Willi Münzenberg


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Willi Münzenberg
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Titelblatt der von Münzenberg redigierten jungsozialistischen Zeitschrift Die Freie Jugend vom September 1914

Willi Münzenberg (Wilhelm Münzenberg<ref>K. Haferkorn: Münzenberg, Wilhelm. a.a.O. S. 340.</ref>; * 14. August 1889 in Erfurt; † Juni 1940 in Saint-Marcellin, Département Isère, Frankreich) war ein deutscher Kommunist, Verleger und Filmproduzent. Mit dem Neuen Deutschen Verlag, seinen Zeitungen Welt am Abend, Berlin am Morgen und vor allem der Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) gehörte Münzenberg zu den einflussreichsten Vertretern der KPD der Weimarer Republik. Bedeutend ist vor allem sein Einsatz gegen den Kolonialismus der europäischen Mächte. Er wandte sich nach 1937 von der offiziellen Parteilinie ab und wurde aus der Partei ausgeschlossen.

Leben

Von der Dorfschule zur Kommunistischen Jugendinternationale

Münzenberg war Sohn eines Dorfgastwirts und Enkel eines Freiherrn von Seckendorff. Er besuchte unregelmäßig die Dorfschulen in Friemar und Eberstädt und bis 1904 ein Jahr lang die Volksschule in Gotha. Nach einer abgebrochenen Barbierlehre arbeitete er von 1904 bis 1910 ungelernt in Erfurter Schuhfabriken.

1906 trat Münzenberg in einen Propaganda genannten Arbeiterbildungsverein ein, wurde nach knapp einem Jahr Vorsitzender und schloss ihn mit neuem Namen Freie Jugend Erfurt dem norddeutschen Jugendverein an. Nachdem er Agitator geworden war, wollte ihm kein Erfurter Betrieb mehr Arbeit geben, es folgten Monate als Wandergeselle. Von August 1910 bis Ende 1913 arbeitete er als Hilfskraft in einer Zürcher Apotheke in der Schweiz. Dort schloss er sich einer Gruppe der sozialistischen Jugendorganisation der Schweiz an und beschäftigte sich intensiv mit der in anarchistischen Kreisen gängigen Literatur wie die Gegenseitige Hilfe von Pjotr Kropotkin, Der Einzige und sein Eigentum von Max Stirner oder die Propaganda der Tat von Johann Most.<ref>Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1967, S. 37.</ref> Ende Juli 1912 wurde er Mitglied des Zentralvorstands der sozialistischen Jugendorganisation der Schweiz und Redakteur der Monatszeitschrift Die freie Jugend.<ref>K. Haferkorn: Münzenberg, Wilhelm. a.a.O., S. 340.</ref> Im Ersten Weltkrieg leitete er das Internationale Jugendsekretariat in Bern und lernte Lenin kennen. Nach einem Gefängnisaufenthalt wurde Münzenberg am 10. November 1918 als „missliebiger Ausländer“ und „Anhänger der Oktoberrevolution“ der Schweiz verwiesen. Er schloss sich in Berlin dem Spartakusbund an und war Gründungsmitglied der KPD. 1919 wurde er Vorsitzender der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI).

Im Dienste Lenins und Stalins

Von Grigori Sinowjew war Münzenberg 1921 als Sekretär der KJI wieder abgesetzt worden, doch geschah nun, was ihm zur späteren Sonderstellung in Komintern und KPD verhalf und Ursache für seine weitgehende Unabhängigkeit war: Er erhielt von Lenin den ganz privaten Auftrag, die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) für die Sowjetunion zu organisieren. Dazu gründete Münzenberg die Illustrierte Sowjetrussland im Bild, die 1926 zur Arbeiter Illustrierten Zeitung wurde. 1924 übernahm er den Neuen Deutschen Verlag von Felix Halle für die IAH. Leiterin dieses Verlages wurde seine Lebensgefährtin Babette Gross. Von 1924 bis 1933 gehörte Münzenberg dem Zentralkomitee der KPD und als Abgeordneter dem Reichstag an.

Von Stalin, dem er etwa drei Mal persönlich begegnete, wurde Münzenberg die absolute Selbstverleugnung abverlangt, als dieser im Juli 1931 von der KPD verlangte, einen vom Stahlhelm initiierten Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages zu unterstützen.<ref>Babette Gross (Lit.), S. 228.</ref> Mit dem Volksentscheid wollten Stahlhelm, NSDAP und andere Rechtsparteien die SPD-Regierung in Preußen zu Fall bringen. Anfänglich den Volksentscheid ignorierend, musste sich die KPD ihn plötzlich auf Moskauer Anordnung als „Roter Volksentscheid“ zu eigen machen.<ref>Zum Kursentscheid der KPD siehe Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933. Dietz, Berlin 1987, ISBN 3-8012-0095-7, S. 385–391</ref>

Stalins Absicht, die alten Bolschewisten physisch auszurotten, offenbarte sich Münzenberg nach Berichten über den „Großen Terror“ und den ersten Schauprozess. Seine anschließend trotzdem unternommene letzte, gefahrvolle Reise nach Moskau hing zusammen mit der Verantwortung, die er als bewährter Organisator nach dem Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges übernommen hatte.

Der „Münzenberg-Konzern“

Er war „Propaganda-Chef der Kommunistischen Internationale für die westliche Welt“ und baute für die Partei das nach dem deutschnationalen Hugenberg-Konzern zweitgrößte Medienunternehmen der Weimarer Republik auf, zu dem die auflagenstarken Zeitungen Welt am Abend, Berlin am Morgen und vor allem die Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) gehörten. Auch der Eulenspiegel hatte hier seine Wurzeln. Als Produktionschef hat er auch das Programm der beiden proletarischen Filmgesellschaften Prometheus Film und Filmkartell Weltfilm GmbH geprägt. Keineswegs „proletarisch“ war der Lebensstil, den er entwickelte. 1927 bezogen er und Gross eine komfortable Wohnung in dem Magnus Hirschfeld gehörenden Haus In den Zelten 9a.<ref>Jonathan Miles: The Nine Lives of Otto Katz. The Remarkable Story of a Communist Super-Spy, Bantam Books, London u. a. 2010, ISBN 978-0-553-82018-8, S. 81.</ref> Anders als die meisten kommunistischen Funktionäre ließ er ein Auto für sein Büro kaufen, zuletzt eine riesige Lincoln-Limousine.<ref>Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1967, S. 160. Nach Münzenbergs Flucht 1933 wurde der Wagen in Antwerpen auf ein sowjetisches Schiff verladen und der Moskauer IAH-Vertretung übersandt. (ebd.: S. 279).</ref> Derlei brachte ihm die Bezeichnung „roter Millionär“ ein, ohne dass er wirklich jemals Millionär gewesen war.

Nachdem Hitler von Hindenburg als Reichskanzler eingesetzt worden war, organisierte Münzenberg gemeinsam mit Sozialdemokraten am 19. Februar 1933 im Festsaal der Berliner Kroll-Oper den Kongress Das Freie Wort, an dem neben vielen anderen Geistesgrößen auch Ferdinand Tönnies teilnahm. Erich Everth hielt ein flammendes Plädoyer für die Erhaltung der Pressefreiheit. Unter den verlesenen Begrüßungsadressen waren auch Erklärungen von Albert Einstein und Thomas Mann.<ref>Siegfried Grundmann: Einsteins Akte. Wissenschaft und Politik – Einsteins Berliner Zeit, Springer-Verlag, 2. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 425.</ref> Münzenberg selbst musste nach dem Reichstagsbrand als einer der meistgesuchten Kommunisten sofort nach Paris emigrieren. Im August 1933 wurde ihm mit dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt, und sein Name erschien auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs. Alle von der IAH herausgegebenen Zeitungen, Zeitschriften sowie deren Verlage und eine Buchgemeinschaft (Universum Bücherei) wurden bereits 1933 verboten. Die AIZ und Unsere Zeit erschienen im Ausland weiter.<ref group="Anm.">Die erste Ausgabe der AIZ nach Hitlers Machtergreifung war im April 1933 über den Zeitschriftenvertrieb Joseph Wildner, Reichenberg (CSR) Hafnergasse 7, zu beziehen. Sie enthielt z.B. eine Reportage von Egon Erwin Kisch „In den Kasematten von Spandau“. Die Zeitschrift Unsere Zeit erschien ab dem 1. April 1933 mit Nr. 7/1933 (im VI. Jahrgang) zuerst in Basel und danach in Paris (z. B. Nr. 15/1933). Als weitere Zeitschrift erschien in Prag Der Gegen-Angriff ab 15. September 1933 (Ankündigung im Heft 12 Unsere Zeit).</ref>

Aktivitäten im Exil

Dringlich war nun ein Erfolg im Reichstagsbrandprozess, der sogenannten „Schlacht um Dimitroff“,<ref>Bruno Frei: Der Papiersäbel. Autobiographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1972, S. 183.</ref> wobei der vertrauteste Mitarbeiter, Otto Katz, die Arbeiten und Recherchen koordinierte.

Das in diesem Zusammenhang erschienene erste Braunbuch 1933 wurde bereits am 1. August 1933 auf einer international beachteteten Pressekonferenz vorgestellt. Der Reichstagsbrandprozess begann dagegen erst am 21. September 1933. Das Buch erschien unter dem Titel Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror in Paris mit einem Vorwort des englischen Labourpolitikers Lord Marley und zuerst unter dem Titel Livre Brun sur l’incendie du Reichstag et le terreur hitlerìenne bei Éditions du Carrefour in Paris. Herausgeber war Alexander Abusch gemeinsam mit Albert Norden. Der Verlag war eine Gründung des deutschen Komintern-Mitglieds Münzenberg.<ref>Willi Münzenberg. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG) </ref> Unter diesem Verlag erschien z. B. 1934 auch Eintritt verboten von Egon Erwin Kisch.

Eintritt erlaubt war ins Büro der Braunbuch-Autoren uneingeschränkt für Mitarbeitsbegierige; Münzenberg „kannte keine Spionenfurcht wie die Funktionäre, die jeden Ankömmling erst durch Untergebene verhören ließen“.<ref>Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main/Basel 2007, S. 263.</ref>

Nach der nationalsozialistischen Säuberungswelle (Massaker) Mitte 1934 wegen des angeblichen Röhm-Putschs ließ Münzenberg ein wenige Seiten umfassendes Blaubuch drucken, das eine Denkschrift oppositioneller Kreise an Reichspräsidenten von Hindenburg enthielt, in der ihm vorgeschlagen wurde, die Regierung Hitler durch ein präsidiales Direktorium zu ersetzen. Das Blaubuch enthielt auch den Abdruck eines Weißbuchs über die Erschießungen des 30. Juni. Zur Tarnung erschien es unter dem Titel Englische Grammatik mit der Verlagsangabe „Leipzig“.<ref>Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte. Frankfurt am Main, Suhrkamp 2008, ISBN 978-3-518-41960-1, S. 169.</ref>

Auf Grund einer Initiative zahlreicher Intellektueller (neben Münzenberg u. a. Clara Zetkin, Henri Barbusse, John Dos Passos) wurde ein Deutsches Hilfskomitee beim Zentralkomitee der IAH gegründet. Aufgabe war die Organisation und Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen für die Opfer des Faschismus und die Unterstützung des revolutionären Kampfes der deutschen Arbeiterklasse,<ref group="Anm.">Der Kontakt lief über die Anschrift Amsterdam, Elandstraat 33. (Quelle: Unsere Zeit 7/1933).</ref> Wohltätigkeit als Grundlage von politischer Aktion. Diese von ihm seit der IAH-Gründung beibehaltene Technik ließ das „Hilfskomitee“ bald in Unternehmen hineinwachsen, „die wenig oder nichts mit dem ursprünglichen philanthropischen Zweck zu tun hatten.“<ref>Arthur Koestler: Die Geheimschrift. Bericht eines Lebens. 1932 bis 1940. Wien u. a. 1955, S. 214.</ref> Ein in diesem Zusammenhang von ihm vervollkommnetes Propagandainstrument war die sogenannte „Unterschriften-Stampiglie“,<ref>Manès Sperber: Die vergebliche Warnung. All das Vergangene… 2. Auflage, dtv, München 1979, 1980, S. 190.</ref> Intellektuelle sollten mit ihrer Unterschrift ihren Standpunkt vorn neben den radikalen Kämpfern klarmachen. Galt es einen von ihnen unbedingt zu gewinnen, bestand der angewandte Kunstgriff fast regelmäßig darin,

„ihn davon zu überzeugen, dass man gerade ihn in dem großen und so schweren Kampfe brauchte: ihn als Gewährsmann für die gute Sache; für die Aktion, die gerade notwendig war, um Menschenleben zu retten, um der Verblendung entgegenzuwirken im Angesicht der wachsenden Gefahr für Frieden und Freiheit, schließlich um die Gleichgültigen aufzurütteln. Käme der Aufruf gerade von ihm, dem allgemein geschätzten, bewunderten Mann, so würde das die Zögernden erwecken.“<ref>Manès Sperber: Bis man mir Scherben auf die Augen legt. All das Vergangene… Europaverlag, Wien 1977, S. 133.</ref>

Münzenberg ordnete anschließend die Wichtigkeit ein: Für die Reise eines General Paul Emile Pouderoux in die USA gab es problemlos dreitausend Dollar, doch auf eine Bitte um Unterstützung für eine Veranstaltung zum Jahrestag der Bücherverbrennung erwiderte er: „300 Frcs., das kommt gar nicht in Frage.“ Der enttäuschte Mitarbeiter hielt trotzdem fest:

„Er ist ein großer Anreger. Kein Durchführer. Er ist auf seine Weise noch der beste Mann in der Leitung, den ich bisher kennenlernte – halt, nein: mit Ausnahme von Kurt , Verlag Detlef Aufermann, Glashütten im Taunus 1972.
  • Propaganda als Waffe. Ausgewählte Schriften 1919-1940. Hrsg. v. Til Schulz, März Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1972.
  • Literatur

    Literaturübersichten und Bibliographien
    • Bernhard H. Bayerlein, Kasper Braskén, Uwe Sonnenberg, Gleb J. Albert: Research on Willi Münzenberg (1889-1940). Life, Activities, and Solidarity Networks. A Bibliography. In: International Newsletter of Communist Studies Online, Jg. 18 (2012), Nr. 25, S. 104-122 (PDF; 2,7 MB).


    Biographien und biographische Aufsätze


    Literaturgeschichte, Medienwissenschaft und Mediengeschichte
    • Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse. Ullstein Verlag, Berlin 1959.
    • Martin Mauthner: German Writers in French Exile, 1933–1940. Vallentine Mitchell Publishers, London 2007, ISBN 978-0-85303-540-4.
    • Marcus G. Patka: Zu nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko, Aufbau Taschenbuchverlag GmbH, Berlin 1999.
    • Gerhard Paul: Lernprozeß mit tödlichem Ausgang. Willi Münzenbergs Abkehr vom Stalinismus. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 8, 1990, S. 9–28.
    • Rolf Surmann: Die Münzenberg-Legende. Zur Publizistik der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung 1921−1933. Prometh Verlag, Köln 1982, ISBN 3-922009-53-0.
    • Heinz Willmann: Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung 1921–1938. Dietz, Berlin 1974.
    • Tilman Schulz (Hrsg.): Willi Münzenberg: Propaganda als Waffe. Ausgewählte Schriften 1919–1940. März Verlag, Frankfurt am Main 1972.

    Filme über Willi Münzenberg

    • Willi Münzenberg oder Die Kunst der Propaganda, Dokumentation, 62 Minuten, Deutschland 1995, Regie: Alexander Bohr, Produktion ZDF/ARTE; Ausstrahlung am 26. September 1995 in ARTE
    • Münzenberg - Der letzte Gang, Dokumentarfilm, 45 Minuten, Deutschland 1992, Regie: Hans-Dieter Rutsch, im Auftrag des WDR
    • Propaganda als Waffe, Dokumentation, 45 Minuten, Deutschland 1982, Regie: Thomas Ammann, Jörg Gremmler, Matthias Lehnhardt, Gerd Roscher, Ulrike Schaz, Walter Uka, Produktion: WDR 1982, Redaktion: Ludwig Metzger
    • Flucht - Der Fall Münzenberg, Drama, 90 Minuten, Deutschland 1971, TV-Produktion, Regie: Dieter Lemmel, Darsteller: Kurt Jaggberg, Günter Mack, Willi Semmelrogge

    Ausstellung zu Willi Münzenberg

    Podcast

    Länge 24:39 Minuten

    Weblinks

    Commons Commons: Willi Münzenberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

    Einzelnachweise

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    Anmerkungen

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