Scheinanglizismus
Als Scheinanglizismus (auch Pseudoanglizismus) werden Wörter in der deutschen oder einer anderen Sprache bezeichnet, die aus dem Englischen zu kommen scheinen und sich meist auch in Form und Lautung an die englische Sprache anlehnen. Scheinanglizismen sind dem Feld der Scheinentlehnungen unterzuordnen. Daher sind diese Wörter als Pseudoentlehnungen im englischen Sprachraum aber unbekannt oder haben eine andere Bedeutung, sodass es mit Muttersprachlern zu Verständigungsproblemen kommen kann. Sie sind somit eine besondere Form der sogenannten falschen Freunde.<ref name="Grzega">Grzega, Joachim (2011): Introduction to linguistics from a global perspective. An alternative approach to language and languages. München: LINCOM EUROPA (LINCOM coursebooks in linguistics, 19) S. 45.</ref>
Scheinanglizismen kommen in mehreren Sprachen vor, so zum Beispiel im Deutschen, im Niederländischen, im mexikanischen Spanisch, im Französischen und im Japanischen. Im Japanischen wurde hierfür ein eigener Begriff geprägt, die Wasei Eigo.
Inhaltsverzeichnis
Beispiele
Deutsch
- „Handy“ (ausgesprochen [ˈhɛndi]). Dieses Wort bezeichnet im Deutschen ein Mobiltelefon. Es wird im englischsprachigen Raum zwar nicht als Bezeichnung dafür benutzt, doch die Bezeichnung „handy“ stammt aus der Unterscheidung zweier militärisch genutzter mobiler Funkgeräte von Motorola. Das Rucksackfunkgerät wurde Walkie-Talkie genannt, das Handsprechfunkgerät Handie-Talkie. Bereits im Mobilfunklexikon von Gusbeth (Franzis 1990) war zu lesen: „Handheld-Telefone (oder Handy)“. Auch die im selben Verlag erschienene „Funkschau“ schrieb in Heft 1/1990 (S. 16): „Soll in den USA Konkurrenz durch NECP3-Mobiltelefon bekommen: Motorolas Handy MicroTac“. Die Unternehmen Bosch und Hagenuk vertrieben ihre Mobiltelefone im Jahr 1993 ebenfalls als Handy. Es handelt sich also ursprünglich um die Kurzform einer Produktbezeichnung, die zwar aus dem englischsprachigen Raum stammt, dort aber nicht mehr gebräuchlich ist. Sie geht auf eine Umschreibung (handy = „handlich“ oder „praktisch“ oder „gelegen“, Kurzform für „hand held“ – „in der Hand gehalten“) zurück. Im britischen Englisch bezeichnet man Mobiltelefone als mobile phones (kurz mobiles), im amerikanischen Englisch als cellular phones (kurz cell phones oder schlicht cell), in Singapur findet man den Ausdruck handphone.
- „Beamer“ als Synonym für „Video-Projektor“. In der nordamerikanischen Umgangssprache bezeichnet beamer ein Fahrzeug von BMW, in Großbritannien ist das Wort ein Fachausdruck für eine bestimmte Art des Wurfs beim Cricket. In der technischen Fachsprache der Weberei steht es für Kettenanschärer.<ref>Patent DE60209900T2: Verbessertes Verfahren und System zum Herstellen von Reifenkorden. patent.de, 5. Oktober 2006, abgerufen am 29. Mai 2015. : „Die so hergestellten Fäden werden für den Transport zu einem Abnehmer typischerweise über einen Kettenanschärer (beamer) oder eine Kettenschärmaschine (warper) beim Umschlagvorgang 14 gespult oder gespindelt …“</ref> Ein Video-Projektor heißt im Englischen video projector oder digital projector.<ref>de.pons.eu – Stichwort „Beamer“</ref>
- „Oldtimer“. Ein historisches Automobil heißt im englischsprachigen Raum classic car oder vintage car (old-timer bedeutet im Englischen „alter Mann“).<ref>de.pons.eu – Stichwort „Oldtimer“</ref>
- „Streetworker“. Im Deutschen ist das ein Sozialarbeiter, der auf der Straße arbeitet, d. h., dessen Zielgruppe vor allem Personengruppen mit selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltensweisen, wie Obdachlose, Drogenabhängige, Prostituierte und delinquente Jugendgruppen sind. Im Englischen bezeichnet der Begriff eine Straßenprostituierte.
- Das deutsche Wort Hometrainer ist zusammengesetzt aus home (= „Zuhause“) und trainer (= „Übungsleiter“). Im Deutschen bezeichnet dies ein „Übungsgerät (z.B. stationäres Fahrrad) für den Hausgebrauch zum Konditions- und Ausgleichssport oder zu heilgymnastischen Zwecken“. Dieser scheinbar englische Ausdruck existiert im Englischen aber nicht einmal. Um sich auf solch ein Übungsgerät zu beziehen, spricht man von exercise bicycle.<ref name="Grzega" />
- Weitere Beispiele: Basecap, Bodybag, Discounter, Earbook, Finisher, No-Go, Pullunder, Public Viewing, Show- bzw. Talkmaster, Speedboot, Shitstorm
Weitere Sprachen
- Ein Beispiel ist Happy End als Ausdruck für „einen [unerwarteten] glücklichen Ausgang eines Konflikts oder einer Liebesgeschichte“. Im Englischen wäre dieser Ausdruck allerdings falsch, da es happy ending heißen muss.<ref name="Grzega" />
- Ein weiterer europäischer Scheinanglizismus ist Smoking. In den meisten europäischen Sprachen bezeichnet dieses Wort einen „meist schwarzen Abendanzug mit seidenen Revers für kleinere gesellschaftliche Veranstaltungen“. Im Englischen ist diese Bedeutung von Smoking aber inexistent. Im Englischen bedeutet smoking „das Rauchen“<ref name="Grzega" />, der Abendanzug heißt im amerikanischen Englisch tuxedo, im britischen Englisch dinner suit oder dinner jacket.
- Im Französischen lässt sich das Beispiel footing finden, das von der [inexistenten] Verlaufsform des englischen Wortes foot (= „Fuß“) abgeleitet ist und für „Laufen in mäßigem Tempo als Fitnesstraining“ steht. Im Englischen wird dieser Vorgang aber, wie im Deutschen auch, mit jogging (bzw. Jogging) bezeichnet.<ref name="Grzega" /> Weitere Begriffe sind pressing für Bügeln (engl. Ironing) oder Training für den Sportanzug (engl. Tracksuit).
- Weitere Beispiele für Scheinanglizismen in mehreren Sprachen: Autostop,<ref>Robert J. Baumgardner: The Englishization of Spanish in Mexico. In: Paul Bruthiaux (Hrsg.): Mulitlingual Matters 133: Directions in Applied Linguistics. 2005, ISBN 978-1853598494, S. 241 (auf Google Books).</ref><ref>Vocabolario – autostòp. www.treccani.it, abgerufen am 30. Mai 2015 (italiano). : „Termine di uso internazionale (non però nel mondo anglosassone) …“</ref> Drive-in, Slip (Kleidung)
Bewertung
Im sprachpolitischen und besonders im sprachkritischen Diskurs werden Scheinanglizismen oft als Beleg für eine Bedrohung der deutschen Sprache durch angloamerikanischen Einfluss angeführt (siehe auch Denglisch). Die Ästhetik des Ausdrucks und die kulturelle Eigenständigkeit des Deutschen leide unter der Verwendung von Anglizismen und Scheinanglizismen.
Von anderer Seite wird die Bildung von Scheinanglizismen als Zeichen der Lebendigkeit der Sprache und ihrer Fähigkeit gesehen, die expressiven Möglichkeiten durch kreative Nutzung fremder Einflüsse zu erweitern. Zudem seien viele Anglizismen und Scheinanglizismen Modewörter und verschwänden mit dem Abebben der Mode wieder aus dem Sprachgebrauch.<ref> Chris Melzer/DPA: Wenn Deutsche Englisch erfinden: Das Handy müsste Händy heißen. Stern, 2. Januar 2014, abgerufen am 9. Februar 2015. </ref>
Siehe auch
Literatur
- Petra Braselmann: Anglizismen. In: Ingo Kolboom, Thomas Kotschi, Edward Reichel (Hrsg.): Handbuch Französisch. Sprache, Literatur, Kultur, Gesellschaft. Schmidt, Berlin 2002, S. 204–208, ISBN 978-3-503-06126-6; N.A.: 2008, ISBN 978-3-503-09830-9.
- Joachim Grzega: Zu den pseudo-englischen Fremdwörtern im Deutschen (und zum Einfluss des Englischen auf das Deutsche generell). In: Joachim Grzega: Sprachwissenschaft ohne Fachchinesisch. 7 aktuelle Studien für alle Sprachinteressierten. Shaker, Aachen 2001, S. 57–70, ISBN 978-3-8265-8826-6.
- Ageliki Ikonomidis: Anglizismen auf gut Deutsch: Ein Leitfaden zur Verwendung von Anglizismen in deutschen Texten. Buske, Hamburg 2009, ISBN 3-875-48560-2.
Weblinks
- Robbin D. Knapp: Erfundene englische Wörter im Deutschen. In: Robb: Menschliche Sprachen.
Einzelnachweise
<references />ja:和製英語 pl:Waseieigo ru:Псевдоанглицизм zh:和製英語