Argentinische Militärdiktatur (1976–1983)
Während der Argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurde Argentinien von einer Militärjunta regiert, die aus den drei Oberbefehlshabern von Heer, Luftwaffe und Marine bestand. Das Juntamitglied General Jorge Rafael Videla wurde zunächst für fünf Jahre zum Präsidenten bestimmt, die personelle Zusammensetzung der Junta wechselte später mehrfach. Während das rechtsgerichtete, autoritäre und ultranationalistische Militärregime regierte, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit Staatsterror (ca. 30.000 Opfer) und Gegenterror von Seiten der linken Guerillaorganisationen Montoneros und ERP, sowie gegen Ende zu einer tiefen Wirtschaftskrise und dem verlorenen Falklandkrieg. Dieser kostete die Militärs endgültig den gesellschaftlichen Rückhalt und leitete die Phase der Rückkehr zur Demokratie ein. Erster demokratisch gewählter Präsident wurde danach Raúl Alfonsín, der eine gründliche Aufarbeitung der Verbrechen während der Diktatur begann. Dabei wurden mehrere Junta-Mitglieder wegen ihrer Verantwortung für das systematisch und geheim durchgeführte gewaltsame „Verschwindenlassen“, die Folter und Ermordung von Oppositionellen zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die gerichtliche Aufarbeitung wurde jedoch auf massiven Druck des Militärs nach wenigen Jahren weitgehend eingestellt und erst ab etwa 2003 unter Präsident Néstor Kirchner wieder aufgenommen.
Einige der damaligen Machthaber sind erst in jüngster Zeit erneut zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden, so etwa der erste Juntachef Videla im Juli 2012. Auch viele ehemalige Offiziere niederer Ränge verbüßen mittlerweile lebenslange Haftstrafen wegen der Verbrechen während des selbsterklärten „schmutzigen Krieges“ der Diktatur gegen Menschen, die als politische Gegner verdächtigt wurden (Desaparecidos). Das Militär selbst bezeichnete die Zeit seiner Herrschaft mit dem euphemistischen Begriff „Prozess der Nationalen Reorganisation“ (spanisch Proceso de Reorganización Nacional, oft mit Proceso abgekürzt). Dieser Name wurde von der Militärregierung gewählt, um den vorübergehenden Charakter dieses „Prozesses“ anzudeuten. Die Nation, die sich zu dieser Zeit in einer tiefen gesellschaftlichen Krise befand, sollte nach konservativen Idealen „neu organisiert“ und dann nach dem Plan der Militärs in die Demokratie „entlassen“ werden. Wegen der zehntausendfachen Menschenrechtsverletzungen der Militärs wird dieser Name weithin als verharmlosend und beschönigend bewertet, und daher zur Distanzierung meist in Anführungszeichen gesetzt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Vorgeschichte
- 2 Verlauf der Diktatur
- 3 Nachgeschichte
- 4 Kulturelle Aufarbeitung der Diktatur
- 5 Siehe auch
- 6 Literatur
- 7 Einzelnachweise
Vorgeschichte
Argentinien war Ende der 1960er-Jahre in eine gesellschaftliche Krise geraten, deren Ursache die Spaltung zwischen der rechten Militärregierung unter Juan Carlos Onganía und Roberto Levingston, der Arbeiterbewegung und linksgerichteten, teils gewaltbereiten Organisationen wie der Montoneros war, die teils mit dem Peronismus, teils mit dem Sozialismus sympathisierten. Es kam zu zahlreichen Unruhen, die bis hin zu regelrechten Volksaufständen wie dem Cordobazo 1969 ausarteten.
Als letzter Ausweg erschien dem Regime die Demokratisierung. Juan Perón kam nach mehreren Kurzzeitpräsidenten 1973 wieder an die Macht, was zu einer kurzzeitigen Stabilisierung führte. Nach seinem Tod im Juli 1974 wurde seine Frau Isabel Perón („Isabelita“) Präsidentin. Unter ihrer Regierung bekam das Land zunehmende wirtschaftliche Probleme. Auf Phasen hoher Inflation folgten wirtschaftliche Notprogramme mehrerer Wirtschaftsminister, die jedoch die Situation nicht entschärfen konnten, auch das Wirtschaftswachstum war 1975 und 1976 negativ. Zudem entzündete sich abermals der Konflikt zwischen dem Staat und den linken Guerilla-Organisationen, die sich dem konsequenten Rechtskurs der Regierung entgegenstellten. Seit ihrer Gründung Ende 1973 wurde durch die regierungsnahe, inoffizielle Todesschwadron Alianza Anticomunista Argentina (AAA oder Triple A) und andere paramilitärische Organisationen Staatsterror gegen linke Oppositionelle und interne Kritiker der regierenden peronistischen Partei (Partido Justicialista) ausgeübt. Argentinien wurde somit von terroristischen Aktivitäten sowohl linksextremer als auch rechtsextremer Gruppen erschüttert – die links-peronistischen Montoneros und die marxistische ERP auf der einen, die rechtsextreme Triple A auf der anderen Seite. Mehrere Korruptionsskandale verschlechterten das Image der Regierung von Isabel Perón noch zusätzlich, was letztendlich den gewaltsamen Machtwechsel von 1976 begünstigte.
Verlauf der Diktatur
Der „Schmutzige Krieg“ gegen die Guerilla (1976–1978)
Beim Militärputsch am 24. März 1976 wurde Isabel Perón ihres Amtes enthoben und durch eine Militärjunta ersetzt, die von Jorge Videla, dem Oberkommandierenden der argentinischen Streitkräfte angeführt wurde. Der Putsch selbst war leicht vorauszusehen gewesen, da die Militärführung in den Tagen zuvor mehrmals mit der Regierung über einen freiwilligen Rücktritt der Präsidentin verhandelt hatten, was einem Ultimatum gleichkam. Die Machtübernahme dauerte nur wenige Stunden, es gab keinen Widerstand von Seiten der Regierung. Das Regime löste noch am selben Tag den Kongress auf, enthob die oberste Gerichtsbarkeit des Landes ihres Amtes und suspendierte die Tätigkeit aller politischen Parteien für unbestimmte Zeit.
Am Anfang konnte das Regime einen relativ großen Zuspruch in der Bevölkerung erhalten, da diese von der Regierung Isabel Perón enttäuscht war und es zunächst zu einer kurzzeitigen Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation kam. In ihrer Regierungserklärung hatte die Junta erklärt, ihre Politik an der Basis christlich-konservativer Werte auszurichten, aber gegen die Guerillaorganisationen und sonstige Akte der so genannten Subversion vorzugehen. Bereits kurz nach der Machtübernahme hatte General Luciano Benjamín Menéndez großangelegte Säuberungsaktionen angekündigt und dabei auch den Tod von (selbst nach Maßstäben der Junta) Unschuldigen in Kauf genommen:
„Wir werden 50.000 Menschen töten müssen. 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten und wir werden 5.000 Fehler machen.“<ref name="Lewis">Paul H. Lewis: Guerrillas and generals: the “Dirty War” in Argentina. Greenwood Publishing Group, 2002, S. 147</ref>
Um die Basis für eine erneute Demokratisierung, der sogenannten „Zweiten Republik“ zu setzen, wurde ein Dialog mit wichtigen Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften und Religion angekündigt.
Geheimgefängnisse
Schon nach wenigen Wochen wurde klar, dass die neue Regierung das Ziel der Subversionsbekämpfung mit aller Härte verfolgen würde. Es wurden geheime Haftanstalten eingerichtet, die später mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten verglichen wurden. In den etwa 340 landesweit verteilten Einrichtungen<ref name="DW">Berüchtigtes Ex-Folterzentrum wird der Öffentlichkeit zugänglich. In: Deutsche Welle. 14. März 2005, abgerufen am 13. Dezember 2008. Steffen Leidel: </ref> wurden oft mehr oder weniger willkürlich ausgewählte „Verdächtige“ ohne Prozess monate- oder jahrelang festgehalten. Fast alle Festgehaltenen wurden systematisch gefoltert und später umgebracht, nur ein Bruchteil wieder freigelassen.<ref name="DW" /> Schwangere Frauen wurden zum Teil getötet, nachdem sie geboren hatten. Ihre Kinder gab man zur Adoption an Familien von Offizieren, teilweise gegen Geld. Das größte dieser Geheimgefängnisse war die Technikschule der Marine (ESMA) in Buenos Aires, wo während der Diktatur etwa 5000 Menschen gefoltert und ermordet wurden. Die Regierung kooperierte gleichzeitig mit zahlreichen kriminellen Todesschwadronen, etwa der Alianza Anticomunista Argentina, die geduldet oder auch unterstützt wurden. Diese terrorisierten grundlos insbesondere Einwanderer aus den Nachbarländern, Juden, Muslime und Studenten.
Auch zahlreiche Ausländer, die sich zu jener Zeit im Land aufhielten, wurden festgenommen. Manche kamen nach Intervention der jeweiligen Botschaften und Konsulate frei. Vor allem Frankreich und das Vereinigte Königreich bemühten sich erfolgreich, ihre Staatsbürger durch diplomatische Aktivitäten zu befreien.
Kindsraub und Zwangsadoptionen
Es war gängige Praxis, in den Geheimgefängnissen geborene Kinder von verschleppten und kurz nach der Geburt umgebrachten Frauen an meist kinderlose Offiziers- oder Unternehmerfamilien zu geben, teilweise gegen Bezahlung.<ref>Werner Marti: Videla wegen Kindsraub verurteilt. Argentiniens Justiz spricht von systematischer Aneignung von Babys durch die Militärs. Neue Zürcher Zeitung online, 7. Juli 2012</ref> Nach dem Ende der Diktatur 1983 versuchten viele Großeltern und verbliebene Elternteile diese Kinder wiederzufinden. Die Organisation Großmütter der Plaza de Mayo schätzt, dass es in Argentinien insgesamt etwa 500 von den Schergen der Diktatur geraubte und dann im Geheimen zur Adoption freigegebene Kinder gibt. In mindestens 105 Fällen wurden bis zum Jahr 2012 während der Militärdiktatur verschwundene Kinder an Elternteile oder rechtmäßige Familien zurückgegeben. Die Bemühungen dauern an. Die Konfrontation mit ihrer wahren Herkunft ist für die mittlerweile erwachsenen Kinder meist ein sehr schmerzhafter Prozess – auch deswegen, weil ihre vermeintlichen Väter als Offiziere nicht selten an der Folterung und Ermordung ihrer tatsächlichen, leiblichen Eltern beteiligt waren.<ref>Werner Marti: Videla wegen Kindsraub verurteilt. Argentiniens Justiz spricht von systematischer Aneignung von Babys durch die Militärs. Neue Zürcher Zeitung online, 7. Juli 2012</ref> Einige der Kinder, die ihre wahre Herkunft erfahren haben, gründeten 1999 die Organisation HIJOS, die sich für eine harte Strafverfolgung der damaligen Täter einsetzt.
Zustimmung der USA
Die Militärjunta nahm dabei an, dass sie für dieses Vorgehen die Billigung der USA hätte. Dies beruhte unter anderem auf einem Treffen des argentinischen Außenministers Admiral Guzzetti mit US-Außenminister Henry Kissinger im Juni 1976, wobei dieser wider Erwarten zustimmende Signale zu einem harten Vorgehen zur Lösung des „Terrorismus-Problems“ gegeben hatte.<ref name="Kissinger-NatArch" /> Dies wurde offensichtlich als Freibrief für Terror gegen sämtliche Oppositionellen verstanden. Robert Hill, der damalige Botschafter der USA in Argentinien, beschwerte sich in Washington über die „euphorische Reaktion“<ref name="Kissinger-NatArch" /> des Argentiniers nach dem Treffen mit Kissinger. Außenminister Guzzetti hatte danach den anderen argentinischen Regierungsmitgliedern berichtet, nach seinem Eindruck würde es den USA nicht um Menschenrechte gehen, sondern darum, dass die ganze Sache „schnell gelöst“ würde. Die Militärjunta lehnte in der Folge Eingaben der US-Botschaft bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte ab, und verwies zur Begründung auf Kissingers „Verständnis“ für die Situation. Hill schrieb nach einem weiteren Treffen der beiden:
„Guzzetti wandte sich an die USA in der vollen Erwartung, starke, deutliche und direkte Warnungen zur Menschenrechtspraxis seiner Regierung zu hören; stattdessen kam er in einem jubilierenden Zustand over that issue”.</ref> </references>