Menschenwürde
Menschenwürde ist ein Begriff, der in der deutschsprachigen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie für bestimmte Grundrechte und Rechtsansprüche des Menschen steht (dies ist von der umgangssprachlichen Bedeutung des Begriffes Würde zu unterscheiden). Im modernen Sinne versteht man darunter, dass alle Menschen unabhängig von allen ihren Unterscheidungsmerkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Alter oder Zustand denselben Wert haben, und dass dieser Wert über dem aller anderen Lebewesen und Dinge steht.
Der Begriff Menschenwürde ist nach Auffassung von Christian Starck und anderer Staatsrechtler verwurzelt in einer christlichen Tradition sowie der antiken Philosophie und beinhalte damit eine bestimmte Sicht auf Menschenrechte; Herbert Schnädelbach führt den Begriff auf die jüdische Religion sowie die Stoa zurück.<ref>Mit entsprechenden Nachweisen Christian Starck: Der demokratische Verfassungsstaat: Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen. Mohr Siebeck, 1995, ISBN 3161464427, S. 193.</ref><ref>Herbert Schnädelbach: Der Fluch des Christentums. Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion. Eine kulurelle Bilanz nach zweitausend Jahren. In: Die Zeit (11. Mai 2000)</ref> Auf rechtsphilosophischer Ebene sind Menschenrechte u. a. durch Menschenwürde im deutschen Grundgesetz verankert. Auf rechtstheoretischer Ebene erhebt sich damit die Frage, inwiefern die Weiterentwicklung von Gesetzen, die die Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung, Schutz vor Folter und Hinrichtung, Recht auf Teilhabe oder Gesundheit einschränken, auf der Grundlage der Menschenwürde stattfinden kann. Innerhalb der deutschen Rechtstheorie wird die Vorstellung, dass die Menschenwürde als ein ethisches Grundprinzip zeitlos ist und als Maßstab über jeder Staatsform steht, trotz verfassungsrechtlicher Verankerung nicht von allen akzeptiert.
Auf weltanschaulich-religiöser Ebene wird diskutiert, was unter Menschenwürde bei den rechtsethischen Fragen des Lebensbeginns und des Lebensendes verstanden wird. Aus psychologischer Sicht wurde der Begriff der Menschenwürde von Léon Wurmser konkretisiert. Er versteht die Scham als Hüterin der menschlichen Würde.
Andere Rechtstraditionen berufen sich oft nicht auf ein Prinzip der Menschenwürde, um Menschenrechte herzuleiten. Sie sehen Menschenrechte an sich als primäres unveräußerliches Gut oder Naturrecht an, oder leiten sie aus anderen Prinzipien her (z. B. Utilitarismus, Vertragstheorie).
Inhaltsverzeichnis
- 1 Geschichte
- 2 Menschenwürde bei Kant
- 3 Menschenwürde als Verfassungsprinzip
- 3.1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
- 3.1.1 Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz)
- 3.1.1.1 Wortlaut
- 3.1.1.2 Historischer Hintergrund
- 3.1.1.3 Die Menschenwürde als oberster Wert des Grundgesetzes
- 3.1.1.4 Der Begriff der Menschenwürde
- 3.1.1.5 Der Einzelne darf nicht zum bloßen Objekt gemacht werden
- 3.1.1.6 Prinzipielle Gleichheit aller Menschen
- 3.1.1.7 Schutzverpflichtung des Staates im Geltungsbereich des Grundgesetzes
- 3.1.1.8 Verpflichtung des Staates, das Existenzminimum zu gewährleisten
- 3.1.1.9 Einsatz des Staates für weltweites Prinzip der Menschenrechte
- 3.1.1.10 Aus der Würde des Menschen abgeleitete Grundrechte
- 3.1.1.11 Postmortale Wirkung
- 3.1.1.12 Die sogenannte Ewigkeitsgarantie
- 3.1.2 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
- 3.1.3 Menschenwürde als Summe aller Grund- und Menschenrechte
- 3.1.1 Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz)
- 3.2 Italien
- 3.3 Schweiz
- 3.4 Republik Südafrika
- 3.5 Europäischer Verfassungsvertrag
- 3.1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
- 4 Siehe auch
- 5 Literatur
- 6 Weblinks
- 7 Einzelnachweise
Geschichte
Religiöse Wurzeln
Die Idee der Menschenwürde hat tiefreichende historische Wurzeln. Vorläufer dessen, was heute unter „Menschenwürde“ verstanden wird, finden sich partiell bereits im frühen Judentum und im Christentum. Dazu zählen primär der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27 EU) und die daraus folgende fundamentale Gleichheit der Menschen.<ref>Wolfgang Huber: Menschenrechte/Menschenwürde. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE) 22/1992, 577-602.</ref><ref>Christian Starck: Der demokratische Verfassungsstaat: Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen. Mohr Siebeck, 1995, ISBN 3161464427, S. 193.</ref> Der Gleichheitsgedanke manifestierte sich zunächst als „Gleichheit aller Gläubigen vor Gott“. Bei Paulus kommt diese Vorstellung radikal zum Ausdruck: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ (Gal 3,28 f).
Westlich-abendländische Tradition
Antike
Die griechische Antike (Vorsokratiker, Platon, Aristoteles) kennt den Begriff der Menschenwürde nicht. Geht man davon aus, dass im humanum ein Ansatz zu suchen sei, dann sieht etwa Aristoteles dies in der Vernunft (logos). Menschenwürde ist jedoch ein Rechtsanspruch. Aus der Tatsache, dass der Mensch ein rationales Wesen ist, folgt für Aristoteles nicht, dass er bestimmte Ansprüche an Andere oder die Gesellschaft hat. Auch in der Nikomachischen Ethik lässt sich außer in der Erörterung der zwei Typen der Gerechtigkeit nur schwer ein Begriff der Menschenwürde herauslesen. Im Begriff der distributiven Gerechtigkeit etwa soll dem Einzelnen nach dem Prinzip der Würdigkeit und des Verdienstes zugeteilt werden. Die Würdigkeit bemisst sich danach, was er für die Gemeinschaft geleistet hat. Anders sieht dies die römische Antike. Zwei Begriffe spielen dabei eine Rolle.
Grundlegend für den Begriff der humanitas ist das Werk Ciceros. Dort wird jedoch der Begriff als Unterscheidungskriterium zum Tier, nicht aber als personale Eigenschaft verstanden. Erst mit dem Konzept der dignitas (= Würde, Würdigkeit) können erste Ansätze zum Begriff der Menschenwürde gesehen werden. Einschlägig hierfür sind Ciceros Werke De re publica („Über den Staat“) und De officiis („Vom pflichtgemäßen Handeln, Von den Pflichten“).
1) Cicero betrachtet dignitas als gesellschaftliches Konzept in De re publica und De officiis
- als abstufbar. Im Rahmen seiner Verfassungsdiskussion (Königtum oder regnum, Aristokratie oder Demokratie) kritisiert er die Herrschaft des Volkes aus dem Grund, weil dann die Würde unbilligerweise gleichmäßig verteilt sei:
- ; 7, 198 63 (2004).
- Volker Neumann: Menschenwürde und Existenzminimum (PDF-Datei, 95 KB)
- Micha H. Werner: Streit um die Menschenwürde: Bedeutung und Probleme eines ethischen Zentralbegriffs. In: Zeitschrift für medizinische Ethik 46 (2000), S. 259–272.
- Armin G. Wildfeuer: Menschenwürde – Leerformel oder unverzichtbarer Gedanke? (PDF-Datei; 768 kB)
- Rosemarie Will : Bedeutung der Menschenwürde in der Rechtsprechung, Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 35-36/2011)
- Deutsche Kommission Justitia et Pax (Hrsg.): Menschenwürde. Impulse zum Geltungsanspruch der Menschenrechte, Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden, Heft 127, Bonn, November 2013, ISBN 978-3-940137-51-7
- Tessa Debus u.a. (Hrsg.): Philosophie der Menschenwürde, zeitschrift für Menschenrechte, 1/2010
- Menschenwürde und Stammzellenforschung, (die verfassungsrechtliche Lage) Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer zur Stammzellforschung
- Was ist Würde? Philosophische Grundlagen und aktuelle Fragen, radioWissen auf Bayern 2 als Podcast, (MP3-Audio-Dateien: 224 Kbit/s, 36 MB; 128 Kbit/s, 20 MB)
Einzelnachweise
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