Reinhard Gehlen
Reinhard Gehlen (* 3. April 1902 in Erfurt; † 8. Juni 1979 in Berg am Starnberger See) war ein deutscher Offizier. Er war Generalmajor der Wehrmacht, als solcher Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) des Generalstabes des Heeres. In der Bundeswehr bekleidete er den Dienstgrad eines Generalleutnants der Reserve. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete er die Organisation Gehlen und war von 1956 bis 1968 Gründungspräsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), der aus der Organisation Gehlen hervorging.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Herkunft
Reinhard Gehlen wurde als Sohn einer bürgerlichen Familie in Erfurt geboren. Sein Vater Walther (1871–1943) war Major a. D. der Artillerie und ab 1908 Buchhändler in Breslau, wo Reinhard aufwachsen sollte. Walther Gehlen war zuletzt Direktor für den Ferdinand-Hirt-Verlag in Breslau, deren Leitung er von seinem Bruder Max Gehlen übernommen hatte.<ref>Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche who's who. XV. Ausgabe von Degeners wer ist's?, Berlin 1967, S. 528.</ref> Seine Mutter Katharina van Vaernewyk (1878–1922) stammte aus Flandern. Reinhard Gehlen war ein Cousin des einflussreichen Soziologen Arnold Gehlen.
Militärischer Werdegang
Reichswehr
Beförderungen
- 1. Dezember 1923 Leutnant
- 1. Februar 1928 Oberleutnant
- 1. Mai 1934 Hauptmann
Nach dem Besuch des humanistischen König-Wilhelm-Gymnasiums in Breslau und der Ablegung des Abiturs trat Gehlen am 20. April 1920 als Offizieranwärter in das 6. leichte Artillerieregiment in die Reichswehr in Schweidnitz ein. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er in das Artillerie-Regiment 3 versetzt. Von September 1926 bis Oktober 1928 wurde er aufgrund seiner Fähigkeiten als Bereiter an die Kavallerieschule Hannover versetzt und schloss diese mit dem Dienstgrad eines Oberleutnants ab. Von November 1928 bis März 1929 wurde er in den Stab V. (reit.)/Artillerieregiment 3 versetzt. Von April 1929 bis September 1933 war er Bataillonsadjutant des 1./Artillerieregiment 3; im Oktober wurde er in das 14./Artillerieregiment 3 versetzt.
Wehrmacht
Allgemein
Von Oktober 1933 bis Juli 1935 war er zur Verwendung beim Chef der Heeresleitung, General der Infanterie Kurt von Hammerstein-Equord, und kommandiert zu den (geheimen) Generalstabslehrgängen. Im Mai 1935 wurde er zur Kriegsakademie kommandiert. Von Juli 1935 bis Juli 1936 war er Adjutant beim Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres im Reichskriegsministerium in Berlin. Im Juli 1936 erfolgte die Versetzung in die I. Abteilung und im Juli 1937 in die 10. Abteilung des Generalstabs des Heeres. Er unterstand zu dieser Zeit Generalmajor Erich von Manstein.
Von November 1938 bis August 1939 war er Batteriechef (Feldhaubitzen) der 8./Artillerieregiment 18 in Liegnitz und nahm am Polenfeldzug teil. Im August 1939 wurde er Erster Generalstabsoffizier (Ia) der 213. Infanterie-Division. Von Oktober 1939 bis Mai 1940 war er als Gruppenleiter für die Landesbefestigungen im Generalstab des Heeres zuständig. Von Mai bis Juni 1940 war er Verbindungsoffizier des Oberkommandos des Heeres zur 16. Armee sowie zu den Panzergruppen Hoth und Guderian. Im Juni 1940 wurde er I. Adjutant von Generalstabschef Franz Halder. Von Oktober 1940 bis April 1942 war er Leiter der Gruppe Ost der Operationsabteilung, die von Oberst i.G. Adolf Heusinger (nachmaliger Generalinspekteur der Bundeswehr) geleitet wurde, des Generalstabes des Heeres.
Gehlen war an den Vorbereitungen für das Unternehmen Barbarossa, den Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941, beteiligt; er war insbesondere für die Planungen Transport und Reserve-Nachführung zuständig. Mit dem Stocken des Russlandfeldzuges 1942 (Stalingrad) suchte der Generalstab nach einer neuen Führung für seinen Heeresnachrichtendienst, der in Konkurrenz zum Reichssicherheitshauptamt stand. Obwohl Gehlen sich nie mit Geheimdienstarbeit beschäftigt hatte, überdies keine Fremdsprache sprach und keine Kenntnisse über die Sowjetunion vorweisen konnte, wurde er im Mai 1942 zum Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“ ernannt und war somit auch Chef der Ostspionage. Anfangs war er auch noch für Skandinavien und Südeuropa zuständig.
Abteilung Fremde Heere Ost
Beförderungen
- 1. Juni 1938 Major i.G.
- 1. Juli 1941 Oberstleutnant i.G.
- 1. Juli 1942 Oberst i.G.
- 1. Dezember 1944 Generalmajor
Zügig baute er seine Behörde, die ursprünglich Informationen des Leiters der Abwehr Admiral Wilhelm Canaris bewertete, um. Sie konnte, ohne andere Dienststellen einbeziehen zu müssen, Nachrichten integriert auswerten. Gehlen bekam Informationen auch durch drastische Massenbefragungen von Kriegsgefangenen nach der Devise des Oberkommandos des Heeres: „Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenüber den Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln.“ Gehlen setzte Heinz Herre für die Auswertung, Gerhard Wessel für die Erkundung der Roten Armee und Hermann Baun für das Agentennetz im Feindgebiet vor der Front ein. Diese drei übernahm er 1946 nach dem Krieg in die Organisation Gehlen. Nach der Niederlage bei Stalingrad im Winter 1942/43 arbeitete Gehlen mit dem Auslandsnachrichtendienst der SS unter der Leitung von Walter Schellenberg zusammen. Beide wollten mit sowjetischen Kriegsgefangenen, Überläufern und Antikommunisten 1943 in der Sowjetunion eine Truppe unter General Wlassow als Komitee zur Befreiung der Völker Russlands aufbauen. Otto Skorzeny sollte ebenfalls hinter der Front eine Widerstandsorganisation aufbauen. Gehlen schlug noch die „Aktion Werwolf“, einen Widerstand aus Erddepots, vor. Bis heute liegen nur einige wissenschaftlich fundierte Analysen über die Arbeit von Fremde Heere Ost vor.<ref>Als Beispiel aus jetziger Zeit sei genannt: Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militärische Feindaufklärung. Ch. Links Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-86153-694-9 (zugleich Dissertation der Universität der Bundeswehr Hamburg in 2011)</ref>
Ab Oktober 1944 plante Gehlen für die Zeit nach dem Krieg. Dafür entwickelte er eine Hypothese, die sich später als richtig erwies: „Die Westmächte werden sich gegen den Verbündeten Russland wenden. Dabei werden sie mich, meine Mitarbeiter und meine kopierten Dokumente im Kampf gegen eine kommunistische Expansion benötigen, weil sie selbst keine Agenten dort besitzen.“
Kriegsende und -gefangenschaft
Anfang März 1945, rechtzeitig vor Kriegsende, ließ Gehlen die gesamten nachrichtendienstlichen Materialien von wenigen handverlesenen Mitarbeitern auf Mikrofilm vervielfältigen und, in wasserdichten Fässern verpackt, verteilt auf mehrere Bergwiesen, in den österreichischen Alpen vergraben.<ref name="CS-B-41">Christopher Simpson: Blowback. America's recruitment of nazis and its effect on Cold War. Collier Books, New York NY 1989, ISBN 0-02-044995-X, S. 41.</ref>
Vorher hatte Gehlen seine Familie von Liegnitz über Naumburg in den Bayerischen Wald geschickt, damit sie nicht sowjetischen Truppen in die Hände fiel. Mit seinen Mitarbeitern Wessel und Baun schloss er den „Pakt von Bad Elster“. Sie verabredeten eine geordnete Übergabe an die Amerikaner.
Am 9. April 1945 hatte Hitler Gehlen entlassen; Gerhard Wessel wurde, wie später 1968 beim BND, sein Nachfolger. Schließlich verließ Gehlen am 28. April das Hauptquartier der Wehrmacht in Bad Reichenhall, versteckte sich auf der Elendsalm bei Miesbach und stellte sich zusammen mit sechs Offizieren in Fischhausen am Schliersee am 22. Mai 1945 amerikanischen Soldaten.
Gehlen musste erreichen, dass er für seine Handlungen an der Ostfront nicht, wie zwischen den Alliierten verabredet, an die Sowjetunion ausgeliefert wurde. Deshalb versuchte er den ihn vernehmenden Amerikanern seine Bedeutung für die Nachkriegszeit zu verdeutlichen. Doch er stieß bei ihnen zunächst nur auf wenig Interesse. Über Wörgl und Salzburg gelangte er zur Vernehmung in die Villa Pagenstecher in Wiesbaden. Dort wurde er von General Sibert vernommen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass beide sehr ähnliche Visionen über die Rolle der Amerikaner in der Zukunft hatten. Die von Gehlen versteckten Dokumentenkisten wurden ausgegraben und ins document center nach Höchst gebracht. Captain Boker sammelte wichtige Mitstreiter Gehlens ein und entzog sie einer Inhaftierung.<ref name="CS-B-41" />
Gehlen, der in Kriegsgefangenschaft der US Air Force war, wurde schließlich 1945 mit sechs ehemaligen Mitarbeitern und den Dokumenten durch das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten in die USA nach Fort Hunt, Virginia bei Washington, D.C. geflogen. Die Alliierten nahmen wie im Fall Gehlen zunächst auch andere Experten in Gewahrsam, unter anderen den Raketenforscher Wernher von Braun und die Atomphysiker um Otto Hahn.
Bundeswehr
In der Bundeswehr bekleidete er zuletzt den Dienstgrad eines Generalleutnants der Reserve.<ref> Molt, Matthias: Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Personelle Kontinuitäten und Diskontinuitäten beim Aufbau der deutschen Streitkräfte 1955-1966. Diss. Heidelberg 2009. S. 198. und der BND. In: Wolfgang Krieger (Hrsg.): Geheimdienst in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart. Verlag C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50248-2, S. 230–247. (Auch: Anaconda Verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-86647-133-7).
Weblinks
- Literatur von und über Reinhard Gehlen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Reinhard Gehlen in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Suche nach „Reinhard Gehlen“ im Portal SPK digital der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Einzelnachweise
<references />
Reinhard Gehlen | Gerhard Wessel | Klaus Kinkel | Eberhard Blum | Heribert Hellenbroich | Hans-Georg Wieck | Konrad Porzner | Gerhard Güllich (kommissarisch) | Hansjörg Geiger | August Hanning | Ernst Uhrlau | Gerhard Schindler
Personendaten | |
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NAME | Gehlen, Reinhard |
ALTERNATIVNAMEN | Dr. Schneider (Deckname); Utility (Deckname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Nachrichtendienstler, Generalmajor der Wehrmacht und Präsident des Bundesnachrichtendienstes |
GEBURTSDATUM | 3. April 1902 |
GEBURTSORT | Erfurt |
STERBEDATUM | 8. Juni 1979 |
STERBEORT | Berg bei Starnberg |