Colette


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche
25px Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Colette (Begriffsklärung) aufgeführt.

Colette (eigentlich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette; * 28. Januar 1873 in Saint-Sauveur-en-Puisaye, Département Yonne (Burgund); † 3. August 1954 in Paris) war eine französische Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin. Sie bekam als erste Frau in Frankreich ein Staatsbegräbnis.

Leben und Schaffen

Jugend und erste Ehe

Colette wuchs als jüngstes von vier Halbgeschwistern und Geschwistern in dem o.g. Dorf der Bourgogne auf, wo ihr Vater, ein wegen Kriegsverletzung ausgemusterter Offizier, Steuereinnehmer war. Anders als die drei älteren Geschwister besuchte sie keine weiterführende Schule, wurde jedoch von ihrem literarisch interessierten Vater sowie vor allem von der klugen und verständnisvollen Mutter gefördert, mit der sie später in engem Briefkontakt blieb.<ref>Ralf Nestmeyer: Stille Tage in Saint-Sauveur-en-Puisaye. Colette, das Mädchen aus der Provinz. In: Ders: Französische Dichter und ihre Häuser. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-458-34793-3. S. 149–164.</ref>

Bei einer Reise nach Paris lernte sie 1889 im Alter von 16 Jahren den 30-jährigen Henry Gauthier-Villars kennen, der sich dort schon einen gewissen Namen als Literat und Salonlöwe gemacht hatte. 1893 heiratete sie ihn und wurde von ihm, der rasch ihr Schreibtalent erkannte, angelernt und ausgenutzt. Unter seinem Pseudonym „Willy“ verfasste sie ab 1896 eine Serie von zunehmend erfolgreichen Romanen, die in der Ich-Form und mit vielen autobiografischen Elementen die Geschichte einer jungen Frau erzählen: Claudine à l'école, Claudine à Paris, Claudine en ménage und Claudine s’en va (= C. in der Schule / in Paris / in der Ehe / geht fort; die Titel hier und im Folgenden sind wörtlich bzw. sinngetreu übersetzt und entsprechen nicht unbedingt den eventuellen Titeln deutscher Ausgaben). Bald nach dem letzten Claudine-Roman (1903) ließ sich Colette vom ihr immer wieder untreuen „Willy“ scheiden, der sich allerdings die Autorenrechte an den Claudines zu sichern verstand.

Varietékarriere, Beziehungen mit Frauen

Datei:ColetteReveEgypte1907.JPG
Colette in Rêve d’Égypte (1907; Foto von Léopold-Émile Reutlinger)

Nach der Scheidung lebte Colette eine Zeitlang bei Natalie Clifford Barney. Die beiden hatten eine kurze Affäre und blieben bis zu Colettes Tod befreundet.<ref name="rodriguez"> Suzanne Rodriguez: Wild Heart: A Life: Natalie Clifford Barney and the Decadence of Literary Paris. HarperCollins, New York 2002, ISBN 0-06-093780-7, S. 131.</ref>

In dieser Zeit nahm sie auch Unterricht beim Pantomimen Georges Wague und gastierte von 1906 an sechs Jahre lang mit „Mimodramen“ auf zahlreichen Varietébühnen in Paris und der Provinz. Hierbei trat sie öfters zusammen mit der zehn Jahre älteren Mathilde („Missy“) de Morny auf, der sehr unkonventionell lebenden Tochter eines Halbbruders von Napoléon III. Als die beiden sich 1907 im Moulin Rouge bei der Aufführung einer Pantomime mit dem Namen Rêve d'Égypte küssten, gab es einen Tumult, zu dessen Beilegung die Polizei gerufen werden musste. Im Gefolge des Skandals wurden weitere Aufführungen des Stückes verboten und Colette und Missy konnten ihr Verhältnis, das noch fünf Jahre bestand, nur verdeckt weiterführen.<ref> Shari Benstock: Women of the Left Bank: Paris, 1900–1940. University of Texas Press, Texas 1986, ISBN 0-292-79040-6, S. 48-49.</ref>

1909 begann sie mit La Vagabonde (= Die Vagabundin) einen weiteren autobiografischen Roman, in dem sie in der Ich-Form die Existenz einer enttäuscht geschiedenen Ehefrau, Varietékünstlerin und Angebeteten eines reichen Erben darstellt (ihr eigenes kurzlebiges Verhältnis mit dem Millionenerben Auguste Hériot, der 1910 eine Italienreise mit ihr unternahm, lag zeitlich offenbar erst nach dem Roman). La Vagabonde, die zunächst im Feuilleton einer Zeitschrift erschien, kam 1910 in die engere Wahl für den renommierten Literaturpreis Prix Goncourt und bedeutete den Durchbruch Colettes als Autorin.

Weitere literarische Tätigkeit, zweite Heirat

Auch als Journalistin war sie nun gesucht und erhielt eine eigene Rubrik im Feuilleton des Pariser Tageblattes Le Matin. Ab 1911 lebte sie zusammen mit dessen Chefredakteur, dem ebenfalls geschiedenen Baron Henry de Jouvenel des Ursins (geb. 1876), den sie Ende 1912 heiratete. Kurz zuvor starb ihre Mutter, wobei ihr Halbbruder (aus Zorn, weil sie nicht zur Beerdigung gekommen war?) ihre rund 2.000 Briefe an sie verbrannte.

1913 verarbeitete sie nochmals ihr früheres Leben im Variété in L'Envers du music-hall (= Die Kehrseite des Variétés).

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 war auch für Colette ein tiefer Einschnitt: Jouvenel wurde zum Militär eingezogen, musste aber nicht in den Fronteinsatz, sondern bekleidete ständig höhere Posten im Umfeld der Regierung. Sie selbst betätigte sich, nachdem sie ihre 1913 geborene Tochter samt Gouvernante auf ein Landgut der Jouvenels nach Castel-Novel in Varetz (bei Brive-la-Gaillarde) geschickt hatte, im Überschwang der allgemeinen Kriegsbegeisterung als Krankenschwester, zunächst in Paris, dann in einem Lazarett bei Verdun. 1915 bereiste sie das mit Frankreich gegen Deutschland und Österreich verbündete Italien als Reporterin für Le Matin, für den sie auch in den nächsten Jahren schrieb. Anfang 1917 begleitete sie Jouvenel nach Rom, der dort auf einer Konferenz Frankreich vertrat. Hier wurde in ihrem Beisein und nach einem von ihr verfassten Drehbuch La Vagabonde verfilmt.

Zurück in Paris, begann sie einen neuen Roman, Mitsou, ou comment l'esprit vient aux filles (= M., oder wie den Mädchen ein Licht aufgeht), der 1919 erschien. Im selben Jahr wurde sie Leiterin des literarischen Feuilletons des Matin.

1919/20 verfasste sie ihren bekanntesten Roman: Chéri (= Liebling), die Geschichte der letztlich unmöglichen Liebe eines jungen Mannes und einer älteren Frau. Die erste Idee zu diesem Buch war ihr zwar schon 1912 gekommen, doch lag ihr das Thema jetzt besonders nahe, denn sie hatte gerade selbst mit ihrem Stiefsohn Bertrand de Jouvenel (geb. 1903) ein Verhältnis begonnen. Chéri wurde 1921 von ihr und einem Koautor zu einem Theaterstück verarbeitet, in dem sie bei der 100. Aufführung, aber auch später noch, häufig selbst die Rolle der weiblichen Protagonistin spielte.

Inzwischen hatte ihr Mann als Politiker Karriere gemacht, und auch sie war arriviert: 1920 war sie zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden (1928 wurde sie sogar zum Offizier und 1936 zum Kommandeur befördert.) Ihre Ehe allerdings ging in die Brüche, denn auch Jouvenel erwies sich als untreu und verließ sie 1923. Sie verbrachte aber nach wie vor viel Zeit auf dem Château Castel-Novel, wo auch einige ihrer Werke entstanden sind.

1922 begann das Feuilleton des Matin ihren kleinen Roman Le Blé en herbe (= Unreifes Getreide<ref>Der Titel spielt auf die französische Wendung „couper le blé en herbe“ = Getreide mähen, ehe es reif ist, an</ref>) abzudrucken, der um das Thema der sexuellen Initiation eines Jugendlichen durch eine ältere Frau kreist. Der Abdruck musste allerdings wegen moralischer Entrüstung vieler Leser der Zeitung abgebrochen werden. Bei der Buch-Publikation des Werkes 1923 benutzte sie erstmals das schlichte „Colette“ als Autorennamen.

Die späteren Jahre

Nach dem Ende der Beziehung zu ihrem Stiefsohn lernte sie 1925 den ebenfalls deutlich jüngeren reichen Perlenhändler Maurice Goudeket (geb. 1889) kennen, mit dem sie zunächst häufig längere Reisen unternahm und den sie 1935 heiratete.

Ab 1939 litt sie unter einer fortschreitenden Arthrose der Hüftgelenke, die ihr das Leben erschwerte und sie zunehmend an ihre Wohnung fesselte. Ein 1941 gedruckter autobiografischer Text hieß entsprechend De ma fenêtre (= Aus meinem Fenster).

Während der deutschen Besetzung Nordfrankreichs und der antisemitischen Aktionen der französischen Vichy-Regierung gelang es ihr, ihren aus einer jüdischen Familie stammenden Mann aus der Haft zu befreien und ihm beim Untertauchen zu helfen.

1942 erzielte sie einen ihrer größten Erfolge mit dem kurzen Feuilleton-Roman Gigi, der 1944 als Buch gedruckt wurde und Vorlage für den gleichnamigen Musicalfilm aus dem Jahr 1958 war, dessen Adaption für die Bühne 1973 Premiere am Broadway hatte. Der Roman handelt von der vorteilhaften Heirat eines hübschen jungen Mädchens mit einem älteren Mann und versetzte Autorin und Leser aus dem Zweiten Weltkrieg zurück in bessere Zeiten, nämlich die Belle Époque um 1900.

Allmählich wurde Colette zur (längst auch wohlhabenden) großen alten Dame der französischen Literatur der ersten Jahrhunderthälfte. Sie schrieb und publizierte, wurde gelesen und verfilmt, hielt Vorträge und reiste, geehrt wie kaum eine andere Schriftstellerin vor ihr. So wurde sie 1945 als zweite Frau eines der zehn Mitglieder der Académie Goncourt <ref>"Das menschlichste Herz der modernen französischen Literatur" Die Schriftstellerin und Sängerin Sidonie-Gabrielle Colette starb am 3. August 1954 Von Ariane Thomalla (Memento vom 8. Februar 2005 im Internet Archive)</ref>, im Jahr 1949 deren Vorsitzende. Dagegen konnte sich die Académie française nicht zu ihrer Aufnahme entschließen. Von 1948 bis 1950 erschien in 15 Bänden eine von Goudeket besorgte Gesamtausgabe ihrer Werke.

Ihr 80. Geburtstag 1953 war ein nationales Ereignis, und als sie 1954 starb, wurde ihr ein pompöses Staatsbegräbnis zuteil.

Colette verstand es vor allem, in ihren Romanen Frauengestalten und Frauenschicksale psychologisch einfühlsam und lebensnah zu beschreiben. Ihr unkonventioneller Lebensstil schlug sich auch in ihren Werken nieder, insbesondere darin, dass sie sich dort kritisch mit der Ehe auseinandersetzt und die Sexualität der Frau nicht tabuisiert. Mit ihrem Werk Le pur et l'impur von 1932 (dt. Die Freuden) beabsichtigte Colette, zu Sodome et Gomorrhe (1924) von Proust ein Pendant aus der Sicht weiblicher Erfahrung zu schaffen.<ref>Ursula Link-Heer: „Ein verliebtes Frauenpaar. ›Ancien Régime‹ – Colette und das Rätsel der Ladies of Llangollen“, in: Literarische Gendertheorie. Eros und Gesellschaft bei Proust und Colette, herausgegeben von Ursula Link-Heer, Ursula Hennigfeld und Fernand Hörner. Inhaltsverzeichnis transcript, Bielefeld 2006, ISBN 978-3-89942-557-4, S. 215–236.</ref>

In den zwei Romanen La maison de Claudine (1922) und Sido (1929) setzte sie ihrer eigenwilligen naturliebenden Mutter ein Denkmal.

Obwohl von vielen Lesern und auch Autorenkollegen hochgeschätzt, wurde sie von der universitären Literaturkritik lange Zeit unter Wert gehandelt.

1953 wurde sie Grand Officier der Ehrenlegion.

Werke

  • Die „Claudine“-Romane: Claudine à l’Ecole (dt. Claudine erwacht), Claudine à Paris (dt. Claudine in Paris), Claudine en Ménage (dt. Claudine in der Ehe) und Claudine s'en va (dt. Claudine geht), 1900–1903
  • La Vagabonde., Roman, 1910 (nominiert für den Prix Goncourt)
  • Mitsou. Roman, 1919
  • Chéri. Roman, 1920
  • La Maison de Claudine („Claudines Mädchenjahre“). Roman, 1922
  • L’Enfant et les Sortilèges. Oper. Musik: Maurice Ravel. UA 21. März 1925 Monte Carlo (Opéra)
  • Sido. Roman, 1929
  • Le pur et l'impur, 1932, (Die Freuden, deutsche Übersetzung von Maria Dessauer, Suhrkamp, Frankfurt 1983, ISBN 3-518-01717-9)
  • La Chatte („Die Katze“). Roman, 1933, (Eifersucht, deutsche Übersetzung von Emi Ehm, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 1959)
  • De ma fenêtre („Paris durch mein Fenster“), 1941 (Autobiografie)
  • Gigi. Roman, 1944
  • L’Étoile Vesper. Roman, 1947

Postum erschienen:

Verfilmungen (Auswahl)

  • 1948: Gigi – Regie: Jacqueline Audry
  • 1950: Die naive Sünderin (Minne, l’ingénue libertine) – Regie: Jacqueline Audry
  • 1954: Erwachende Herzen (Le Blé en herbe) – Regie: Claude Autant-Lara
  • 1956: Mitsou und die Männer (Mitsou (Comment l’ésprit vient aux filles)) – Regie: Jacqueline Audry
  • 1958: Gigi, US-amerikanischer Musicalfilm des Regisseurs Vincente Minnelli
  • 1977: Claudine in der Schule (Claudine à l’école) – Regie: Édouard Molinaro
  • 1977: Claudine geht (Claudine s’en va) – Regie: Edouard Molinaro
  • 1977: Claudines Eheleben (Claudine en menage) – Regie: Edouard Molinaro
  • 1977: Claudine in Paris (Claudine à Paris) – Regie: Edouard Molinaro
  • 1989: Erwachende Herzen (Le Blé en herbe) – Regie: Serge Meynard
  • 1991: Bella Vista – Regie: Alfredo Arias
  • 2003: Colette (Filmbiografie) - Regie: Nadine Trintignant
  • 2009: Chéri. Eine Komödie der Eitelkeiten (Chéri) – Regie: Stephen Frears

Hörbücher (Auswahl)

Literatur

  • Yvonne Mitchell: Colette. Eine Biographie [= Colette: A taste for life], Aus dem Englischen (1975) von Hanna Lux, Wunderlich, Tübingen 1977.
  • Renate Baader; Dietmar Fricke (Hgg.): Die französische Autorin. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Athenaion, Wiesbaden 1979.
  • Joanna Richardson: Colette. Leidenschaft und Sensibilität, Aus dem Englischen (1983) von Renate Zeschitz, Heyne (Biographie 125), München 1985.
  • Eva Martin Sartori; Dorothy Wynne Zimmerman: French Women Writers: A Bio-Bibliographical Source Book, Greenwood, New York 1991.
  • Herbert Lottman: Colette. Eine Biographie, Aus dem Französischen (1990) von Roselie und Saskia Bontjes van Beek, Zsolnay, Wien 1991.
  • Judith Thurman: Colette. Roman ihres Lebens (= Secrets of the Flesh: A Life of Colette), Aus dem Englischen (1999) von Brigitte Flickinger, Berlin Verlag, Berlin 2001.
  • Sylvain Bonmariage: Willy, Colette et moi, Vorrede zu Jean-Pierre Thiollet, Anagramme, Paris, 2004 (reprint), ISBN 2-914571-60-7.
  • Ralf Nestmeyer: Französische Dichter und ihre Häuser, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-458-34793-3.
  • Ursula Link-Heer et al. (Hgg.): Literarische Gendertheorie. Eros und Gesellschaft bei Proust und Colette, Transcript, Bielefeld 2006, ISBN 978-3-89942-557-4.
  • Hiltrud Gnüg: Colettes Claudine à l’Ecole / Claudine erwacht. Ein pikanter Schulmädchenreport aus bösem Mädchenblickwinkel. In: Rebellisch, verzweifelt, infam. das böse Mädchen als ästhetische Figur, herausgegeben von Renate Möhrmann und Nadja Urbani (Mitarbeit). Aisthesis, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-89528-875-3, Inhaltsverzeichnis, S. 199–216.

Weblinks

Commons Commons: Colette – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references />