Bigotterie


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Bigotterie (französisch bigoterie) oder Scheinheiligkeit ist die Bezeichnung für ein frömmelndes, dabei anderen Auffassungen gegenüber intolerantes, gehässiges<ref>Bigott. In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 536. (online auf zeno.org)</ref> und scheinbar ganz der Religion oder einer religiösen Autorität (Person oder Instanz) gewidmetes Wesen oder Verhalten, wobei der tatsächliche Lebensstil nicht eigentlich religiös oder streng sittlich gehalten wird. Der Duden bezeichnet Bigotterie als Scheinheiligkeit und „kleinliche, engherzige Frömmigkeit und übertriebene(n) Glaubenseifer“.<ref>Bigotterie. Bibliographisches Institut GmbH (Dudenverlag), abgerufen am 16. Oktober 2013.</ref> Das dazugehörige Adjektiv ist „bigott“.

Etymologie

Bigott wurde im 18. Jahrhundert aus dem gleichbedeutenden französischen bigot entlehnt, dessen Herkunft jedoch ungeklärt ist. Das Wort wird zum ersten Mal 1165 in dem Roman de Rou von Wace als Schimpfwort gegen die Normannen urkundlich erwähnt. Es wird auch mit der Schreibweise bigod, bigoth geschrieben. Hauptvermutung ist, dass es vom altenglischen bī god („bei Gott“)<ref>Duden, Das Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, Duden Band 7, Duden Verlag, S. 81b.</ref> oder be gode,<ref>Etymologie von bigot (französisch)</ref> einer alten englischen Schwurformel abgeleitet wurde.

Nach Pfeifer wurde das Adjektiv bigott für „frömmelnd, scheinheilig“ im Französischen seit dem 15. Jahrhundert in derselben Bedeutung bezeugt und bereits im 17. Jahrhundert als bigot ins Englische und als bigotto ins Italienische entlehnt. Es gelangte um die Wende zum 18. Jahrhundert ins Deutsche, wo es seit der Mitte des Jahrhunderts in der eingedeutschten Schreibweise bigott erschien. Das Substantiv span. bigote für „Knebelbart“ (span. hombre de bigote „Mann mit Knebelbart“, übertragen „Mann von Charakter“), das auch für die Erklärung von bigot und dessen Bedeutungsentwicklung herangezogen wird, geht nach Corominas 1, 457 f. wohl ebenfalls auf eine solche Formel zurück. Andere Autoren wie Best in Die Neueren Sprachen (1969) 497 ff. sehen dagegen im jiddischen begotisch „fromm, gottbegnadet“ (zu mhd. got „Gott“) eine mögliche Quelle für das französischsprachige Adjektiv.<ref>bigott in DWDS, abgerufen am 25. Oktober 2013.</ref>

Definitionen

Bei der Bigotterie geht es weniger um die Religiosität als solche, sondern vielmehr um die ängstliche und übertriebene Gewissenhaftigkeit in ihrer Ausübung.<ref>Bigott. In: Brockhaus Conversations-Lexikon. Band 7. Amsterdam 1809, S. 119. (online auf zeno.org)</ref>

Meyers Großes Konversations-Lexikon definierte 1905 bigott als:

„andächtelnd, frömmelnd, eifrig in der peinlich genauen Ausübung religiöser Gebräuche, aber ohne ernsteres religiöses Leben und streng sittliche Haltung.“

Als Scheinheiligkeit wird auch Heuchelei (auch „Pharisäertum“) oder Doppelmoral bezeichnet, wenn Menschen zum Beispiel vordergründig eine hohe Moral vorgeben (Lippenbekenntnis), tatsächlich aber niedrige moralische Standards praktizieren. Der Duden bezeichnet scheinheilig als „Aufrichtigkeit, Nichtwissen od. Freundlichkeit vortäuschend; heuchlerisch“.<ref>scheinheilig. In: Duden online. abgerufen am 27. März 2010.</ref>

Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart bezeichnet scheinheilig 1798 als:

„den äußern Schein der Heiligkeit, d.i. der Gottesfurcht, annehmend und habend, ohne es wirklich zu seyn. Ein Scheinheiliger, ein Heuchler, den man im gemeinen Leben auch einen Kopfhänger, in Niedersachsen einen Bibelträger, Kirchenklepper, Heiligenfresser, Heiligenbeißer u.s.f. nennet. Ein scheinheiliges Betragen.“

Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1403.<ref>Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Band 3. Leipzig 1798, S. 1403. (online auf zeno.org)</ref>

Von Selbstgerechtigkeit unterscheidet sich Bigotterie insofern, als der Bigotte an sich selbst auf jeden Fall weniger hohe Ansprüche stellt als an andere, während ein Selbstgerechter durchaus nach sittlicher und moralischer Tadellosigkeit streben mag.

Film

In dem US-amerikanischen Horrorfilm Carrie aus dem Jahr 1976 wird die Bigotterie und deren Folgen zu einem Drama.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: bigott – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons Commons: Bigotry – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienVorlage:Commonscat/Wartung/P 2 fehlt, P 1 ungleich Lemma

Literatur

Wikisource Wikisource: Brief an eine Gläubige – von Ernst Keil, In: Die Gartenlaube. (1866), Heft 42, S. 655–657
  • Thomas Druyen: Krieg der Scheinheiligkeit. Plädoyer für einen gesunden Menschenverstand. Maxlin, Düsseldorf 2012, ISBN 978-3-9814141-4-1.
  • Ulrike Günther: Rühr die Katze nicht an!: Bilder und Szenen aus einer Kindheit der 50er Jahre. BoD, Noderstedt 2015, ISBN 978-3-7386-2455-7.
  • Leopold Federmair: Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie Müller, Salzburg / Wien 2015, ISBN 3-7013-1095-5.

Einzelnachweise

<references />