Technische Spezifikationen für die Interoperabilität
Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) sind Spezifikationen für Interoperabilität im Schienenverkehr der Europäischen Union. In der Schweiz gelten diese Vorschriften als Regeln der Technik und Sorgfaltsregeln.<ref>Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI). Bundesamt für Verkehr. Abgerufen am 10. Mai 2014.</ref>
Mit den einzelnen TSI werden Eigenschaften festgelegt, die Teilsysteme der Eisenbahnen aufweisen müssen, um ein durchgängig nutzbares Eisenbahnsystem zu erhalten. Diese Teilsysteme umfassen:
- Strukturelle Teilsysteme:
- Infrastruktur,
- Energie,
- streckenseitige Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung,
- fahrzeugseitige Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung,
- Fahrzeuge,
- Funktionale Teilsysteme:
- Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung
- Telematikanwendungen für den Personen- und Güterverkehr.
In der ersten Ausgabe gab es auch einen eigenes funktionales Teilsystem für Instandhaltung, das mittlerweile in die anderen Teilsysteme integriert wurde.
Für diese Teilsysteme werden jeweils TSI erlassen, die seit 2015 gleichermaßen für den Hochgeschwindigkeitsverkehr und für den konventionellen Verkehr gelten und auch den erweiterten Bereich der nationalen Schienennetze umfassen. Ergänzend werden Querschnittsthemen (Sicherheit in Eisenbahntunneln und Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität) in übergreifenden TSI behandelt.
Die Spezifikationen beschreiben technische Anforderungen und ihre Nachweisführung um die Durchführung der allgemeinen EG-Richtlinien 96/48/EG zur Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und 2001/16/EG für konventionellen Eisenbahnsysteme zu regeln, welche zuletzt durch die Richtlinie 2004/50/EG geändert und inzwischen in der Richtlinie 2008/57/EG über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft zusammengefasst wurden. TSI gelten seit 2015 aufgrund ihres Status als „Verordnung der Europäischen Kommission“ direkt in den jeweiligen Ländern. Die bisherigen TSI mussten von den einzelnen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Dies geschah in Deutschland durch die Verordnung über die Interoperabilität des transeuropäischen Eisenbahnsystems (TEIV).<ref>Verordnung über die Interoperabilität des transeuropäischen Eisenbahnsystems. juris. Abgerufen am 10. Mai 2014.</ref>
Derzeit sind die folgenden TSI gültig:
Inhaltsverzeichnis
Hochgeschwindigkeitsverkehr
Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) mit Fahrgeschwindigkeiten ab 190 km/h gelten die einzelnen Verordnungen gemäß der folgenden Tabelle<ref>Internetseite der Europäischen Union zum Thema TSI im Bereich Hochgeschwindigkeitsverkehr</ref>:
Teilsystem | Abkürzung (engl.) |
Entscheidung | Gültigkeit |
---|---|---|---|
Infrastruktur | INS | 2002/732/EG | bis 30. Juni 2008 |
Infrastruktur | INS Rev | 2008/217/EG | bis 31. Dezember 2014 |
Energie | ENE | 2002/733/EG | bis 30. September 2008 |
Energie | ENE Rev | 2008/284/EG | bis 31. Dezember 2014 |
Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung |
CCS | 2002/731/EG | bis 6. November 2006 |
Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung |
CCS Rev | 2006/860/EG | seit 7. November 2006 |
Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung |
CCS Änd | 2008/386/EG | seit 7. November 2006 |
Fahrzeuge | RST | 2002/735/EG | bis 31. August 2008 |
Fahrzeuge | RST Rev | 2008/232/EG | bis 31. Dezember 2014 |
Betrieb | OPE | 2002/734/EG | bis 31. August 2008 |
Betrieb | OPE Rev | 2008/231/EG | seit 1. September 2008 |
Instandhaltung | MAI | 2002/730/EG |
Erwähnenswert ist insbesondere die Einteilung in zwei Hochgeschwindigkeitsklassen:
Klasse 1: Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit von größer oder gleich 250 km/h
Klasse 2: Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit von mindestens 190 km/h, jedoch unter 250 km/h.
Darüber hinaus gibt es auch noch eine Spezifikation der geschwindigkeitsabhängigen dynamischen Radlast, wo die Grenze bei 250 km/h jedoch anderes inkludiert wird:
V (km/h) | dynamische Radlast (kN) |
---|---|
190 < V ≤ 250 | 180 |
250 < V ≤ 300 | 170 |
V > 300 | 160 |
Streckenklassen
Mit Herausgabe der neuen TSI zum 1. Januar 2015 wurden die Streckenklassen neu definiert und markt-/produktspezifische Streckenklassen mit den Bezeichnungen P1 – P6 für den Personenverkehr sowie F1 – F4 für den Güterverkehr eingeführt.
Durch die TEN-T-Verordnung VO (EU) 1315/2013 wurden auch die Bezeichnungen der europäischen Strecken neu geregelt, es gibt nun die Korridore im Kernnetz (core network) sowie das Gesamtnetz (comprehensive network). Hierbei wird unter dem Gesamtnetz aber nur das aus europäischer Sicht notwendige Netz eines Mitgliedsstaates gesehen, nicht das gesamte Eisenbahnnetz eines Mitgliedstaates, der Begriff ist also nicht eindeutig.
In der bisherigen TSI-INF waren folgende Streckenklassen definiert und mittels römischen Ziffern unterschieden<ref>Amtsblatt der Europäischen Union - Beschluss der Kommission vom 26. April 2011 - eur-lex.europa.eu</ref>:
- Neue TEN des Kernnetzes (IV)
- Ausgebaute TEN-Strecke des Kernnetzes (V)
- Neue weitere TEN-Strecke (VI)
- Ausgebaute weitere TEN-Strecke (VII)
In Illustrationen des europäischen Schienennetzes werden oft nur die Verbindungen bis Kategorie V abgebildet.
Konventioneller Eisenbahnverkehr
Der konventionelle Eisenbahnverkehr mit einer Geschwindigkeit unter 190 km/h wird durch folgende Verordnungen geregelt<ref>Internetseite der Europäischen Union zum Thema TSI im Bereich konventioneller Eisenbahnverkehr</ref>:
Teilsystem | Abkürzung (engl.) |
Entscheidung | Gültigkeit |
---|---|---|---|
Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung |
CCS | 2006/679/EG | ab 28. September 2006 |
Fahrzeuge – Lärm | NOI | 2011/229/EU | bis 31. Dezember 2014 |
Fahrzeuge – Güterwagen | WAG | 2006/861/EG | seit 31. Januar 2007 |
Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung | OPE | 2006/920/EG | seit 11. Februar 2007 |
Telematikanwendungen für den Güterverkehr |
TAF | 62/2006/EG | bis 31. Dezember 2014 |
HGV und konventioneller Eisenbahnverkehr
Teilsystem | Abkürzung (engl.) |
Entscheidung | Gültigkeit |
---|---|---|---|
Energie | ENE | VO (EU) 1301/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Infrastruktur | INF | VO (EU) 1299/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Lärm | NOI | VO (EU) 1304/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Lokomotiven und Personenwagen | LOC&PAS | VO (EU) 1302/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Mobilitätsbehinderte Personen | PRM | 2008/164/EG | bis 31. Dezember 2014 |
Mobilitätseingeschränkte Personen | PRM | VO (EU) 1300/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Tunnelsicherheit | SRT | 2008/163/EG | bis 31. Dezember 2014 |
Tunnelsicherheit | SRT | VO (EU) 1303/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Telematikanwendungen für den Güterverkehr |
TAF | VO (EU) 1305/2014 | seit 1. Januar 2015<ref name="tsi-abl2014" /> |
Telematikanwendungen für den Personenverkehr |
TAP | EC 454/2011 | 12. Mai 2011<ref name="tsi-telematic" /> |
TSI und unionsrechtliche Vorgaben zur Interoperabilität des Eisenbahnsystems
Für neue, umgerüstete oder erneuerte Teilsysteme ist gemäß Kapitel IV IOP-RL 2008/57/EG nach dem in der jeweiligen TSI geforderten und beschriebenen EG-Konformitätsbewertungsverfahren durch eine Benannte Stelle eine EG-Prüfbescheinigung auszustellen, welche die Grundlage der Prüferklärung und der Inbetriebnahmegenehmigung ist (vgl Art 20 der IOP-RL).
Für das Inverkehrbringen von Interoperabilitätskomponenten, also „Bauteilen, Bauteilgruppen, Unterbaugruppen oder kompletten Materialbaugruppen, die in ein Teilsystem eingebaut sind oder eingebaut werden“ (Art 1 lit f IOP-RL 2008/57/EG), ist analog ein Verfahren zur Erstellung einer EG-Konformitäts- und Gebrauchstauglichkeitserklärung (Kapitel III, Art 10 ff IOP-RL) vorgeschrieben.
Die in Kapitel V IOP-RL geregelte EG-Prüfbescheinigung berechtigt ihren Inhaber, für jedes einzelne Fahrzeug der betreffenden Fahrzeugserie die Konformität mit den Anforderungen der TSI zu erklären. Ohne diese Erklärung kann ein Fahrzeug nicht in Betrieb genommen werden.
Für Teilsysteme, für die noch keine TSI existiert, sind weiterhin die nationalen Zulassungsverfahren anzuwenden.
In Deutschland gibt es nur eine benannte Stelle mit dem Namen Eisenbahn Cert. In anderen Staaten der EU sind weitere benannte Stellen registriert. Die bei einer benannten Stelle erworbenen Zertifikate sind europaweit gültig.
Historie der TSI
Die TSI wurden zur Durchführung der damaligen EG-Richtlinie 96/48/EG erschaffen und wurden sukzessive ab 1999 herausgegeben. Die Historie ist in einem Dokument der ERA veröffentlicht.
Einzelnachweise
<references> <ref name="tsi-telematic">technical specification for interoperability relating to the subsystem 'telematics applications for passenger services' of the trans-European rail system. EU, 5. Mai 2011, abgerufen am 31. Dezember 2011 (PDF, 358 KB, english). </ref> <ref name="tsi-abl2014">Amtsblattinhalt L356. EU, 15. Dezember 2014, abgerufen am 15. Dezember 2014 (PDF, deutsch). </ref> </references>
Weblinks
- TSI-Übersichtstabelle mit direktem Zugang zum Amtsblatt der EU auf den Seiten des Eisenbahn-Bundesamts (MS Excel; 965 kB)
- Liste der Benannten Stellen in Europa
- Internetseite der Europäischen Union zum Thema Interoperabilität (englisch)
- Internetseite der Europäischen Eisenbahnagentur (englisch)
- Informationsportal des Interdisziplinären Forschungsverbundes Bahntechnik e.V. sowie zahlreiche Fachbücher der Schriftenreihe "BAHNTECHNIK AKTUELL", die den jeweils neusten Stand der TSI zum Inhalt haben und in Kooperation mit der Benannten Stelle Interoperabilität (EISENBAHN-CERT) entstanden sind.