Zweidrittelmehrheit
Unter einer Zweidrittelmehrheit versteht man eine qualifizierte Mehrheit mit einem Quorum von zwei Dritteln. Je nach Grundmenge der Berechnung spricht man auch von einer einfachen Zweidrittelmehrheit, wenn die abgegebenen Stimmen zu Grunde gelegt werden, oder von einer absoluten Zweidrittelmehrheit, wenn die Gesamtheit der Stimmen betrachtet wird.
In vielen, insbesondere den demokratischen Staaten spielt dieses Quorum eine besondere Rolle, wenn es darum geht, eine Verfassungsänderung zu beschließen. Dadurch soll ein Minderheitenschutz gewährleistet werden, da so mit mehr als einem Drittel der Stimmen eine Verfassungsänderung verhindert werden kann. Im Gegensatz dazu werden einfache Gesetze in der Regel mit Mehrheiten beschlossen, die mit geringerer Zustimmungsquote zu erreichen sind.
Inhaltsverzeichnis
Deutschland
Bundesebene
Einfache Zweidrittelmehrheit
Auf deutscher Bundesebene verlangt das Grundgesetz (GG) eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Mehrheit der Mitglieder, in folgenden Artikeln:
- Art. 115a Abs. 1 GG, wenn der Bundestag den Verteidigungsfall feststellen will,
- Art. 115a Abs. 2 GG, wenn der Gemeinsame Ausschuss den Verteidigungsfall feststellen will,
- Art. 115e Abs. 1 GG, wenn der Gemeinsame Ausschuss im Verteidigungsfalle die Verhinderung des Bundestages feststellen will – worauf der erstere an die Stelle des letzteren und des Bundesrates tritt.
Absolute Zweidrittelmehrheit
Das Grundgesetz verlangt eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder in folgenden Artikeln:
- Art. 79 Abs. 2 GG, wenn Bundestag und Bundesrat ein Bundesgesetz zur Änderung des Grundgesetzes beschließen wollen,
- Art. 115h Abs. 2 GG, wenn bei Verhinderung des Bundestages im Verteidigungsfalle der Gemeinsame Ausschuss den Bundeskanzler absetzen will.
Landesebene
Auf Landesebene müssen regelmäßig zwei Drittel der Abgeordneten<ref>Christian Pestalozza, in: Verfassungen der deutschen Bundesländer, 7. Aufl., Verlag C. H. Beck, München 2001, Einführung, Rdnr. 42</ref> zustimmen, um eine Änderung der jeweiligen Landesverfassung zu beschließen.
Bayern
Bei der Landtagswahl in Bayern 2003 erzielte die CSU mit 60,7 % der Stimmen „lediglich“ drei Fünftel der abgegebenen Stimmen. Die im Landtag vertretenen Oppositionsparteien erreichten jedoch zusammengerechnet nur 27,1 % der Stimmen (SPD: 19,6 % und Bündnis 90/Die Grünen: 7,5 %). Da diese 27,1 % weniger als die Hälfte der CSU-Stimmen darstellten, führte dieses Ergebnis aus wahlarithmetischen Gründen für die CSU zu einer Zweidrittelmehrheit der Mandate.
Hamburg
Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 1946 erzielte die SPD mit 43,1 % der Stimmen nach dem damals geltenden Wahlrecht 83 der 110 Mandate und damit sogar eine Dreiviertelmehrheit im Landesparlament.
Österreich
Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) verlangt einfache Zweidrittelmehrheiten bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten des Nationalrats bei Sachverhalten, die
- die Länder betreffen (Art. 3 Abs. 4 B-VG, Art. 14 Abs. 10 B-VG, Art. 14a Abs. 8 B-VG).
- die Europäische Union betreffen (Art. 23i Abs. 1 B-VG, Art. 23f Abs. 1 B-VG, Art. 50 Abs. 4 B-VG). Gleiches gilt teilweise für den Bundesrat.
- den Nationalrat selbst in Bezug auf seine Geschäftsordnung betreffen (Art. 30 Abs. 2 B-V). Gleiches gilt für den Bundesrat (Art. 37 Abs. 2 B-VG).
- die Verfassung oder ihren Gehalt betreffen (Art. 44 Abs. 1 und 2 B-VG). Soweit sie die Länder betreffen bedarf es auch der entsprechenden Zustimmung des Bundesrates (Art. 44 Abs. 2).
Weiters ist die Zweidrittelmehrheit und das Anwesenheitsquorum erforderlich, wenn der Nationalrat die Bundesversammlung einberufen möchte (Art. 60 Abs. 6 B-VG, Art. 68 Abs. 3 B-VG).
Darüber hinaus schreibt das Bundesverfassungsgesetz vor, das die Landesverfassungsgesetze nur mit Zweidrittelmehrheit von den Landtagen geändert werden dürfen (Art. 99 Abs. 2 B-VG). Möchte der Bundeskanzler einen Landtag auflösen lassen, so darf dies der Bundespräsident nur mit entsprechender Zustimmung des Bundesrates, wobei die Mitglieder aus betreffendem Land nicht stimmberechtigt sind (Art. 100 Abs. 1 B-VG).
Zudem beschließt der Hauptausschuss des Nationalrates Verordnungen über Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung einer ungestörten Produktion oder der Versorgung der Bevölkerung und sonstiger Bedarfsträger mit wichtigen Wirtschafts- und Bedarfsgütern nach dem oben genannten Kriterium (Art. 55 Abs. 5 B-VG).
Schweiz
In der Schweiz spielen Zweidrittelmehrheiten eine untergeordnete Rolle: Die Bundesverfassung sieht nirgends eine Zweidrittelmehrheit vor, da alle wesentlichen Beschlüsse durch obligatorische oder fakultative Volksabstimmungen sanktioniert werden. Bei Abstimmungen zu Verfassungsfragen ist zusätzlich zum Volksmehr auch das Ständemehr erforderlich. Zweidrittelmehrheiten sind teilweise in der Bundesgesetzgebung vorgeschrieben innerhalb parlamentarischer Untersuchungskommissionen und der Kollegialgerichte, aber auch im privatrechtlichen Bereich, etwa für Statutenänderungen von Körperschaften (namentlich in Aktiengesellschaften) u. dgl. Auf Ebene der Kantone kommen vereinzelt Zweidrittelmehrheiten vor. Nach einer unlängst beschlossenen Regelung im Kanton Aargau werden Gesetze nicht mehr obligatorisch der Volksabstimmung unterstellt, wenn sie mit Zweidrittelmehrheit im Parlament verabschiedet wurden – dies, um Leerlauf bei unbestrittenen Vorlagen zu vermeiden, da herkömmlich alle Gesetze der Volksabstimmung unterbreitet werden mussten.
USA
Nach der US-amerikanischen Bundesverfassung gelten Zweidrittelmehrheiten in folgenden Fällen:
art. I, sect. 3, par. 6: Senat: Verurteilung im Impeachment-(Amtsenthebungs-)Verfahren: zwei Drittel aller Senatoren (Selten; letzter bedeutender Anwendungsfall: Beurteilung des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton. Die erforderliche Mehrheit wurde jedoch nicht erreicht. Der Senat wirkt in solchen Fällen als Geschworenengericht.)
art. I, sect. 7, parr. 2 + 3: Repräsentantenhaus und Senat: Überstimmen eines Vetos des Präsidenten: zwei Drittel aller Mitglieder in jedem der beiden Häuser (wichtigster Anwendungsfall der Zweidrittelmehrheit in den USA).
art. V: Repräsentantenhaus, Senat, ggf. Parlamente der Bundesstaaten: Zweidrittelmehrheit zum Vorschlagen von Verfassungszusätzen (amendments) (Verhältnismäßig selten: Seit 1787 wurden mehr als 3000 Änderungsvorschläge behandelt, davon nur einige Dutzend angenommen, ratifiziert und in Kraft getreten sind bis heute nur 27.)
amendment 14, sect. 3: Repräsentantenhaus, Senat: Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern zum Widerruf von Unwählbarkeit wegen Aufstandes gegen die USA (Von historischem Interesse: Eingeführt, um ehemalige Amtsträger aus den Konföderierten Staaten von Amerika wieder eingliedern zu können; da es seither zu keinem Aufstand gegen die USA mehr kam, ist diese Regelung heute bedeutungslos.)
amendment 25, sect. 4: Repräsentantenhaus, Senat: Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern zur Erklärung der Amtsunfähigkeit des Präsidenten (Bisher noch nie angewandt.)
Heiliger Stuhl
Die Zweidrittelmehrheit spielt auch eine Rolle in der römisch-katholischen Kirche: Der Papst wird vom Konklave stets mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Eine Änderung Papst Johannes Paul II. wurde von dessen Nachfolger Benedikt XVI. wieder rückgängig gemacht.<ref>Papstwahl </ref>
Malaysia
In Malaysia regiert seit 1957 das von der United Malays National Organisation (kurz UMNO, auf Malaiisch Pertubuhan Kebangsaan Melayu Bersatu) angeführte Parteienbündnis Barisan Nasional („Nationale Front“) mit einer Zweidrittelmehrheit.
Japan
In Japan kann das Unterhaus Gesetze, die das Oberhaus abgewiesen hat, mit einer Zweidrittelmehrheit durchsetzen. Umgekehrt ist dies für das Oberhaus nicht möglich. In der Nachkriegsgeschichte Japans wurde diese Regelung vor 2008 nur einmal angewendet, nämlich 1951 zur Verabschiedung eines Gesetzes über Wetten bei Motorbootrennen. Mit den unterschiedlichen Mehrheiten in beiden Häusern (Nejire Kokkai) wurden 2008 bereits mehrere Gesetze mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet.
Einzelnachweise
<references />