Attila


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25px Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Attila (Begriffsklärung) aufgeführt.
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Ungefähre Ausdehnung des Hunnenreichs unter Attila bzw. die von den Hunnen abhängigen Stämme.

Attila († 453) war von 434 (als Mitherrscher zusammen mit seinem Bruder Bleda) bzw. 444/45 (als Alleinherrscher) bis zu seinem Tod „König“ (rex) des Kriegerverbandes der Hunnen. Zentrum seines Machtbereichs war das Gebiet des heutigen Ungarns, wo die Hunnen im 5. Jahrhundert ein kurzlebiges Reich errichteten, das unter Attila die größte Machtentfaltung erlebte, aber bereits kurz nach seinem Tod wieder zusammenbrach.

Attila unternahm wiederholt Kriegszüge, die oft mit großer Härte durchgeführt wurden und sich zunächst gegen Ostrom, 451/52 jedoch vor allem gegen Westrom richteten. Daneben unterhielt er zu beiden Reichsteilen diplomatische Kontakte, die vor allem darauf abzielten, möglichst hohe Tributzahlungen der Römer durchzusetzen, die Attila benötigte, um sein nur locker aufgebautes Vielvölkerreich zusammenzuhalten. Die Römer wiederum waren an möglichst stabilen Verhältnissen im angrenzenden Barbaricum interessiert, um die Grenzen zu sichern. Für die römisch-hunnischen Kontakte dieser Zeit steht mit dem fragmentarisch erhaltenen Geschichtswerk des Priskos eine wichtige Quelle zur Verfügung.

Als legendäre Figur König Etzel lebte Attila in zahlreichen mittelalterlichen Werken weiter, so im Nibelungenlied und der Dietrichepik.

Grundlagen hunnischer Herrschaftsbildung

Die Hunnen, ein aus Zentralasien stammendes Reitervolk unklarer Herkunft,<ref>Einführend siehe (mit Hinweisen zur neueren Forschung) Attila und die Hunnen. Begleitbuch zur Ausstellung. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007; Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Darmstadt 2009; Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007. Die oft angenommene Verbindung der Hunnen mit den in chinesischen Quellen erwähnten Xiongnu ist heute sehr umstritten und wird meistens bezweifelt (zusammenfassend siehe Walter Pohl: Hunnen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. 2. Auflage. Band 15, Berlin/New York 2000, S. 246–261, hier S. 248; Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Darmstadt 2009, S. 50–53; Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 21–24; vgl. auch Nicola di Cosmo: Ancient China and its Enemies. Cambridge 2002, S. 163ff.), wird aber teilweise immer noch vertreten (in abgeschwächter Form etwa Étienne de La Vaissière: The Steppe World and the Rise of the Huns. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, S. 175–192).</ref> lösten um 375 die sogenannte Völkerwanderung aus, als sie die Goten und andere Stämme aus ihren Stammsitzen in Osteuropa vertrieben, was eine wellenartige Fluchtbewegung zur Folge hatte.<ref>Vgl. einführend Walter Pohl: Die Völkerwanderung. 2. Auflage. Stuttgart 2005.</ref> Um 400 traten die Hunnen in das nähere Umfeld des Römischen Reichs, in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts errichteten sie in der ungarischen Tiefebene einen eigenen Herrschaftsraum.<ref>Vgl. zur hunnischen Herrschaftsbildung zusammenfassend Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 51ff.; Christopher Kelly: Neither Conquest Nor Settlement: Attila’s Empire and Its Impact. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, S. 193ff.</ref>

Die hunnische Herrschaft war überaus locker aufgebaut. Sie beruhte im Wesentlichen auf den militärischen Fähigkeiten der Hunnen, die nicht nur germanische Stammesgruppen und Romanen unterworfen hatten, sondern auch im Kontakt mit dem Römischen Reich in West und Ost standen. In den Quellen werden hunnische reges (was hier nur eingeschränkt als „Könige“ zu verstehen ist) und phylarchoi (Stammesführer) erwähnt. Immer wieder kam es zu (allerdings begrenzten) kriegerischen Übergriffen der Hunnen auf römisches Territorium, die oft darauf abzielten, von den Römern Gelder zu erpressen.<ref>Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 57ff.</ref> In den Quellen sind mehrmals römische Gesandtschaften zu den Hunnen belegt, wie die des Olympiodoros von Theben im Jahr 412 zu den Hunnen im Donaugebiet und die Reise des Priskos an den Hof Attilas im Jahr 449. In diesem Zusammenhang kam es offenbar nicht selten zu Spannungen; so berichtet Olympiodoros nicht nur von der Reise, sondern auch vom Mord an dem Hunnenführer Donatus und der Wut des Hunnenkönigs Charaton über diese Tat.<ref>Olympiodoros, Fragment 18 (nach der Ausgabe Fragmenta Historicorum Graecorum, Paris 1851).</ref> Die „klassizistisch“ orientierten griechischsprachigen oströmischen Geschichtsschreiber bezeichneten im Rückgriff auf traditionelle ethnographische Vorstellungen die Hunnen als „Skythen(Skythai). In der Folgezeit wurde der Begriff Hunne von griechischen (byzantinischen) Geschichtsschreibern wiederum für später auftauchende Gruppen aus dem pontischen Steppengebiet nördlich des Schwarzen Meeres benutzt,<ref>Vgl. Walter Pohl: Die Awaren. 2. Auflage. München 2002, S. 21ff.</ref> wie beispielsweise die Kutriguren. Ebenso ist zwischen den westlichen Hunnen (im Balkanraum) und den sogenannten iranischen Hunnen in Zentralasien zu unterscheiden.

Die Hunnen waren nicht nur Gegner, sondern agierten auch als Partner Roms. Die Kaiserhöfe in Mailand bzw. später Ravenna (im Westen) und in Konstantinopel (im Ostreich) waren bestrebt, möglichst gute Beziehungen zu den Hunnen zu unterhalten, um so hunnische Vorstöße in das Reich zu verhindern. Attilas Vorgänger Rua hat mehrmals als Gegner und Partner Roms agiert und dafür offenbar auch Zahlungen erhalten. Auf diese waren die Hunnen durchaus angewiesen, um durch materielle Zuwendungen an die eigenen Gefolgsleute den Herrschaftsverband zusammenzuhalten, während die Römer an möglichst stabilen Verhältnissen im außerrömischen Barbaricum interessiert waren. Anscheinend konnte Rua ein relativ verlässlicher Partner sein; so unterstützte er 433 Flavius Aëtius, der einen Teil seiner Jugend als Geisel bei den Hunnen verbracht hatte.<ref>Siehe zu seiner Person Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich (= Vestigia. Bd. 54). München 2002.</ref> Mit Hilfe von Ruas Hunnen setzte sich Aëtius im Westreich im dortigen internen Machtkampf durch, 436 vernichtete er mit Unterstützung hunnischer Krieger das Burgundenreich am Rhein. Der letztere Vorgang bildet wahrscheinlich den historischen Kern der Nibelungensage; bei den damals am Rhein kämpfenden Hunnen handelte es sich jedoch wohl um eigens von den Römern angeworbene Söldner (foederati).<ref>Vgl. Alexander Demandt: Die Spätantike. 2. Auflage. Beck, München 2007, S. 187f.</ref>

Leben

Geteilte Herrschaft

Über Attilas frühe Jahre ist kaum etwas bekannt. Er wurde wohl um 400 geboren; sein Vater hieß Mundzuk, der Name seiner Mutter ist unbekannt. Mundzuk war zusammen mit seinen Brüdern Oktar und Rua (auch Ruga genannt) wohl ein Führer der Hunnen im Balkanraum, doch ist seine genaue Herrschaftsposition unbekannt. In der Forschung wird auch manchmal vermutet, dass Mundzuk keinen Anteil am hunnischen Königtum hatte.<ref>Vgl. Herwig Wolfram: Die Goten. 4. Aufl. München 2001, S. 259.</ref>

Rua starb 434 unter ungeklärten Umständen. Attila vollendete zusammen mit seinem Bruder Bleda die von ihrem Onkel begonnene weitgehende Einigung der Hunnen im Balkanraum, wenngleich Attila nie über alle Hunnen herrschte. Zu dem großen Kriegerverband, der ihm und Bleda unterstand, zählten neben Sondergruppen wie den Akatziren, die um 448/49 unterworfen wurden, höchst verschiedene germanische und sogar kleinere iranische Gruppen.

Nach Ruas Tod schlossen die Brüder mit dem Oströmischen Reich den Vertrag von Margus, wohl noch im Jahr 434 (die Datierung ist umstritten). Der Vertrag begünstigte eindeutig die Hunnen. Die Römer wurden zur Auslieferung von geflohenen Hunnen verpflichtet und mussten den Hunnen Zugang zu Märkten gestatten. Hinzu kamen eine einseitige Neutralitätsverpflichtung der Römer, die keinen gegen die Hunnen gerichteten Vertrag mit einer anderen Partei schließen durften, sowie Tribute des oströmischen Kaisers Theodosius II. Statt der 350 Goldpfund, die Rua erhalten hatte, sollten die Römer nun jährlich 700 Goldpfund entrichten.<ref>Priskos, Fragment 1.1 (Edition Pia Carolla). Zum Vertrag vgl. auch Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 87–89 (der den Vertrag allerdings in das Jahr 439 datiert) und Raimund Schulz: Die Entwicklung des römischen Völkerrechts im vierten und fünften Jahrhundert n. Chr. Stuttgart 1993, S. 110ff.</ref>

Die Spannungen zwischen Ostrom und den Hunnen blieben bestehen, während der Prestigegewinn Attilas und Bledas recht hoch war. Immer wieder nutzten die Römer Gelegenheiten, sich vom hunnischen Druck zu entlasten; die Zahlungen sollten immer nur Zeit erkaufen. Andererseits war Attila an einer großangelegten direkten Konfrontation nicht interessiert, zumal die Erfolgsbilanz hunnischer Truppen im 5. Jahrhundert nicht außergewöhnlich war.<ref>Vgl. Christopher Kelly: Neither Conquest Nor Settlement: Attila’s Empire and Its Impact. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, hier S. 205f.</ref> Ostrom verschleppte weitere Verhandlungen, daher führten Attila und Bleda 441/42<ref>Zur problematischen Datierung vgl. Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 80ff.</ref> eine größere Offensive gegen das Ostreich; den Anlass bot die Plünderung hunnischer Königsgräber durch den Bischof der Stadt Margus.<ref>Priskos, Fragment 2 (Edition Pia Carolla). Priskos geht dort nicht weiter darauf ein, um welche Gräber es sich konkret gehandelt hat.</ref> Mehrere Festungen und Städte wurden erobert und geplündert, darunter strategisch wichtige Orte wie Viminacium, Singidunum und Sirmium, die 441/42 fielen.<ref>Alexander Demandt: Die Spätantike. 2. Auflage. München 2007, S. 202.</ref> Die Berater des Theodosius reagierten und es kam zu einer vorläufigen Einigung, doch schon kurz darauf stellten die Römer, die ihre Grenzbefestigungen wiederhergestellt hatten, die Zahlungen wieder ein.<ref>Vgl. mit Belegen zum Krieg von 441/42 Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 115f.</ref>

Dennoch verzichtete Attila, der mit einer internen Auseinandersetzung beschäftigt war, auf eine neue Offensive. Er tötete 444/45 seinen Bruder Bleda<ref>Zur Problematik der Datierung Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 77.</ref> und trat die Alleinherrschaft über die Hunnen an.

Hof und Reich

Attila errichtete sein Hauptlager in der heutigen ungarischen Tiefebene an der Theiß, am Drehpunkt zwischen dem Oströmischen und dem Weströmischen Reich. Er festigte seine Herrschaft über die unterworfenen Stammesgruppen und konnte so gegenüber West- und Ostrom gestärkt auftreten. Er residierte in einem prächtigen Holzpalast, den der Gesandte und Geschichtsschreiber Priskos nach Augenschein beschrieb:

„Wir überquerten mehrere Flüsse und gelangten in ein sehr ausgedehntes Dorf. Dort stand ein stattliches Haus, das größer und schöner sein sollte als alle anderen Wohnsitze Attilas. Es war aus Balken gefügt, hatte getäfelte Wände und war rings von einem Palisadenzaun umgeben, nicht zum Schutz, sondern zur Zierde.“<ref>Priskos, Fragment 8 (Edition Pia Carolla). Übersetzung nach Ernst Doblhofer: Byzantinische Diplomaten und östliche Barbaren. Aus den Excerpta de legationibus des Konstantinos Porphyrogennetos ausgewählte Abschnitte des Priskos und Menander Protektor. Graz 1955, S. 40f.</ref>

Hinsichtlich der inneren Verhältnisse im Reich und am Hof Attilas stehen nur sehr wenige Quellen zur Verfügung, in erster Linie die Darstellung des Priskos.<ref>Priskos, Fragment 8 (Edition Pia Carolla).</ref> Seinen Schilderungen ist zu entnehmen, dass mehrere Würdenträger Attilas im Umfeld des Hofes durchaus komfortabel lebten. Der vornehme Hunne Onegesios, der eine hohe Stellung am Hof bekleidete und ein enger Vertrauter Attilas war, hatte sich ein steinernes Badehaus erbauen lassen, welches auch die Familie Attilas benutzte. Wie aus dem Bericht des Priskos hervorgeht, wurde am Hof neben Hunnisch auch Gotisch und Latein gesprochen. Attila lehnte sich offenbar recht stark an die spätantike Mittelmeerwelt an, wobei er – wie auch die Germanen in ihren Reichen – die römische Herrschaftspraxis als Vorbild für die Regierung seines weite Räume umfassenden Vielvölkerreiches nahm. Der Hunnenkönig scheint sogar über einen rudimentären Verwaltungsapparat nach römischen Vorbild verfügt zu haben; zumindest hatte er eine Kanzlei, denn er beschäftigte unter anderem den Römer Orestes als Sekretär (notarius).

Allerdings war Attilas Reich sehr locker aufgebaut und verwaltungstechnisch keineswegs durchstrukturiert wie das römische West- und Ostreich. Es war als Personenverband organisiert. Am Hof übten ausgewählte Vertrauensleute (Hunnen, Germanen und auch einige Römer) wichtige Funktionen aus und stritten um Einfluss. Eine solche Herrschaftsordnung war keineswegs besonders stabil. Die Großen oder Stammesführer mussten durch reiche Geschenke und andere Gunstbeweise an den Herrscher gebunden werden. Davon profitierten in erster Linie die Großen; mittelbar partizipierten daran aber auch die jeweiligen Stämme, deren Loyalität sich Attila so sicherte. Für sie stellte die hunnische Herrschaft durchaus eine Alternative zur römischen dar. Grabfunde deuten auf die „Multikulturalität“ des Attilareichs hin. Die meisten Grabfunde sind eher Germanen zuzuordnen und belegen die materiellen Vorteile für fremdstämmige Angehörige des Hunnenreichs.<ref>Zusammenfassend etwa Peter J. Heather: Empires and Barbarians. The Fall of Rome and the Birth of Europe. Oxford u.a. 2009, S. 228–230. Vgl. auch Jaroslav Tejral: Das Attilareich und die germanischen gentes im Mitteldonauraum. In: Attila und die Hunnen. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007, S. 106–115, hier S. 110–113.</ref> Priskos berichtet zudem von einzelnen Römern, die sich gut mit der hunnischen Herrschaft arrangiert hatten.

Attilas Herrschaft beruhte in erster Linie nicht auf einer ererbten Stellung, sondern (durchaus typisch für die „Königswürde“ in der Völkerwanderungszeit, siehe Heerkönig) auf seinen militärischen und diplomatischen Fähigkeiten, die nicht nur ihm, sondern auch seinem Gefolge entsprechende Gewinne einbrachten. Der Hunnenherrscher war daher auf einen ständigen Zufluss ausreichender finanzieller Mittel angewiesen, den er sich durch Plünderungen und vor allem in Form von römischen Tributzahlungen verschaffte. Wenn dieser Geldfluss abbrach, wurde die Lage für ihn kritisch. Daher stand er stets unter starkem Druck, materiell verwertbare Erfolge zu erzielen, mit denen er Prestige gewann. Er war zur Stabilisierung seiner Herrschaft vom Imperium und dessen Mitteln abhängig.<ref>Vgl. auch Rene Pfeilschifter: Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher. München 2014, S. 161f.</ref>

Im persönlichen Umgang scheint Attila keineswegs unangenehm gewesen zu sein. Gegenüber römischen Gesandten verhielt er sich freundlich, was ihn freilich nicht davon abhielt, vehement die eigenen Interessen zu vertreten und diese nötigenfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Priskos berichtet von mehreren Vertrauten im Umfeld Attilas.<ref>Vgl. Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Darmstadt 2009, S. 127f.</ref> Der notarius Orestes spielte am Hunnenhof eine wichtige Rolle und war mehrmals mit diplomatischen Missionen beauftragt. Er sollte später (475) seinen Sohn Romulus Augustulus zum letzten weströmischen Kaiser ausrufen. Der wichtigste Vertraute Attilas war anscheinend Onegesios, der auch diplomatische Aufgaben erfüllte. Priskos nannte in Anlehnung an Herodot den führenden Stamm der Hunnen die „königlichen Skythen“.<ref>Vgl. etwa Priskos, Fragment 1.1 (Edition Pia Carolla).</ref> Daneben waren verschiedene Gruppen wie die Gepiden und Ostgoten im Attilareich von Bedeutung. Die Hunnen verließen sich bei ihren Feldzügen auf die Truppenaufgebote untergebener Germanen.<ref>Jaroslav Tejral: Das Attilareich und die germanischen gentes im Mitteldonauraum. In: Attila und die Hunnen. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007, S. 106–115.</ref> Ein weiterer Vertrauter Attilas war der Gepidenfürst Ardarich, der später vom Zusammenbruch des Attilareichs profitierte, gegen die Hunnen revoltierte und ein eigenes kurzlebiges Reich im Donauraum errichtete. Ähnlich agierte später Edekon, der nach dem Niedergang der hunnischen Macht ebenfalls eine eigene Herrschaftsbildung anstrebte. Mit Attilas Tod (453) erlosch schließlich das dünne einigende Band der zuvor von den Hunnen beherrschten Stämme. Edekon gehörte wie Ardarich und Onegesios zu den – wie Priskos sie nennt – logades Attilas, den „Auserwählten“. Es ist allerdings unklar, ob die logades Amtsträger waren. Möglicherweise handelte es sich nur um besonders hervorgehobene Vertrauenspersonen des Hunnenkönigs.<ref>Vgl. Jochen Martin: Spätantike und Völkerwanderung. 4. Auflage. München 2001, S. 169.</ref>

Verhältnis zu Westrom

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Solidus, der 437 zur Feier der Hochzeit Valentinians III. mit Licinia Eudoxia, der Tochter des oströmischen Kaisers Theodosius II., geprägt wurde

Zu Westrom unterhielt Attila zunächst gute Kontakte. Grund dafür war vor allem die Politik des weströmischen Heermeisters (magister militum) Flavius Aëtius, der die Hunnen seit Jahren gut kannte und bereits mit Rua kooperiert hatte, als dieser ihm hunnische Truppen für den Machtkampf im Westreich zur Verfügung gestellt hatte.<ref>Vgl. Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 106ff.</ref> Wenngleich Aëtius formal nur im Auftrag des weströmischen Kaisers Valentinian III. handelte, verfügte er über die wahre Macht im Westreich. Aus römischer Sicht konnten die Tributzahlungen an die Hunnen, auf die Attila wie schon Rua angewiesen war, durchaus als sinnvoll erscheinen. Die Römer profitierten davon, mit Attila über einen Ansprechpartner zu verfügen, der die Kriegergruppen jenseits der Donau kontrollieren konnte: Solange die Beziehungen zu ihm relativ gut blieben, war die Gefahr von feindlichen Raubzügen auf römisches Gebiet reduziert. Dieses Arrangement setzte voraus, dass die Römer ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllten.

Vielleicht überließen die Römer den Hunnen Teile Pannoniens. Dies wird aus einer Passage bei Priskos abgeleitet<ref>Priskos, Fragment 7 (Edition Pia Carolla).</ref> und oft in das Jahr 433 datiert. Allerdings sind die Einzelheiten unklar und teilweise wird die Abtretung in der Forschung bestritten.<ref>Überblick bei Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 64–66; Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 106ff.</ref> In den folgenden Jahren unterhielt Aëtius jedenfalls recht gute Beziehungen zu den Hunnen. Trotz wiederholter Raubzüge sah Attila in einer langfristigen, geregelten Beziehung zu Rom wohl einen wichtigen Faktor zur Stabilisierung und Versorgung seines nur lose aufgebauten Herrschaftsraums. 439 wurde ein vermutlich aus Söldnern bestehender hunnischer Verband, der auf weströmisches Gebiet vorgestoßen war, vor Toulouse von den Römern vernichtend geschlagen.<ref>Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 88f.</ref> 444/45 scheinen Spannungen zwischen Attila und dem Hof von Ravenna bestanden zu haben, die aber letztlich nicht in eine offene Konfrontation mündeten.<ref>Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 116ff.</ref> Ernsthafte von den Hunnen ausgehende Kampfhandlungen betrafen zu dieser Zeit nur oströmisches Gebiet. Von diesem Zustand profitierte Aëtius bis 451 erheblich. Allerdings blieben die Beziehungen nie ganz spannungsfrei.

449 erschien am Hof Attilas eine hochrangige weströmische Gesandtschaft, zu der Tatulus und Romulus gehörten, der Vater und der Schwiegervater von Attilas Sekretär Orestes. Sie trafen dort auf die oströmische Gesandtschaft, der Priskos angehörte. Der genaue Auftrag der weströmischen Gesandtschaft ist unklar.<ref>Hrvoje Gracanin: The western Roman embassy to the court of Attila in AD 449. In: Byzantinoslavica 61, 2003, S. 53–74 geht davon aus, dass die Gesandtschaft mit der Honoria-Affäre von 451 in Verbindung steht.</ref> Am weströmischen Kaiserhof scheint man jedenfalls besorgt gewesen zu sein, ob man den Hunnenkönig in Zukunft noch besänftigen könnte. Zu dieser Besorgnis wird die Aufnahme des letzten gallischen Bagaudenführers, des Arztes Eudoxius, am hunnischen Hof im Jahr 448<ref>Chronica Gallica zum Jahr 448.</ref> beigetragen haben, sowie der Umstand, dass Attila in Kontakt mit dem Vandalenherrscher Geiserich stand, der nun in der ehemaligen römischen Provinz Africa herrschte.<ref>Vgl. Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Darmstadt 2009, S. 122; Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 125f.</ref> 449 wurde Attila vom weströmischen Kaiser zum Heermeister ehrenhalber erhoben, anscheinend auf seinen ausdrücklichen Wunsch. Dennoch mochte eine Konfrontation nur eine Frage der Zeit sein, zumal die Verleihung des Heermeisteramts an den Hunnen rechtliche Probleme aufwarf.<ref>Vgl. Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 120f.</ref>

Verhältnis zu Ostrom

Die Römer in Ost und West scheinen die Etablierung des hunnischen Machtbereichs zunächst weitgehend hingenommen zu haben, da sie zur Hoffnung Anlass gab, dass im äußerst unruhigen Vorland des Imperiums Ruhe einkehren würde. Das Verhältnis Attilas, dessen Herrschaftsgebiet direkt an das Ostreich grenzte, zu den Oströmern blieb aber fortwährend gespannt.<ref>Einen zusammenfassenden Überblick bietet etwa Walter Pohl: Byzanz und die Hunnen . In: Attila und die Hunnen. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007, S. 184–193.</ref> Nach der Offensive von 441 unternahm Attila noch mehrere weitere Feldzüge gegen Ostrom, da Theodosius II. die Zahlung der Jahrgelder an die Hunnen (wohl 444)<ref>Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 123.</ref> eingestellt hatte.

447 schlug Attila den oströmischen Heermeister Arnegisclus, der im Gefecht fiel, und drang bis zu den Thermopylen vor. Die hunnischen Feldzüge hatten verheerende Auswirkungen auf die römischen Grenzgebiete im Balkanraum. In den erzählenden Quellen wird von mehreren Tausend Gefangenen berichtet, archäologisch sind größere Zerstörungen für diesen Zeitraum nachweisbar.<ref>Noel Lenski: Captivity among the Barbarians and its Impact on the Fate of the Roman Empire. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, S. 230–246, hier S. 232ff.</ref> Priskos berichtet, dass Naissus 449 eine verlassene Stadt war.<ref>Priskos, Fragment 8 (Edition Pia Carolla).</ref> Im Herbst 447 war der Krieg durch den sogenannten Anatoliusfrieden beendet, der nach dem römischen Unterhändler Flavius Anatolius benannt wird. Es war der größte Sieg der Hunnen über das Imperium. Theodosius II. musste sich in einem neuen Vertrag (foedus) zu erheblichen jährlichen Zahlungen an Attila verpflichten: einmalig 6.000 Goldpfund sowie anschließend jährlich 2.100 Goldpfund.<ref>Priskos, Fragment 5 (Edition Pia Carolla). Vgl. Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 107f.; Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 92f.; Walter Pohl: Byzanz und die Hunnen . In: Attila und die Hunnen. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007, hier S. 186–188; Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 73.</ref> Dieser Vertrag demonstriert erneut die wirtschaftliche Bedeutung römischer Tribute an die Hunnen. Generell scheinen wirtschaftliche Fragen eine große Rolle bei diversen oströmisch-hunnischen Gesandtschaften gespielt zu haben.<ref>Walter Pohl: Byzanz und die Hunnen . In: Attila und die Hunnen. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007, hier S. 188.</ref> Die Tributzahlungen erwiesen sich für die Römer als eine gewisse Belastung.<ref>Vgl. Noel Lenski: Captivity among the Barbarians and its Impact on the Fate of the Roman Empire. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, S. 230–246, hier S. 237f.</ref> Sie mochten zwar als günstigere Alternative zu militärischen Risiken erscheinen, waren aber mit Prestigeeinbuße verbunden. Attila hatte vorerst sein Ziel erreicht und befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht.

449 verschlechterten sich die Beziehungen, als Attila erfuhr, dass Ostrom seine Ermordung in Auftrag gegeben hatte; die Planungen waren früh gescheitert. Priskos, der an einer oströmischen Gesandtschaft zu Attila teilnahm, berichtet darüber.<ref>Priskos, Fragment 8 (Edition Pia Carolla).</ref> Wohl im Sommer 449 reiste der oströmische Hauptunterhändler Maximinus, den Priskos nicht nur auf dieser Mission begleitete, in Begleitung von Attilas Vertrauensleuten Edekon und Orestes aus Konstantinopel ab.<ref>Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 127.</ref> Das Attentat war vom kaiserlichen Eunuchen Chrysaphius, einem engen Vertrauten des Theodosius, anscheinend dilettantisch geplant und vorbereitet worden. Man hatte versucht, Personen aus dem Umfeld Attilas dafür zu gewinnen, was kläglich scheiterte.<ref>Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 123ff.</ref> Maximinus, der nicht direkt daran beteiligt war, konnte keinen tragfähigen Ausgleich erreichen. 450 stellte Theodosius’ Nachfolger Markian dann die jährlichen Zahlungen an die Hunnen erneut ein. Diesmal kam es aber zu keiner hunnischen Offensive gegen das Ostreich. Attila musste sich nach einer neuen Geldquelle umsehen, da der verwüstete Balkan nun kaum mehr Beute hergegeben hätte und Markian im Gegensatz zu seinem Vorgänger militärisch kompetent war. Die reichen römischen Orientprovinzen lagen jenseits der Reichweite von Attilas Heeresmacht.

Feldzug nach Gallien

Im Weströmischen Reich war derweil die Schwester Kaiser Valentinians III., Justa Grata Honoria, aufgrund von Machtkämpfen am Hof sowie (vorgeblich) des Bruches eines Keuschheitsgelübdes bestraft und gegen ihren Willen verheiratet worden. Nun bat Honoria Attila über einen Mittelsmann um Hilfe gegen Aëtius und ließ ihm überdies laut Jordanes, der ein Jahrhundert nach den Ereignissen lebte, auch ein Heiratsangebot zukommen.<ref>Jordanes, Getica 224. Maenchen-Helfen hielt die ganze Geschichte für völlig unglaubwürdig und bestenfalls für Hofklatsch: Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 98.</ref> Attilas Zeitgenosse Priskos berichtet ebenfalls von einem Hilferuf Honorias an Attila, nicht aber von einem Heiratsangebot; Honoria habe sich über einen Mittelsmann, den Eunuchen Hyacinthus, an Attila gewandt und ihm Geld angeboten.<ref>Priskos, Fragment 62 (Edition Pia Carolla).</ref> Die Historizität der Geschichte ist umstritten<ref>Für einen historischen Kern plädiert etwa Henning Börm: Westrom. Stuttgart 2013, S. 81ff.</ref> und sicherlich haben noch andere Erwägungen eine Rolle gespielt. Jedenfalls drohte Attila mit Krieg.<ref>Vgl. allgemein Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 177ff.</ref>

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Die wahrscheinlichen Marschrouten der Hunnen bei ihrer Invasion Galliens 451

Aëtius dachte jedoch nicht daran, dem Hunnen nachzugeben und damit seine eigene politische Position im Westreich zu schwächen. Darauf fiel Attila im Frühjahr 451 in Gallien ein. Als Vorwand diente ihm ein Streit um die Herrschaftsnachfolge bei einem fränkischen Stamm.<ref>Priskos, Fragment 16 (Edition Pia Carolla).</ref> Die genaue Route von seinem Hauptlager in den Westen ist unbekannt, doch sind die überfallenen gallischen Städte recht gut belegt. Augusta Treverorum wurde von den Hunnen bedrängt, am 7. April fiel Metz,<ref>Gregor von Tours, Historiae 2,6. Das Datum wird auch in der neueren historischen Forschung akzeptiert.</ref> bald darauf Reims. Der Zug ging weiter über Troyes in Richtung Orléans, das Attila vergeblich belagerte.<ref>Vgl. Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 136.</ref> In diesem Raum stellte sich Aëtius den Hunnen entgegen. Er konnte nur über einen Bruchteil des alten weströmischen Heeres verfügen, zumal Westrom die Einnahmen aus Africa und auch aus Hispanien fehlten, wo germanische Stammesgruppen die Herrschaft übernommen hatten. Es gelang ihm dennoch, einen effektiven Widerstand zu organisieren, wobei er sich vor allem auf die in Aquitanien angesiedelten Westgoten verließ.<ref>Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 187ff.</ref> Sie traten kurz vor der Entscheidungsschlacht auf die Seite des Aëtius, wenngleich ihr Verhältnis zum Heermeister in der Vergangenheit angespannt gewesen war. In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, deren Ort meist bei Châlons-en-Champagne vermutet wird,<ref>Alexander Demandt: Die Spätantike. 2. Auflage. München 2007, S. 188; Raimund Schulz: Feldherren, Krieger und Strategen. Krieg in der Antike von Achill bis Attila. Stuttgart 2012, S. 408.</ref> wurde gegen Ende Juni 451<ref>Vielleicht am 20. Juni, vgl. Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 140, Anmerkung 749.</ref> Attilas Vielvölkerheer von einem ebenso gemischten Kampfbündnis aus Römern, Westgoten und anderen Germanen zurückgeschlagen, aber nicht vernichtet. Die Zahlenangaben dazu schwanken, zuverlässige Zahlen sind kaum zu ermitteln.

Angeblich zögerte Aëtius, den Hunnen nachzusetzen oder den Westgoten dies zu gestatten; womöglich wollte er Hunnen wie Westgoten geschwächt wissen, um so beide Seiten weiter gegeneinander auszuspielen.<ref>Vgl. Bruno Bleckmann: Attila, Aetius und das „Ende Roms“. Der Kollaps des Weströmischen Reiches. In: Mischa Meier (Hrsg.): Sie schufen Europa. München 2007, hier S. 105.</ref> Faktisch war Attilas Rückzug eine strategische Niederlage. In der Forschung wird betont, dass es den Hunnen nie gelang, ein größeres römisches Heer in offener Schlacht vernichtend zu schlagen.<ref>Christopher Kelly: Neither Conquest Nor Settlement: Attila’s Empire and Its Impact. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge 2014, hier S. 207.</ref> Die geplante Eroberung Galliens war gescheitert. Damit war ein beträchtlicher Prestigeverlust des Hunnenherrschers verbunden.

Italienfeldzug

Nach dem Rückschlag in Gallien sah sich Attila nach neuen Einnahmen um. Er fiel 452 in Italien und damit in das Zentrum des westlichen Imperiums ein.<ref>Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997, S. 97ff.</ref> Aquileia wurde nach langer Belagerung zerstört; die Flüchtlinge in der Lagune legten der Legende nach die Keimzelle für das spätere Venedig. Daneben wurden Mailand (immerhin eine kaiserliche Residenzstadt), Bergamo, Padua, Verona und andere Städte erobert. Bald stockte der Vormarsch jedoch.

In den Quellen wird eine Begegnung Attilas mit dem damaligen Papst Leo I. als wesentlich für die Entscheidung des Hunnen zum Rückzug dargestellt, doch wird in der Forschung bezweifelt, dass das Gespräch größere Auswirkungen gehabt hat; die angebliche Rettung Roms durch das Eingreifen Leos gilt als Mythos. Unglaubwürdig ist diese Legende, weil die Quellen das Treffen Attilas mit der weströmischen Delegation, der auch hochrangige kaiserliche Beamte (wie der Prätorianerpräfekt Trygetius und Gennadius Avienus, der Konsul von 450) angehörten, in Norditalien am Fluss Mincio, also weit von Rom entfernt lokalisieren; es fand statt, als die Hunnen den Marsch in Richtung Rom bereits abgebrochen hatten.<ref>Vgl. Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Darmstadt 2009, S. 150; Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 149.</ref> Es ist aber vorstellbar, dass Attila, der unter Erfolgsdruck stand, Zahlungen von den kaiserlichen Gesandten erhielt und sich daraufhin entschloss, weitere Risiken zu vermeiden und endgültig abzurücken.<ref>Christopher Kelly: Attila the Hun. London 2008, S. 206f.</ref> Die Hunnen hatten in Italien ohnehin mit Versorgungsproblemen und Seuchenausbrüchen zu kämpfen, was ihrem Heer stark zu schaffen machte. Zudem war Attilas Schlagkraft im Vorjahr so geschwächt worden, dass an eine Eroberung Roms nicht mehr ernsthaft zu denken war. Seine Ressourcen waren erschöpft.<ref>Vgl. Peter Heather: The Fall of the Roman Empire. London u.a. 2005, S. 333ff.</ref> So musste er sich erneut zurückziehen, ohne Erfolge und größere Beute vorweisen zu können, die den Aufwand gerechtfertigt hätten.

Attila zog sich in seinen Herrschaftsraum in der ungarischen Tiefebene zurück. Seine Machtentfaltung hatte ihren Höhepunkt bereits überschritten. Ostrom verweigerte nach wie vor die Jahrgelder und hatte sich unter Markian stabilisiert, der Balkan war längst ausgeplündert, die Vorstöße nach Gallien und Italien waren gescheitert. Für einen Herrscher wie Attila, dessen Macht fast ausschließlich auf militärischem Erfolg und materiellen Gewinnen beruhte, war dies fatal.

Tod und Folgen

Über die letzten Monate Attilas ist kaum etwas bekannt. Priskos berichtet, er habe nach seiner Rückkehr aus Italien geplant, gegen das Ostreich vorzugehen.<ref>Priskos, Fragment 19 (Edition Pia Carolla).</ref> Anlass dazu hatte Attila, da 452 etwa zeitgleich mit seinem Italienfeldzug oströmische Truppen hunnisches Siedlungsgebiet angegriffen und dort einen bedeutenden Sieg errungen hatten.<ref>Hydatius von Aquae Flaviae, Chronicon zum Jahr 452.</ref>

Attila starb 453 in seiner Hochzeitsnacht mit Ildico. Die Ursache seines Ablebens ist nicht mehr eindeutig feststellbar. Jordanes berichtet:

„Dieser

  • John Given: The Fragmentary History of Priscus. Attila, the Huns and the Roman Empire, AD 430-476. Evolution Publishing, Merchantville NJ 2014. [aktuelle englische Übersetzung aller Fragmente des Priskos auf Basis der Ausgabe von Pia Carolla]
  • Colin D. Gordon: The Age of Attila: Fifth-Century Byzantium and the Barbarians. University of Michigan Press, Ann Arbor 1960 (Onlineversion). [Auszüge der wichtigsten Geschichtsschreiber des 5. Jahrhunderts, die die Ereignisse im Westen beschrieben in englischer Übersetzung]
  • Literatur

    • Attila und die Hunnen. Begleitbuch zur Ausstellung. Herausgegeben vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2114-5 (reich bebilderter Ausstellungskatalog mit wissenschaftlichen, gut lesbaren Beiträgen).
    • Bruno Bleckmann: Attila, Aetius und das „Ende Roms“. Der Kollaps des Weströmischen Reiches. In: Mischa Meier (Hrsg.): Sie schufen Europa. Beck, München 2007, ISBN 9783406555008, S. 93–110.
    • Henning Börm: Westrom. Von Honorius bis Justinian (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. Bd. 735). Kohlhammer, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-17-023276-1 (aktuelle Darstellung, die Attila als einen von mehreren Warlords wie Aëtius oder Geiserich begreift, die um Macht und Einfluss im Römischen Reich rangen).
    • Matthias Däumer: Attila. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 127–138 (Übersicht über die Rezeptionsgeschichte).
    • Jörg Fündling: Horden gegen das Abendland? Attila (ca. 400–453). In: Stig Förster, Markus Pöhlmann, Dierk Walter (Hrsg.): Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Portraits. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54983-7, S. 93–109.
    • Matthias Hardt: Attila – Atli – Etzel. Über den Wandel der Erinnerung an einen Hunnenkönig im europäischen Mittelalter. In: Behemoth. A Journal on Civilisation 2, 2009, S. 19–28.
    • Christopher Kelly: Attila the Hun. Barbarian Terror and the Fall of the Roman Empire. Bodley Head, London 2008, ISBN 978-0-224-07676-0 (wichtige neuere Überblicksdarstellung).
    • Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Attila. Cambridge University Press, Cambridge 2014, ISBN 978-1-107-63388-9 (aktuelle Sammlung von Fachbeiträgen zu zahlreichen Aspekten dieser Zeit).
    • Otto Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Herkunft, Geschichte, Religion, Gesellschaft, Kriegführung, Kunst, Sprache. Deutschsprachige Ausgabe besorgt von Robert Göbl. VMA-Verlag, Wiesbaden 1997, ISBN 3-928127-43-8 (deutsch zuerst: Wien 1978; Standardwerk zu den Hunnen, aber stellenweise lückenhaft und teils überholt).
    • Michael Schmauder: Die Hunnen. Ein Reitervolk in Europa. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, ISBN 978-3896783424 (reich bebilderte aktuelle Einführung).
    • Timo Stickler: Die Hunnen (= Beck’sche Reihe 2433 C. H. Beck Wissen). Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-53633-5 (knappe, aktuelle Einführung).
    • Edward A. Thompson: The Huns. Revised and with an afterword by Peter Heather. Blackwell, Oxford 1999, ISBN 0-631-21443-7 (Neudruck der Auflage von 1948 mit neuem Nachwort).
    • Gerhard Wirth: Attila. Das Hunnenreich und Europa (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. Bd. 467). Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1999, ISBN 3-17-014232-1.

    Weblinks

    Commons Commons: Attila – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

    Anmerkungen

    <references />

    24px Dieser Artikel wurde am 11. September 2015 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen.