ins pazifische Tiefland Nordwest-Kolumbiens, die dort in den Minen arbeiten mussten. Dem Modell des begrenzten Zugangs entsprechend war dies ein typischer Nährboden für eine Kontaktsprache mit extrem reduzierter Struktur.<ref>McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 7: “the Spanish began importing massive numbers of West Africans who spoke a wide variety of languages into the Pacific lowlands of northwestern Colombia to work their mines. This context shortly became one which, according to the limited access model, was a canonical breeding ground for a contact language of extreme structural reduction.”</ref>

Der Kontakt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen war relativ distanziert.<ref> Rout: The African experience of Spanish America: 1502 to the present day. 1976, S. 243-9 </ref> Keine der beiden Gruppen war sprachlich homogen, sie waren verschieden da sie unterschiedlichen Regionen entstammten. Die durch räumliche Entfernung erzwungene ethnokulturelle Entfremdung ließ ein Bedürfnis nach neuer Verwurzelung, nach einem, der neuen Situation entsprechenden, Zugehörigkeitsgefühl, entstehen.<ref> Steiger: 1989, S. 222 </ref> Durch den Kontakt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen hatten die Sklaven zumindest anfangs guten Zugang zu weißen Siedlern. Die sozioökonomische Bedeutung dieser Sprache motivierte sie, diese schnell zu erlernen, denn auf Grund der Sprachenvielfalt innerhalb der Sklavengruppen diente der Spracherwerb auch ihrer internen Kommunikation.<ref> McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 8 </ref>

Beispiel:<ref>Zitiert nach Schwegler: In: McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 9 </ref>

„Esa gente som muy amoroso. Dijen que ... dijeron que volbían sí ... cuando le de su gana a ello vobe.“

“That people COP very nice. They-say that they-say-PAST that they-return-IMP yes when to-them give their desire to them return.”

“Those people are really nice. They say that... they said that they would come back… when they felt like it.”

Die Kürzel COP, PAST, und IMP sind grammatikalische Indikatoren. COP zeigt an, dass dort eine Form eines Kopula-Verbs wie "sein" stehen muss. PAST steht für eine Vergangenheitsform eines Verbs und IMP für die Verwendung eines Verbs im Imperfekt.

Ecuador (Chota Valley)

Afrikanische Schwarze wurden seit dem 17. Jahrhundert dorthin gebracht, um als Sklaven für die Jesuiten und Mercedarier auf Haciendas (v.a. Zuckerrohrplantagen) und in Minen bzw. Salinen zu arbeiten. Zuckerrohr wurde bald in immer größerem Umfang angebaut und die in der Kolonie erwirtschafteten Gewinne wuchsen. Immer mehr Sklaven wurden aus Afrika für die Betreibung der arbeitsintensiven Monokultur eingeführt,<ref> McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 10 </ref> so dass der Kreolisierungsprozess einsetzte und sich bald kontinuierlich beschleunigte. Da die Kreolsprachen als Produkte der Kolonisation und damit der Domination der Weißen gegenüber den Schwarzen entstanden, werden sie von manchen bis heute als Relikte der Sklavengesellschaft beschrieben.<ref> Calvet: Linguistique et colonialisme. Petit traité de glottophagie. 2002, S. 155ff </ref>

Mexiko (Veracruz)

Im 15. Jh. konnte man auch afromexikanische Gemeinschaften in Veracruz finden. Die Sklaven wurden auch hier hauptsächlich hergebracht, um auf Zuckerrohrplantagen zu arbeiten.<ref> McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 11</ref>

Peru

Die größten Schwarzensiedlungen gab es in Peru. Besonders bei den Feldsklaven wurden afrikanische Sprachstrukturen weitgehend beibehalten. Es existierte also auf sprachlicher Ebene ein Kontinuum, wobei auf der einen Seite desselben eine Kreolsprache mit ausgeprägt afrikanischer Prägung, auf der anderen ein spanischer Dialekt mit geringer afrikanischer Prägung angesiedelt ist. “Spanisch, vermutlich. Aber Schwarze in Peru sprachen nunmal einen lokalen Dialekt des Spanischen.”<ref name="McWhorter12">McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 12</ref>

Venezuela

Ähnliches gilt auch für die Kultur. Es entstanden überall Kreolkulturen, in denen die verschiedenen einzelkulturellen Hintergründe der kolonialeuropäischen Kulturelemente integriert wurden. In einigen Gebieten wie zum Beispiel in Venezuela wurden afrikanische Elemente eher bewahrt als in den anderen. “Venezuela ist die Heimat einer lebendigen, bewusst Afro-venezolanischen Kultur der Folklore, Musik und Tanz - Erbe der massiven Verschleppung von Afrikanern zur Minen- und Plantagenarbeit.”<ref name="McWhorter12" />

Papiamento und Palenquero

Tatsächlich spricht man bei Papiamentu und Palenquero von spanisch-basierten Kreolsprachen, obwohl auch dies unter Fachleuten keine einheitliche Zustimmung findet. Sie werden auf den ABC-Inseln (Aruba, Bonaire, Curação) bzw. in Kolumbien gesprochen. Basis beider Sprachen ist das Negro-Portugiesische gemischt mit Spanisch. So könnte man wohl eher von iberoromanisch-basierten Kreols sprechen. Auch niederländisches Vokabular ist Teil des Lexikons beider. Es ist nicht nur ein diachronischer sondern auch ein synchronischer Terminus, bezieht sich also auf soziohistorische Beobachtungen und auf strukturell-sprachliche.<ref> Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. 2009, S. 384 </ref>

Entstehungstheorien

Obwohl es verschiedene Entstehungstheorien für Kreolsprachen gibt, einigen sich mehrere Kreolisten auf folgenden Konsens: „Wird ein Pidgin von einer Sprachgemeinschaft als Erstsprache angenommen und somit zur Muttersprache einer heranwachsenden Generation, so nennt man es weil es keine Grammatik hat. […] Das vordergründige Argument war eben, das Kreol hat keine Grammatik. Nun ja, dann habe ich eine geschrieben und auch veröffentlicht, das war […] 1977, und das hat doch ziemlich Eindruck gemacht. Ich wurde im Radio interviewt und konnte nun sagen: ‚Le créole est une langue, parce que voilà la grammaire‘. [Kreol ist eine Sprache, denn hier ist die Grammatik dazu.] In dem Moment, wo sie gedruckt vor aller Augen erschienen ist, konnte man das dann akzeptieren. Und ich denke, wenn ich persönlich überhaupt etwas bewirkt habe, dann eigentlich das, also das Bewusstsein dafür zu schaffen, dies ist eine Sprache, sie hat eine Grammatik und man kann sie studieren, man kann sie beschreiben, man kann auch ein Wörterbuch abfassen- das kam dann 1982. Das ist doch – glaube ich – recht wichtig für die Sprachpolitik gewesen, denn 1982 wurde in der Tat das Kreol in der Schule als Medium der Alphabetisierung eingeführt.“<ref> Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 2007, S. 206 </ref>

Siehe auch

Einzelnachweise

<references />

Literatur

  • Iris Bachmann: Die Sprachwerdung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-8233-6146-5.
  • Angela Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. Peter Lang, Frankfurt am Main u.a. 1995, ISBN 3-631-48682-0.
  • Annegret Bollée: Beiträge zur Kreolistik. Annegret Bollée. Herausgegeben sowie mit Vorwort, Interview, Schriftenverzeichnis und Gesamtbibliographie versehen von Ursula Reutner als Festgabe für Annegret Bollée zum 70. Geburtstag. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2007, ISBN 978-3-87548-478-6.
  • Norbert Boretzky: Kreolsprachen, Substrate und Sprachwandel. Harrassowitz, Wiesbaden 1983.
  • Adrienne Bruyn: Grammaticalization in Creoles: the Developement of Determiners and Relative Clauses in Sranan. IFOTT, Amsterdam 1995, ISBN 90-74698-21-2.
  • Louis Jean Calvet: Linguistique et Colonialisme. Petit Traité de Glottophagie. Payot, Paris 1974.
  • John A. Holm: Pidgins and Creoles. Cambridge University Press, Cambridge u.a. 1988.
  • Jacqueline Knörr: Kreolisierung versus Pidginisierung als Kategorien kultureller Differenzierung: Varianten neoafrikanischer Identität und Interetethik in Freetown/Sierra Leone. LIT Verlag, Münster u.a. 1995, ISBN 3-8258-2318-0.
  • Lang, Jürgen (2009): ¬Les langues des autres dans la créolisation. Théorie et exemplification par le créole d'empreinte wolof à l'île Santiago du Cap Vert. Narr: Tübingen
  • Claire Lefebvre: Creoles, their Substrates, and Language Typology. John Benjamins Publishing Company, Amsterdam u.a. 2011, ISBN 978-90-272-0676-3.
  • John H. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. University of California Press, Berkley u.a. 2000. ISBN 0-520-21999-6.
  • Steve Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 2010, ISBN 978-3-631-60830-2.
  • Matthias Perl & Armin Schwegler: "América negra: panorámica actual de los estudios lingüísticos sobre variedades hispanas, portuguesas y criollas." Vervuert Verlag, Frankfurt a.M., Iberoamericana, Madrid 1998, ISBN 3-89354-371-6 (Vervuert), ISBN 84-88906-57-9 (Iberoamericana).
  • Leslie B. Rout: The African Experience of Spanish America: 1502 to the present Day. Cambridge University Press, Cambridge 1976.
  • Mark Sebba: Contact Languages. Pidgins and Creoles. Macmillan Press, Basingstoke 1997, ISBN 0-333-63023-8.
  • Sarah G. Thomason: A Typology of Contact Languages. In: Holm, John, Susanne Michaelis (Hrsg.): Contact Languages. Critical Concepts in Language Studies Bd. II. Routledge, London u.a. 2009, S. 45, ISBN 978-0-415-45607-4.
  • Robert C. West: The Pacific Lowlands of Colombia. Louisiana State University Press, Baton Rouge 1957.
  • Jürgen Lang: Les langues des autres dans la créolisation : théorie et exemplification par le créole d'empreinte wolof à l'île Santiago du Cap Vert. Tübingen: Narr, 2009.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Kreolsprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen