Entgasung


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25px Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Entgasung (Begriffsklärung) aufgeführt.

Entgasung bezeichnet die gesteuerte Entfernung von Gasen und anderer flüchtiger Substanzen wie Lösemittel oder Feuchtigkeit aus Flüssigkeiten und Festkörpern.<ref name="wutz"> Karl Jousten u. a., Karl Jousten (Hrsg.): Wutz Handbuch Vakuumtechnik. 10. Auflage. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8348-0695-6, Kap. 6.1. Sorptionsphänomene und deren Bedeutung – Begriffe und Terminologie, S. 202–204 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref><ref name="doppelschnecke"> Frank Lechner: Entgasen von Polymerschmelzen mit gleichläufigen Doppelschneckenextrudern. In: Klemens Kohlgrüber (Hrsg.): Der gleichläufige Doppelschneckenextruder. Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-41252-1, S. 191–212 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Sie geschieht meist als Verfahrensschritt in dafür vorgesehenen Entgasungseinrichtungen. Das selbständige Entweichen von Gasen wird dagegen in der Regel meist als Ausgasen bezeichnet.<ref name="wutz" /> Soll lediglich Feuchtigkeit entfernt werden, spricht man von einer Trocknung.

Gründe für die Entgasung

Datei:Foundry defect blowhole.jpg
Fehlstelle durch Gas­ein­schluss in einem metall­ischen Werk­stück („Blaslunker“)

In Gießharzen, Beton, Lacken, Metall- und Kunststoff­schmelzen u. ä. können Luft und andere enthaltene Gase Blasen bilden, die dann als Hohlräume nach dem Aushärten bzw. Erstarren bestehen bleiben.<ref name="faser"> Gottfried Wilhelm Ehrenstein: Faserverbund-Kunststoffe. Werkstoffe – Verarbeitung – Eigenschaften. 2. Auflage. Hanser Verlag, 2006, ISBN 978-3-446-22716-3, Kap. 5 Verarbeitung, S. 189 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Auch die Viskosität von Flüssigkeiten kann durch Blasen erhöht werden,<ref name="schmier"> Uwe J. Möller, Jamil Nassar: Schmierstoffe im Betrieb. 2 Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, ISBN 3-540-41909-8, Kap. 3.15.3.2 Fein verteilte Luft im Schmieröl, S. 205–208 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> was oftmals unerwünscht ist.

Oft soll durch Entgasung ein späteres Ausgasen geruchsintensiver oder gesundheitsschädlicher Stoffe vermieden oder nicht mehr benötigte Lösemittel entfernt werden.<ref name="doppelschnecke" />

Die Beseitigung gelöster oder als Bläschen eingeschlossene Substanzen verhindert daneben noch verschiedene andere negative Effekte wie z. B.:

Verfahren zur Entgasung

Vakuumentgasung

Datei:ZYD Series Double-Stage Highly Effective Vacuum Insulating Oil Purifier.jpg
mobile Vakuum­anlage zur Auf­bereit­ung von Transformatorenöl
Datei:Vacuum Laboratory oven.jpg
Vakuum-Laborofen zur Trock­nung und Ent­gas­ung

Die verbreitetste Methode zur Entgasung besteht darin, den zu entgasenden Stoff einem Vakuum auszusetzen. Sie ähnelt vom Prinzip her der Vakuumtrocknung.

Nach dem Henry-Gesetz ist die Konzentration eines Gases in einer Flüssigkeit direkt proportional zum Partialdruck des entsprechenden Gases über der Flüssigkeit. Das Evakuieren auf wenige mbar bewirkt ein starkes Abfallen des Partialdruckes und damit auch der Gaskonzentration in der Flüssigkeit. Wegen der Temperaturabhängigkeit der Henry-Konstante kann durch Temperaturerhöhung bei gleichbleibendem Unterdruck die Entgasungsqualität weiter verbessert werden.

Auch in Form von Blasen eingeschlossene Gase (z. B. eingerührte Luft) werden durch das Vakuum entfernt. Nach dem Gesetz von Boyle-Mariotte gilt für den Druck <math>p</math> und das Volumen <math>V</math>

<math>p \cdot V = \text{const.}</math>

Die Blasen blähen sich also bei Druckerniedrigung auf. Nach der Stokesschen Gleichung gilt für die Aufstiegsgeschwindigkeit <math>v</math> der Blasen der Zusammenhang

<math>v \sim \frac{r^2}{\eta}</math>,

wobei <math>r</math> der Blasenradius und <math>{\eta}</math> die dynamische Viskosität der Flüssigkeit ist. Durch die Volumenvergrößerung steigen die Blasen also wesentlich schneller an die Oberfläche auf und platzen dort.<ref name="lack"> Thomas Brock, Michael Groteklaes, Peter Mischke, Ulrich Zorll (Hrsg.): Lehrbuch der Lacktechnologie. 2. Auflage. Vincentz Verlag, Hannover 2000, ISBN 978-3-87870-569-7, Kap. 2.4.2.1. Entschäumer und Entlüfter, S. 169f (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>

Auch wird deutlich, dass eine Viskositätserniedrigung, z. B. durch Erhöhen der Temperatur, die Entgasung beschleunigen kann.<ref name="additive"> Bodo Müller: Additive kompakt. Vincentz Verlag, Hannover 2009, ISBN 978-3-86630-915-9, Kap. 3.3 Entlüftung von Pulverlacken, S. 57f (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>

Es erleichtert bzw. beschleunigt die Entgasung, wenn das Gas einen möglichst kurzen Weg zur Oberfläche der Flüssigkeit zurücklegen muss. Von Vorteil ist deshalb, wenn das Medium als dünne Schicht vorliegt (sog. Dünnschichtentgasung).<ref name="faser" />

Verfahrenstechnisch z. B. in Vergussanlagen erfolgt die Entgasung von Fluiden häufig parallel zu einem Mischprozess in Vakuummischern. Diese enthalten oft konusartige Einbauten, über die das Material zur Dünnschichtengasung fließt.<ref name="faser" /> Nach demselben Prinzip, allerdings mit kontinuierlichem Durchsatz, arbeiten Durchlaufentgaser.

Auch Anlagen zur Compoundierung thermoplastischer Kunststoffe, wie Doppelschneckenextruder, verfügen über evakuierte Entgasungszonen, um dort niedermolekulare Bestandteile wie Monomere, Oligomere, Lösungsmittel, Luft oder Reaktions- oder Zersetzungsprodukte aus der Polymerschmelze zu entfernen. Bei lösemittelhaltigen Kunststoffen besteht hier die Herausforderung in der großen Menge der entweichenden Gase. <ref name="doppelschnecke" />

Es existieren auch verschiedene Verfahren zur Vakuumentgasung von Stahlschmelzen in der Sekundärmetallurgie.

Bei Festkörpern laufen komplexere Vorgänge ab. Hier muss zwischen an der Oberfläche angelagerten (adsorpierten) Teilchen und ins Innere des Festkörpers aufgenommenen (absorbierten) oder dort eingeschlossenen (okkludierten) Teilchen unterschieden werden. Erstere können sich direkt von der Oberfläche ablösen (desorptieren), letztere müssen erst an die Oberfläche diffundieren und dann desorptieren, was wesentlich mehr Zeit beansprucht.<ref name="wutz" /><ref name="effekte_gas"> Chr. Edelmann: Gasabgabe. In: Manfred von Ardenne u.  a. (Hrsg.): Effekte der Physik und ihre Anwendungen. 3. Auflage. Harri Deutsch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-8171-1682-9, S. 320f (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Durch Temperaturerhöhung steigt die Geschwindigkeit der Gasabgabe exponentiell.<ref name="effekte_gas" />

Verfahrenstechnisch erfolgt hier die Entgasung in beheizten Vakuumkammern oder -schränken.

Entgasung mittels Ultraschall

Wird Ultraschall in eine Flüssigkeit eingeleitet, z. B. über eine Sonotrode, so baut sich in ihr ein hochfrequentes Wechseldruckfeld auf. Durch den periodisch entstehenden kurzzeitigen Unterdruck bilden sich Hohlräume aus. Dieser Effekt wird als Kavitation bezeichnet.<ref name="effekte_kav"> H. Kutruff: Akustische Kavitation. In: Manfred von Ardenne u.  a. (Hrsg.): Effekte der Physik und ihre Anwendungen. 3. Auflage. Harri Deutsch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-8171-1682-9, S. 927–930 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref><ref name="berg"> Ludwig Bergmann, Clemens Schaefer: Mechanik – Akustik – Wärmelehre (= Lehrbuch der Experimentalphysik. Band 1). Walter de Gruyter, Berlin 1945, ISBN 978-3-1115-1095-8, IX. Kap. Akustik, S. 434 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref> Die Hohlräume entstehen vornehmlich an Gaseinschlüssen, die als sogenannte Kavitationskeime, also Schwachstellen in der Flüssigkeit, an denen diese zerreißt, wirken.<ref name="effekte_kav" />

Das gelöste Gas diffundiert in die Kavitationsblasen hinein und verhindert, dass diese beim nachfolgenden Druckanstieg wieder vollständig implodieren: Die Blasen wachsen mit jedem Schwingungsvorgang.<ref name="effekte_kav" />

Bilden sich stehende Wellen durch Reflexionen aus, so werden die Blasen zu deren Knoten gedrängt, wo sie sich vereinigen (Koaleszenz) und durch den Auftrieb schließlich an die Oberfläche wandern.<ref name="berg" />

Auch Metallschmelzen lassen sich nach diesem Verfahren entgasen.<ref name="berg" /> Eine vollständige Entgasung kann aber nur in Verbindung mit anderen Verfahren erreicht werden.<ref name="verdampfer"> Andreas Freund: Experimentelle Untersuchung und Auslegung von ministrukturierten Verdampfern unterschiedlicher Bauweise. Logos Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-8325-2664-1, Anhang A: Entgasung des Arbeitsmediums, S. 137–139 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).</ref>

Thermische Entgasung

Wegen der Temperaturabhängigkeit der Henry-Konstante kann eine Entgasung auch allein durch Temperaturerhöhung erreicht werden wie beispielsweise an der Blasenbildung im Kochtopf vor Erreichen des eigentlichen Siedepunktes deutlich wird. Die thermische Entgasung wird insbesondere angewendet, um das Speisewasser von Dampfkesseln und anderer Heißwassersystem von den korrosionfördernden Gasen Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid zu befreien.

Sauerstoffbeseitigung durch chemische Bindung

Sauerstoff lässt sich durch chemische Bindung an geeignete Reduktionsmittel entfernen. In der Lebensmittelindustrie werden Sauerstoffabsorber in Verpackungen oder geeignete Enzyme direkt in die Lebensmittel zugegeben.<ref name="lebensmittel"/>

Sauerstoffbeseitigung mit Inertgas

Lebensmittel können in einer Inertgas­atmosphäre (meist Stickstoff) gelagert oder von ihr umspült werden, so dass vorhandene Gase wie Sauerstoff in diese Atmosphäre austreten.<ref name="lebensmittel"/> Es ist auch möglich, ein derartiges schwer lösliches Schleppmittel als feine Blasen durch Flüssigkeiten oder Schmelzen durchperlen zu lassen (Strippung).<ref name="lebensmittel"/><ref name="doppelschnecke" />

Zusatz von Entlüftungsadditiven

Datei:Schaumbildung.png
Stabilisierung von Blasen durch Tenside in wässriger Lösung. Die hydrophilen roten Enden stoßen sich ab.

Sogenannte Entlüftungsadditive sind Chemikalien, die das Verschmelzen mehrerer kleinerer Luftblasen zu einer großen und damit den Aufstieg an die Oberfläche begünstigen.<ref name="lack" />

Luftblasen werden in Flüssigkeiten durch Tenside an der Grenzfläche Luft-Flüssigkeit stabilisiert, d. h. diese Tenside bewirken eine abstoßende Wirkung zwischen den Grenzflächen. Ein Entlüfter ist so beschaffen, dass er in der Flüssigkeit eher schlecht löslich ist, und sammelt sich deswegen an der Grenzfläche an und verdrängt die Tenside. Dadurch wird die abstoßende Wirkung aufgehoben und die Blasen können verschmelzen.<ref name="lack" />

Entlüfter werden vor allem dort eingesetzt, wo eine technische Entgasung nicht mehr möglich ist, also z. B. um Luftbläschen aus Lacken oder Gießharzen nach der Applikation zu entfernen. Eine Entfernung gelöster Substanzen ist mit ihnen aber nicht möglich.

Die Entlüftung kann auch durch viskositätssenkende Additive verbessert werden.<ref name="additive" /> Entschäumer sollen dagegen nicht primär eine Entgasung bewirken, sondern das Platzen der Blasen an der Oberfläche, um Schaumbildung zu verhindern.

Weblinks

Einzelnachweise

<references />