Wannseekonferenz
Auf der Wannseekonferenz kamen am 20. Januar 1942 in einer Villa am Wannsee in Berlin 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und SS-Behörden zusammen, um unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.
Entgegen verbreiteter Meinung war es nicht Hauptzweck der Konferenz, den Holocaust zu beschließen – diese Entscheidung war mit den seit dem Angriff auf die Sowjetunion (Juni 1941) stattfindenden Massenmorden in vom Deutschen Reich besetzten Gebieten faktisch schon gefallen –, sondern in den Grundzügen die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren und die erforderliche Koordination sicherzustellen. Die Teilnehmer legten den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen fest, grenzten die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), das Heydrich führte.
Dies war das Hauptanliegen Heydrichs, den Hermann Göring am 31. Juli 1941 mit der Gesamtorganisation der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt hatte. Daraufhin hatte Heydrich im Dezember 1941 zu der streng geheimen Konferenz eingeladen, an der Staatssekretäre aus verschiedenen Reichsministerien und dem Generalgouvernement, ein Ministerialdirektor der Reichskanzlei sowie leitende Beamte der Sicherheitspolizei (SiPo), des Sicherheitsdienstes (SD) und der Parteikanzlei teilnahmen. Protokollant war der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Heydrichs Referent für „Judenangelegenheiten“.
Der erst nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Begriff „Wannseekonferenz“ ergab sich aus dem Tagungsort, dem Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Am Großen Wannsee 56/58. Die ehemalige Villa Marlier in Berlin-Wannsee wurde 1914/1915 nach Plänen von Paul Otto August Baumgarten erbaut. Heute ist das Haus eine Gedenkstätte für den Holocaust.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Nationalsozialistische „Judenpolitik“
Der Antisemitismus war einer der zentralen Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie, der die NS-Politik bestimmte. Schon in seinem Werk Mein Kampf propagierte Adolf Hitler Ideen, die auf die Ausrottung der Juden abzielten.
Am 30. Januar 1939 hatte Hitler in einer Reichstagsrede erstmals „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ für den Kriegsfall angekündigt. Darauf bezog sich Propagandaminister Joseph Goebbels in einem Artikel für Das Reich vom 16. Dezember 1941:<ref>zitiert nach Ralf Georg Reuth: Goebbels. München Zürich 1990, ISBN 3-492-03183-8, S. 491.</ref>
„Wir erleben gerade den Vollzug dieser Prophezeiung und es erfüllt sich am Judentum ein Schicksal, das zwar hart, aber mehr als verdient ist. Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht.“
1942 kam Hitler öffentlich fünfmal auf seine Drohung und ihre Verwirklichung zu sprechen, zuletzt am 8. November 1942:<ref>Max Domarus: Hitler – Reden und Proklamationen. Band 2, Würzburg 1963, S. 1937.</ref>
„Sie werden sich noch der Reichstagssitzung erinnern, in der ich erklärte: Wenn das Judentum sich etwa einbildet, einen internationalen Weltkrieg zur Ausrottung der europäischen Rassen herbeiführen zu können, dann wird das Ergebnis nicht die Ausrottung der europäischen Rassen, sondern die Ausrottung des Judentums in Europa sein. Sie haben mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden es vielleicht in einiger Zeit auch nicht mehr tun.“
Die beabsichtigten Ziele und Ergebnisse der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Juden liegen also offen zu Tage. Gleichwohl sind Einzelheiten des Entscheidungsprozesses, der zum Holocaust führte, nur spärlich dokumentiert. Wie dieser Prozess innerhalb des NS-Regimes genau ablief, ist in vielen Details unklar und wird in der Holocaustforschung weiterhin intensiv diskutiert.
Die Entscheidung zum Holocaust
Zu den erhaltenen Dokumenten gehört der Auftrag Görings an Heydrich, einen „Gesamtentwurf“ bezüglich Kosten, Organisation und Durchführung für die „Endlösung der Judenfrage“ auszuarbeiten. Er erging am 31. Juli 1941, also fünf Wochen nach Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion am 22. Juni, der Millionen von Juden erst in die Reichweite des nationalsozialistischen Regimes brachte.<ref>Brief Görings an Heydrich: Auftrag zur Endlösung (PDF; 210 kB).</ref>
Für die Zeit nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion sind vermehrt Äußerungen führender Funktionäre des NS-Regimes feststellbar, die auf den geplanten Völkermord schließen lassen. Dies gilt als Hinweis darauf, dass die endgültigen Entscheidungen, die zum Holocaust führten, im Herbst 1941 gefallen sein müssen. So versammelte Hitler am 12. Dezember 1941 die Reichs- und Gauleiter der NSDAP in seinen Privaträumen in der Reichskanzlei. Goebbels notierte darüber in seinem Tagebuch:
„Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen. Das Grauen drückt sich durch die Normalität aus, die Selbstverständlichkeit und auch die Gewissheit richtig zu handeln, einen Auftrag zu erfüllen im Sinne der privilegierten Rasse. Sie sprechen völlig offen über die verschiedenen effektivsten Techniken des Massenmords. Die Zuschauer erwarten sich Monster und treffen auf 15 intelligente Männer, die ihnen in erschreckender Weise manchmal sogar sympathisch sein werden.“<ref>Paul Mommertz: Die Wannseekonferenz, Inhaltsangabe.</ref>
Das Stück wurde im Volkstheater Wien uraufgeführt; weitere Aufführungen z. B. unter der Regie von Peter Sodann in Halle (Saale). Im September und Oktober 2003 wurde das Stück im Rahmen der Landesausstellung „Wert des Lebens“ von Isolde Christine Wabra inszeniert und im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim zehn mal aufgeführt.
Das Stück diente auch als Drehbuch für den gleichnamigen Film.
Filme
Die Wannseekonferenz ist Thema von zwei Spielfilmen. 1984 erschien zunächst eine Fernsehversion des Schauspiels von Paul Mommertz unter der Regie von Heinz Schirk: Die Wannseekonferenz. Dietrich Mattausch spielte darin Heydrich, Gerd Böckmann spielte Eichmann. Der Film wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Adolf-Grimme-Preis. 1987 folgte die Kinoversion.<ref>Infafilm: Die Wannseekonferenz (1984).</ref><ref>AudioVideo des Films auf YouTube.</ref>
Frank Pierson war Regisseur des englischsprachigen Films Conspiracy (USA/GB, 2001, auf Deutsch als Die Wannseekonferenz). Auch dieser Spielfilm dauert wie die historische Zusammenkunft 85 Minuten und basiert auf deren Protokoll. Da dieses jedoch keine wörtliche Rede wiedergibt, sind die Dialoge rekonstruiert und deshalb historisch nicht belegt. Der von Piersons Produktion ursprünglich angestrebte dokumentarische Charakter wurde nicht erreicht, da die Umsetzung dramaturgisch überarbeitet wurde. Hinweise der Gedenkstätte, der das Drehbuch vor Drehbeginn vorlag, auf unbelegte Details wurden nicht verarbeitet. So ist in der Verfilmung, die am Ort der Konferenz gedreht wurde, Kritzinger als Zweifler dargestellt: Dies deckt sich nicht mit den überlieferten historischen Fakten.
Neben diesen Verfilmungen war die Wannseekonferenz in einer Szene der vierteiligen TV-Serie Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß dargestellt, allerdings nur mit den Teilnehmern Heydrich und Eichmann.
Literatur
- Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Katalog der ständigen Ausstellung. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5 (Faksimile aller Exponate sowie Kommentare). Englische Version, ebd. The Wannsee Conference and the Genocide of the European Jews. ISBN 3-9808517-5-3.
- Christian Gerlach: Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden. In: derselbe: Krieg, Ernährung, Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Pendo, Zürich / München 2001, ISBN 3-85842-404-8, S. 79–152 (zuerst in Werkstatt Geschichte H. 18, 6. Jg., November 1997), Rezension von Götz Aly.
- Michael Haupt: Das Haus der Wannsee-Konferenz. Von der Industriellenvilla zur Gedenkstätte. Bonifatius, Paderborn 2009, ISBN 978-3-9813119-1-4, 200 S. mit 131 – teilweise farbigen – Fotos/Dokumenten.
- Wolf Kaiser: Die Wannsee-Konferenz. SS-Führer und Ministerialbeamte im Einvernehmen über die Ermordung der europäischen Juden. In: Heiner Lichtenstein, Otto R. Romberg (Hrsg.): Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. 2. Auflage, Bonn 1997, ISBN 3-89331-257-9, S. 24–37.
- Norbert Kampe, Peter Klein (beide als Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Dokumente, Forschungsstand, Kontroversen. Böhlau-V., Köln 2013, ISBN 978-3-412-21070-0, 481 Seiten (Sammelband, Inhaltsangabe (PDF; 24 kB) beim Verlag).
- Gerd Kühling: Schullandheim oder Forschungsstätte? Die Auseinandersetzung um ein Dokumentationszentrum im Haus der Wannsee-Konferenz (1966/67), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 211-235.
- Peter Longerich: Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden. Edition Hentrich, Berlin, 1998, ISBN 3-89468-250-7.
- Kurt Pätzold, Erika Schwarz: Tagesordnung Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Metropol, Berlin 1998, ISBN 3-926893-12-5.
- Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte. Ullstein, München 2002, ISBN 3-548-36403-9.
- Johannes Tuchel: Am Großen Wannsee 56–58. Von der Villa Minoux zum Haus der Wannsee-Konferenz (Reihe: Publikationen der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ Bd. 1), Edition Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3-89468-026-1.
- Peter Klein: Die Wannseekonferenz bei Zeitgeschichte-online.
Weblinks
Literatur von und über Haus der Wannsee-Konferenz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Dokumente
- Dokumente zur Wannsee-Konferenz mit Faksimiles des Originals: Gesamtprotokoll (in Farbe, PDF; 2,9 MB)
- Axel Frohn, Klaus Wiegrefe: Das Dokument des Terrors – zu Herkunft und Bedeutung des Konferenzprotokolls. (PDF; 24 kB) Der Spiegel, 9. Februar 2002
- Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935
Historische Darstellungen
- Deutsches Haus der Geschichte: Wannseekonferenz
- Zur Mitwirkung von Juristen bei der WK
- Jan Erik Schulte: Die Wannsee-Konferenz im Kontext von SS-Arbeitskräfteplanung und Völkermord 1941/42 (PDF; 212 kB)
- Holocaustreferenz: zu Eichmanns Protokollredaktion
Filme
- Die Wannseekonferenz (1984) in der Internet Movie Database (englisch)
- Die Wannseekonferenz (2001) in der Internet Movie Database (englisch)
Bildungsmaterial
- Bildungsmaterial zum Thema Wannseekonferenz auf Lernen aus der Geschichte
- Mentel: Das Protokoll der WSK in der revisionistischen Publizistik
Einzelnachweise
<references />
Koordinaten: 52° 25′ 58,5″ N, 13° 9′ 55,9″ O{{#coordinates:52,432916666667|13,165527777778|primary
|dim=25 |globe= |name= |region=DE-BE |type=landmark }}