Modularität
Modularität (auch Baustein- oder Baukastenprinzip) ist die Aufteilung eines Ganzen in Teile, die als Module, Komponenten, Bauelemente oder Bausteine bezeichnet werden. Bei geeigneter Form und Funktion können sie zusammengefügt werden oder über entsprechende Schnittstellen interagieren.
Bei einem modularisierten Aufbau werden Gesamtsysteme aus standardisierten Einzelbauteilen entlang definierter Stellen (bei Programmen Schnittstellen) zusammengesetzt. Die gegenteilige Bauweise nennt man monolithisch (griechisch monólithos, „der Einstein“). Dies kann sich sowohl auf reale Objekte, als auch auf immaterielles, wie beispielsweise eine Ausbildung beziehen.
Als Anwendungsparadigmen für Modularität lassen sich u.a. unterscheiden Modularität im Design (z. B. in Anlagenbau, Softwarearchitektur oder Unternehmensorganisation), Modularität in der Produktion bzw. beim Bau (Mass Customization, z. B. in Automobilbau, Computer-Fertigung und Architektur) sowie Modularität im Gebrauch (“Plug and Play”).<ref name="Osterloh">Margit Osterloh: Das Management von Strukturen und Prozessen. IOU – Institut für Organisation und Unternehmenstheorien, Universität Zürich, 2. Mai 2006</ref>
Inhaltsverzeichnis
Funktionsprinzipien
Einzelne Komponenten lassen sich unterschiedlich zu einem Ganzen kombinieren, wenn sie wie Spielbausteine ausgeführt sind – das beschreibt das sprachliche Bild, das Gegenteil wäre einem Puzzle vergleichbar, bei dem jede Komponente nur genau einen möglichen Platz hat, und das System nur als ein ganzer Block (monolithisch) funktioniert.
Ein großer Vorteil ist, dass man alte Module leicht gegen neue Module austauschen oder neue Module zum Ganzen hinzufügen kann. Dafür brauchen Module klare Schnittstellen – möglichst genormt, um Probleme der Kompatibilität (des „Zusammenpassens“) gering zu halten.
Änderungen innerhalb von Modulen sollten sich nicht auf andere Module auswirken. Dieses Prinzip nennt man lokale Stetigkeit bei Änderungen. Um Änderungen möglichst problemlos durchführen zu können, sollte die Anzahl der Schnittstellen möglichst klein sein. Treten Fehler in Modulen auf, dürfen diese Fehler andere Module nicht in Mitleidenschaft ziehen ("lokaler Schutz bei Ausnahmefehlern"). Diese Prinzipien betreffen beispielsweise die Modularität von Softwareprojekten, sind jedoch auch auf andere Bereiche anwendbar. Hierdurch ist es auch möglich, die statistische Lebensdauer von Modulen untereinander zu entkoppeln und z. B. Innovationen gezielt und störungsfrei in bestehende Systeme einzubringen.
Module setzen das Black-Box-Modell um. Informationen sind nur über explizite Schnittstellen zugänglich.
Vorteile und Nutzen
Durch die Modularität von komplexen Systemen lässt sich deren Verständlichkeit für den Menschen erhöhen. Für den Hersteller bzw. das Unternehmen, für den Service wie auch für den Konsumenten bzw. Kunden kann ein Baukastenprinzip Vorteile bringen, besonders wenn unterschiedliche Unternehmen am Markt als Anbieter von weitgehend standardisierten Einzelkomponenten bzw. Geschäftsprozessen miteinander konkurrieren. Mögliche Vorteile sind:
- niedrigere Entwicklungs- bzw. Geschäftsprozesskosten: Modularisierung reduziert Koordinations- und Kommunikationskosten und ermöglicht Outsourcing und Benchmarking.
- Flexibilität in der Produkt- bzw. Organisationsentwicklung: schnellere Produktzyklen und höhere Anpassungsfähigkeit, wenn verschiedene kompatible Module zur Verfügung stehen, die angebracht, entfernt, gewechselt oder anders gruppiert werden können, um das System an neue Bedingungen anzupassen. Ein monolithisches System hingegen kann solche Anpassungen nur in Form einer Strukturumwandlung bewerkstelligen, wenn die Parametrisierung seiner Funktionen nicht eine passende Einstellung erlaubt.
- Flexibilität im Angebot: größere Produktvarietät
- billigere Herstellung durch baugleiche Serien und einfachere Montageprozesse
- Wartung: kostengünstige Reparatur durch Austausch der fehlerhaften Komponente
Grenzen und Risiken der Modularisierung
Verarbeitungsgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit: Modularisierung hat dort ihre Grenzen, wo ein System sehr spezifischen Anforderungen gerecht werden muss, insbesondere im Hinblick auf Verarbeitungsgeschwindigkeit (Performance) oder problemspezifische Anpassungsfähigkeit. Ursache sind in der Regel die hohen Kosten
- für eine Änderung bzw. Erweiterung der Schnittstellen zwischen den Modulen, wenn sich durch den Austausch eines Moduls allein keine weitere Verbesserung mehr erzielen lässt;
- für eine Anpassung des Gesamtsystems (sofern überhaupt möglich) an kundenindividuelle bzw. problemspezifische Anforderungen.
In der Informationstechnik beispielsweise gibt es Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, kunden-individuelle Software-Lösungen (Individualsoftware) zu entwickeln. Solche Komponenten werden von ihren Kunden (trotz ggf. höherer Kosten) ergänzend oder alternativ zu Standardsoftware eingesetzt, wenn diese den Anforderungen nicht genügt.
Innovationshemmende Wirkung: Wie Fleming und Sorenson, die - über 200 Jahre hinweg - die Daten des US-amerikanischen Patentamts auswerteten, feststellen, kann der Trend zu hochgradiger Modularität die Innovationsfähigkeit eines Systems infragestellen. Während einerseits ein solches Design die Produktentwicklung möglichst vorhersagbar machen kann, kann andererseits ein Punkt erreicht werden, wo Modularisierung die Chancen für einen Durchbruch in der Produktentwicklung untergräbt.<ref name="FlemingSorenson">Fleming, L., Sorenson, O.: The dangers of modularity. Harvard Business Review, 79(8), 2001, S. 20-21</ref>
Imitierbarkeit: Gerade die Vorhersagbarkeit, die für einen modularen Ansatz typisch ist, kann dazu führen, dass ein konkurrierendes Unternehmen ähnliche Produkte entwickelt.<ref name="FlemingSorenson" />
Kooperationsfähigkeit und strategische Steuerung: Unter den organisatorischen Einheiten, die für je einzelne Module in der Produktentwicklung bzw. einzelne Prozesse im Unternehmen zuständig sind, kann es zu einem verringerten Austausch von (implizitem) Wissen und zu einer reduzierten Kooperationsfähigkeit kommen. Dadurch kann der Blick auf die Performanz des gesamten Systems verstellt werden.<ref name="Osterloh" />
Anwendungsbeispiele
- Normteile (genormte technische Bauteile als funktionelle Einzelteile) und standardisierte Baugruppen (Montagegruppen) in Maschinenbau und anderen Gebieten der Technik, über die etwa Baukastenstücklisten (nach DIN 6789) geführt werden. Bedeutende Einsatzgebiete sind u.a.:
- Raumstationen
- Plattformstrategie im Fahrzeugbau
- in Computern, in denen austauschbare Bauteile über standardisierte Schnittstellen kommunizieren (z. B. Steckkarten oder Speichermodule). Der IBM-PC und seine Nachfolger verdanken ihren Erfolg auch und gerade diesem Effekt.
- Modularer Maschinenbau, insbesondere technische Großanlagen wie z. B. Kraftwerke und Verkehrsanlagen
- Elektrische und elektronische Bauelemente: Bestückung von Platinen
- Das 19-Zoll-Aufbausystem der Elektronik
- Lego, Fischertechnik oder Rasti
- In Architektur und Bauwesen
- In Serie vorgefertigte Bauteile
- Gebäude aus modularen Raumelementen (zum Beispiel Containergebäude)
- Gebäudekomplexe, insbesondere Hochhäuser, aus modularen Gebäudeteilen (Gebäudeflügeln), zum Beispiel das Crystal Palace (London, 1851)
- Möbelbausysteme wie USM Haller
- Komponentenbasierte Entwicklung von Software, Gruppen von Befehlen als funktionsorientierte Komponenten in Computerprogrammen, die eine bestimmte Funktion erfüllt und über eine definierte Schnittstelle aufgerufen wird:
- Softwaremodule für wiederkehrende Aufgaben
- Kernel-Module, Betriebssystemkomponenten, die nur bei Bedarf aktiviert werden, im Gegensatz zum Kernel
- Geschäftsprozessmodellierung bzw. Business Process Reengineering zur Optimierung der Abläufe in einem Unternehmen
- gestufte Studiengänge im Hochschulwesen
- Content-Management bzw. Wissensmodellierung mit Hilfe eines Wikis modularisiert das zu dokumentierende Wissen äußerst feingranular. Die Schnittstellen sind die Links zwischen den einzelnen Wissenseinheiten (d.h. Wiki-Seiten).
- beim Militär, welche sich zu einem modularen Aufbau hin wandelt, siehe Transformation (Militärwissenschaft)
- bei Modularen Synthesizern zur Klangsynthese
- Produktions- und Kompositionstechnik für Popmusik entwickelt von Brian Wilson, bekannt geworden durch Good Vibrations und Smile
- Modularer Modelleisenbahnbau bei großen Modelleisenbahnanlagen
- bedarfsgerechte Dosierung der waschaktiven Substanzen durch ein Waschmittel-Baukastensystem, das es beispielsweise erlaubt, den benötigten Wasserenthärter - je nach Wasserhärte vor Ort - getrennt zuzusetzen und somit, diesen unabhängig zu dosieren
- Modularis ist ein System, das eine Physical-Computing-Plattform als Baukasten bereitstellt<ref>Modularis</ref>
Literatur
- Margit Osterloh: Das Management von Strukturen und Prozessen. IOU – Institut für Organisation und Unternehmenstheorien, Universität Zürich, 2. Mai 2006
- Clark, K.B., Baldwin, C.Y.: Design Rules. Vol. 1: The Power of Modularity. MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2000. ISBN 0-262-02466-7
- Baldwin, C.Y., Clark, K.B.: The Option Value of Modularity in Design (PDF; 215 kB). Harvard Business School, 2002
- Modularity: upgrading to the next generation design architecture. Ein Interview mit Ron Sanchez, Professor für Strategie und Technologie Management am IMD - International Institute for Management Development, Lausanne. Connected Magazine Dossiers, 12. Mai 2000
- Stefano Brusoni, Andrea Prencipe: Unpacking the black box of modularity: Technologies, products and organizations (PDF; 1,3 MB). Industrial and Corporate Change, Vol. 10, 2001, S. 179-205
- Fleming, L., Sorenson, O.: The dangers of modularity. Harvard Business Review, 79(8), 2001, S. 20-21
Einzelnachweise
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